Die Staats- und Regierungschefs der G7 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA), angeführt von Joe Biden, verkündeten bei ihrem letzten Treffen ein angeblich „historisches Abkommen“, dass die Besteuerung der großen kapitalistischen Multis vorsieht und die Steueroasen „in Schach halten“ soll.

Sofort folgte eine donnernde Propagandakampagne, die diesen „Wendepunkt“ des Kapitalismus bewarb, der nun Wohlstand, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit in alle Ecken des Planeten bringen wird. Riesige Schlagzeilen, die unverblümt behaupteten, die Reichen werden endlich Steuern zahlen, eröffneten die Nachrichten und dominierten die Titelseiten der Presse.

Viele reformistische Führer der Linken beeilten sich, sich dieser Kampagne anzuschließen und wurden nicht müde, dieses Abkommen als „historisch“ und als „mutige Entscheidung“ zu betonen.

Entsprechend ihrem jeweiligen Grad der Assimilation und Integration in die Politik des herrschenden Systems tragen die Führer der „Neuen Linken“, von Unidas Podemos über DIE LINKE und Syriza bis hin zu Bernie Sanders und Ocasio-Cortez, dazu bei, dieser dreisten Maskerade, die von denselben Mächten vorbereiten wird, die für die aktuelle soziale Katastrophe überhaupt erst verantwortlich sind, einen Schein von Legitimität zu geben.

Sie wollen uns wieder zum Narren halten

Es ist sehr bezeichnend, dass sich keines der multinationalen Unternehmen und keine der Banken oder Firmen, die von diesen angeblichen Maßnahmen betroffen wären, beschwert hat. Facebook, für seine konstante Steuerflucht bekannt, hat die G7 zu ihrer Entscheidung sogar beglückwünscht. Goldman Sachs, einer der großen amerikanischen Investmentkonzerne, versicherte seinen Kunden, dass höchstens 1% bis 2% von den Unternehmensgewinnen des S&P 5001 betroffen wären.

Wie ist es möglich, dass die großen Steuerhinterzieher so ruhig bleiben?

Es reicht aus, sich den Inhalt des Vorschlags genau anzuschauen. Eine 20-prozentige Steuer soll auf die Gewinne der größten und profitabelsten Unternehmen angesetzt werden, aber auf der Grundlage des Einkommens in dem betreffenden Land und nur, wenn die Gewinnspanne höher als 10% ist. Dies wird viele der Giganten des globalen Kapitalismus ausschließen. Amazons Gewinnspanne beispielsweise betrug 2020 6,3% (so behaupten sie zumindest) und bei den vielen anderen Monopolisten sieht es ähnlich aus. Sie alle haben auf ihren Gehaltslisten ganze Legionen von Beratern und ehemaligen hochrangigen Beamten aus Verwaltung und Regierung, die alle möglichen Tricks aushecken, um Steuern zu umgehen.2

Die zweite „durchschlagende Maßnahme“ ist die Einführung einer globalen Mindeststeuer von 15% für große internationale Unternehmen. Von den 36 Ländern, die die OECD bilden, haben jedoch nur 3 Länder eine Durchschnittsteuer von weniger als 15% (Irland mit 12,5%; Ungarn mit 9% und die Schweiz mit 8,5%). Was diese „globale Mindeststeuer“ also tatsächlich bewirkt, ist eine Senkung der realen Steuersätze unter den bisherigen Durchschnitt der OECD-Länder (21,5%).

Es waren noch nicht einmal ein paar Tage seit dieser verlogenen Ankündigung vergangen, da wurde bereits über zahlreiche Ausnahmen nachgedacht. Die britische Regierung von Boris Johnson, Gastgeber des Treffens, hat bereits vorgeschlagen, dass der gesamte Finanzsektor, der in der Praxis als Steueroase fungiert, ausgeschlossen werden sollte.3 Die OECD fordert außerdem, dass „Investmentfonds, Pensionsfonds und Staatsfonds“ nicht unter das Abkommen fallen und Ausnahmen für Gewinne aus Bodenschätzen, Finanzdienstleistungen, Bauwesen, Immobilien, internationalen Fluggesellschaften und der Schifffahrt gemacht werden sollen.

