Befreit Belarus – von Kapitalismus und Klassenunterdrückung!
Neben einer Reihe von politischen Protesten gegen das Lukaschenko-Regime hat letzte Woche auch eine Streikwelle Weißrussland erfasst. Etliche weißrussische Staatsbetriebe wurden bestreikt: Bergarbeiter der Belaruskali, dem größten Kaliproduzenten der Welt in Salihorsk, Stahlarbeiter der BMZ Stahlwerke in Zhlobin, Arbeiter der LKW-Werke und der Autohersteller in Minsk, Arbeiter aus Elektrounternehmen, Ölraffinerien, Chemiefabriken, Glasfaserherstellern und weiteren Betrieben – sie alle traten am 17. August in den Streik. Und selbst in den Betrieben, die Lukaschenko für seine Verteidigungsreden ausgewählt hat, wurde er niedergeschrien: „Geh weg“, schrien die Arbeiter des MZKT-Fahrzeugherstellers ihm entgegen – „Danke“ antwortete Lukaschenko.[1]
Viel mehr hat er seiner Arbeiterklasse, der er nun mit Entlassungen droht, deren Rentenalter er noch früher als in Russland angehoben hat, die seit der Restauration des Kapitalismus viele Einbußen hinnehmen musste, deren Gewerkschaften und Arbeitsrechte er seit Jahren bekämpft und die keine Stimme in der weißrussischen Parlamentswahl hatte, auch nicht mehr zu sagen. Und nicht er, sondern die kämpfende Arbeiterklasse, ist die einzige soziale Kraft, die einen Ausweg aus den sozialen und politischen Problemen in Weißrussland erkämpfen kann.
Es ist schwer zu bewerten, wie viele Wähler in Weißrussland wirklich für Lukatschenko stimmten – dass es sich um Wahlfälschung handelt, ist sehr wahrscheinlich, war doch das landesweite Internet am 9. August massiv einschränkt, Wahlbeobachter behindert und das Militär in Minsk zusammengezogen. Gleichzeitig ist es mehr als fragwürdig, ob die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja, wie es westliche Medien behaupten, eine freie Parlamentswahl wirklich gewonnen hätte. Selbst alternative Berechnungen der Opposition zeigen eine deutliche Schwächung Lukaschenkos, aber dennoch einen knappen Wahlsieg des Präsidenten.[2] Klar ist, dass die weißrussischen Oppositionsführer alles andere sind als Verteidiger der Interessen der Arbeiterklasse.
Die liberale Opposition hat der Arbeiterklasse nichts anzubieten!
Die Präsidentschaftskandidaten, die noch vor der Wahl verhaftet wurden – Sergej Tichanowskaja, Valery Tsepkalo und Victor Babariko – sind direkte Wortführer der weißrussischen Bourgeoisie. Valery Tsepkalo war ehemals Botschafter in den USA und ist der Direktor eines Silicon Valley nachempfundenen High-Tech Parks in Minsk, der seit Jahren für eine radikal neoliberale Privatisierungsagenda eintritt,[3] Victor Babariko ist ein ehemaliger Bankmanager und einer der reichsten Männer Weißrusslands, und Sergej Tichanowskaja ein wirtschaftsliberaler Blogger und wohlhabender Inhaber mehrerer Nachtclubs. Hinter dieser bürgerlichen „Opposition“ steht das Programm massiver Privatisierungsprogramme und eines Angriffs auf die Arbeiterklasse. Das ist der Grund, warum die EU, die seit Jahren mit dem Arbeiterfeind und radikalen Theokraten Erdogan dealt und die in der Ukraine faschistischen Milizen zum Sturz des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch den Rücken freihielt, Lukaschenko zur „persona non grata“ erklärt und Sanktionen androht, und warum mächtige westliche Institutionen unzählige Projekte für Privatisierungen und politische Einflussnahme in Belarus unterhalten: der „German Marshall Fund“[4] mit seinem „Fund for Belarus Democracy“[5], die Weltbank[6], die „European Bank für Reconstruction and Development“.[7]
Den Imperialismus von NATO und EU kümmert die Freiheit des weißrussischen Volkes nicht. Es kümmert sie nicht, ob Tichanowskaja wirklich eine Mehrheit in der Wahl gewonnen hat, in der linkere Kandidaten nicht einmal antreten durften, um sie zur rechtmäßigen Präsidentin zu erklären und ihr „Koordinationskomitee“ anzuerkennen. Sie will nicht die Weißrussen in die Demokratie führen – das haben die Ereignisse in der Ukraine bewiesen – sondern Weißrussland um seinen Staatsbesitz erleichtern, damit sie ihn an ihre Konzerne übergeben können. Dasselbe ist nach dem Eingreifen des Westens in Bolivien und der Ukraine passiert: vor genau einem Jahr hat nun der EU-treue westukrainische Staatspräsident das Moratorium aufgehoben, das seit gut 20 Jahren die Privatisierung von über tausend Staatsbetriebe verhindert hat.
