In der LINKEN kriselt es reichlich, was sich auch in ihren Wahlergebnissen widerspiegelt. Bei der Bundestagswahl 2021 schaffte sie den Einzug in den Bundestag nur knapp durch das Erringen von drei Direktmandaten und wäre ansonsten an der 5%-Hürde gescheitert. Bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, im Saarland und in Schleswig-Holstein in diesem Jahr hat sie jeweils über die Hälfte ihrer Prozentpunkte im Gegensatz zur vorherigen Landtagswahl verloren.[1]
Bundesparteitag – vom Regen in die Traufe
Der Bundesparteitag im Juni 2022 hat keinen Anlass für Optimismus gegeben. Statt eine inhaltliche Klärung der drängendsten Themen unserer Zeit – Inflation, Krieg, Klimawandel – zu bieten, wurde von einer Einheit der Partei und anderen Allgemeinplätzen schwadroniert. Dabei scheint sich diese Bestrebung genau in ihr Gegenteil zu verkehren: eine Spaltung der Partei in zwei reformistische Lager bahnt sich an. So hat Ralf Krämer, Sprecher der Strömung der Sozialistischen Linken (SL) innerhalb der LINKEN und Angehöriger des Wagenknecht-Flügels, in einer persönlichen Erklärung auf dem Parteitag zur Unterzeichnung des Aufrufs der „Populären Linken“ aufgerufen. Dazu kommt, dass Wagenknecht selbst angekündigt hatte auf Basis des „Aufrufs für eine populäre Linke“ ein organisiertes Netzwerk schaffen zu wollen, das im Herbst auf einer eigenen Konferenz über die weiteren Schritte diskutiert.[2] Das hängt sicher auch damit zusammen, dass dieser Parteitag für das Wagenknecht-Lager eher ernüchternd verlaufen ist. Kein einziger Vertreter der SL wurde in den neuen Parteivorstand gewählt, der von 44 auf 26 Mitglieder verkleinert worden ist. Die Parteirechte konnte im neuen Parteivorstand weiter gestärkt werden. Marxistische Kräfte sind nun nicht mehr im Parteivorstand vertreten.
Es ist als positives Signal zu bewerten, dass der Ersetzungsantrag „Ohne Wenn und Aber gegen Krieg und Aufrüstung“ von Parteilinken, den auch marxistische Kräfte mit unterstützt haben, mit 43% Zustimmung relativ knapp gegen den Antrag des Parteivorstandes verloren hat. Dieses Abstimmungsergebnis ist auch Ausdruck davon, dass es in der LINKEN weiterhin relevantes Potenzial für klare Antikriegspostionen gibt. Trotzdem bedeutet die Tatsache, dass im neuen, verkleinerten Parteivorstand keine Vertreter der Antikapitalistischen Linken (AKL) mehr sitzen, einen klaren Einschnitt des Einflusses marxistischer Kräfte in der LINKEN, da nun keine Möglichkeit mehr besteht, innerhalb der Parteiführung eine Oppositionsrolle einzunehmen. Insgesamt sind die marxistischen Kräfte auf diesem Parteitag also weiter marginalisiert wurden.
Soziale Spaltung
Manche würden behaupten, dass die Entwicklungen in der LINKEN auf ein schlechtes oder niedriges Bewusstsein der Arbeiterklasse oder auf einen Niedergang der Arbeiterbewegung hinweisen. Dabei ist das, was sich in der Krise der Linken abzeichnet, das genaue Gegenteil und hat materielle Ursachen:
Die Coronapandemie wirkte wie ein Brandbeschleuniger auf die sowieso zunehmende soziale Polarisierung. Auf der einen Seite konnten im Jahr 2020 trotz Pandemie die 32 weltweit profitabelsten Unternehmen noch 109 Milliarden US-Dollar mehr als 2019 verdienen.[3] Die Milliardäre dieser Welt haben ihr Vermögen seit März 2020 um fünf Millionen Dollar gesteigert – von insgesamt 8,6 auf 13,8 Billionen – das ist ein stärkeres Wachstum als in den kompletten 14 Jahren vor der Pandemie.[4]
Parallel dazu ist die Armut gestiegen, und die Grundlage des sozialen Friedens wurde auch in den Kernbelegschaften der Produktionsbetriebe drastisch untergraben:
Konzerne wie VW, Daimler oder BMW schickten hunderttausende Beschäftigte in Kurzarbeit. Die Inflation unterhöhlt die Lebensbedingungen von Millionen, und ein Drittel von Beschäftigten erlitt während Corona Einkommenseinbußen, wobei Haushalte mit einem Nettoeinkommen von unter 1.500 Euro zu 41%, und unter 900 Euro zu 49% betroffen waren!
