Die britische Arbeiterklasse befindet sich mitten im Streik und im sozialen Aufstand. Jahre der Prekarität und der Hungerslöhne, der Kürzungen und der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, des Verfalls und der Vernachlässigung von Städten und Arbeitervierteln, der imperialistischen Abenteuer wie im Irak oder jetzt in der Ukraine, für die die Arbeiterfamilien mit ihren Leben und mit Kürzungen bezahlen, haben eine tiefe Unzufriedenheit hervorgerufen, die in eine allgemeine soziale Rebellion umzuschlagen droht.

Krise und Niedergang des britischen Kapitalismus

Das Vereinigte Königreich steht vor einer noch nie dagewesenen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Krise. Hitzewellen, die die Wirtschaft lahmgelegt und Tausende von Todesopfern gefordert haben; eine noch nie dagewesene Dürre, die voraussichtlich bis Oktober andauern wird; eine Inflation, die bereits 10,1 % erreicht hat und im 2023 18 % erreichen könnte, was Tausende von Familien aus der Arbeiterklasse, die sich zwischen Essen und Heizung entscheiden müssen, zur Armut verdammt; öffentliche Dienstleistungen, insbesondere der NHS [1], am Rande des Zusammenbruchs; und eine schwere Rezession am Horizont.

Und das alles inmitten des vollkommenen Chaos in den politischen Kreisen der herrschenden Klasse nach dem Sturz von Boris Johnson, dessen wütender Nationalismus nicht über das völlige Scheitern des Brexit und den tiefgreifenden und unumkehrbaren Niedergang dessen hinwegtäuschen konnte, was einst eine der wichtigsten imperialistischen Mächte auf dem Planeten war. Eine Situation, die auch ein harter Schlag für den US-Imperialismus ist, der sieht, wie sein Hauptverbündeter im Ukrainekrieg Probleme mit zunehmend unvorhersehbaren Folgen bekommt.

Eine Krise, die wie 2008 wieder Blut, Schweiß und Tränen für die britischen Arbeiter bedeutet, aber stratosphärische Gewinne für die Londoner City, die Banken und die großen kapitalistischen Monopole. Es waren die Manager der 100 größten britischen Unternehmen, die an der Londoner Börse notiert sind, die im Jahr 2021 einen Einkommenszuwachs von 39 % verzeichnet haben!!! Die konservative Regierung behauptet, es gäbe einfach kein Geld für den NHS und andere öffentliche Dienste, aber gleichzeitig werden Milliarden Euro für den Krieg in der Ukraine ausgegeben und die Taschen der Rüstungsindustrie gefüllt.

Eine Streikwelle, die zu einer sozialen Rebellion zu werden droht

In diesem Zusammenhang hat die britische Arbeiterklasse gesagt: „Enough is enough“, und Arbeitskämpfe und Streiks, legale und illegale, haben sich im ganzen Land ausgebreitet. Die Weigerung der Bosse, die Löhne entsprechend der Inflation zu erhöhen, und die lächerlichen Erhöhungen von bestenfalls 4,5 % oder 6 %, die auf eine brutale Verarmung hinauslaufen, ziehen den Zorn der Arbeiterklasse auf sich.

Auch in diesem August haben die britischen Eisenbahner unter Führung der Gewerkschaft RMT (National Union of Rail, Maritime and Transport Workers, Anm. d. Ü.) das Land mit einem dreitägigen Streik, der sich auch auf die Londoner U-Bahn ausgeweitet hat und dem sich auch die Londoner Busfahrer angeschlossen haben, zum Stillstand gebracht. Ein Streik, der das Vereinigte Königreich lahmgelegt und eine Verleumdungs- und Kriminalisierungskampagne seitens der Tories und der großen Wirtschaftsmedien ausgelöst hat.

Die Favoritin bei den Vorwahlen der Konservativen, Liz Truss, eine Reaktionärin, die Thatcher nacheifern will, hat nicht gezögert, die britische Arbeiterklasse der Faulheit zu bezichtigen, ihr Streikrecht offen in Frage zu stellen und mit einer weiteren Verschärfung der gewerkschaftsfeindlichen Gesetzgebung zu drohen, indem sie die nötige Zustimmung für einen legalen Streikaufruf von 40 % auf 50 % erhöht und die Einstellung von Streikbrechern erlaubt hat. Mit anderen Worten: Das Streikrecht wird faktisch abgeschafft, was, wie RMT-Generalsekretär Mick Lynch betonte, eine Rückkehr in die „viktorianische Ära“ bedeutet.

Doch all diese Drohungen stoßen auf taube Ohren. Immer mehr Sektoren geben nun grünes Licht für Streiks in den kommenden Wochen: Hafenarbeiter im Hafen von Felixstowe, über den ein Drittel aller Waren, die das Vereinigte Königreich verlassen und in das Vereinigte Königreich gelangen, umgeschlagen werden; die Post; die Universitäten; Feuerwehr, Müllabfuhr und sogar Rechtsanwälte, die auf unbestimmte Zeit streiken werden, sowie Journalisten. Der Generalsekretär der Eisenbahngewerkschaft RMT hat nach den jüngsten Arbeitsniederlegungen erklärt, dass die Gewerkschaft in einen unbefristeten Streik treten könnte, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden.