Doch auch der russische Imperialismus hat nichts zur Befreiung der weißrussischen Arbeiterklasse beizutragen. Genauso wie der Westen sieht Putin Weißrussland als Spielball im Konflikt um geopolitische Einflusszonen und wird seinen Einfluss im angrenzenden Weißrussland nicht einfach aufgeben. Ob er dafür Lukaschenko oder einen anderen Kandidaten stützt, ist für ihn keine Prinzipienfrage, sondern hängt von dessen Bereitschaft ab, Zugeständnisse an die russischen Interessen zu machen. Zu diesem Zweck nutzt Putin die innenpolitische Krise in Weißrussland aus: um Lukaschenko zu Zugeständnissen an Russland zu zwingen. Ihm geht es um den Zugang zum Mittelmeer im Süden des Landes, und um den Suwalki-Korridor, der Weißrussland von der russischen Enklave Kaliningrad trennt – und damit von Abschussrampen atomar bestückbarer Iskander-Raketen. Und es geht ihm um die 1200 Kilometer lange Grenze zu Lettland, Litauen und Polen, an der die Nato nach der Krim-Krise schnelle Eingreiftruppen schuf. All diese Faktoren sind in der Situation wachsender internationaler Spannungen für Putin von entscheidender Bedeutung.
Lukatschenkos kapitalistisches Regime hat für Arbeiter und Arme ausgedient.
Die Arbeiterklasse in Weißrussland hat immer noch viel zu verlieren. Weißrussland unterscheidet sich heute noch stark von den Ländern in seiner östlichen und südlichen Nachbarschaft, wie Russland, der Ukraine und Moldawien. Als Lukaschenko 1994 an die Macht gelangte, führte er keine Massenprivatisierungen und Zerstörungskampagnen gegen die soziale Infrastruktur durch. Er folgte nicht dem Kurs von Boris Jelzin und seinem Wirtschaftsminister Jegor Gaidar, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion marktliberale Reformen vorgaben. Die meisten Großunternehmen blieben Staatseigentum. Das ist es, was die Besorgnis der EU und der USA um die „Befreiung Weißrusslands“ antreibt.