Damit hat die herrschende Klasse den Boden für eine soziale Explosion geschaffen – und eine linke Partei, die diese Proteste und die Angriffe auf die Arbeiterklasse, wie wir sie im Hamburger Hafen erlebt haben, beantwortet und die Offensive gegen das Kapital anführt, wäre dringender nötig denn je!
Die Widersprüche des Kapitalismus vertiefen sich
Der Kapitalismus befindet sich in der tiefsten Krise seit 1929, die kapitalistischen Widersprüche vertiefen sich und die Klassenpolarisierung ist auf ein neues Niveau geklettert, und die vielbeschworene „Zeitenwende“ deutet darauf hin, dass sich die herrschende Klasse für neue Kriege um die Profite und Ressourcen der Welt, ebenso wie für den Krieg gegen die eigene Arbeiterklasse rüstet.
Die drastischen Einbrüche seit Beginn der Coronapandemie haben wie ein Schock auf Arbeiter und Jugend gewirkt.
„Wir geraten von einer Katastrophe in die nächste Schlimmere“ wird eine befragte Person in einer Studie des rheingold-Institutes zitiert, das auch von einer „Krisenpermanenz“ spricht, die im Besonderen die Jugend als eine anhaltende Aneinanderreihung von Krisen erlebt.[5]
Weiterhin sind Unzufriedenheit und Zukunftsängste in der Bevölkerung laut einer Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach so verbreitet wie noch nie zuvor von dieser Studie erfasst – also seit 1949. Gerade mal 19% der Bevölkerung sehen mit Optimismus auf die nächsten zwölf Monate.[6]
Die Situation der Krise ebenso wie die Pandemie haben in vielen Betrieben zu absoluter Verzweiflung geführt. Dass es nicht früher schon zu sozialen Explosionen kam, liegt einzig und allein daran, dass schon zu Beginn der Krise die Führer der Gewerkschaften einen Pakt mit den Unternehmern geschlossen haben, um soziale Kämpfe zu beschwichtigen, die Kurzarbeit epidemisch auszuweiten und die „Sozialpartnerschaft nicht zu gefährden“!
Was haben die Führer der LINKEN getan?
Damit hat ein riesiges Vakuum bestanden, um sich an die Belegschaften und Armen zu wenden, und ihnen ein Kampfprogramm als Antwort auf die Krise vorzuschlagen. Immer wieder – mit dem Kampf um „Deutsche Wohnen enteignen“, mit dem Kampf um den Erhalt von Voith Sonthofen, mit den Protesten gegen die reaktionären „Querdenker“ und jetzt mit dem Hafenstreik – sind Bewegungen von unten entstanden, die die Notwendigkeit selbst zu kämpfen erkannt und sich der herrschenden Politik entgegengestellt haben.
Das Aufstellen eines radikalen Kampfprogramms wäre nicht nur möglich, es ist eine Notwendigkeit! Auf Platz Eins der Ängste der Deutschen liegt im Sommer diesen Jahres einer Langzeitstudie der R+V zufolge die Angst vor Steuererhöhungen bzw. Leistungskürzungen durch Corona.[7] Was für eine Kraft beispielsweise die Losung gehabt hätte, die Reichen für die Kosten der Krise zahlen zu lassen, statt sie auf dem Rücken der Arbeiterklasse abzuwälzen!
Eine Warnung für die LINKE
Doch DIE LINKE hat sich mit einem weichen, reformistischen Programm begnügt, das weit hinter den objektiven Notwendigkeiten zurückgeblieben ist. So finden sich in Stellungnahmen der Partei Formulierungen wie „Reiche müssen stärker an den Krisenkosten beteiligt werden als Arme“ oder andere Forderungen wie „Die Kosten der Krise gerecht verteilen“ und „Demokratie ist keine Schön-Wetter-Veranstaltung“.[8] Doch warum nicht die Krise des Kapitalismus beenden, statt ihre Kosten auf Reiche und Arme zu verteilen?!
