Im heutigen Deutschland spielt Religion ohne Zweifel eine deutlich geringere Rolle als zu den Zeiten von Marx, Engels oder Lenin. Christliche Feiertage wie Weihnachten oder Ostern sind heute in breiten Teilen der Bevölkerung eher eine kulturelle als eine religiöse Tradition. In Folge der bürgerlichen Revolutionen im Westen wurde (mehr oder weniger) die „Glaubensfreiheit“ und die „Trennung von Staat und Kirche“ ausgerufen. Mit der zunehmenden Alphabetisierung der Bevölkerung und der formalen Pressefreiheit ist der Kirche ihre lange bestehende Macht im Bildungs- und Informationsbereich größtenteils genommen worden. An der Herrschaft einer Klasse über die andere (im Kapitalismus der Kapitalisten über die Arbeiter) hat sich währenddessen nicht viel geändert.

Dabei ist auch in der Bundesrepublik aufgrund der unvollständigen bürgerlichen Revolution des 19. Jahrhunderts die (evangelische sowie katholische) Kirche trotz aller Beteuerungen noch eng mit dem kapitalistischen Staat verbunden; in einigen Belangen sogar deutlich enger als in anderen westlichen Ländern. Mit der Erhebung der Kirchensteuer (rund 9% der Einkommensteuer) durch die deutschen Finanzämter vermischen sich staatliche und kirchliche Angelegenheiten, ein Überbleibsel der Konkordate, mit denen sich die Nationalsozialisten mindestens die wohlwollende Neutralität der Kirchenoberen erkauften. Religionsunterricht ist in beinahe allen Schulen fester Bestandteil des Stundenplans, doch die Kirche muss bis heute einem angehenden Religionslehrer ihre Zustimmung geben – in den Hochschulen wählt die Kirche Theologie-Professoren gar direkt aus! In ganzen Regionen übernimmt die Kirche durch ihre Suborganisationen wie Caritas und Diakonie öffentliche Dienste wie Gesundheitsversorgung oder Jugendbetreuung, die eigentlich Aufgabe des Staates wären, während ihre 1,5 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter weiterhin unter dem kirchlichen Sonderrecht buckeln müssen. In dieser kirchlichen „Dienstgemeinschaft“ wird ihnen durch die Institution der Zwangsschlichtung quasi jedes Recht einer effektiven gewerkschaftlichen Organisation genommen, und noch dazu der Kündigungsschutz erheblich untergraben. Es gibt zahllose weitere Beispiele.

Der Charakter der Kirche

Die Folge davon ist, dass die Kirche weiterhin durchaus präsent ist. Rund jeder zweite Deutsche ist christlich getauft. Die christliche Kirche verfügt allein in Deutschland nach wie vor über deutlich über 300.000 Hektar Land; ihr Vermögen, das sie hauptsächlich aus Kirchensteuer, Vermögenserträgen und Staatsleistungen bezieht, beläuft sich auf über 200 Milliarden Euro.

Auch wenn dieser zu großen Teilen ererbte Reichtum nicht auf den Glauben in der heutigen Bevölkerung widerspiegelt, macht er allein die Kirche zu einer weiterhin relevanten gesellschaftlichen Macht. Sowohl aus konservativen wie aus bürgerlich-liberalen Kreisen wird das mit der „wichtigen Rolle“ begründet, die die Kirche für den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ spielt. Das ist vollkommen richtig: Für die herrschende Klasse war sie immer ein nützlicher Verbündeter im Kampf gegen die Unterdrückten!

Religiosität und Glauben waren und sind in großen Teilen der Arbeiterklasse eine notwendige Folge der Klassengesellschaft. Die Ohnmacht gegenüber der eigenen ökonomischen Ausbeutung und den ganz konkreten Tragödien, die das häufig für das Arbeiterleben bedeutet (Isolation und Überforderung mit Krankheit, soziale und familiäre Tragödien,...), sind ein guter Nährboden für das religiöse Streben nach dem himmlischen Paradies im Jenseits. Marx Worte sind oft zitiert worden, aber sie bleiben nichtsdestotrotz richtig: Religion ist das Opium des Volkes.

Die Kirche ist die Institution, die dieses Opium zu verbreiten versucht. Die Pfaffen und Priester, Bischöfe und Päpste sind, ebenso wie ihre Konterparts in den anderen Religionen, eine parasitäre Kaste, die sich auf den Kosten fremder Arbeit ein luxuriöses Leben einrichtet. Das Beispiel des Bischofs Tebartz-van Elst, der sich 2013 seine Privatresidenz in Limburg für mehrere Millionen Euro einrichten ließ, ist nur eins der bekanntesten. Die religiösen Amtsträger sind eine Bastion der rückschrittlichsten Positionen: Sie propagieren Demut und Verzicht für die Arbeiterklasse, verteidigen die Unterdrückung der Frau, Abtreibungsverbote und die Diskriminierung von Homosexualität, decken Kinderschänder. Sowohl die Institutionen der katholischen als auch die der evangelischen Kirche waren immer unversöhnliche Feinde der fortschrittlichen Arbeiterbewegung.

Die Existenz der Kirche ist bedingt durch die Trennung der Gesellschaft in arbeitende und aneignende Klassen. Sie ist ein Werkzeug, um die arbeitende Klasse anhand vom Glauben zu spalten und mit religiöser Phrasendrescherei zu verwirren. Auch wenn dieses Werkzeug in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verloren hat, existiert es nach wie vor.