Die chinesische Regierung möchte bewirken, dass ihre Sonderwirtschaftszonen ausgenommen werden und sehr niedrige Unternehmenssteuern beibehalten können, um weiterhin ausländische Investitionen anzuziehen.4 Das zeigt, dass der Katalog an Ausnahmen in den Sektoren, in denen die großen kapitalistischen Monopole besonders tätig sind, so breit ist, dass dieses Abkommen von Anfang an eine Totgeburt ist.

Natürlich durfte das Kleingedruckte bei einem solchen Manöver nicht fehlen: Joe Biden hat es geschafft, die von mehreren europäischen Ländern (u.a. Spanien, Frankreich, Großbritannien und Italien) beschlossenen „Digitalsteuern“ zu beseitigen, so dass sich die großen amerikanischen Tech-Riesen Facebook, Google, Microsoft etc. keine Sorgen machen müssen und wie bisher massiv Steuern hinterziehen können.

Das Ende der Steuerparadiese?

Zu glauben, dass in der kapitalistischen Marktwirtschaft Steueroasen abgeschafft werden können und dass dieselben Regierungen, die sie fördern, schützen und ausnutzen dies tun werden, ist einfach lächerlich. Steueroasen sind ein wichtiger Bestandteil der globalen kapitalistischen Wirtschaft.

Biden selbst ist seit mehr als 30 Jahren Senator für den Bundesstaat Delaware, eine Steueroase im Herzen der USA mit mehr Unternehmen als Einwohnern.5 67,8% der 500 größten Unternehmen nach dem Ranking der Zeitschrift Fortune haben ihren Hauptsitz in diesem Bundesstaat. Andererseits ist Biden bisher nicht auf die Idee gekommen, die sogenannte GILTI-Steuer abzuschaffen, die von Trump eingeführt wurde und die die gesamten Vereinigten Staaten auf das Niveau eines einzigen großen Steuerparadieses stellt.6

Joe Biden ist nichts anderes als ein Vertreter der Wall Street, obwohl die gesamte reformistische Linke unaufhörlich versucht, seine Politik zu beschönigen und ihn als Vorkämpfer der Unternehmenssteuer darzustellen.

Der sogenannte Kampf gegen Steueroasen war schon immer ein waschechter Betrug, ein Publicity-Gag, um den Menschen vorzugaukeln, dass in einer Ära der strukturellen Ungleichheit etwas gegen die obszöne Anhäufung von Profiten durch die herrschende Klasse unternommen wird.

Vor nicht allzu langer Zeit erstellte die OECD eine Liste von Ländern mit „schädlicher Besteuerung“, die aber diejenigen Länder außenvor ließ, die tatsächlich für 98% des Steuermissbrauchs weltweit verantwortlich sind. Diese Liste sollte die Steueroasen im engeren Sinne definieren, aber die auf ihr als „schädlich“ eingestuften Länder zeigten sich insgesamt nur verantwortlich für die Hinterziehung von 5 Milliarden, während diese in den restlichen Ländern, die von der OECD als „nicht-schädlich“ eingestuft wurden, mehr als 239 Milliarden betrug.7

Das Gleiche gilt für die EU, deren „Schwarze Liste“ von Steuerparadiesen nur für 2% der Steuerausfälle ihrer Mitgliedsländer verantwortlich ist. Sogar die Kaimaninseln, die zweitgrößte Steueroase der Welt, wurden 2020 von der schwarzen Liste der EU gestrichen.

Das ist Kapitalismus! Die Reichen zahlen nicht, und sie werden auch nicht zahlen!

Solche Steueroasen sind ein grundlegender Teil der kapitalistischen Wirtschaft. Sie bieten den weltweiten Milliardären einen Rahmen, um ihr Vermögen sicher und mit voller Unterstützung und Komplizenschaft ihrer jeweiligen Regierungen aufzubewahren.

Es ist nicht wahr, dass die staatlichen Regierungen im Angesicht einiger der großen multinationalen Konzerne machtlos geworden sind, wie einige Linke behaupten. Was stimmt ist vielmehr, dass der Staat selbst nicht neutral ist: er ist ein Instrument der Kapitalisten selbst, er dient der herrschenden Klasse, sichert ihre Interessen und Profite, auch wenn das auf Kosten der allgemeinen Verelendung der Gesellschaft geschieht. So war es schon immer und so ist es auch jetzt.

