Pedro Sánchez ist mit zwei Stimmen Vorsprung zum Präsidenten gewählt worden. Diese Tatsache spiegelt die tiefe politische Polarisierung wider, in die wir eingetaucht sind, und leitet eine heiße Legislaturperiode von historischer Bedeutung ein. Zum ersten Mal seit September 1936 kommt eine Koalition aus den beiden großen Parteien der reformistischen Linken, der PSOE und Unidas Podemos, an die Macht.

Für Millionen von linken Wählern ist die Bildung dieser Regierung nicht nur eine Erleichterung. Nachdem sie gesehen haben, was im Parlament passiert ist, empfinden viele Kämpfer und Aktivisten heute ein Gefühl der Entrüstung. Der Klassenhass der Rechten auf alles, was einen Schritt zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiterfamilien, in den Forderungen der unterdrückten Nationen und Völker, im Kampf gegen Gewalt an Frauen und für demokratische Rechte darstellt, hat sich mit all seiner Härte offenbart.

Was am 4., 5. und 7. Januar passiert ist, erinnert an die Parlamentssitzungen der Zweiten Republik, als Gil Robles und Calvo Sotelo ihre Putsch-Tiraden schmetterten. Dieselben Bezeichnungen als „Verräter“, „Terroristen“, „Kommunisten“, „Mörder“, „Separatisten“ und dieselbe Verachtung, die die Hauptrolle beim faschistischen Aufstand vom 18. Juli 1936 spielte und uns in eine blutige Diktatur stürzte. Sie sind die gleiche Oligarchie, verbunden durch eine gemeinsame Tradition.

Das Wüten der Führer von PP, Vox und Cs auf der Tribüne macht klar, dass sie keine Ruhe geben und alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen werden, um jede Maßnahme zu sabotieren, die ihren Interessen zuwiderläuft. Erst in diesen Tagen haben wir alle möglichen Manöver erlebt, von den Aufrufen zum Fraktionswechsel von Inés Arrimadas und dem Druck auf den einzigen Abgeordneten von Teruel Existe bis hin zur antidemokratischen Ungeheuerlichkeit des Zentralen Wahlausschusses (JEC), den Präsidenten der Generalitat de Catalunya für amtsunfähig zu erklären.

Das reaktionäre Pack wird sich nicht fügen

Jeder Anspruch, zwischen einer „vernünftigen" Rechten und der extremen Rechten zu unterscheiden, ist durch die Ereignisse widerlegt worden. Als Pablo Casado Sánchez drohte, ihn wegen Rechtsbeugung vor Gericht zu bringen, falls er Quim Torra nicht sofort entlasse, klaute er die Rede von Santiago Abascal, der die gleiche Drohung aussprach und forderte, die Guardia Civil solle den Präsidenten der Generalitat verhaften. Beide bezeichneten die Koalitionsregierung als „sozialkommunistisch“, sie würde das Land in den „bolivarischen“ Ruin führen und der „Freiheit“ ein Ende machen.

Die beiden wetteiferten um die gröbsten Beleidigungen. Der Führer der PP nannte Sánchez einen „Soziopathen“, warf ihm „Wahlbetrug“ und mangelnde „Legitimität“ vor, weil er „mit den Erben von Batasuna“ und den „Putschisten, die Spanien zerreißen“ paktiere. Der Vox-Führer nannte die Regierung „antispanisch und verfassungsfeindlich“ und nicht „legitim“. Erwähnung verdienen außerdem die Herabsetzungen gegen die Abgeordneten von Bildu, ERC oder JxC. Der spanisch-nationalistische Hass passte nicht mehr in den Plenarsaal.

Es gab eine millimetergenaue Kampagne unter Beteiligung der CEOE, der rechten Medien und natürlich der Bischofskonferenz, deren höchste Vertreter, Ricardo Blázquez, Erzbischof von Valladolid, und Antonio Cañizares, Erzbischof von Valencia, angesichts der „kritischen Situation, in der sich das Land befindet“, alle ihre Gemeindemitglieder aufriefen, „für Spanien zu beten“.

