Was in den Schulbüchern und im allgemeinen Sprachgebrauch als „Novemberrevolution“ bezeichnet wird, war Teil einer über Jahre anhaltenden Phase revolutionärer Massenbewegungen und Aufstände auf der einen, und reaktionärer Gegenschläge auf der anderen Seite. Nachdem im November 1918 die Auseinandersetzung zwischen Rätemacht und bürgerlicher Regierung vorerst zugunsten einer bürgerlichen Herrschaftsform ausgegangen war, kam es zu einer Reihe von wichtigen Auseinandersetzungen im Dezember 1918 und Januar 1919.

Zur Vorgeschichte

Im November 1918 hatte die deutsche Arbeiterklasse die Erfahrung gemacht, dass sie in vereinter und massenhafter Aktion die Machtfrage in Deutschland entscheidend beeinflussen konnte. Doch auch wenn die Massen bereit waren, nun auch die kapitalistische Herrschaft zu stürzen und die Macht in die eigenen Hände zu nehmen, war die Frage nach Führung und Programm der Revolution ungeklärt. Es entwickelte sich eine Doppelmacht zwischen dem Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte und dem Rat der Volksbeauftragten (Ansatz einer bürgerlichen Regierung).

Die Position der sozialistischen Kräfte um Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und anderer war vor allem mangels einer starken, eigenständigen Organisationsstruktur geschwächt. In der SPD hatten sie vor 1914 darauf verzichtet, sich der Bürokratisierung des Apparates organisiert entgegenzustellen. Zum einen lag das wohl daran, dass die Parteiführer, die später Partei und Revolution schändlich verraten sollten, oft auf einen offenen ideologischen Konflikt verzichteten und sich stattdessen darauf konzentrierten, durch Taten Fakten zu schaffen. So kommt es auch heute bei einigen reformistischen Führungsfiguren politisch linker Parteien vor. Auch herrschte wegen dem Massencharakter der SPD unter einer Reihe deutscher Sozialisten die Vorstellung, die Partei sei nicht Führung der Klasse, sondern „Bewegung der Klasse“ selbst.[1] Ihr gegenüber wollte man sich nicht isolieren.

Nach dem Verrat der SPD-Führung 1914 war die Parteilinke um Rosa Luxemburg wie paralysiert. Erste oppositionelle Treffen fanden in kleinem Kreis eher provisorisch organisiert statt. Die Gründung der USPD war kein eigenständiger Akt revolutionärer Kräfte der deutschen Sozialdemokratie, sondern das Produkt dessen, dass die Parteiführung auch gemäßigte, zentristische Kriegsgegner ausschloss. Rosa Luxemburg und die Spartakisten schlossen sich entgegen der Haltung anderer radikaler Linker der USPD an.[2] Auch dort befanden sie sich nun in der Minderheit.

In der Auseinandersetzung mit den rechten Kräften der SPD-Führung reichte dieses Maß an Einfluss nicht aus. Die Masse der Arbeiterklasse war verwirrt: vor ihnen stand eine Reihe sozialdemokratischer Führer, die alle von der sozialistischen Revolution redeten, doch deren Differenzen von der breiten Bevölkerung oft in der nun angeschlagenen Geschwindigkeit nicht nachvollzogen wurden.[3] So waren die Kräfte, die eine Räteherrschaft in Deutschland wollten, im entscheidenden Moment unterlegen. Es kam zum Eintritt der USPD in eine gemeinsame Regierung mit der SPD.

USPD und Spartakusbund

Gerade der Regierungseintritt und die unentschlossene Haltung der Mehrheit ihrer Repräsentant*innen führten in der USPD zu immer härteren Differenzen. Der Spartakusbund war die stärkste sozialistische Kraft links von der USPD-Führung, doch ähnlich wie in der SPD verzichtete seine Führung auf eine größer angelegte organisierte Fraktionsarbeit in der USPD und (besonders wichtig!) den Arbeiter- und Soldatenräten selbst.[4] Ihre Arbeit konzentrierte sich auf die Veröffentlichungen der Roten Fahne und Agitation bei Treffen und Demonstrationen.

