Die vergangenen 30 Jahre haben Alle, die nach der Auflösung der Sowjetunion das „Ende der Geschichte“ gekommen sahen, Lügen gestraft. Die Welt hat sich seitdem nicht stetig in Richtung Frieden, Demokratie und Wohlstand für Alle entwickelt, im Gegenteil! Es gibt weiterhin Armut, Stellvertreterkriege und in den letzten Jahren auch verstärkt direkte Konflikte zwischen den imperialistischen Großmächten (NATO-Russland, USA-China). Das ist keine Überraschung, denn mit dem Fall des Ostblocks hat das System vorerst „gewonnen“, in dessen Funktionsweise Konflikte und Kriege unvermeidlich begründet sind: der Imperialismus.

Was ist Imperialismus?

Der Imperialismus ist der Kapitalismus in seinem monopolistischen Stadium, das er Ende des 19. Jahrhunderts erreicht hat. Er zeichnet sich durch die Konzentration der Produktion in wenigen Großbetrieben bzw. Konzernen aus, die ihre kleineren Konkurrenten aus dem Markt drängen oder aufkaufen und zu marktbeherrschenden Monopolen oder Quasi-Monopolen in Form von Kartellen anwachsen. Gleichzeitig ist ein großer Teil des Bankkapitals in wenigen Großbanken konzentriert, die über Kredite aufs engste mit den Konzernen verbunden sind und durch die gegenseitige Abhängigkeit praktisch mit diesen verschmelzen. Die Monopole aus Bank- und Industriekapital beherrschen einen so großen Teil der Wirtschaft eines Landes, dass ihre Interessen unweigerlich zu den Interessen des Staates werden, in dem sie angesiedelt sind.

Regierungen in imperialistischen Ländern haben in erster Linie die Funktion, die Interessen der „eigenen“ Monopolverbände durchzusetzen, die in Konkurrenz mit ausländischen Monopolverbänden stehen: Zugang zu Märkten und Rohstoffen sowie möglichst vorteilhafte Bedingungen, um auch ausländische Märkte beherrschen zu können. Aus der Konkurrenz unter den imperialistischen Mächten ergibt sich für jede von ihnen der Zwang, sich andere Länder zu unterwerfen, bevor es die Konkurrenz tut. Das geht auf militärischem oder auf ökonomischem Wege. Die direkte Eingliederung in das eigene politische System (Annexionen, Kolonien) gibt es heute kaum noch. Die Zielländer werden entweder durch Kapitalexport in ökonomische Abhängigkeit gebracht oder per Regime Change (besonders gern durch die USA) den eigenen Interessen geöffnet, wobei sie formal souverän bleiben.

Aktuelle Weltlage

Dass bereits die ganze Welt von (häufig ausländischem) Kapital durchdrungen und beherrscht ist, heißt nicht, dass die Aufteilung der Welt damit ein für alle Mal abgeschlossen ist. Sie kann und muss neu verteilt werden, wenn sich die Kräfteverhältnisse zwischen den imperialistischen Mächten ändern, was zwangsläufig zu Konflikten zwischen diesen führt. Genau das erleben wir aktuell mit dem Aufstieg Chinas und dem Versuch der USA, diesen aufzuhalten. China hat die größte Bevölkerung und nach den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft sowie den zweitgrößten Militärhaushalt der Welt. Der Abstand zu den USA ist noch beträchtlich, verringert sich aber Jahr für Jahr. Mit der „Neuen Seidenstraße“ beginnt China im großen Stil Abhängigkeiten in Asien und Afrika zu schaffen und drängt selbst nach Europa. Es ist erklärtes Ziel der Regierung, Mitte des Jahrhunderts Weltmacht Nr. 1 zu sein. Die jüngste Antwort der USA war der von Trump ausgerufene Handelskrieg. Es wird nicht die letzte gewesen sein. Anders als die USA und China bezieht Russland seinen Status als Weltmacht in viel höherem Maße aus seinen militärischen Kapazitäten (konventionelle und vor allem Atomwaffen in großer Zahl) als aus ökonomischer Stärke (nur Platz 12, hinter Kanada).