Die Koalitionsregierung

Es wäre ein Fehler, nicht zu verstehen, dass diese Koalition das Ergebnis der großen Massenmobilisierungen ist, die seit 2011 in Spanien stattfinden. Die Explosion vom 15. März und die Generalstreiks, die Wellen zur Verteidigung des öffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesens, die Märsche für die Würde, die Jugendmobilisierungen gegen den Klimawandel, die Massendemonstrationen der Rentner, die großen feministischen Streiks vom 8. März und die Bewegung des katalanischen Volkes für das Recht auf Selbstbestimmung und die Republik... haben den Sturz der alten politischen Elite bewirkt.

Aber wenn der Applaus, die brüderlichen Umarmungen und die Tränen der Rührung einmal vergessen sind, werden die Widersprüche, die sich in der Gesellschaft erhärtet haben, wieder die Bühne einnehmen. Dann eröffnen sich für Pedro Sánchez und Pablo Iglesias zwei Optionen: entweder die Kapitulation vor der Reaktion und den großen Wirtschaftsmächten, die hinter ihr stehen (dem Beispiel von Tsipras in Griechenland folgend), oder eine harte Konfrontation mit ihnen allen, um zugunsten der Arbeiter, Jugend und Ausgebeuteten zu regieren.

Deshalb ist es wichtig, sich an die kühnen Worte von Pablo Iglesias zu erinnern, als er erklärte, dass die neue Exekutive die „Erfahrung“ der Sozialisten mit „Frische“ von Unidas Podemos verbinden wird. Die „Erfahrung“ der PSOE in La Moncloa als Stütze des Regimes von '78 ist der Arbeiterbewegung und Jugend, den sozialen Aktivisten oder dem katalanischen und baskischen Volk nur zu gut bekannt. Wir vergessen ihre Politik der Kürzungen, Konterreformen und des schändlichen Einknickens vor dem spanischen Nationalismus nicht. Wird die Sozialdemokratie dank der Minister von Unidas Podemos ihren Kurs ändern?

Pablo Iglesias' Rhetorik über die „Frische“ von Unidas Podemos kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie seit Jahren die soziale Mobilisierung durch bloße institutionelle Beteiligung ersetzt haben und wenn sie wichtige Positionen an der Spitze großer Stadträte besetzt haben, haben sie die meisten der geweckten Erwartungen enttäuscht. Heute bekennen sie sich zur Verfassung und zeigen sich als unerschütterliche Anhänger desselben Regimes, das sie bis vor kurzem noch behauptet haben zu bekämpfen.

Und in diesen Kontext müssen wir das Programm der Koalitionsregierung und seine wahre Reichweite stellen. So sehr sie sich auch als Bruch mit früheren Politiken darstellen will, ihre Halbheiten und Beschränkungen stellen eine solche Sichtweise in Frage.

1. Im Bildungsbereich schlagen sie vor, das LOMCE durch das „Ley Celaá“ zu ersetzen und im Fach Religion nicht mehr zu bewerten. Aber die religiöse Indoktrination in den öffentlichen Schulen wird weitergehen, ebenso wie die Milliarden Euro im öffentlichen Haushalt, mit denen Privatunterricht subventioniert wird.

2. Es ist die Rede davon, die „schädlichsten“ Aspekte der Arbeitsreform von 2012 zu beseitigen, wie etwa Entlassungen aufgrund von krankheitsbedingten Fehlzeiten. Aber die Senkung der Kosten für Entlassungen, der Wegfall der Gehaltsansprüche bei unrechtmäßigen Kündigungen, die Abschaffung der Genehmigungspflicht, um betriebsbedingte Kündigungen durchzusetzen oder die Vertragsauflösung durch die Unternehmen werden nicht angetastet.

3. Die Einkommenssteuer wird für Einkommen über 130.000 Euro um zwei Punkte und für Einkommen über 300.000 Euro um vier Punkte erhöht, aber es werden keine bedeutenden Maßnahmen gegen Steuerbetrug ergriffen. Die Vereinbarung umfasst auch die Erhöhung des Mindestlohns während der Legislaturperiode, die „Nachhaltigkeit und Angemessenheit des öffentlichen Rentensystems“ im Rahmen des Toledo-Pakts - jedoch ohne die vorherigen Konterreformen aufzuheben - und verschiedene Maßnahmen zur „Eindämmung des Mietpreisanstiegs“, ohne die meisten davon zu konkretisieren.