Der Spartakusbund war keine gewachsene Arbeiterpartei, sondern ein Zusammenschluss revolutionärer Zirkel, die sich 1918 in ganz Deutschland gebildet hatten.[5] Politisch vereinten sich darin unterschiedliche Strömungen – von proletarischen Kräften bis zu idealistischen Pazifisten, militanten Ultralinken und deklassierten Teilen der Arbeiterklasse. Die spezifische Zusammensetzung des Spartakusbundes führte zu weitgehenden taktischen Uneinigkeiten. So gab es keine Einigkeit zur Teilnahme an Wahlen, die Mehrheit sprach sich bald für einen Wahlboykott aus. Manche Lokalstrukturen riefen Arbeiter sogar dazu auf, ihre alten Gewerkschaften zu verlassen!

Auch nach den Niederlagen im November glaubte die Mehrheit des Spartakusbundes, dass entschiedene Aktionen ausreichen würden, um die bürgerliche Regierung zu stürzen. Nicht in der Lage, die Arbeiterbewegung mithilfe einer breiten Arbeiterpartei zu führen, hoffte man auf die „Spontanität der Massen“, deren Proteste man organisierte und durch Reden starker Agitatoren wie Karl Liebknecht beeinflussen wollte. Mangels Kontrolle über die so einberufenen Demonstrationen kam es dort immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen und Ausschreitungen, angeführt von deklassierten Teilen der Arbeiterklasse.[6]

Eberts Blutweihnacht

Trotz aller politischen Unklarheiten waren rätesozialistische Positionen und eine zunehmend harte Kritik der Regierungsbeteiligung der USPD unter den bewusstesten Schichten der Arbeiterklasse verbreitet. Das galt besonders auch für Teile der Berliner Arbeiterschaft, die einen hohen Organisationsgrad hatte, eine revolutionäre Führung und viele wichtige Phasen der Revolution (wie die Januarstreiks im Vorjahr) selbst durchlebt hatte. Unter ihnen fanden die Positionen des Spartakusbundes mehr Gehör.

Parallel dazu verschärften sich die Konflikte um die militärische Vormacht in der Hauptstadt. Am 6. Dezember schossen Unterstützer des Berliner Stadtkommandanten Otto Wels (SPD) auf eine Demonstration des Roten Soldatenbundes, 14 Menschen wurden getötet. Hunderttausende beteiligten sich in den Folgetagen an Demonstrationen.

Am 12. Dezember versuchte die Regierung die während der Novemberrevolution gebildete Volksmarinedivision, die im Berliner Stadtschloss untergebracht war, zu räumen. Die Division verweigerte sich. Nach einem Erpressungsversuch durch die Einbehaltung des Solds marschierte sie am 23. Dezember zur Stadtkommandantur, setzte die Regierung fest, brachte die Telefonzentrale unter ihre Kontrolle und warf den „blutigen Wels“ als Geisel in den Marstall. Ein von Friedrich Ebert in Zusammenarbeit mit Generalstabsoffizier Waldemar Pabst organisierter militärischer Angriff auf den Marstall am 24. Dezember endete auch deshalb in einer blutigen Niederlage für die Reaktionäre, weil einige ihrer Soldaten sich nach Ansprache der Revolutionäre weigerten, die Truppen des Volkes zu bekämpfen.

Mehr als 60 Menschen starben in den Kämpfen um Stadtschloss und Marstall. Das blutige Vorgehen der Führer der Mehrheitssozialdemokratie entblößte sie als das, was sie waren: ein Haufen Konterrevolutionäre und Verräter. Auch brachten sie die Verwundbarkeit der bürgerlichen Regierung zum Vorschein. Die öffentliche Bestattung der ermordeten Matrosen wurde zur Massendemonstration.

Sozialdemokratie im Lager der Reaktion

Das Ende des Jahres 1918 war eine Phase massiver Polarisierung. Die USPD verließ die Koalitionsregierung. Zwar hatte sich die SPD vor den radikaleren Teilen der Arbeiterschaft diskreditiert, dennoch folgten Massen auf einen Aufruf zur Gegendemonstration gegen den Umzug zur Beisetzung der ermordeten Soldaten unter dem Slogan „Nieder mit der blutigen Diktatur des Spartakusbundes“. Die Frage, wem die Arbeiterklasse folgte, war immer noch nicht entschieden.

