Mit großem Interesse haben wir uns die Rede unserer deutschen Bundeskanzlerin über die Vorschläge zum Umgang mit Corona angehört. Wir sind kaum überrascht über die Kochrezepte der Bundesregierung in der Krisenbekämpfung. Was uns wundert ist die große Einigkeit weiter Teile der Linken, die nun propagieren, die Bundeskanzlerin habe mit ihren ergreifenden Worten Recht und die besten Maßnahmen zur Krisenbekämpfung seien das „social distancing“, #flattenthecurve und #staythefuckhome - dem sei nichts hinzuzufügen. Die größten Sozialverbrecher seien ja nun diejenigen, die zu viel Klopapier kaufen und weiterhin nicht auf das Händeschütteln verzichten. Manche sprechen sogar von einer „Bewegung gegen COVID-19“, die daraus bestehe, zuhause zu bleiben. Radikale Alternativen zur herrschenden Politik - so scheint es - gibt es nicht mehr. Wir kennen keine Parteien mehr, wir sind alle „Covid-Gefährdete“.
Hamsterkäufer: Der Hauptfeind steht im eigenen Supermarkt? Von der Individualisierung struktureller Probleme
Selbstverständlich leugnen wir nicht die soziale Verantwortung des Einzelnen bei der Virusbekämpfung. Als Sozialistinnen und Sozialisten stehen wir für eine Kultur des sozialen Zusammenhalts und des Kollektivs, in der keiner - sei er nun Alleinerziehend, Rentner, Risikogruppe,... durch das soziale Raster fällt. Weder veranstalten wir Corona-Parties noch setzen wir andere einem unnötigen Risiko aus.
Wir tun das nicht - Bundesregierung und Arbeitgeber schon! Denn was Merkel nicht sagt, wenn sie über unsere „individuelle Verantwortung“ und unser „individuelles Verhalten“ als „Krisenlösung“ spricht, ist, dass für das Ausmaß der aktuellen Krise weit tieferliegendere strukturelle Probleme verantwortlich sind. In den letzten Jahrzehnten wurden - durch alle Parteien von CDU bis SPD, FDP und Grüne - massive Sozialkürzungen in Deutschland durchgesetzt. Allein zwischen 2002 und 2013 ist die Anzahl öffentlicher Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Form um 53,8% gesunken. Der größte privatisierte Krankenhauskonzern, Fresenius Helios, machte 2018 einen Gewinn von 686 Mio. Euro, direkt umverteilt aus den Taschen der Beitragszahler! Und trotz der größten Gesundheitskrise seit Jahrzehnten gibt die Bundesregierung ihre Politik der bedingungs- und rücksichtslosen Profitorientierung nicht auf: immer noch sind einzelne private Kliniken (wie die Endoklinik in Hamburg) von den staatlichen Pandemieplänen ausgenommen und stellen profitable Operationen (zB Schönheits-OPs) nach vorne. Bei Hygienemitteln, Schutzmasken usw. herrscht eklatante Unterversorgung. Die teilstaatliche Bahn wird in manchen Regionen zwar von weniger Menschen genutzt, fährt aber um Gelder einzusparen auch mit weniger Zügen, ist also genauso voll wie sonst. Parallel dazu laufen für die Versorgung irrelevante Betriebe nach dem Gusto der Chefetagen weiter, und auch für entsprechende Hygiene- und Schutzmaßnahmen wird nicht gesorgt. Das sind nur wenige Beispiele dafür, wie sich die Verweigerung der Bundesregierung, das profitorientierte und rücksichtslose Handeln der Privatwirtschaft einzuschränken, auf unsere Lebensbedingungen drastisch auswirkt.
Um davon abzulenken, richten die Massenmedien unsere Aufmerksamkeit auf „Hamsterkäufer“. Merkel vermittelt uns: „Wir sitzen alle im gleichen Boot“ - die, die uns zum Kentern bringen, sind diejenigen, die sich nun immer noch nicht genug die Hände waschen oder zu viel Klopapier gekauft haben. Aber wir denken nicht, dass der Familienvater, der jetzt eine Packung Klopapier oder Spaghetti mehr kauft, oder der Müllarbeiter, der sich sowieso nicht schützen kann und deshalb nicht hysterisch mit Desinfektionsmittel um sich wirft, für die derzeitige Krise verantwortlich sind.
