16 Jahre regieren für Reiche und Kapitalisten
Nüchtern betrachtet, waren die vergangenen 16 Jahre unter Bundeskanzlerin Angela Merkel für den größten Teil der arbeitenden Bevölkerung Deutschlands und Europas wenig erfolgreich. Unter keinem Kanzler hat sich die Schere zwischen Arm und Reich, genauer gesagt das Verhältnis zwischen denen, die von den Löhnen ihrer Arbeit leben, und denen, die ihr Vermögen aus Kapitalerträgen wie Dividenden und Eigentum beziehen, weiter geöffnet. Deutschland besitzt immer noch den größten Niedriglohnsektor in Europa und einem Fünftel aller Rentner droht die Altersarmut, Tendenz steigend.
Unter Merkel wurde die Rente ab 67 eingeführt, und Rentenprivatisierung steuerlich begünstigt („Merkel-Förderung“). Die Regierungen, denen sie vorstand, waren durchgehend von Skandalen um Nazis in wichtigen Bundesbehörden, schamlose Lobbyisten, Steuerverschwendung und Unfähigkeit ihrer Minister geprägt. Erst kürzlich war die Kanzlerin selbst in den Wirecard-Skandal verwickelt. Und nicht zuletzt hat die rücksichtlos durchgeführte Austeritätspolitik der „schwarzen Null“ im In- und Ausland die Infrastruktur in weiten Teilen Deutschlands verwahrlosen lassen, und in Südeuropa zu einer sozialen Katastrophe geführt.
Trotzdem konnte Angela Merkel sich bis zuletzt von den Auswirkungen ihrer Politik in der Öffentlichkeit distanzieren und mit relativ hohen Beliebtheitswerten abschneiden. Und das, obwohl gerade das letzte unter ihr zusammengestellte Kabinett unbeliebt wie kaum ein anderes war, und gerade die aus ihrer Partei stammenden Minister, vor allem die Herren Spahn und Scheuer, während Corona-Krise, der geplanten Autobahn-Privatisierung, der Ausländermaut und unzähligen anderen Vorhaben mit Unfähigkeit und kaum verhohlener Korruption glänzten.
Merkel entpolitisierte die öffentlichen Debatten, in dem die Umsetzung der herrschenden, neoliberalen Ideologie quasi als „Naturgesetz“ für alternativlos erklärte. Privatisierungen, Sozialkürzungen und eine zunehmende Militarisierung der Außenpolitik waren für die verschiedenen Merkelregierungen keine politischen Entscheidungen, über die debattiert wurde, sondern Notwendigkeiten, bei denen höchstens der Zeitpunkt verhandelt werden konnte.
Gerade in der Außenpolitik hat Merkel so viele Widerstände überwunden. Sie durchschritt die Tür zu einer vollständigen Integration Deutschlands in die imperialistische Kriegspolitik der NATO, die SPD und Grüne durch ihre Zustimmung zu den Kampfeinsätzen in Jugoslawien und Afghanistan geöffnet hatten. Obwohl sich etwa 2009 laut dem ARD-Deutschland-Trend bereits 70% der Deutschen für einen raschen Abzug aus Afghanistan aussprachen, wurde der Einsatz bis zum schmachvollen Ende dieses Jahr durchgesetzt.
In den nächsten Monaten wird ein Loblied auf Angela Merkels persönliche Fähigkeiten und ihre überragende Beliebtheit gesungen werden. Aber tatsächlich hat sie kein allgemeines Vertrauen genossen: Seit 2005 sind die absoluten Zweitstimmen der CDU tendenziell gesunken, zwischen 2005 und 2021 um 4.365.760 Stimmen.
Die absoluten Stimmen für die CDU sanken unter ihrer Regierung bei jeder Bundestagswahl, was nur nicht ins Gewicht fiel, weil die Verluste der anderen großen Parteien das aufwogen. Arbeiter und Arme wurden immer weiter in die Passivität gedrängt, die Wahlbeteiligung sank um mehr als 1.2 Millionen. Die historische Krise der CDU, die wir nun erleben, bietet der Linken die Chance, diese Passivität aufzubrechen und ein neues Zeitalter der Kämpfe zu eröffnen, wenn sie sich auf die Kämpfe der Arbeiterklasse stützt.
Ära Merkel ist vorbei!
Angela Merkel war die Kanzlerin einer Periode relativer Stabilität des deutschen Kapitalismus, auch die Krise von 2008 konnte durch bösartige Kürzungen in Südeuropa und den chinesischen Wirtschaftsmotor abgefedert werden. Das kam Merkel zugute.
Doch diese Periode ist vorbei, das Erbe von Jahrzehnten der Kürzungen und eines deutschen Kapitalismus, der heute tief in der Krise und dessen Aussichten unsicher sind, lastet tief auf dem Rücken der CDU – und äußert sich in tiefen internen Krisen und einem historischen Wahldebakel!
Der Versuch, mit Laschet einen Nachfolger des Merkel-Kurses in der CDU einzusetzen, ist krachend gescheitert; wichtige Figuren wie Kramp-Karrenbauer und Altmaier ziehen sich aus der Fraktion zurück.
Auch haben soziale Kämpfe in Deutschland zugenommen. Eine Fortführung der Merkel-Strategie – soziale Einschnitte gegen die Bevölkerung aussitzen und die deutsche Hegemonialstellung in Europa ausnutzen, um die Absatzmärkte in Ost- und Südeuropa zu festigen – wird sich in der vergangenen Form nicht einfach wiederholen lassen.
Schon in den letzten Jahren verschärften sich die Spannungen der imperialistischen Blöcke im Kampf um Einflusssphären und Absatzmärkte, sowohl mit dem expandierenden China als auch mit dem alten Verbündeten USA, in der EU haben zentrifugale Tendenzen zugenommen. Diese objektive Veränderung der Weltlage ist unabhängig davon, wer aktuell im deutschen Kanzleramt sitzt, und ob er ein rotes, schwarzes oder grünes Parteibuch in der Tasche hat.
Die CDU wird wohl nicht mehr in der Regierung vertreten sein. Trotzdem wird auch eine SPD-geführte Nachfolgeregierung ihre Politik weiterführen. Es wird eine starke Linke brauchen, die mit Kampfgeist und sozialistischem Programm mit dem kapitalistischen Erbe der Merkel-Ära brechen kann.