Während die kapitalistische Krise die Lebensbedingungen von Millionen auf den Kopf gestellt, Arbeitslose in Hunger und erhebliche gesundheitliche Risiken gedrängt und hinter die Zukunft der deutschen Industrie ein großes Fragezeichen gesetzt hat, hatte DIE LINKE in ihren Programmen und Äußerungen nicht mehr zu fordern, als einen netteren und um 1% weniger elendigen Kapitalismus. Es ist kein Wunder, dass ein solches Programm die Massen, die die Krise von der Welt der Reichen und Mächtigen noch weiter entfremdet hat, nicht mobilisieren konnte!
Und noch einmal wollen wir die Erfahrung des Berliner Mietenentscheids wiederholen: 56,4 % der Berliner Wähler stimmten für die Enteignung der größten Berliner Immobilienkonzerne – eine Forderung, die dem Programm einer wirklich sozialistischen Partei hätte entstammen können! Doch statt die vorderste Spitze einer militanten Bewegung für Enteignungen zu werden, und außerparlamentarisch weiter Druck aufzubauen, um die Niederlage der Bewegung gegenüber der SPD-geführten Regierung zu verhindern, entschloss sich die Führung der LINKEN für ihre Ministerposten in der Berliner Landesregierung. Was ist das Ergebnis dieser Politik? Kürzlich ist die Geschäftsordnung der Kommission der Landesregierung zur Vergesellschaftung des Wohnraums öffentlich geworden: Es sieht unter anderem nichtöffentliche Sitzungen vor, was eindeutig einen Verrat der Forderungen der Bewegung vorbereiten soll.
DIE LINKE – die Partei, die am ehesten im Verdacht sein könnte, die Interessen der über 56% der Wähler zu verteidigen – hatte schon in der vergangenen Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 1,5 % verloren. Was wird mit der Partei geschehen, wenn sie sich weiter am Untergraben des Volksentscheids durch den Berliner Senat beteiligt?
Die LINKE und das Massenbewusstsein
Die Ursache dafür, dass die LINKE in den vergangenen Wahlen so massiv abgestraft worden ist, liegt nicht in einem mangelnden Bewusstsein der Arbeiterklasse. Der Grund ist, dass sie sich an erster Stelle auf taktische Abkommen im Rahmen des bürgerlichen Parlamentarismus stützt.
Die parlamentarischen Fraktionen der Linkspartei sind – vor allem da, wo sie mit an der Regierung sitzen – eher an einer Mitverwaltung des kapitalistischen, bürgerlich-parlamentarischen Normalbetriebs interessiert, als daran, ihre Unterstützung durch Kämpfe in den Betrieben und auf der Straße aufzubauen. Die Parlamentarier und Fraktionen der LINKEN haben hohes Gewicht gewonnen, und schielen auf Ministerposten, sie haben sich völlig dem bürgerlichen Politikbetrieb hingegeben.
Doch die wahre Macht der Gesellschaft liegt nicht in parlamentarischen Manövern. Während es in den Belegschaften, in der Jugend und unter den Armen zunehmend kocht, schwimmt die Führung der LINKEN mit ihrer Politik völlig an der Oberfläche und hat in der Arbeiterklasse, die die überwältigende Mehrheit dieser Gesellschaft darstellt und in der Lage wäre, sie von heute auf morgen von Grund auf zu verändern, keine substanzielle Kraft aufgebaut.
Das jedoch wäre die einzige Möglichkeit für eine linke, klassenkämpferische Partei, um der historischen Aufgabe unserer Epoche – der Machtergreifung der Arbeiterklasse und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft – gerecht zu werden.
Für uns als revolutionäre Kommunisten ist die Arbeit in Parlamenten ein Instrument der Propaganda und kein Selbstzweck. Wir wollen dort die Forderungen der Bewegung hereintragen und populär machen, die auf der Straße und in den Betrieben aufgestellt und erkämpft werden.
