Anfang des Jahres, zu Beginn der ersten Coronawelle und des Lockdowns, standen viele allabendlich an ihren Fenstern und applaudierten all denen, die für sichere Versorgung, Pflege, Entsorgung und vieles mehr häufig unter größter Belastung weiter arbeiteten. Politiker schwangen große Reden von Corona-Alltagshelden und systemrelevanten Berufen. Von alledem merken die einstiegen Helden jetzt kaum noch etwas.

Unter den jetzt ausgehandelten Tarifvertrag fallen gut 2,3 Millionen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst, also Pflege, Erziehung, Entsorgung, ÖPNV und vieles mehr. Ver.di schlug noch vor den ersten Verhandlungen mit Bund und Kommunen eine Nullrunde vor, also den jetzigen Tarifvertrag ein Jahr zu verlängern, was die Vereinigung Kommunaler Arbeitgeber (VKA) unter Ulrich Mägde ausschlug. Sie rechnete damit, dass ver.di in Zeiten von Corona und eingeschränkter Versammlungsfreiheit kaum mobilisierungsfähig wäre, und bereitete sich auf eine harte Verhandlungsführung mit weitreichenden Einschnitten für die Beschäftigten vor.

Die ver.di-Führung wurde so in einen Tarifkonflikt gezwungen, auf den sie sich nicht ausreichend vorbereitet hatte und die – statt die derzeit massive Gefährdung der Kollegen im Betrieb für offensive Forderungen und einen Kampfaufruf zu nutzen – letztlich auch auf einen reinen Abwehrkampf herauslief. Sie starteten mit einer niedrigen Forderung von 4,8% mindestens aber 150 Euro mehr und einer Laufzeit von einem Jahr. Bedenkt man die Stimmung zu Beginn des Jahres und die Leistungen die vollbracht wurden und werden keine hohen Forderungen. Dennoch entgegnete die Arbeitgeberseite, dass die Forderung Mehrausgaben von 6 Milliarden bedeuten und diese den Haushalt überlasteten würde, grade in Zeiten von einbrechenden Steuereinnahmen und einer unsicheren wirtschaftlichen Lage.

Welch ein Hohn für alle, die sich zurückerinnern, wie zu Beginn der Pandemie Milliardenpakete für Großkonzerne verabschiedet wurden, oder wie Lufthansa mit 9 Milliarden Staatsgeldern gerettet wurde, ohne dass Zusicherungen von Jobgarantien getroffen wurden!

Das „Angebot“ der Arbeitgeberseite ließ sich kaum noch als eines bezeichnen: Auf drei Jahre verteilt sollten 3,5% mindestens aber 30 Euro mehr rumkommen. Die lange Laufzeit ist der Arbeitgeberseite von Natur aus sehr wichtig, da sie die Demobilisierung gewerkschaftlicher Kampfraft zur Folge hat. Innerhalb eines Tarifvertrags kann nicht gestreikt werden und gewerkschaftliche Aktionen und Mobilisierungen finden kaum statt.

Trotz zweier Verhandlungen ohne Ergebnis und mehreren Warnstreiks in Kitas, Stadtreinigung, Krankenhäusern und ÖPNV, lässt sich die Strategie der ver.di-Führung nur als minimale Kampfbereitschaft deuten. Größere Zuspitzungen und Mobilisierungen wurden vermieden. Trotz der harten Coronaauflagen hätten Streiks in den verschiedenen Bereichen zusammengeführt werden müssen. So wurden nur vereinzelte Stiche verteilt statt die geballte Macht der Beschäftigten zu zeigen.

Dass die Arbeitgeberseite über zwei Verhandlungen hinweg kein Angebot gemacht, und dann in der letzten Minute – kurz bevor es zu richtigen Streiks hätte kommen können – mit einem Niedrigangebot über den Tisch gekommen ist kann nur als gezielte Erpressungsstratgie verstanden werden! Nun argumentieren führende ver.di-Mitglieder aus der Verhandlungskommission, man hätte „dank“ dieses Angebots „gerade noch“ schlimmeres verhindert. Das ist nicht wahr! Man muss den Kakao nicht austrinken, durch den man gezogen wird: Auf Erpressungsversuche darf kein Einlenken folgen!

Die Kolleginnen und Kollegen hätten einen solchen Aufruf zu weiteren Streiks nach diesem lausigen Angebot verstanden. Sie waren bereit mit ver.di zu kämpfen – das haben wir in den letzten Wochen nicht nur durch die verspätete Abholung des Mülls oder des zum Erliegen gekommenen ÖPNVs gesehen, sondern auch auf den Kundgebungen und Warnstreiks, von denen häufig größere Gruppen wieder nachhause geschickt werden mussten, da die Teilnehmerzahl der Coronaauflagen überschritten wurden. Auf den Online-Portalen Tagesschau und anderer öffentlicher Medien kam es nach der Verkündung des Ergebnisses zu einer Flut von wütenden Kommentaren, in denen etliche Gewerkschaftsaustritte angekündigt wurden.