Deshalb haben die kapitalistischen Regierungen seit Jahrzehnten die Steuerlasten für große Vermögen konstant gesenkt. Der durchschnittliche Unternehmenssteuersatz in den OECD-Ländern ist von 45% im Jahr 1980 auf 32,2% im Jahr 2000 gesunken und liegt heute bei 23,3%. Eine Entwicklung, die von Kürzungen, Privatisierungen, der Zerstörung des Sozialstaates und dem Zusammenbruch der Löhne und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse begleitet wurde. Sie ist weder ein Fehler noch eine Folge von Missmanagement, sondern vielmehr Teil der natürlichen Dynamik und Funktionsweise des kapitalistischen Systems.

Der jüngste Leak von Steuerdaten zahlreicher amerikanischer Tycoons hat gezeigt, wie weit wir gekommen sind. Die 25 reichsten Amerikaner der Welt haben laut Forbes ihr Vermögen zwischen 2014 und 2018 um 401 Milliarden Dollar steigern können, aber nur 13,6 Milliarden Dollar oder 3,4% Steuern zahlen müssen. Warren Buffet zahlte 0,10% an Steuern, Jeff Bezos 0,98% und Michael Bloomberg 1,10%.

Wir sind mit einer Propagandakampagne konfrontiert, die uns weismachen will, dass eine Reform des Kapitalismus möglich ist und dass die großen Kapitalisten und Konzerne bereit sind, einen Teil ihrer schwindelerregenden Gewinne für das Gemeinwohl zu opfern. Dass auch „progressive Regierungen“ wie die Regierungskoalition im spanischen Staat oder Teile der linken Formationen wie Unidas Podemos oder die LINKE dieses Märchen aufgreifen, ist einfach bedauerlich.

Es ist vollkommen öffentlich, wie beispielsweise die großen spanischen Magnaten Milliarden von Euros an Steuern hinterziehen und es wird rein gar nichts unternommen. Sechs große Unternehmen des Ibex35 (Iberdrola, Telefonica, ACS Group, Repsol, BBVA und Santander) haben in den letzten Jahren mindestens 2,14 Milliarden Euro hinterzogen. Warum geht die Regierung nicht mit aller Kraft gegen diese Plutokraten vor? Warum verstaatlichen sie nicht den Reichtum, den sie unrechtmäßig horten? Wäre das nicht das beste Beispiel, um zu zeigen, dass es eine Alternative zum Kapitalismus und seinem Elend gibt?

Die Verpflichtung derjenigen von uns, die danach streben, die Gesellschaft zu verändern, besteht darin, die Wahrheit aufzudecken und das Bewusstsein der Unterdrückten voranzutreiben. Biden oder die G7-Regierungschefs zu decken, die für das Elend von Millionen von Arbeitern und Jugendlichen auf der ganzen Welt verantwortlich sind, ist nicht nur ein Fehler, sondern ein Hindernis für die tatsächliche Veränderung der Gesellschaft. Es ist an der Zeit, mit Nachdruck die Verantwortlichen hinter der kapitalistischen Katastrophe aufzudecken und ihren obszönen Privilegien ein für alle Mal ein Ende zu setzen.

 

[1] Aktienindex der 500 größten US-Unternehmen.

[2] https://home.kpmg/us/en/home/insights/2021/06/tnf-kpmg-report-analysis-observations-tax-measures-g7-communique.html.

[3] Die 3 wichtigsten Steueroasen der Welt sind die britischen Territorien Virgin und Cayman Islands und Bermuda, die eine zentrale Rolle für das Funktionieren von London City spielen.

[4] https://www.reuters.com/business/finance/exception-rule-g7-deal-tax-triggers-carve-out-talk-2021-06-10/.

[5] In dem Staat existieren 1,5 Millionen Unternehmen, im Vergleich zu 1 Million Einwohnern.

[6] Auf die Auslandsgewinne großer internationaler nordamerikanischer Unternehmen, die in die Vereinigten Staaten zurückgeführt werden, werden Steuersätze zwischen 10,5% und 13% veranschlagt.

[7] https://www.taxjustice.net/press/la-clasificacion-de-paraisos-fiscales-muestra-que-los-paises-que-establecen-las-normas-fiscales-mundiales-hacen-lo-posible-para-ayudar-a-las-empresas-a-ignoralas/

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