Eine Streikwelle breitet sich auch in nicht organisierten Sektoren aus, wie z. B. bei den Beschäftigten von Amazon, oder in Unternehmen, in denen die Gewerkschaften lächerliche Lohnabschlüsse von 2 oder 2,5 % unterzeichnet haben, und diese Belegschaften überwältigen die Gewerkschaftsführungen und setzen sich über sie hinweg. Spontane, „wilde“ Streiks, so die bürgerlichen Propagandamedien, die sich kurzerhand über die gewerkschaftsfeindliche Gesetzgebung hinwegsetzen, die seinerzeit von Margaret Thatcher verabschiedet wurde.

Hinzu kommt die Angst von Millionen britischer Familien, dass sie es in diesem Winter nicht mehr warm haben werden, weil die Energiepreise in die Höhe geschnellt sind: Preisanstiege von 110 % für flüssige Brennstoffe, 95 % für Gas und 54 % für Strom. Es wird erwartet, dass bis Januar 2023 zwei Drittel der britischen Familien, 45 Millionen Menschen, in Energiearmut geraten werden. Eine Situation, die verschiedene Gruppen dazu veranlasst hat, eine Kampagne des zivilen Ungehorsams zu beginnen und die Zahlung von Energierechnungen zu boykottieren, inspiriert von der Kampagne gegen die Poll Tax [2], die Thatcher zu Fall brachte.

Keir Starmer und die Labour-Führung gegen die Arbeiterklasse

Die kopflosen Tories befinden sich in einer tiefen Krise, vielleicht der größten in ihrer Geschichte. Eine Krise, die bereits die amtierende Regierung zu Fall gebracht und Neuwahlen erzwungen hätte, wenn die Labour-Parteiführung und ihr derzeitiger Vorsitzender Keir Starmer, sowie die Gewerkschaftsbürokratie des TUC (Trades Union Congress, gewerkschaftlicher Dachverband, Anm. d. Ü.), nicht eine Politik der Klassenzusammenarbeit und des sozialen Friedens betrieben hätten.

Keir Starmer spricht sich öffentlich gegen die Streiks aus und verbietet Parteiführern und Aktivisten, sich an Streikposten zu beteiligen: „Die Labour Party in der Opposition muss die Labour Party an der Macht sein... Und eine Regierung macht keine Streikposten, eine Regierung versucht, Streitigkeiten zu lösen.“ Eine Absichtserklärung für den Fall, dass sie morgen die Wahlen gewinnen: Wenn wir regieren, werden wir es für die Bosse und die Kapitalisten tun.

Dennoch haben sich viele Labour-Abgeordnete und -Aktivisten gegen diese offen arbeitgeberfreundliche und streikbrecherische Position aufgelehnt, was auf den enormen Druck des Klassenkampfes zurückzuführen ist. Sogar einer der wichtigsten Sprecher von Starmers Team, Sam Tarry, der Verkehrsbeauftragte der Labour-Partei, wurde entlassen, weil er während des Streiks im Juni an einer RMT-Streikpostenkette in London teilnahm.

Eine neue Bestätigung nach der Hexenjagd gegen Corbyn, die mit seinem Ausschluss aus der Partei endete, dass es unmöglich ist, die Interessen der Arbeiterklasse mit einer Labour-Führung zu vereinbaren, die sich ganz der Verwaltung der Interessen der britischen Kapitalisten verschrieben hat. Entweder mit der Arbeiterklasse oder mit den Bossen!

Die Position von Starmer eröffnet einen ernsthaften Konflikt mit den Gewerkschaften, insbesondere mit denjenigen, die noch der Labour Party angehören. Die Generalsekretärin von United, der zweitgrößten Gewerkschaft Großbritanniens und dem größten Geldgeber der Labour-Partei, hat selbst damit gedroht, aus der Labour-Partei auszutreten, weil diese „für die Arbeitnehmer irrelevant“ werde und unter der Führung von Keir Starmer „den Arbeitnehmern ins Auge sticht“, wenn diese sich zu einem Streik entschließen.

Andererseits haben Starmer und die derzeitige Labour-Führung als brave Gefolgsleute des Großkapitals in der Arbeiterbewegung jeden auch noch so kleinen Hinweis auf Verstaatlichungen aus dem Programm gestrichen, die Corbyn wieder eingeführt hatte, obwohl mehr als 65 % der Bevölkerung die Verstaatlichung von Energie-, Wasser- [3], Verkehrs- oder Postunternehmen [4] unterstützen.

Die Bedingungen sind reif für einen Generalstreik!