Die SPD-Führung rückte enger an „zuverlässigere“ militärische Kräfte. Viele einfache Soldaten wurden vom Dienst entlassen und die Regimenter mit neuen Freiwilligen aufgefüllt. Gustav Noske, neuer Volksbeauftragter für Heer und Marine, setzte stärker auf den Aufbau von Freikorps. Ansätze davon gab es seit Anfang Dezember als General Maercker begann, eigene Untereinheiten für den Fall des Bürgerkriegs gegen den „deutschen Bolschewismus“ aufzubauen. Rechtsradikale Organisationen wie die „Antibolschewistische Liga“ stellten sich, finanziert durch deutsche Großindustrielle, an ihre Seite.

In den Freikorps sammelten sich die rechtesten und reaktionärsten Elemente der Armee und Bevölkerung. Zu den wichtigsten Bündnispartnern der SPD-Führung zählten von nun an neben der alten und monarchistischen Obersten Heeresleitung auch Personen wie Waldemar Pabst, Erster Generalstabsoffizier, wichtigste Kraft im Aufbau des „Garde-Kavallerie-Schützen-Korps“ und stolzer früher Vertreter des deutschen Faschismus.

Aufstand im Januar

Nach den Erfahrungen im Dezember glaubten die Spartakisten nicht mehr, dass sie mit der USPD die Revolution verwirklichen könnten.[7] Man entschied sich nun für die Gründung der Kommunistischen Partei an der Seite anderer radikal linker Kräfte. Doch die Debatten gleich nach der Parteigründung zu Themen wie der Organisationsstruktur der KPD oder der Teilnahme an Wahlen zeigten erneut, in wie vielen zentralen Fragen des Aufbaus einer eigenständigen, revolutionären Kraft Unklarheit herrschte. Auch waren die Kräfte, die den Kern der neuen Kommunistischen Partei bildeten, alles andere als gewachsene Arbeiterparteien. Die KPD war im Kampf noch nicht erprobt worden, und so zögerten große Teile der deutschen Arbeiterschaft, sich ihr anzuschließen.

Dazu kam, dass sich die Ereignisse in Berlin deutlich schneller und für die Berliner Arbeiterklasse nachvollziehbarer entwickelt hatten als im Rest Deutschlands. Teilen der Berliner KPD erschien eine einfache Wahlkampagne lächerlich in Zeiten, in denen der Geschmack des Bürgerkriegs in der Luft lag.[8] Noch im Dezember riefen Spartakisten und der Rote Soldatenbund zur Gründung einer militärischen Roten Garde auf und bereiteten weitere Kämpfe vor. Doch die Kräfte, die sie mobilisieren konnten, waren weit davon entfernt, eine proletarische Armee zu bilden. Einige von ihnen sahen sich als Revolutionäre, waren aber keine Unterstützer der Spartakisten. Auch waren sie schlecht ausgestattet und hatten eher lose Verbindungen zur Arbeiterschaft der Berliner Fabriken.

Am 4. Januar entließ die Führung der SPD den Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn (USPD). Er hatte sich während der Weihnachtskämpfe geweigert, die ihm unterstehende Sicherheitswehr gegen die Volksmarinedivision einzusetzen. Die SPD überzog ihn mit einer Schmutzkampagne und ersetzte ihn mit einem regierungstreuen Sozialdemokraten. Eichhorn verweigerte sich seiner Entlassung und wurde in dieser Position von den Organisationen links der SPD verteidigt.

Noch am gleichen Abend versammelte sich die Zentrale der KPD. Man war mehrheitlich der Meinung, dass ein Umsturzversuch gegen die SPD-Regierung, die nach wie vor Sympathien bei relevanten Teilen der Arbeiterklasse genoss, verfrüht wäre. Am Morgen des 5. Januar verbreitete man stattdessen ein Flugblatt, in dem zu einer Demonstration am gleichen Tag aufgerufen wurde. Von der Reaktion auf den Aufruf waren die Veranstalter selbst überrascht. Hunderttausende strömten auf Berlins Straßen, um Eichhorn und die Revolution zu verteidigen.
Demonstration bewaffneter Arbeiter gegen die Entlassung Emil Eichhorns

Die Organisatoren berieten, was zu tun sei. Ledebour und Liebknecht waren der Meinung, ein Umsturzversuch wäre nun möglich. Richard Müller und andere warnten vor einem verfrühten Anpfiff zur Revolution, der zwar in Berlin zu einem Sieg führen könnte, sich aber nicht auf nationaler Ebene ausbreiten würde.[9] Sie unterlagen bei der folgenden Abstimmung. So entschied sich die Mehrheit der Anwesenden für die Bildung eines 52-köpfigen Revolutionsausschusses und weitere Schritte zur Einleitung des Umsturzversuchs.

