1. Das Wahlergebnis ist Ausdruck eines massiven Bedeutungsverlusts der etabliert-bürgerlichen Parteien. Auch darum ist es kein Zufall, dass gerade jetzt eine Reihe von bürgerlichen Medien wieder Friedrich Merz als Merkels Nachfolger hochhalten. Die bürgerlichen Lager empören sich in Worten über den Rassismus der AfD. Vor dem Hintergrund zunehmender Polarisierung sind Teile des bürgerlichen Lagers aber zunehmend bereit, weiter in den Trend zu autoritäreren Formen der Herrschaft einzustimmen, den es international gibt.

2. Die voranschreitende Polarisierung hat soziale Ursachen und ist in Ostdeutschland weiter fortgeschritten. Die Restauration des Kapitalismus und die dortige Deindustrialisierung haben dazu geführt, dass große Teile der ehemaligen ostdeutschen Arbeiterklasse in die Armut gerutscht sind (fast jeder dritte Einpersonenhaushalt in Thüringen verfügt über ein Nettoeinkommen von weniger als 900 Euro). Eine Schicht der Arbeiterklasse und Arbeitslosen wurde abgehängt, das hat Demoralisierung, Frust und Hass auf die herrschenden Parteien verbreitet.

3. Daran knüpft die AfD an und gibt sich als „einzige Partei die anders ist als die anderen“. Die AfD vertritt nicht die Interessen der Arbeiter und Armen, sondern einen Teil der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Klasse. Wenn sie eine Stimme der Armen bekommt, dann weil sie versuchen, ihrem Frust Ausdruck zu verleihen aber nicht auf Verbesserungen hoffen. Sie ist eine Stimme der Resignation. Auf genau diese Stimmen kann sie aber in Ostdeutschland setzen. Darum bedeutet die Wahl in Thüringen erneut eine Stärkung des Höcke-Flügels; die AfD wird sehr wahrscheinlich in der Zukunft versuchen, stärker Arme und Teile der Arbeiterklasse anzusprechen. Schon bei der Wahl in Thüringen war zwar „Zuwanderung“ das wichtigste Thema unter AfD-Wählern, Löhne und Rente standen aber direkt an zweiter Stelle.

4. Die soziale Spaltung in Deutschland wird sich weiter verschärfen. Eine einbrechende Krise ist von Seiten der Herrschenden kaum zu beantwortet, wenn sie nicht auf soziale Kürzungen wie z.B. bei der Rente zurückgreifen. Das wird die Polarisierung weiter befeuern.

5. DIE LINKE wurde als etablierte Partei gewählt. Die AfD konnte – als erste Partei in der Geschichte Thüringens – ihr Wahlergebnis um über 100% steigern und unter Nichtwählern deutlich mehr dazugewinnen als DIE LINKE. 16.000 Wähler der LINKEN sind zur AfD gewechselt, bei allen Altersgruppen unter 60 war die AfD Wahlsieger. DIE LINKE hat vor allem von einer Umgruppierung sozialdemokratischer Wählerschichten profitiert: 20.000 SPD-Wähler sind zur LINKEN gegangen. Schon in der letzten Landtagswahl hat die SPD mehr als 6% verloren – es dürfte sich also bei der jetzigen Wählerwanderung um Stammwähler handeln. Vor dem Hintergrund der politischen Umgruppierung und Polarisierung der letzten Jahre wurde DIE LINKE zwar wegen dem Bedeutungsverlust von SPD und Grünen numerisch gestärkt, hat aber deutlich dabei versagt, einer wachsenden Anti-Establishment-Stimmung Ausdruck zu verleihen. Nicht der Rassismus der Arbeiterklasse und Armen, den bürgerliche Medien einem Viertel der Thüringer Bevölkerung unterstellen, sondern das Versagen der LINKEN als linke Partei jenseits des Establishments, die im Interesse der Arbeiter und Armen handelt und sie in ihren Reihen versammelt, ist neben dem Versagen der bürgerlichen Parteien der wichtigste Grund für das Erstarken der AfD.