4. Das Ausländerrecht bleibt so, wie es ist. Die Politik der Internierungslager für Immigranten wird fortgesetzt und die rassistischen und fremdenfeindlichen Rechtsvorschriften, die die EU gegen Flüchtlinge erlassen hat, werden respektiert.

5. Obwohl die „sofortige Rückgabe“ des Pazo de Meirás und eine Prüfung der „vom Franco-Regime geplünderten Vermögenswerte, um sie ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben“ vorgeschlagen wird, wird nicht von der Verfolgung der Verbrechen des Frankismus und der politischen und wirtschaftlichen Wiedergutmachung für seine Opfer gesprochen.

6. Einmal mehr werden allgemeine Vorschläge gegen Gewalt an Frauen, „Leihmutterschafts“-Agenturen und zur Verteidigung der Rechte von LGTBI gemacht. Aber 2019 endete mit der höchsten Zahl an ermordeten Frauen in den letzten Jahren.

7. Außerdem wird ein neues Gesetz zur Sicherheit der Bürger vorgeschlagen, welches das „Ley Mordaza“ (Knebelgesetz) ersetzen soll, dessen Kleingedrucktes noch abzuwarten bleibt, aber der Digital-Erlass, der einen Anschlag auf die Meinungsfreiheit darstellt, wird beibehalten.

8. Im wirtschaftlichen Bereich werden „die Mechanismen der Haushaltsdisziplin zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen“ eingehalten, mit anderen Worten: die von der Europäischen Union auferlegte Politik der Kürzungen und Sparmaßnahmen wird übernommen.

Nichts liegt uns ferner als uns in sektiererischer Herabsetzung zu üben, aber in der Politik müssen wir ernsthaft sein. Wer A sagt, wird unweigerlich B, C, D und den Rest des Alphabets sagen.

Das Recht des katalanischen Volkes auf Selbstbestimmung

Die Amtseinführung von Sánchez wäre ohne die Enthaltung der 13 Abgeordneten von Esquerra Republicana dank der Verständigung mit der Pro-Unabhängigkeitspartei nicht möglich gewesen. Dazu hat auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) beigetragen, das die repressiven Manöver des Obersten Gerichtshofs zurückweist und Junqueras, Puigdemont und Toni Comín als Abgeordnete des Europäischen Parlaments Immunität gewährt.

Die entscheidende Frage ist, was passiert, wenn die Zentralregierung und die Generalitat sich zu Verhandlungen zusammensetzen. Es ist mehr als offensichtlich, dass die derzeitige Führung der PSOE niemals die katalanische Republik oder das Recht auf Selbstbestimmung akzeptieren wird. Sie wird dies nicht tun, weil sie zu eng mit dem Regime von 78, dem Staatsapparat und der Bourgeoisie verbunden ist.

Die Führung der ERC denkt, dass dieser Pakt zusammen mit der Freilassung von Oriol Junqueras aus dem Gefängnis, um seine MdEP-Akte zu erhalten, und der Aussicht auf eine Situation der Halbfreiheit für den Rest der politischen Gefangenen auf mittlere Sicht die Gemüter beruhigen könnte. Aber diese Pläne kollidieren mit der frankistischen Justiz und der wütenden Kampagne, die die Rechte und Ultrarechte entfesselt. Sie unterschätzen auch das Niveau, das die Mobilisierung der Bevölkerung in Katalonien erreicht hat, und den Fortschritt im Bewusstsein von Hunderttausenden von Jugendlichen und Arbeitern, die nicht bereit sind, sich mit heißer Luft zu begnügen.

Nur die Mobilisierung auf den Straßen wird die Kürzungen stoppen, Rechte erkämpfen und die Frankisten besiegen!