Gleichzeitig und ungeplant von der revolutionären Führung besetzte eine Gruppe bewaffneter Arbeiter erneut den Vorwärts und in der folgenden Nacht auch weitere Zeitungen und Verlage. Doch die Hoffnungen der Revolutionären auf einen Umsturz wurden schon früh untergraben. Am 6. Januar protestierten die Marinesoldaten im Marstall, in dem sich auch der Revolutionsausschuss aufhielt. Der Ausschuss hatte ihre Unterstützung angenommen, sie aber nicht nach ihrer Einwilligung zu einem anstehenden Revolutionsversuch gefragt. Und obwohl sich am Folgetag, den 7. Januar, 500.000 Arbeiter am ausgerufenen Generalstreik beteiligten, fanden sich in Berlin nur etwa 10.000 Mann, die bereit waren, die Revolution im bewaffneten Kampf zu verteidigen. Bereits am Abend des 6. Januar dämmerte es den Revolutionären, dass der Aufruf zum Umsturz der Regierung eine fatale Fehleinschätzung war, Eichhorns Entlassung wurde zugestimmt.

Noch am Abend des 6. Januars begannen die Verhandlungen mit der Ebert-Regierung, durch die die Revolutionären einen Waffenstillstand und geordneten Rückzug der Besetzer erwirken wollten. Die Verhandlungen scheiterten. Gleichzeitig ließ die Führung der SPD den Spartakusbund in Flugblättern als kriminelle und unberechenbare Kräfte hinstellen und so die Spaltung in der Berliner Bevölkerung vertiefen sollten. Noske erhielt den Oberbefehl über die Truppen in und um Berlin, stellte weitere Freikorps auf um die Revolution physisch zu vernichten. Beide Seiten verteilten Aufrufe zum Griff an die Waffen und dem bewaffneten Kampf im Herzen Berlins.
Barrikade während des Spartakusaufstands

Zu einem solchen Schritt war die Berliner Arbeiterklasse nicht bereit. Versammlungen fanden in den Fabriken statt, auf denen sich die Mehrheit der Arbeiter für eine friedliche Lösung und eine Beendigung der „Fraktionskämpfe“ aussprach. Am Morgen des 9. Januar hielten Arbeiter von Schwartzkopf und AEG im Humboldthain eine Versammlung unter dem Motto „Arbeiter, vereint euch, wenn nicht mit euren Führern dann über ihre Köpfe hinweg“.

Diese Stimmung nutzte die SPD-Führung aus, um die „extremistischen Tendenzen“ in Berlin weiter zu denunzieren. Schritt für Schritt gewannen die Reaktionäre Bastionen innerhalb der Stadt zurück. Am 10. Januar überfiel die Brigade Reinhard das spartakistische Hauptquartier in Spandau. Bis zum 12. Januar wurde eine Reihe besetzter Gebäude im Zeitungsviertel zurückerobert. Auf organisierte Schlachten waren die Aufständischen nicht vorbereitet, viele ergaben sich freiwillig. Dennoch wollte die SPD-Führung ein Exempel statuieren: über hundert Aufständische und eine unbekannte Anzahl Zivilisten wurden ermordet. „Tötet Liebknecht!“ – „Schlagt Rosa Luxemburg tot!“ hieß es auf unzähligen Plakaten in der Berliner Innenstadt.[10]

Am 13. Januar rückten die umliegenden Freikorps in die Stadt ein. Mit massiver Gewalt gingen sie gegen Sympathisanten der Revolution vor. Und sie waren entschieden, der Revolution den Kopf abzuschlagen. Emil Eichhorn und andere flohen, doch Luxemburg und Liebknecht weigerten sich, die Stadt zu verlassen. Sie versteckten sich erst in Neukölln, dann in einer Wohnung von Unterstützern in Berlin Wilmersdorf. Am Abend des 15. Januars wurden sie dort zusammen mit Wilhelm Pieck verhaftet und ins Hotel Eden gebracht. In der Nacht zum 16. Januar sollten sie dann nach Moabit verfrachtet werden.

