Wir dokumentieren hier einen Debattenbeitrag unserer Genossin Katharina, Offensiv Hamburg, zu einer Diskussion über Regierungsbeteiligungen im Jugendverband der Partei DIE LINKE, veröffentlicht online auf der Website der Revolutionären Linken am 10.02.2017:

„An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen vornimmt, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt, werden wir uns nicht beteiligen.“ – Erfurter Programm der Partei DIE LINKE

Während es auf die Bundestagswahlen zugeht, wird in der LINKEN mehr als in den letzten Jahren eine Regierungsbeteiligung im Bund auf den Tisch gebracht. Kurz nach dem letzten Bundesparteitag haben Katja Kipping und Bernd Riexinger Rot-Rot-Grün zum Wahlkampfziel erklärt.

In der Partei gibt es zu Regierungsbeteiligungen grob vier Haltungen. Eine Parteirechte, die Regierungsbeteiligungen nahezu bedingungslos befürwortet (Bodo Ramelow, Stefan Liebich,…), eine Strömung, die R2G unter bestimmten Bedingungen will (von Katja Kipping bis Bernd Riexinger) und unter Parteilinken die Ablehnung von Regierungsbündnissen mit zwei Taktiken, die der „roten Haltelinien“ und die grundsätzliche Ablehnung bürgerlicher Regierungsbündnisse.

Revolutionären wie Lenin, Rosa Luxemburg oder Clara Zetkin haben Regierungsbündnisse mit bürgerlichen Parteien immer abgelehnt. Gleichzeitig ist das Ziel revolutionärer Politik die Machtergreifung durch die unterdrückten Klassen. Dieser Text soll an drei Punkten zeigen, warum diese Position richtig bleibt und was man sich darunter vorstellen kann.

1. Im Kapitalismus regieren Banken und Konzerne!

„Unter der kapitalistischen Wirtschaft bleibt die politische Gleichberechtigung ein leerer Wahn“ – Richard Müller, Das Rätesystem in Deutschland

Die Idee hinter der parlamentarischen Demokratie ist, dass man Parteien gründen kann, die alle paar Jahre gewählt werden. Die, die zusammen eine Mehrheit haben, bilden die Regierung. Was ihre Vertreter machen, ist dann angeblich der „ideale Volkswille“, denn die Mehrheit hat sie ja gewählt.

Aber wenn das so ist: leben wir dann in Umständen, für die wir uns demokratisch entschieden haben? Jedes siebte Kind in Deutschland lebt in Armut. Die meisten von uns schuften für schlechte Löhne und weder Hartz IV noch der Mindestlohn reicht für ein gutes Leben. Parallel dazu werden Milliarden ausgegeben für Rüstung und Krieg, Banken-Bailouts, Bauprojekte oder Steuergeschenke an die Reichen. Das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt ein Drittel des gesamten Vermögens. Es ist nicht wahr, dass die Mehrheit von uns das will. Aber es sind die etablierten Parteien, die daran nichts ändern.

Weil sich zwar an der Farbe der Regierungskoalition was ändert, aber an unserem leeren Geldbeutel, an Armut und der Zerstörung der Welt durch Kriege und Umweltkatastrophen nichts, wählen einige gar nicht mehr. Manche wählen aber auch links und hoffen auf kleine Verbesserungen.

Diese Hoffnung wurde für viele von uns bitter enttäuscht. In Thüringen wurde aus „Refugees welcome“ eine Sammelabschiebung nach der anderen. In Berlin finden trotz dem Wahlkampfslogan „Miethaie zu Fischstäbchen“ Zwangsräumungen unter Rot-Rot-Grün statt. In Griechenland sieht es noch viel schlimmer aus. Jede grausame Verarmungsmaßnahme der Troika wird von der „linken“ Regierung unter SYRIZA umgesetzt. Sie nutzen Knüppel und Betäubungsgranaten, um den Widerstand der Bevölkerung zu brechen.

Als Politiker der LINKEN die Parteibasis vom Eintritt in die Thüringer Landesregierung überzeugen wollten, haben sie gesagt: wir werden gewählt, stellen Minister und setzen dann in der Regierung eine bessere Politik durch. In der Regierung setzten auch die Politiker der LINKEN in Thüringen zahlreiche arbeiterfeindliche Vorstöße durch, wie die Streichung tausender Stellen im öffentlichen Dienst und die Politik der schwarzen Null. Wenn sie heute kritisiert werden, weil sie keine Forderung der LINKEN umgesetzt haben, sagen sie, Bundesgesetze hätten sie gehindert. Wusste die Spitze der Thüringer LINKEN davor denn nicht, dass es auf deutschem Bundesgebiet Gesetze gibt?