Die spanische Bourgeoisie beklagt seit Jahren den Mangel an politischer Stabilität. Sie will nicht verstehen, dass dies der Preis für die Krise des Kapitalismus, die endlosen Kürzungen, die himmelschreiende soziale Ungleichheit und eine repressive Gesetzgebung ist, die sozialen Widerstand niederhalten und die demokratischen Rechte untergraben soll. Der wachsende Vertrauensverlust, der das Regime von '78 erschüttert, fällt nicht vom Himmel, sondern ist die Folge der explosivsten Periode des Klassenkampfes seit dem Ende der Franco-Diktatur.

Aber etwas am heutigen Zustand stimmt nicht. Es kann nicht funktionieren, wenn Pablo Casado und Santiago Abascal immer wieder an die Gesetzgebung von '78 appellieren, um den König hochleben zu lassen, und Sánchez und Iglesias anzugreifen, und letztere greifen auf dieselbe Verfassung zurück, um sich zu verteidigen. Dieses Spiel soll den Kern des Problems verbergen: Das aus der Zeit des Übergangs geborene Regime dient nicht zwei Herren. So sehr die parlamentarische Linke es auch leugnet, seine Funktion ist es, die Interessen der kapitalistischen Oligarchie und ihres Herrschaftsapparates zu schützen.

Die Führer von Unidas Podemos und PSOE wollen uns schon jetzt darauf vorbereiten, dass es bei der aktuellen Zusammensetzung des Parlaments unumgänglich sein wird, Zugeständnisse in zentralen sozialen und politischen Fragen zu machen. Und hier kommen wir zurück zu einem essenziellen Punkt. Es ist unmöglich, große soziale Veränderungen durchzusetzen, wenn man sich gleichzeitig von den Wechselbeziehungen der parlamentarischen Kräfte, dem institutionellen Spiel und den Gerichten abhängig macht, die in der Klassengesellschaft immer unter der festen Kontrolle der Kapitalisten stehen.

Genau das Gegenteil funktioniert. Um die parlamentarische Schwäche zu überwinden, und diese Regierung hat viel davon, ist es absolut notwendig, sich auf die Mobilisierung der Massen zu stützen. Indem wir eine große Bewegung auf den Straßen, in den Betrieben, in den Stadtvierteln aufbauen, die den Kampf aller Sektoren gegen die Politik der Kürzungen und Sparmaßnahmen, gegen die Repression und zur Verteidigung unserer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechte vereint, können wir die Reaktion niederringen.

Leider hat keiner der kommenden Minister von Unidas Podemos etwas in dieser Richtung erwähnt. Keiner von ihnen stellt die Rolle von Nadia Calviño in Frage, die aus dem Wirtschaftsministerium die Fortführung der Politik sichern wird, die am meisten dem IBEX 35, den Banken und der EU nützt. Ganz im Gegenteil. Es scheint so, dass sie, um ihre neue Regierungsposition zu sichern, versuchen werden, den sozialen Frieden zu wahren, wie sie es bereits tun, indem sie sich gegen den Generalstreik am 30. Januar im Baskenland stellen und den unsozialen Haushaltsplänen der PNV im baskischen Parlament zustimmen. Das ist ein schwerer Fehler.

In den kommenden Monaten werden viele Widersprüche die neue Regierung einholen, wenn sie die Quadratur des Kreises versucht und in Konflikt mit ihrer sozialen Basis gerät. Aber Naivität und blindes Vertrauen sind einer kritischeren und bewussteren Haltung gewichen, zumindest unter wichtigen Schichten der neuen Generation von Kämpfern. Die Welt hat stark verändert, und 2019 ist ein gutes Beispiel dafür. Die Aufstände in Chile, Ecuador, Kolumbien, Algerien, Libanon, Irak... oder der Generalstreik der französischen Arbeiterklasse zeigen, dass es die Kraft und Entschlossenheit gibt, sich nicht nur der extremen Rechten und der neoliberalen Politik entgegenzustellen, sondern auch die Gesellschaft zu verändern.

Pablo Iglesias erklärte bei der Vorstellung des Regierungsprogramms, dass „die grundlegende Herausforderung darin besteht, das 'Sí se puede' (Yes we can) in eine aktive Regierungspolitik umzusetzen“. Wir nehmen ihn beim Wort.

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