#flattenthecurve statt Eindämmung: Die Konzepte der Bundesregierung zur Bekämpfung der Corona-Krise
Was schlägt uns die Merkel-Regierung zur Problemlösung vor? Schon in der ersten größeren Pressekonferenz von Jens Spahn wurde eine Zahl von 60-70% der deutschen Bevölkerung, die in den nächsten Monaten infiziert werden, genannt. Das Konzept der Bundesregierung sieht nun so aus: bisher keine drastischen Eingriffe in den „freien Markt“, sei es nun Gesundheitswesen oder Versorgung, dafür aber „individuelle Schutzmaßnahmen“, um die Ansteckung zeitlich zu strecken (#flattenthecurve). Agiert wird also nach dem Motto: „Krank werden wir sowieso alle, und lasst uns jetzt damit umgehen, dass unser unterfinanziertes und privatisiertes Gesundheitssystem mit dieser Tatsache klarkommt“. Denn Fakt ist, und das wissen wir alle, dass schon im Normalzustand deutsche Notaufnahmen geschlossen werden und die Pflegekräfte keine Zeit mehr haben ihre Hände zu desinfizieren, weil in den Krankenhäusern massiver Personalmangel herrscht - warum sonst ist der sogenannte „Händedesinfektionstag“ in den letzten Krankenhausstreiks zum Kampfmittel geworden?
Anders hat der chinesische Staat reagiert. Bei aller Kritik an der bürokratischen Verkrustung der chinesischen Kommunistischen Partei und der genauen Umsetzung der staatlichen Maßnahmen: weil China nach wie vor über einen stärkeren staatlichen Sektor verfügt und geplanter wirtschaftet, konnte in wenigen Tagen in Wuhan ein Krankenhaus erbaut werden. Wuhan wurde gänzlich abgeriegelt, um eine Weiterverbreitung des Virus zu bekämpfen. Mehr als 20 Massenquarantänestationen wurden gebaut, in denen Versorgungsmittel bereitlagen. Anders in Deutschland, wo in nahezu jedem persönlichen Umfeld bereits Fälle bekannt sind, in denen keine Tests bereitgestellt werden und Hilfshotlines sowie Ärzte und Krankenhäuser überlastet sind.
#flattenthecurve wird weder die strukturellen Probleme im Krankenhausbereich lösen - es soll sie aufrechterhalten! Auch wird die Strategie Alte und Kranke nicht schützen und den Virus nicht eindämmen. Es soll damit umgegangen werden, dass die EU-Regierungen nicht vorhaben, radikale Veränderungen im Gesundheitswesen und in ihrer Wirtschaftsweise umzusetzen.
Das liegt nicht daran, dass sie kein Geld haben oder keine radikalen Maßnahmen umsetzen könnten. Seit Ausbruch von Corona in Deutschland konnte die Bundesregierung die GEZ erhöhen, Milliarden an Steuergeldern als Rettungspaket zur Umverteilung ausdrücklich nicht nur an kleine Selbstständige sondern auch für Großbanken und -konzerne zusammenkratzen und durch Wolfgang Schäuble Grundgesetzesänderungen zur Beschneidung des Parlamentarismus ins Spiel bringen.
Kein Burgfrieden mit Bundesregierung und den Chefs von Banken und Konzernen!
Wir sind keine Verfechter von verantwortungslosem Verhalten oder „mir doch egal wie es meinem Nachbar geht"-Stimmung. Aber wir schließen keinen Burgfrieden mit Bundesregierung, Banken und Konzernen und wir stellen uns auch nicht hinter ihre Krisenkonzepte! Wenn sie sich mit ihren Antworten und Lösungen durchsetzen, wird Corona Deutschland als ein sozial ungerechteres und heruntergewirtschafteteres Land zurücklassen, als wir es heute schon vorfinden.
Also wascht euch die Hände und tut was nötig ist, aber vor allem: Glaubt nicht den Lügen der Bundesregierung! Eine Krise kann auf dem einen oder anderen Weg gelöst werden - im Interesse der einfachen Bevölkerung oder in dem der Bosse von Banken und Konzernen.
Wir als Sozialisten stehen dafür ein, dass dieses Wirtschaftssystem sich grundlegend nach den Bedürfnissen der einfachen, arbeitenden und armen Bevölkerung richtet. Dazu reicht es nicht aus zuhause zu bleiben und Hände zu waschen, dazu brauchen wir ein radikales, sozialistisches Programm für massive Verstaatlichungen und demokratische Kontrolle unserer Wirtschaft. Keiner wird dafür kämpfen, wenn wir das nicht selbst tun! Kein Burgfrieden mit Bundesregierung, und den Bossen von Banken und Konzernen!
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