Die von unserer Genossin Nadja Habibi unter dem Titel „Prostitution versus Sexarbeit“ veröffentlichte Bachelorarbeit erscheint heute in Buchform.

Sie beschäftigt sich zentral mit dem Thema, wie Prostitution im Kontext der kapitalistischen Lebenswelt einzuordnen ist, und was von Ansätzen der „Sexarbeit ist Arbeit“-Position zu halten ist, wie sie in der liberalen Schule der Sozialarbeit weit verbreitet ist.

Offensiv: Nadja, du sprichst in deiner Arbeit davon, dass Prostitution „im Kontext bürgerlich-kapitalistischer Eigentumsverhältnisse“ zu verstehen ist. Was meinst du damit?

Nadja Habibi: Damit meine ich, dass Prostitution nicht im luftleeren Raum existiert, sondern unmittelbar Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise ist. Die Klassengesellschaft produziert zwangsläufig auf der einen Seite immensen Reichtum, der sich von wenigen privat angeeignet wird, und auf der anderen Seite massenhafte Armut und Unterdrückung derer, die den Reichtum erarbeiten. Ein Teil dieser unterdrückten Masse muss demnach aus materieller Not zu allen Mitteln greifen, um das eigene Überleben zu sichern, und da Frauenunterdrückung eine zentrale Säule der kapitalistischen Gesellschaft ist, werden vor allem Frauenkörper zu einer Ware gemacht. Weibliche Sexualität als jederzeit verfügbare Ware wirkt dann wiederum auf die Gesellschaft und auch das gesellschaftliche Bewusstsein ein und ist somit ein Produkt von Frauenunterdrückung, aber hält sie ebenso aufrecht. Um also den Zusammenhang von Prostitution und Frauenunterdrückung zu verstehen, muss man die kapitalistische Produktionsweise, die alles zur Ware macht, mit in den Blick nehmen.

Offensiv: Vielleicht kannst du uns helfen, die Debatte einzuordnen. Der Begriff der „Sexarbeit“ ist ja auch in der heutigen feministischen Bewegung sehr verbreitet. Was ist davon zu halten?

Nadja Habibi: Nicht viel. Ich halte die Verwendung des Begriffs „Sexarbeit“ für einen Euphemismus, der zum einen die Machtverhältnisse in der Prostitution verschleiert und der zum anderen einen Versuch der Normalisierung von Prostitution – also den Handel mit Frauen – als einen regulären Marktsektor darstellt. Das führt teilweise zu absurden Verirrungen wie dazu, dass Bordelle als „Dienstleistungsbetriebe“ bezeichnet werden, Zuhälter werden zu „Geschäftsmännern“ gemacht und der Begriff des Menschenhandels wird sogar durch „Arbeitsmigration“ ausgetauscht. Von „Sexarbeit“ sprechen vor allem Vertreter des liberalen Feminismus. Man kann also häufig schon an den Begriffen ablesen, welche Haltung zur Prostitution vertreten wird. Ich verwende stattdessen den Begriff „Prostitution“ um auf eine gängige Handelssprache in Bezug auf Frauen zu verzichten und um stattdessen auf die besondere Form der Ausbeutung im Kapitalismus aufmerksam zu machen, der die Frauen ausgesetzt sind.

Offensiv: Ein Teil deiner Arbeit beschäftigt sich ja auch mit einer Kritik der sozialarbeiterischen Anlaufstellen, die den „Sexarbeit“-Ansatz des liberalen Feminismus vertreten. Wenn Prostitution also eine besondere Form der Ausbeutung der kapitalistischen Klassengesellschaft ist – was ist dann der richtige Ansatz, damit umzugehen?

Nadja Habibi: Diese sozialarbeiterischen Anlaufstellen leisten eine Menge politische Arbeit zum Thema und aus meiner Sicht ist das an sich auch richtig, aber dabei darf nicht über die Gewalt im Milieu hinweggesehen werden, die die Frauen erleben. Also Beratungsstellen, die über die Machtverhältnisse in der Prostitution aufklären und sie in den Zusammenhang mit Frauenunterdrückung und kapitalistisch produzierter Armut setzen, statt Schadensbegrenzung und eine Aufrechterhaltung des Gewerbes anzustreben, wären aus meiner Sicht ein richtiger erster Schritt. Aber grundsätzlich ist die Prostitution unzertrennlich mit der Klassengesellschaft verbunden und kann nur mit ihr zusammen abgeschafft werden. Prostitution fängt vornehmlich dort an, wo Armut zunimmt und Prostituierte rekrutieren sich hauptsächlich aus den ärmsten Schichten der Klassengesellschaft, auch der Anteil an Migrantinnen ist besonders hoch. Das ist auf Frauenunterdrückung, Rassismus und Armut zurückzuführen. All diese Faktoren sind elementarer Bestandteil der kapitalistischen Klassengesellschaft. Um also die Grundlage legen zu können für eine Welt ohne Prostitution, muss der Kapitalismus abgeschafft werden, der zu Armut und Unterdrückung führt und alles zu einer Ware macht. Im Kampf gegen die Prostitution brauchen wir also Forderungen nach Arbeitserlaubnis und Bleiberecht für alle, nach gleichen und generell höheren Löhnen. Aber um Prostitution nachhaltig zu beenden, muss ihr die materielle Grundlage entzogen werden – also der Kapitalismus abgeschafft werden.

Offensiv: Du sprichst ganz bewusst von „Klassengesellschaft“, also der Unterdrückung einer ganzen Klasse, und nicht von einem Kampf, den nur Frauen für sich ganz alleine gegen Männer austragen müssen. Was würdest du sagen unterscheidet dich da von „Feministinnen“ wie Oprah Winfrey?

Nadja Habibi: Der entscheidende Unterschied ist, dass Feministinnen wie Oprah Winfrey oder Hillary Clinton nur ihr Stück vom Kuchen abhaben wollen, den die Kapitalistenklasse pachtet. Der bürgerliche Feminismus begreift die Frauenbefreiung als einen Kampf, in dem sich alle Frauen gegen alle Männer durchsetzen müssen. Dabei haben aber solche reichen Frauen der bürgerlichen Klasse ganz andere Interessen als Frauen aus der Arbeiterklasse. Für uns geht es nicht um Probleme wie „gläserne Decken“ oder Frauenquoten in Aufsichtsräten, sondern es geht um Dinge wie öffentlich organisierte Kinderbetreuung und Löhne, die für ein unabhängiges Leben reichen. Dafür braucht es den Kampf der gesamten Arbeiterklasse –von Frauen und Männern gemeinsam. Denn die Einheit der Klasse und Forderungen nach ökonomischer Gleichstellung sind nur gegen den Willen der Herrschenden durchzusetzen – und das macht den Kampf um Frauenbefreiung aus meiner Sicht zu einem Kampf zwischen den Klassen.

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