Vor wenigen Monaten haben wir in einem längeren Artikel [1] anlässlich der jüngsten Verschärfung des „Volksverhetzungsparagraphen“ (§ 130 StGB) ausdrücklich davor gewarnt, dass diese Maßnahme in Kombination mit der fast zeitgleich im Bundestag beschlossenen Anerkennung der Hungersnot in der Sowjetukraine der frühen 1930er Jahre („Holodomor“) als Völkermord dazu genutzt werden kann, jede Kritik an der ukrainisch-nationalistischen Deutung dieser Hungerkatastrophe als „geplanter sowjetischer Hunger-Genozid“ zu kriminalisieren und darüber hinaus potenziell jede positive Bezugnahme revolutionärer Marxisten auf die Bolschewiki, die Sowjetunion usw. unter Strafe zu stellen. Jetzt zeigt sich: Wir haben leider Recht behalten!

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat Ende März auf Grundlage des neuen § 130 StGB Ermittlungen gegen die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) eingeleitet, weil diese in einem Artikel aus dem Jahr 2014 (!) die These vom beabsichtigten Genozid im Kontext der Hungerkatastrophe 1932/33 kritisiert hat.

Viele der inhaltlichen Argumentationslinien der MLPD in diesem Artikel teilen wir ausdrücklich nicht. In unserem oben erwähnten Text haben wir bspw. detailliert dargelegt, welche verheerende Rolle die chaotische Zick-Zack-Politik der stalinistischen Partei- und Staatsführung in der Agrarfrage in jenen Jahren aus unserer Sicht gespielt hat. Die Hungerkatastrophe von 1932/33 in der UdSSR war nicht reines Ergebnis ungünstiger Witterungsverhältnisse oder Folge der Ausbreitung von Krankheiten, sondern auch Resultat politischen Versagens. Die notwendige (und von der Linken Opposition der bolschewistischen Partei um Leo Trotzki schon seit den frühen 1920ern eingeforderte) Kollektivierung der sowjetischen Landwirtschaft fand überhastet statt und wurde von der Stalin-Clique mit brutalen Zwangsmethoden durchgeführt, die die Hungerkatastrophe und ihre vielen Millionen Toten mitverschuldeten.

Wir stimmen aber mit der MLPD, anderen kommunistischen Organisationen und vor allem mit einer Vielzahl selbst bürgerlicher Historiker [2] darin überein, dass die geradezu verschwörungstheoretische Deutung dieser Hungerkatastrophe als gezielter Völkermord-Plan der sowjetischen Führung in Moskau zur bewussten Ermordung möglichst vieler Ukrainer und zur Auslöschung der ukrainischen Nation historisch nicht belegbar ist. Diese Deutung ist schlicht ein altes Narrativ der ukrainischen extremen Rechten, das mittlerweile in immer mehr Ländern zur offiziellen Regierungsposition wird – deshalb aber nicht wissenschaftlich stichhaltiger oder überzeugender.

Mit dem neuen § 130 StGB und Verfahren wie demjenigen gegen die MLPD soll ein antikommunistisches Geschichtsbild zum juristisch untermauerten Standard in Deutschland werden. Es geht den Urhebern dieses Gesetzes und solcher Verfahren nicht um historische Wahrheit, sondern um eine Generalabrechnung mit jeder Alternative zum herrschenden kapitalistischen System. Wer künftig die Russische Revolution oder die sozialen Errungenschaften der Sowjetunion verteidigt, soll als Anhänger eines „Völkermord-Regimes“ stigmatisiert und zum „Volksverhetzer“ erklärt werden.

Getroffen hat es jetzt zunächst die MLPD, gemeint sind aber alle revolutionär-marxistischen Kräfte, die sich dem herrschenden Antikommunismus nicht unterordnen wollen, zur Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung stehen und für den Sturz der Herrschaft der Banken- und Konzernbosse sowie für die zukünftige Aufrichtung einer sozialistischen Ordnung ohne Kriege, Armut und Krisen kämpfen. Deshalb sagen wir:

-  Weg mit der „Holodomor“-Anklage gegen die MLPD!

-  Weg mit dem antikommunistischen Willkürparagraphen 130!

1 https://offensiv.net/index.php/deutschland/holodomor-beschluss-im-bundestag-geschichtsrevisionismus-und-antikommunismus-als-deutsche-staatsraeson

2 Selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags musste in einer Ausarbeitung aus dem Jahr 2008 zugeben, dass die „Genozid-These“ im Bezug auf den „Holodomor“ höchst umstritten und „das Meinungsbild [dazu] sowohl in der deutschen als auch in der internationalen Forschung uneinheitlich“ ist (https://www.bundestag.de/resource/blob/411750/6631dd7f4c04c6a13165e33295b62733/WD-1-065-08-pdf-data.pdf ; hier S. 10). Dass die Deutung der Hungerkatastrophe 1932/33 als beabsichtigter „Hunger-Mord“ unter Historikern auch heute alles andere als allgemein anerkannt ist, zeigt sich exemplarisch etwa in diesen Beiträgen: https://www.sueddeutsche.de/politik/stalin-ukraine-1.4752620 , https://www.deutschlandfunkkultur.de/holodomor-genozid-ukraine-bundesregierung-100.html

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