Trotz der Angriffe durch die Konservative Partei und die gegenwärtige Labour-Führung sowie der Verleumdungskampagne der bürgerlichen Medien zeigen die kämpfenden Arbeiter außerordentliche Stärke und sie haben die Sympathie der Mehrheit der Bevölkerung, die am eigenen Leib unter der unaufhaltsamen Verarmung leidet.

Anstatt, wie im Juli, Bittbriefe an die Bosse und die Tory-Regierung zu schreiben, damit sie sich zu Verhandlungen bereit erklären, oder ohnmächtige Kampagnen für einen Mindestlohn von 15 Pounds zu starten, während sie sich in Wirklichkeit weigern, die Streiks zu verallgemeinern, müssen die Führung des TUC und die wichtigsten Gewerkschaften innerhalb des Verbandes jetzt einen Generalstreik ausrufen! Millionen auf der Straße, die die Wirtschaft und den Betrieb des Landes lahmlegen, wären ein vernichtender Schlag gegen die Bosse und würden endlich das Ende der maroden konservativen Regierung bedeuten.

Ein Generalstreik, der die Konflikte und Kämpfe, die sich Tag für Tag ausbreiten und vervielfachen, vereint, der von unten durch die Bildung von Streikkomitees in allen Sektoren und Betrieben aufgebaut wird, der mit den Bewegungen des zivilen Ungehorsams, die bereits organisiert werden, zusammenläuft und der mit einem revolutionären, sozialistischen Programm ausgestattet ist, das die Enteignung der Banken und der großen britischen Monopole vorschlägt, um diese Mittel für angemessene Löhne, Wohnraum, ein gutes öffentliches Gesundheitswesens und die Bildung einzusetzen. Niemand darf zwischen Essen und Heizung wählen müssen!

Die kämpferischen Gewerkschaften, wie die RMT, die Labour-Linke, Corbyn und Momentum, müssen jetzt eine Kampagne für diesen Generalstreik vorantreiben, damit er Wirklichkeit wird. Die Gründung der neuen Plattform „Enough is Enough“, die in London auf einer Großkundgebung ins Leben gerufen wurde und die bereits die Unterstützung von einer halben Million Menschen erhalten hat, ist ein Schritt nach vorn. Aber wir müssen den Worten Taten folgen lassen und aus den Fehlern lernen, die während dem Corbyn-Vorsitz gemacht wurden. Wir dürfen nicht alles dem institutionellen und parlamentarischen Weg anvertrauen und auf den militanten Kampf auf der Straße verzichten!

Wir haben die Kraft, die Tories zu stürzen und alle korrupten Gewerkschaftsführer, die es aufgegeben haben, für die Arbeiterklasse und die Unterdrückten zu kämpfen, aus den Gewerkschaften zu vertreiben. Aber dazu müssen wir eine revolutionäre linke Massenbewegung aufbauen, die marxistisch und internationalistisch ist und für das Programm des Sozialismus steht.

Die britische Arbeiterklasse ist nicht allein, sie hat die Sympathie, Solidarität und Unterstützung der übrigen europäischen Arbeiterklasse, die sich in einer ebenso katastrophalen Situation befindet. Kapitalismus mit menschlichem Antlitz ist nicht möglich, wir müssen die Fahne des internationalistischen und revolutionären Sozialismus hochhalten! Das ist der einzige Weg!

 

Anmerkungen:

[1] National Health Service, das nationale Gesundheitssystem im Vereinigten Königreich.

[2] Die Community Charge – wörtlich etwa „Gemeindesteuer“ –, auch bekannt als Kopfsteuer (Poll Tax), war eine Steuer, die jeden Bürger unabhängig von seinem Einkommen oder anderen persönlichen oder sozialen Umständen zur Zahlung eines gleichen Betrags zwang, wovon insbesondere die Arbeiterklasse und die ärmsten Schichten betroffen waren. Militant rief zu einer Kampagne des zivilen Ungehorsams auf, um die Steuer nicht zu zahlen, der sich Millionen von Menschen anschlossen. Die Kampagne des zivilen Ungehorsams und Hunderte von Massendemonstrationen führten schließlich zur Rücknahme der Poll Tax und zum Sturz von Margaret Thatcher.

[3] Im Falle der Wasserversorgung beispielsweise, die 1989 von Thatcher privatisiert wurde, wird das Ausmaß der Dürre durch veraltete Infrastrukturen verschärft, die das Ergebnis mangelnder Investitionen durch die Unternehmen sind, so dass ein Fünftel des Wassers durch Lecks und Brüche verloren geht und seit Jahrzehnten keine neuen Reservoirs gebaut wurden. Dasselbe gilt für die Eisenbahn, die von Thatcher und ihrem Nachfolger John Major privatisiert wurde. Die Privatisierungen wurden von der Labour-Partei unter Tony Blair und Gordon Brown nie rückgängig gemacht.

[4] https://www.survation.com/new-poll-public-strongly-backing-public-ownership-of-energy-and-key-utilities/.

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