6. Es ist nicht die Aufgabe einer Linken, zur „Mitte“ gehören zu wollen. Wir wollen die soziale und politische Zuspitzung. Wir wollen dieses System nicht aufrecht erhalten, sondern massenhafte Kämpfe um soziale Verbesserungen, Streiks, Aufstände und den Umsturz der bürgerlich-kapitalistischen Ordnung und ihre Ersetzung durch die Demokratie der Arbeiterklasse. Es ist die Pflicht jeder linken Partei, der AfD das Feld einer „Anti-Establishment-Kraft“, das sie völlig unverdient bespielt, sofort streitig zu machen. Dazu reicht es nicht, sich öffentlich wie ein getroffener Hund moralisch über den Rassismus der AfD zu empören und sich dabei im Ton auf die Seite aller bürgerlichen Parteien zu stellen. Das wird vor allem einen Effekt haben, nämlich dass es früher oder später auf taube Ohren stößt. Sicherlich darf dem Rassismus der AfD nicht nachgegeben werden – er ist eine reaktionäre Ideologie im Interesse der herrschenden Klasse. Aber immer nur über ihren Rassismus und nicht über das Totalversagen der bürgerlichen Politik zu sprechen wird niemanden überzeugen, der nicht schon auf unserer Seite steht. In erster Linie muss es die politische Linke werden, die sich im Parlament im Ton vergreift, die herrschenden Parteien auf die Anklagebank setzt und zum Widerstand aufruft gegen ihre asoziale Politik.

7. Die Wahl in Thüringen wird die Verwirrung im linken Flügel der LINKEN verstärken. Schon jetzt werden Einige im linken Flügel kleinlaut: haben wir nicht immer prophezeit, dass DIE LINKE dort, wo sie wie eine etablierte Partei auftritt, parlamentarisch geschwächt werden wird? Die These stimmt weiterhin. DIE LINKE, wie sie im Osten auftritt, kann als etablierte Partei gewählt werden. Wenn sie diese Politik – wie sie sie auch unter Bodo Ramelow macht – fortsetzt, wird sie früher oder später gezwungen werden, weitere soziale Kürzungen durchzusetzen und wird es jetzt schon. Verschärft sich die soziale Zuspitzung, wird auch DIE LINKE Verluste einfahren und an Glaubwürdigkeit verlieren. Schon bei dieser Wahl kann man nicht leugnen, dass deutlich mehr Arbeiter die AfD gewählt haben als DIE LINKE. Mit jedem Mal, bei dem DIE LINKE in der Regierung kürzt, sich den bürgerlichen Parteien anbiedert und sich in keiner Nuance von ihnen unterscheidet entfernt sie sich weiter davon, Arbeiterpartei zu sein.

8. Der linke Flügel der Partei DIE LINKE wurde in den letzten Jahren deutlich geschwächt und ist zunehmend handzahm geworden. Parlamentarische „Erfolge“ wie in Berlin werden von einigen seiner Vertreter kleinlaut anerkannt, viel zu oft zeigt man sich nun doch kompromissbereit. Mit einer solchen Politik mag man zwar einen Posten gewinnen, aber sicherlich keine linke Partei die ihrer Aufgabe gerecht wird. Auch der Flügel um Sahra Wagenknecht hat sich öffentlich überschwänglich hinter Bodo Ramelow gestellt – egal, wie oft er sich von jedem Zipfel linker Politik distanziert und mit Arbeitgebern freundlich Hände geschüttelt hat.

9. DIE LINKE hat nur einen Wert für Arbeiterinnen und Arbeiter, Jung, Alt und Arme, wenn die sich in jeder Frage auf die Seite der Interessen der arbeitenden Bevölkerung stellt. Jede soziale Kürzung muss DIE LINKE konsequent ablehnen. Dazu reicht das Parlament nicht – dafür brauchen wir die Betriebe und die Straße. Nur mit einer radikalen Kehrtwende der Politik in Thüringen ist an Regieren überhaupt zu denken. Und auch das wäre nur möglich als konsequente Minderheitsregierung ohne Koalitionspartner, mit massiven Mobilisierungen der Arbeiterklasse für ein sozialistisches Programm von umfassenden, sofortigen Beschäftigungs-, Wohnbau- und Infrastrukturmaßnahmen und Kommunalisierungen. Mit keiner Partei, die eine solche Politik nicht mitträgt, kann eine linke Partei koalieren. Auch bei Neuwahlen müsste DIE LINKE mit einem konsequent sozialistischen Programm antreten, das nicht das fordert, was legal und in den Grenzen des Bestehenden möglich ist, sondern das, was wir brauchen.

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