Genauso wichtig ist es aber zu sehen, dass Lukaschenko nicht derjenige ist, der es verteidigen wird. Auch wenn Lukaschenko einige soziale Errungenschaften innerhalb des Kapitalismus aufrechterhalten hat, so war er dennoch derjenige, der die Weichen für die kapitalistische Restauration Weißrusslands gestellt hat, der die Türen für weitere Privatisierungen öffnete. Sein Regime trägt einen kapitalistischen Charakter, in dem Lukaschenko und verschiedene Sektoren der Bourgeoisie und des Staatsapparats – manche davon befinden sich heute in der Opposition – auch mithilfe der Staatskonzerne und auf Kosten der Arbeiterklasse ihre Geschäfte abgewickelt haben. Seit Jahren laviert das Lukaschenko-Regime zwischen den Klassenkräften im Inland und den verschiedenen Cliquen des Imperialismus, um seine Macht zu erhalten. Das hat zu so absurden Manövern geführt, wie dass sich Lukaschenko 2010 mit Vertretern des Rothschild-Imperiums traf, um über eine Zusammenarbeit auf dem weißrussischen Markt zu verhandeln.[8] Die Republik Weißrussland unterhält heute eine eigene Agentur „für Investitionen und Privatisierungen“[9] und sucht die enge Kooperation mit der Welthandelsorganisation.[10]
Der unabhängige Kampf der weißrussischen Arbeiterklasse ist der einzige Ausweg!
Auf parlamentarischer Ebene hatte die Arbeiterklasse in dieser Wahl keine echte Entscheidungsfreiheit. Keiner der wählbaren Kandidaten war ein Vertreter der Arbeiter. Doch die weißrussische Arbeiterklasse ist eine mächtige soziale Kraft – objektiv zweifellos die mächtigste soziale Kraft im ganzen Land –, die gerade erst aufs Neue in den Kampf getreten ist. Gleichzeitig darf nicht ignoriert werden, dass sie erst am Anfang des Weges zum Aufbau einer mächtigen eigenen Kampfkraft und politischer Organisationen steht. Lukaschenkos Politik des Lavierens zwischen den Klassen und der Unterdrückung einer echten, kämpferischen Arbeiterbewegung, hat diese Aufgabe in vielerlei Hinsicht erschwert.
Mit dieser Politik hat Lukaschenko dem westlichen Imperialismus einen entscheidenden Vorteil eingeräumt. Die Kräfte, die heute für Massenprivatisierungen und den Kahlschlag des Gesundheits- und Sozialwesens stehen, konnten unter seiner Hand wachsen.
Die Arbeiterklasse darf nicht auf Lukaschenko vertrauen und muss die Verwirrungstaktik der liberalen Oppositionsführer klar zurückweisen! Sie muss ihre eigenen Waffen schmieden, um sich gegen die Kräfte zu wehren, die ihnen ihre letzten Sicherheiten rauben und sie dem internationalen Finanzkapital zum Fraß vorwerfen wollen, und das verrottene und autoritäre Regime von Lukaschenko mit ihren eigenen Vertretern ersetzen.
Die Fabrikarbeiter, Stahlarbeiter, Bergarbeiter, Alten, Jungen und Frauen in Weißrussland müssen eigene Organisationen aufbauen, mit denen sie ihre Interessen erkämpfen können. Sie brauchen ein Klassenprogramm: für unabhängige und schlagkräftige Gewerkschaften, die Rückverstaatlichungen der privatisierten Wirtschaftssektoren und die Beseitigung der Korruption in den Staatskonzernen unter Kontrolle der Arbeiterklasse, gegen jede Form der Intervention imperialistischer Agenten des Westens oder durch Russland, für die Verteidigung der Sozialleistungen, des öffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesens, und dem Wiederaufbau aller sozialen Errungenschaften die der Arbeiterschaft seit den Zeiten der Sowjetunion genommen wurden.
Für den Aufbau von Arbeiter- und Bauernräten über ganz Weißrussland und die Machtübernahme der Arbeiterklasse als erster Schritt zum Aufbau des Sozialismus!
Nur das Volk kann das Volk befreien!
[3] https://realt.by/news/article/27802/
[4] einer der mächtigsten think tanks des US-Imperialismus in Europa
[5] https://www.gmfus.org/program/fund-belarus-democracy
[6] https://projects.worldbank.org/en/projects-operations/project-detail/P125389?lang=es&tab=financial
[7] https://www.ebrd.com/where-we-are/belarus/overview.html