Am nächsten Tag hieß es in der Presse, Liebknecht sei auf der Flucht erschossen und Luxemburg von einer Menge Unbekannter gelyncht worden. Das war eine Lüge. Schon im Hotel Eden wurde unter General Pabst der Mord von Liebknecht und Luxemburg geplant. Gustav Noske ließ nach ihrer Festnahme sehr deutlich durchblicken, dass er gegen ihre Ermordung nichts einzuwenden hatte. So wurde Karl Liebknecht in den Tiergarten gefahren und dort erschossen. Rosa Luxemburg wurde beim Abtransport aus dem Hotel niedergeschlagen, erschossen und in den Landwehrkanal geworfen. Das darauf folgende Verfahren wurde von Klaus Gietinger, der die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs wohl am gründlichsten untersuchte, als einen der „schamlosesten Lügenprozesse der deutschen Rechtsgeschichte“ bezeichnet – die Drahtzieher und Hintermänner der Tat kamen unbehelligt davon.

Mit diesen Ereignissen waren vorerst Tür und Tor geöffnet für die Gewaltexzesse der Konterrevolution. Im Februar fiel die Bremer Räterepublik nach dem Einmarsch des ortsansässigen Freikorps. Als Anfang März ein Generalstreik in Berlin ausgerufen wurde, ließ Noske von Pabst den Befehl entwerfen: „Jede Person, die mit Waffen in der Hand angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.“ Diesen Befehl nutzte Noskes blutrünstige Gefolgschaft, um in regelrechten Massakern 1.200 Arbeitern zu ermorden. Auch die Münchner Räterepublik wurde im April 1919 von bayerischen Freikorps im Blut ertränkt, tausende revolutionäre Arbeiter wurden ermordet oder inhaftiert. Damit wurde die Stimme der Revolution – zumindest vorerst – von der Führung der deutschen Sozialdemokratie im Blut ertränkt.

Woran scheiterten die Spartakisten?

Es ist unmöglich, das Scheitern des Spartakusaufstands auf eine einzelne Fehlentscheidung oder einen „dummen Zufall“ zurückzuführen. Fehlerhafte Perspektiven und deren Korrektur sind in einem Prozess von Revolution und Konterrevolution nicht die Ausnahme, sondern gehören notwendigerweise zum Wachsen und Voranschreiten sozialistischer Parteien in einer solchen Phase. Auch wenn solche Fehler eine entscheidende Rolle spielen können, ist noch viel entscheidender, wie viel Zeit einer revolutionären Partei bleibt, um sie zu korrigieren, auf welche Strukturen sie in diesem Moment zurückgreifen kann und ob sie überhaupt das Vertrauen der Arbeiterklasse genießt.

Darin lag sicherlich eines der Probleme des Spartakusbundes. SPD und USPD wirkten als Hemmschuh für die Revolution, doch die Spartakisten sahen sich nicht als stark genug, mit ihnen zu brechen. Dass Illusionen über die Einheit der Partei, gerade noch in der Zeit innerhalb der SPD, über lange Jahre die Klarheit über tiefliegende Differenzen verhinderten und notwendige Schritte zur eigenständigen Organisierung nicht in aller Entschlossenheit gezogen wurden, fiel den Revolutionären 1918/-19 hart auf die Füße. Erst spät wurde die KPD gegründet und war nicht in der Lage, im entscheidenden Moment bereits das Vertrauen der Massen auf ihrer Seite zu haben. Wäre es früher zu einer stärkeren Organisationsstruktur und zu organisierten Fraktionskämpfen in den deutschen Arbeiter- und Soldatenräten gekommen, hätte sich die Situation in Deutschland anders entwickeln können.

Das wird deutlich an den Weihnachtskämpfen 1918. Die Volksmarinedivision und an ihrer Seite die Berliner Sicherheitswehr und andere bewaffnete Arbeiter hatten Teile der Regierung festgesetzt, doch statt ihre Absetzung und eine Neuwahl der Arbeiter- und Soldatenräte zu fordern, verlangten sie nur ihren Sold. Wäre der Einfluss der Sozialisten unter den Arbeitern und Soldaten zu diesem Zeitpunkt größer gewesen, hätte Eberts „Blutweihnacht“ das Kräfteverhältnis in ganz anderem Ausmaß beeinflussen können.