Es gibt einen Grund, warum sich alle pro-kapitalistischen Regierungen in den großen Fragen gleich verhalten. Dieses System hat ein Immunsystem von Gesetzen, Hundertschaften, Geheimdiensten und Wirtschaftsembargos. Dass in der öffentlichen Vorsorge gespart werden muss, dass abgeschoben werden muss, selbst, dass aufgerüstet werden muss, steht in deutschen und europäischen Gesetzen. Dazu kommt, dass die Demokratie an den Betriebstoren endet. Auch wenn wir acht Stunden oder mehr in unserem Betrieb oder im Büro arbeiten, haben wir kein Recht mitzuentscheiden, was, wie und für wen produziert wird. Was die Produktion antreibt ist nicht was wir brauchen, sondern der Profit. Deswegen müssen Millionen weltweit hungern, obwohl die heutige Wirtschaft sie alle ernähren könnte. Dass weiter mit Kohle Strom gewonnen wird, obwohl es umweltschonendere Technologien gibt, entscheiden nicht wir, sondern die Gewinnmage. Auch ob Deutschland drittgrößter Rüstungsexporteur sein soll fragt man nicht uns, sondern die Chefetagen von Thyssen-Krupp, Airbus und Co.

Der Klimawandel, Kriege und Krisen vernichten unsere Lebensgrundlage und nur eine kleine Anzahl Superreicher profitiert von diesen Umständen. Verhältnisse, in denen die Profite von wenigen das Verderben der riesigen Mehrheit sind, in denen es illegal ist nicht an Sozialsystemen zu kürzen oder aufzurüsten, sind brutal und nicht demokratisch. Der Kapitalismus ist die Diktatur der Bosse von Banken und Konzernen. So lange es keine wirtschaftliche Gleichberechtigung gibt, also die Aufhebung des privaten Eigentums an Produktionsmitteln, kann es wirkliche Demokratie nicht geben.

Wenn wir in eine bürgerliche Regierung eintreten, dann müssen wir einverstanden sein, uns an alle diese Regeln zu halten. Keine bürgerliche Regierung wird plötzlich auf die Seite der Armen und Ausgeschlossenen wechseln, weil die LINKE sich daran beteiligt. Im Gegenteil, es werden diejenigen sein, die in die Regierung gehen, die die Seite wechseln.

2. Regierungsbeteiligung oder Arbeiterregierung: Was würden Sozialisten tun?

„Nur eine Regierung, die ausschließlich aus Vertretern der Arbeiterparteien und Arbeiterorganisationen zusammengesetzt ist […] verdient den Namen der Arbeiterregierung. […] Die Politik einer Arbeiterregierung aber wird letzten Endes bestimmt durch die Aktivität oder Passivität der proletarischen Massen“ – Clara Zetkin: Die Arbeiterregierung

Wenn die Mehrheit den etablierten Parteien die rote Karte zeigt und eine linkere Partei wählt, dann zeigt das, wie stark die Wut aufs Establishment und die Kämpfe dagegen angewachsen sind. Auch die Wahl von SYRIZA in Griechenland war Ausdruck stark zugespitzter Massenbewegungen. Als SozialistInnen arbeiten wir auf eine Situation hin, in der in zugespitzen Kämpfen die Machtfrage gestellt wird, und wir wollen sie auch beantworten.

Aber so lange einige wenige, die über die Wirtschaft herrschen, über die Umstände unseres Lebens entscheiden, kann eine Regierung keine „Vermittlerposition“ zwischen ArbeiterInnen und Kapitalisten einnehmen. Eine Arbeiterregierung wäre deswegen etwas ganz anderes als das, was wir in Thüringen oder Griechenland erleben. Statt sich an die gängigen Regeln zu halten, würde sie Kämpfe weiter antreiben und die Machtfrage in allen Bereichen aufwerfen.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Liverpooler Stadtrat. 1983 gewann bei den Kommunalwahlen in Liverpool die Labour Party, die von MarxistInnen der Strömung Militant geführt wurde. Legal wäre es damals gewesen, die Gesetze der Thatcher-Regierung umzusetzen und zu kürzen. Stattdessen weigerte sich der Stadtrat, Arbeitsplätze zu vernichten oder Sozialleistungen zu streichen. Die Thatcher-Regierung hatte viele Druckmittel. Um ihre soziale Politik zu verteidigen, organisierte Militant Massenbewegungen und Generalstreiks der Liverpooler Arbeiterklasse, die so mächtig waren, dass selbst Thatcher sie über Jahre nicht brechen konnte. Die Personen im Stadtrat waren keine abgehobene Kaste, sondern Teil der Bewegung. Sie bekamen nicht mehr als einen Facharbeiterlohn – „a workers‘ MP on a worker’s wage“. Ohne die organisierte Klasse und eine große Zahl Aktiver an der Basis hätte es diesen Widerstand gegen Thatcher nie gegeben.