Unzählige Kollegen wollten keine „kompromissbereite“, sondern eine kämpferische ver.di und vor allem bessere Arbeit!

Auf die Erpressungsversuche der Arbeitgeber hätte eine Kampfansage folgen müssen, beispielsweise in Form eines Aufrufs zu einem zweitägigen gemeinsamen Streik des gesamten öffentlichen Dienstes. Stattdessen folgt nun der Gegenangriff: im zweiten Lockdown müssen die Kollegen im Normalbetrieb weiterarbeiten, besonderen Schutz für gefährdete Kollegen gibt es keinen – Fehlen gilt auch bei dringend notwendigem Selbstschutz als Arbeitsverweigerung – und die Lage ist aufgrund des massiven Personalmangels noch angespannter als sonst.

Schon vor der dritten Verhandlungsrunde liebäugelte Frank Werneke (ver.di-Vorsitz) öffentlich mit der Aufgabe der geforderten 4,8 Prozent und mit einer langen Laufzeit. Ver.di-Funktionäre hofften auf einen baldigen Abschluss, um weiteren Streiks und einer Urabstimmung zu entgehen. Kein Wunder also, dass der getroffene Abschluss am 25.10 wie ein schlechter Witz für die Beschäftigten erscheinen muss. Horst Seehofer leitete die Bekanntgabe großspurig damit ein, dass diese Vereinbarung auch Ausdruck davon sei, dass die Leistungen jedes einzelnen Mitarbeiters honoriert werden sollen. So wird es eine einmalige Corona-Sonderprämie geben: 600 Euro für die unteren Einkommensstufen, 200 für die oberen. Insgesamt sieht der Tarifabschluss eine Erhöhung von 3,2% vor, die erste Erhöhung um 1,4% am 1. April 2021 und ein Jahr später von 1,8% mindestens aber 50 Euro. Die Laufzeit beträgt 28 Monaten.

Bei diesem Abschluss können sich die Kollegen im Öffentlichen Dienst schon fragen, für wessen Seite Frank Wernke und Co. eigentlich an dem Verhandlungstisch saßen. Vergleicht man das Angebot der Arbeitgeberseite mit dem Abschluss, sieht man keine nennenswerte Unterschiede – bei einer gewollten Inflation von 2% (was aus jetziger Sicht eine deutliche Steigerung ist, aber über die 28 Monate hinweg auch absolut nicht unmöglich) ist das Ergebnis wenn überhaupt ein Inflationsausgleich.

Ein bessere Tarifabschluss wäre möglich gewesen. Statt von Anfang an auf Kompromisse mit der Arbeitgeberseite zu zielen, hätte ver.di eine breite Aktions- und Mobilisierungskampagne starten müssen, die an der breiten Unterstützung für die öD-Beschäftigten durch breite Teile der Bevölkerung ansetzt. Die Unzufriedenheit mit dem Ausfall des ÖPNV, die Ungeduld zum Abschluss des öD-Tarifs: sie sind Teil Medienstrategie der Bosse! Ver.di hätte dem einen deutlich vernehmbaren Kampfaufruf an alle Arbeiterinnen und Arbeiter gegen die elitäre und arbeiterfeindliche Haltung der Arbeitgeber entgegensetzen müssen!

Den Laden am Laufen gehalten haben Pflegerinnen, Erzieherinnen Müllwerker und Co.. Weder die Politiker noch die Bosse, für deren Profite im März – finanziert durch öffentliche Gelder – Milliardenpakete verabschiedet wurden, haben das vollbracht. Jetzt ist es an der Zeit diese Arbeit zu honorieren und für ein gutes Auskommen zu sorgen. Mit einer solchen Stoßrichtung und einer kämpferischen ver.di – und zwar bis nach oben! – wären die geforderten 4,8% das mindeste gewesen, was man durch einen entschlossenen Kampf hätte erreichen können!

Nicht aufgeben – nicht austreten – KÄMPFEN!

Nur wenn wir die Gewerkschaften grundliegend und von unten an verändern und sie wieder zu Kampforganisationen der Arbeiter machen, können wir gewinnen. Eckpunkte dafür im öffentlichen Dienst sind:

  • Abwertung bekämpfen: keine Ausgliederungen mehr in Niedriglohngruppen! Hohe Sockelbeträge erkämpfen und so Lohndifferenz schließen! Leistungsorientierte Bezahlung zugute allgemeiner Lohnerhöhungen abschaffen! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit statt Niedriglohngruppen bei gleicher Tätigkeit!
  • Ein Betrieb – eine Belegschaft: Wiedereingliederung aller ausgegliederten Bereiche. Spaltung der Arbeitskämpfe und Belegschaften beenden!
  • Zeitarbeit abschaffen!
  • Für bessere und tariflich fixierte Personalschlüssel in allen Bereichen: Hin zur 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich in allen Branchen! Wir kämpfen für ein Recht auf Arbeit, bei dem die Arbeit auf die arbeitsfähige Bevölkerung verteilt und Arbeitslosigkeit effektiv bekämpft wird!

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