Auch hätte vermutlich in den Auseinandersetzungen nach dem „großen Verrat“ der SPD und den Ereignissen der Novemberrevolution bereits größere Klarheit über die Unterschiede zwischen SPD-Führung und Revolutionären geherrscht. Denn im Jahr 1919 hatten zwar die Spartakisten selbst die richtigen Schlussfolgerungen gezogen, jedoch zu einem so späten Zeitpunkt, dass sich innerhalb weniger politisierten Schichten der Arbeiterklasse keine Klarheit über die richtige Strategie festsetzen konnte. Der Kopf der Revolution ging in die richtige Richtung, aber sie hatte keine Zeit, in der Breite und „an den Füßen“ zu wachsen. Es fehlte eine sozialistische Arbeiterpartei, wie sie sich in Russland schon seit der Spaltung der russischen Sozialdemokratie 1903 entwickelt hatte.

Weil es der deutschen Revolution an einer soliden Basis fehlte, geriet ihr Kopf ins Schlingern. Auf die Niederlage im November folgen etliche Versuche, das Kräfteverhältnis doch noch durch einen (mehr oder weniger militärisch geführten) Machtkampf vor allem in Berlin zu entscheiden. Pierre Broué schrieb dazu: „Im Dezember 1918, wie in Petrograd im Juli 1917, sahen die radikalisierten Massen im bewaffneten Kampf eine einfache Abkürzung, um den gordischen Knoten der politischen Auseinandersetzungen zu lösen, an denen sie sich nicht länger beteiligen wollten. Doch in Berlin gab es keine bolschewistische Partei, die eine politische Kampfperspektive aufzeigen oder nach den Rückschlägen der ersten bewaffneten Demonstrationen und ihren notwendigen Konsequenzen – welche leicht vorhersehbar waren – einen geordneten Rückzug organisieren konnte.“[11]

Auch die mangelnde Verbindung zur Arbeiterklasse in Berlin und viel mehr noch im Rest Deutschlands war zu diesem Zeitpunkt spürbar. Als nach Eberts Blutweihnacht am 25. Dezember die Gebäude des sozialdemokratischen Vorwärts erstmals angegriffen und besetzt wurden, wurde diese Besetzung nicht durch die breite Berliner Arbeiterklasse geführt, sondern nur durch eine Handvoll Berliner Revolutionären und bewaffneter Arbeiter. Auch deshalb wirkten die revolutionären Obleute um Richard Müller zu diesem Zeitpunkt auf eine Beendigung der Besetzung hin.

Ein solches „Abenteurertum“ machte es leichter für die SPD, den Spaltkeil in die Berliner Arbeiterklasse zu treiben. Doch diese Fehler waren Folge von Fehleinschätzungen in länger zurückliegenden Episoden und damit zusammenhängend der subjektiven Schwäche des Spartakusbundes und der neu gegründeten KPD. Mit weiteren Niederlagen der revolutionären Bewegung im Nacken erkannte Rosa Luxemburg noch in ihren letzten Lebenstagen einige davon, und nahm frühere, fehlerhafte Positionen nach dem Eindruck dieser Erfahrungen zurück. Am 8. Januar 1919 schrieb sie:

„Deutschland war das klassische Land der Organisation und noch mehr des Organisationsfanatismus, ja des Organisationsdünkels. Um „Organisation“ willen hatte man den Geist, die Ziele, die Aktionsfähigkeit der Bewegung preisgegeben. Und was erleben wir heute? In den wichtigsten Momenten der Revolution versagt vorerst das gerühmte „Organisationstalent“ in kläglichster Weise.“[12]

Und am 11. Januar:

„Der bisherige Zustand der mangelnden Führung, des fehlenden Organisationszentrums der Berliner Arbeiterschaft ist unhaltbar geworden. Soll die Sache der Revolution vorwärts gehen, soll der Sieg des Proletariats, soll der Sozialismus mehr als ein Traum bleiben, dann muß sich die revolutionäre Arbeiterschaft führende Organe schaffen, die auf der Höhe sind, die die Kampfenergie der Massen zu leiten und zu nutzen verstehen. […] Klarheit, schärfster, rücksichtsloser Kampf allen Vertuschungs-, Vermittlungs-, Versumpfungsversuchen gegenüber, Zusammenballung der revolutionären Energie der Massen und Schaffung entsprechender Organe zu ihrer Führung im Kampfe – das sind die brennendsten Aufgaben der nächsten Periode, das sind die bedeutsamen Lehren aus den letzten fünf Tagen wuchtigster Anläufe der Massen und kläglichsten Versagens der Führer.“[13]

Leider waren die deutschen Arbeiterorganisationen Anfang des 20. Jahrhunderts nicht in der Lage, die versäumte Chance der Novemberrevolution wieder gutzumachen. Auch die neu gegründete KPD sollte noch lange vom Problem der fehlenden Verankerung und politischer Unklarheiten verfolgt werden, was sich auch in einem Zickzackkurs ihrer Führung ausdrückte.