Dass Militant in Liverpool als Stadtrat gewählt wurde, war ein wichtiger Schritt im Widerstand der Stadt gegen den Thatcher-Neoliberalismus. Das Ziel des Liverpooler Stadtrats und der Bewegung war nie das Aufrechterhalten der Ordnung, sondern ein Bruch mit allen Regeln, die ArbeiterInnen, Jugend, Alte und Arme in die Knie zwingen sollten. Natürlich kann ein solcher Widerstand nur in einer Stadt nicht unendlich bestehen, und nach ein paar Jahren von Kämpfen wurde der Stadtrat durch bürgerliche Gerichte enthoben und streng bestraft. Trotzdem wirkt das Beispiel von Liverpool bis heute. Anstatt sich an eine Regierungsbeteiligung zu klammern, haben die GenossInnen von Militant vorgemacht, dass wir das was wir brauchen nur verteidigen können, wenn wir die Grenzen und Regeln des kapitalistischen Systems überschreiten. Ihr Beispiel hat gezeigt, welche Schritte wir gehen können, um das effektiv zu tun. Nichts anderes wäre der Zweck einer Arbeiterregierung.

3. Die Macht übernehmen!

Ein Stadtrat oder eine Arbeiterregierung wäre nicht der erreichte Sozialismus, sondern einer von mehreren möglichen Schritten. Denn, wie man so schön sagt, es geht um die ganze Bäckerei. In Massenbewegungen wird die Macht von Banken und Konzernen an verschiedenen Punkten in Frage gestellt. In Frankreich versammelten sich die Menschen auf großen Plätzen und diskutierten über das „Wie Weiter“ der Bewegung. In Griechenland gründeten sich in manchen Nachbarschaften Komitees, die Aufgaben wie die Verpflegung hungernder Menschen oder die Selbstverteidigung gegen Faschisten selbst in die Hand nahmen. In manchen Betrieben wurden Selbstverwaltungsstrukturen aufgebaut. Die Fabrik Vio.me sollte geschlossen werden. Weil die ArbeiterInnen ihre Jobs brauchen und die Menschen ihre Produkte verwenden können, haben sie den Betrieb übernommen und organisieren ihn jetzt ohne ihre Bosse weiter. Das Krankenhaus in Thessaloniki sollte weggekürzt werden. Weil die Angestellten aber wissen, wie viele Kranke unversorgt sind, haben sie das Krankenhaus selbstverwaltet übernommen.

Solche Strukturen stellen das kapitalistische Profitsystem in Frage. Sie zeigen: wenn wir uns nach dem richten, was wir brauchen, dürfen wir nicht tun was unsere Bosse sagen, sondern müssen selbst über unser Leben entscheiden! Wäre in Griechenland eine sozialistische Partei an die Macht gekommen, hätte sie wie damals in Liverpool die Machtfrage gestellt und die nächsten Schritte im Kampf der griechischen Bevölkerung gegen den internationalen Kapitalismus ausgerufen. Syriza hätte die einfache Bevölkerung aufrufen müssen, ihre Betriebe zu übernehmen, statt sie zu Billigpreisen an internationale Konzerne zu verscherbeln. Sie hätten an der Basis helfen müssen, Komittees in Nachbarschaften aufzubauen, die Versorgung zu organisieren und kollektiv Widerstand gegen die Faschisten zu leisten. Statt sich von den Banken durch die Arena scheuchen zu lassen, hätte eine sozialistische Partei den griechischen Bankenwahnsinn verstaatlichen und unter demokratische Kontrolle stellen müssen. Geschäftsbücher von Banken und Konzernen hätten geöffnet werden müssen. Wir hätten uns in ganz anderem Maßstab an der internationalen Solidaritätsarbeit für Griechenland beteiligt. Das wäre ein Vorbild gewesen für Bewegungen in ganz Europa, und hätte die Armen und Ausgeschlossenen in anderen Ländern angefeuert, selbst zu kämpfen.

Es reicht nicht zu warten, dass Politiker die Welt „von oben“ für uns ändern. Selbstverwaltung und Rätestrukturen sind nicht die Tat einer Regierung, sondern der ganzen Bevölkerung. Eine Regierung können die Herrschenden absetzen, die Millionen auf der Straße nicht. Deswegen sind sozialistische Maßnahmen grundlegend anders als bürgerliche Regierungspolitik. Nur die Maßnahmen, die wir kollektiv organisieren, können wir verteidigen. Eine Beschränkung auf ein paar warme Ministerstühle wird immer in einer Niederlage für die enden, die ganz unten sind.

Deswegen müssen wir uns organisieren und gemeinsam ein Programm aufstellen, das klare Schritte im Kampf benennt und sich nicht an die Sachzwänge des Kapitalismus, sondern an unsere Forderungen und unsere Bedürfnisse hält. Wir wollen keine Deals mehr, bei der selbst das kleinste Zugeständnis nur für den Preis von Kürzungen an anderer Stelle ausgehandelt werden kann. Das schaffen wir nur, wenn wir den Kampf um wesentliche soziale Forderungen verbinden mit dem für eine sozialistische Gesellschaft. Das zu tun ist die Aufgabe einer linken, sozialistischen Partei.

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