Kritik der Religion

Revolutionäre wie Engels und Lenin haben deshalb immer betont, dass das sozialistische Programm ein streng atheistisches sein muss. Der Marxismus selbst steht auf der unveränderlichen Grundlage des dialektischen Materialismus. Die revolutionäre Partei und alle ihre Mitglieder müssen diese Grundlage, die marxistische Geschichtsauffassung sowie die materialistische Weltanschauung, verinnerlichen.

Die kapitalistische Herrschaft der Klassenausbeutung basiert auf einer unwissenschaftlichen Anschauungsweise insofern, als dass von jedem wirklich wissenschaftlichen Standpunkt aus die Unterdrückung und Ausbeutung der arbeitenden Klassen zur Offensichtlichkeit wird. Idealistische, wie auch religiöse und esoterische Ideologien, genauso wie die Betörung der ausgebeuteten Klasse durch Träumereien, Fantasiewelten, Drogen, Unterhaltungsindustrie, Pornographie und andere kulturelle Zerstreuungen, sind ein notwendiger Grundpfeiler der Klassenordnung.

Auch ist die Religion nicht – wie uns gerade zu Weihnachten etliche Fernsehdokumentationen weißmachen wollen – „notwendiges Produkt des menschlichen Denkens“ und der Überforderung des Menschen „mit Naturphänomenen und Katastrophen“. Sie ist vielmehr eine von konkreten Menschen und konkreten Klassen produzierte, niedergeschriebene und aufrechterhaltene Ideologie, die diejenigen einbinden soll, denen die gesellschaftliche Macht geraubt wurde und die entsprechend an den Umständen und Katastrophen ihres Lebens nichts ändern können.

„Die Produktion der Ideen, Vorstellungen, des Bewußtseins ist zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Menschen, Sprache des wirklichen Lebens. Das Vorstellen, Denken, der geistige Verkehr der Menschen erscheinen hier noch als direkter Ausfluß ihres materiellen Verhaltens. Von der geistigen Produktion, wie sie in der Sprache der Politik, der Gesetze, der Moral, der Religion, Metaphysik usw. eines Volkes sich darstellt, gilt dasselbe.

[...]

Ganz im Gegensatz zur deutschen Philosophie, welche vom Himmel auf die Erde herabsteigt, wird hier von der Erde zum Himmel gestiegen. D.h., es wird nicht ausgegangen von dem, was die Menschen sagen, sich einbilden, sich vorstellen, auch nicht von den gesagten, gedachten, eingebildeten, vorgestellten Menschen, um davon aus bei den leibhaftigen Menschen anzukommen; es wird von den wirklich tätigen Menschen ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozeß auch die Entwicklung der ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses dargestellt. Auch die Nebelbildungen im Gehirn der Menschen sind notwendige Sublimate ihres materiellen, empirisch konstatierbaren und an materielle Voraussetzungen geknüpften Lebensprozesses. Die Moral, Religion, Metaphysik und sonstige Ideologie und die ihnen entsprechenden Bewußtseinsformen behalten hier mit nicht länger den Schein der Selbständigkeit. Sie haben keine Geschichte, sie haben keine Entwicklung, sondern die ihre materielle Produktion und ihren materiellen Verkehr entwickelnden Menschen ändern mit dieser ihrer Wirklichkeit auch ihr Denken und die Produkte ihres Denkens. Nicht das Bewußtsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewußtsein.“ (Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 3, Berlin/DDR 1981, S. 26 ff.)

Trennung von Staat und Kirche!

Doch trotz ihres Kampfes gegen die kirchlichen Institutionen und ihre reaktionären Häscher haben sie auch verstanden, dass es falsch wäre, der Religion an sich schlicht und einfach den Krieg zu erklären. Stattdessen gilt es, sich auf die Hauptfrage zu konzentrieren: das Elend der Ausbeutung im Kapitalismus zu beenden. Der Kampf zwischen Lohnarbeit und Kapital wird das fromme Streben nach religiöser Erlösung mit dem Kampf für ein besseres Leben im Hier und Jetzt ersetzen. Nur durch den gemeinsamen Kampf atheistischer ebenso wie religiöser Arbeiter wird der parasitären Kirche ihre Grundlage genommen.

Das sozialistische Programm kennt dabei kein Verbot von Glauben oder Religion. Vielmehr wird diese durch die zentrale Forderung von der Trennung von Kirche und Staat zur Privatsache; eine Forderung, die auch heute noch aktuell ist:

„Den Staat soll die Religion nichts angehen, die Religionsgemeinschaften dürfen mit der Staatsmacht nicht verbunden sein. Jedem muss es vollkommen freistehen, sich zu jeder beliebigen Religion zu bekennen oder gar keine Religion anzuerkennen (…) Es darf keine Zuwendungen an eine Staatskirche, keine Zuwendungen von Staatsmitteln an kirchliche und religiöse Gemeinschaften geben (…) Vollständige Trennung der Kirche vom Staat – das ist die Forderung, die das sozialistische Proletariat an den heutigen Staat und die heutige Kirche stellt.“ (W. I. Lenin, Sozialismus und Religion, Werke Band 10, S. 71-72).

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