Der heutige Kapitalismus lässt keinen Platz für reformistische Politik oder einen neuen Keynesianismus. Der einzige Weg für die Bourgeoisie, die Profite zu sichern, sind der Krieg und das Auspressen der niederen Schichten.
Der Kapitalismus befindet sich in einer Abwärtsspirale, die den Reformismus in die Krise treibt – daher rührt die Krise der Linkspartei und aus ihrer Weigerung sich konsequent auf die Seite der Arbeiterklasse zu stellen. Doch nur die kämpfende Arbeiterklasse kann, bewaffnet mit einem sozialistischen Programm, aus dieser Situation noch einen Ausweg bieten.
Auf uns kommen Zeiten harter Klassenauseinandersetzungen zu. Und – wie es schon der Revolutionär Trotzki formulierte – eine „Partei, die sich auf die Arbeiter stützt, aber der Bourgeoisie dient, muß in der Periode höchster Zuspitzung des Klassenkampfes den Geruch des auf sie wartenden Grabes riechen“.[9] Um das zu verhindern, ist ein radikaler Kurswechsel der Linkspartei nötig!
Wir als Offensiv kämpfen innerhalb und außerhalb der LINKEN für einen klaren, klassenkämpferischen und sozialistischen Kurs. Wir wollen eine Partei, die, bewaffnet mit dem Programm des Kommunismus, in die Betriebe interveniert, die Bewegungen auf der Straße aufbaut und einen Kampfplan der Arbeiterklasse für die kommenden Kämpfe und Herausforderungen aufstellt.
Wir weisen die Argumente, das Bewusstsein oder die objektiven Bedingungen seien noch nicht reif um eine solche Partei aufzubauen, zurück, und erinnern an die Worte Leo Trotzkis:
„Das ganze Gerede, wonach die geschichtlichen Bedingungen noch nicht „reif“ genug seien für den Sozialismus, ist nur das Produkt der Unwissenheit oder eines bewußten Betrugs. Die objektiven Voraussetzungen der proletarischen Revolution sind nicht nur schon „reif“, sie haben sogar bereits begonnen zu verfaulen. Ohne sozialistische Revolution, und zwar in der nächsten geschichtlichen Periode, droht die ganze menschliche Kultur in einer Katastrophe unterzugehen. Alles hängt ab vom Proletariat, d. h. in erster Linie von seiner revolutionären Vorhut. Die historische Krise der Menschheit ist zurückzuführen auf die Krise der revolutionären Führung.“[10]
Es ist kein Wunder, dass so viele reformistische Führer, die sich auf den warmen Plätzen des Parlamentarismus gut eingerichtet haben, diese Worte und ihre Bedeutung vergessen haben. Doch wir wissen, dass es in der Zeit des kapitalistischen Niedergangs kein größeres Versprechen für die Massen der Arbeiter und Armen gibt, als den Aufbau des Sozialismus.
Mach mit! Beteilige dich am Aufbau der Marxistischen Organisation Offensiv!
[1]Während die LINKE bei den vorherigen Landtagswahlen in NRW 2017 noch 4,9% der Stimmen gewann, waren es dieses Jahr nur noch 2,1%. Im Saarland erlitt sie einen gigantischen Sturz von 12,8% auf 2,6%. Auch in Schleswig-Holstein fiel sie von 3,8% auf 1,7%.
[2] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wagenknecht-kritisiert-neue-linken-fuehrung-kaum-hoffnung-18130181.html
[3]Klundt, Michael (2020): Soziale Spaltung und Corona-Kapitalismus, in: Sozial Extra, Bd. 45, Nr. 1, S. 13–18.
[4]https://www.oxfam.de/system/files/documents/oxfam_factsheet_gewaltige_ungleichheit.pdf
[5]https://www.rheingold-marktforschung.de/melancovid-trifft-auf-kriegsangst/
[6]https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ukraine-jeder-dritte-deutsche-haelt-weltkrieg-fuer-realistisch-17903457.html
[7]https://www.dw.com/de/angst-studie-was-f%C3%BCrchten-die-deutschen-am-meisten/a-59111379
[8]https://www.die-linke.de/themen/gesundheit-und-pflege-alt/corona/solidarisch-aus-der-krise-menschen-vor-profite/
[9]https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1932/wasnun/kap01.htm
[10]https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1938/uebergang/ueberg1.htm