Das Scheitern der deutschen Revolution hatte massive Folgen für das Weltgeschehen. Die Revolution in Sowjetrussland blieb isoliert, und so hatte auch das Scheitern der deutschen Revolution seinen Einfluss darauf, dass sie abebbte und schließlich der Widerstand gegen den Stalinismus wie auch der Versuch der Weltrevolution Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Niederlage endete. Aber gerade in Zeiten, in denen die soziale Ungleichheit auf der ganzen Welt so scharf zu Tage tritt wie nie zuvor, kann man mit größter Sicherheit sagen, dass im Kampf zwischen Revolution und Konterrevolution auch in Deutschland noch nicht das letzte Wort gesprochen wurde. Es ist unsere Aufgabe, aus den Erfahrungen der Geschichte zu lernen und nicht nur die besseren Analysen zu schreiben, nicht nur zu reden sondern im Hier und Heute zu handeln und den Aufbau neuer, sozialistischer Kräfte der Arbeiterklasse voranzutreiben.

 

 

 

 

[1] Siehe Rosa Luxemburg: „Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie“
[2] Dazu gehörten vor allem die späteren „Internationalen Kommunisten Deutschlands“ in Bremen, Hamburg, Hannover und Rüstingen. Auch andere Revolutionäre wie beispielsweise Karl Radek hatten sich schon früher für einen deutlicheren Bruch mit der deutschen Sozialdemokratie ausgesprochen (siehe Karl Radek: „Einheit oder Spaltung“)
[3] Als am 14. Dezember die Rote Fahne Luxemburgs und Levis Text „Was will der Spartakusbund?“ veröffentlichte, wurden sie von der Zeitung Freiheit im Artikel „Deutsche Taktik für eine deutsche Revolution“ angegriffen, in dem ebenfalls von den „nächsten Aufgaben der Revolution“ gesprochen wurde. Man musste als deutsche Arbeiter schon genauer hinsehen um zu verstehen, welche Kräfte sich nun wirklich für ein Ende der Klassenherrschaft einsetzten.
[4] Pierre Broué, 2006: The German Revolution 1917-1923 (S. 203)
[5] Siehe Paul Levis Erläuterungen zur Zusammensetzung des Spartakusbundes auf dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale
[6] Siehe dazu Rosa Luxemburg in Die Rote Fahne vom 18. November 1918
[7] Wie es Pierre Broué beschreibt, wurde damit „die Frage des Aufbaus einer revolutionären Partei letztendlich weniger als zwei Monate nach Beginn der Revolution gestellt“ Broué, 2006, S. 201
[8] Paul Levi wies zu Recht darauf hin, dass diese Stimmung zwar in manchen Vierteln Berlins herrschte, bei weitem aber nicht im ganzen Land.
[9] Aus diesem Grund lehnte beispielsweise Karl Radek den Umsturzversuch im Spartakusaufstand entschieden ab. Am 9. Januar schrieb er an die Zentrale der KPD: „In eurer Broschüre „Was will der Spartakusbund?“ erklärt ihr, dass ihr nur dann die Macht ergreifen wollt, wenn ihr die Mehrheit der Arbeiterklasse hinter euch habt. […] Heute hat die einzige relevante Massenorganisation, die der Arbeiter- und Soldatenräte, keine Macht außer auf dem Papier. Demzufolge ist es nicht die Partei des Kampfes, die Kommunistische Partei, die die Arbeiter- und Soldatenräte anführt, sondern die Sozialpatrioten oder die Unabhängigen. In einer solchen Situation ist es ein Wunschtraum, dass das Proletariat die Macht ergreifen kann. Selbst wenn als Folge eines Putsches die Regierungsgewalt in eure Hände fallen würde, wärt ihr abgeschnitten vom Umland und in wenigen Stunden weggespült.“
[10] Siehe Richard Müller, 2011: „Eine Geschichte der Novemberrevolution“ S.595
[11] Broué, S.236
[12] Rosa Luxemburg: Versäumte Pflichten
[13] Rosa Luxemburg: Das Versagen der Führer

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