Rolle Deutschlands

Welche Rolle spielt Deutschland im imperialistischen Weltsystem? In den deutschen Medien wird der „eigene“ internationale Einfluss (im Gegensatz zu anderen imperialistischen Mächten) eher geringer dargestellt als er tatsächlich ist. Das hat einerseits damit zu tun, dass in der deutschen Bevölkerung Nationalismus und Imperialismus (aus guten Gründen) nach wie vor auf weniger Zustimmung stoßen als in anderen Ländern. Andererseits ist es auch ein Propagandamittel, um die Forderung nach mehr eigenem Einfluss populär zu machen. Fakt ist: die Darstellung ist verzerrt. Deutschland hat großen Einfluss, auch wenn er weniger offen sichtbar ist, weil er vor allem ökonomisch statt militärisch ausgeübt wird.

Die deutsche Wirtschaft ist die viertgrößte der Welt und außergewöhnlich stark exportorientiert. Sie exportiert aktuell Waren im Wert von über 1,3 Billionen Euro pro Jahr (Platz 3 hinter China und den USA), die wichtigste Branche ist dabei die Autoindustrie, dahinter Maschinen und chemische Industrie. Der Exportüberschuss liegt seit 2014 deutlich über 200 Mrd. Euro pro Jahr (Platz 2 hinter China), ihm steht ein ebenso hoher Kapitalexportüberschuss gegenüber. Insgesamt sind über 8 Billionen Euro deutsches Kapital im Ausland angelegt. Da die deutsche Wirtschaft wesentlich stärker international verflochten ist als die japanische, muss Deutschland ökonomisch der drittgrößte Einfluss aller Staaten zugeschrieben werden. Dieser konzentriert sich vorrangig in Europa und besonders innerhalb der EU, in der (auch nach dem Brexit) über die Hälfte des deutschen Außenhandels erfolgt.

EU – neoliberal, undemokratisch, militaristisch

Die EU ist in doppelter Hinsicht das politische Schlüsselinstrument des deutschen Imperialismus. Erstens nach innen, durch den gemeinsamen Binnenmarkt und die gemeinsame Währung, die alle Schutzmechanismen gegen ausländische (vor allem deutsche) Exporte für weniger entwickelte Volkswirtschaften außer Kraft gesetzt haben. Hinzu kommt die massive finanzielle Abhängigkeit der „Krisenländer“ durch die hohe Verschuldung und die (maßgeblich von Deutschland getragenen) „Rettungsmaßnahmen“. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik aller Euroländer ist heute faktisch von EU-Regeln diktiert, die sehr wenig Spielraum für Abweichungen von der Austeritätspolitik lassen, die Deutschland durchgesetzt hat. Gleichzeitig ist nach EU-Richtlinien ein „bedenkliches Ungleichgewicht“ im Außenhandel bei einem Defizit ab -4%, aber erst bei einem Überschuss ab +6% definiert. Auch als diese Grenze von Deutschland noch deutlich überschritten wurde, kam es jedoch nicht zu einem Strafverfahren, welches für diesen Fall eigentlich vorgesehen wäre. Gegen den Willen von Deutschland und Frankreich, die sich grundsätzlich absprechen, kann in der EU praktisch nichts durchgesetzt werden.

Die EU bietet Deutschland jedoch nicht nur vorteilhafte Ausbeutungsbedingungen innerhalb Europas. Durch die Zollunion hat die EU als größter Binnenmarkt der Welt eine sehr starke Position bei der Ausgestaltung von Handelsbeziehungen mit dem Rest der Welt. Diese spielt sie bei der Aushandlung von „Freihandelsabkommen“ mit anderen Wirtschaftsräumen (zuletzt mit dem MERCOSUR) aus, um ihren Mitgliedern Vorteile zu verschaffen, die sie allein niemals bekommen würden.

Perspektiven

Die ökonomische Macht, die Deutschland (noch verstärkt durch die EU) innehat, hat sich bisher nicht in militärische Stärke übersetzt. Deutschland verfügt nicht über Atomwaffen und hat eine wenig kriegserfahrene Armee, welche, glaubt man den bürgerlichen Medien, kaum einsatzfähig ist. Inwieweit das tatsächlich zutrifft, lässt sich kaum sagen, da erstens die Bundeswehr in ihren Einsätzen bislang nur eine ergänzende Rolle spielt und zweitens die „Experten“ aus Politik, Medien und Militär mit ihrer „Einschätzung“ stets das Interesse verfolgen, den Militärhaushalt zu erhöhen. Dieses Interesse besteht in der herrschenden Klasse relativ unabhängig von der tatsächlichen Einsatzbereitschaft und Bedrohungslage, denn das Militär wird traditionell auch gerne dazu genutzt, überschüssiges Kapital zu vernichten, von dem weltweit reichlich vorhanden ist.

Deutschland ist fest in die NATO integriert und auf absehbare Zeit militärisch von ihr abhängig. In diesem Jahr zeigt sich mit der NATO-Übung Defender 2020 außerdem Deutschlands Schlüsselrolle als europäisches Aufmarschgebiet. Trotz der Rhetorik von Trump: Das Bündnis ist für die herrschenden Klassen in Europa und Nordamerika zu vorteilhaft, als dass sie es aufgeben könnten. Trotzdem wird auf deutsch-französische Initiative hin seit 2016 versucht, im Rahmen der EU den europäischen Teil der NATO zu stärken, um die Abhängigkeit zumindest zu verringern. Dieser Prozess geht noch langsam voran, kann aber langfristig den deutschen Imperialismus auf eine neue Stufe heben. Auch deshalb ist die EU das mit Abstand wichtigste Projekt der deutschen Bourgeoisie.

In den letzten Jahren wird von den deutschen Verteidigungsministerinnen zunehmend versucht, Deutschland in alle möglichen Einsätze von NATO-Partnern hineinzureden. Das zeigt den Anspruch, die militärische Komponente der eigenen Machtbasis zu verstärken, läuft aber bisher unter dem Motto „Dabei sein ist alles“. Für mehr gibt es in der Bevölkerung auch noch keine Akzeptanz. Es ist nicht zu erwarten, dass Deutschland in den nächsten Jahren eigenständige Interventionen durchführt oder eine Führungsrolle übernimmt, es geht vielmehr darum mit möglichst geringem Aufwand überall einen Fuß in der Tür zu haben. Das wichtigste Ziel Deutschlands ist, seine wirtschaftliche Dominanz aufrechtzuerhalten. In der aktuellen Phase ist die Exportstärke dabei Segen und Fluch zugleich, denn das deutsche Modell ist von der Nachfrage aus dem Ausland abhängig und wäre bei der sich anbahnenden Wirtschaftskrise besonders betroffen. Der Versuch überall zu deeskalieren, wo die globale Konjunktur auf dem Spiel steht, erklärt sich genau aus dieser Rolle im Weltsystem.

So kommt es trotz der nach wie vor engen Bindung an die USA zu Konflikten bspw. im Umgang mit China oder dem Iran, in denen Deutschland vor allem zu besetzende Märkte sieht. Der Fall der Ostsee-Pipeline Nord-Stream 2 und die Verstrickung Deutschlands in die „Belt and Road Initiative“ des chinesischen Imperialismus verdeutlicht die Zwischenposition, die Deutschland zwischen den großen Machtblöcken einnimmt und die Potenzial hat, zu weiteren Konflikten zwischen Berlin und Washington zu führen.

Was heißt das für uns?

Durch die Ausbeutung anderer Länder wird die Ausbeutung im eigenen Land nicht aufgehoben. Der Kampf der Arbeiterklasse gegen den Imperialismus kann nur internationalistisch erfolgreich geführt werden. Internationalismus heißt dabei nicht, ein Bündnis aus kapitalistischen Staaten aus der lächerlichen Illusion heraus zu verteidigen, dass dieses für Frieden und humanistische Werte einstünde. Internationalismus heißt, gegen die „eigene“ herrschende Klasse und ihre Institutionen zu kämpfen, die uns und die weltweite Arbeiterklasse unterdrücken, dort wo wir sind. Für uns heißt das: Kampf dem deutschen Kapital, Kampf der NATO und Kampf der EU! Dem Imperialismus den Boden entziehen durch Enteignung der Banken und Konzerne! Demokratische Planung und Verwaltung der Wirtschaft durch die Arbeiterklasse! Um das zu erreichen, müssen wir uns organisieren und eine revolutionäre Partei als Kampforganisation der Arbeiterklasse aufbauen. Mach mit bei Offensiv!

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