Der Internationale Währungsfond hat in seinem Juni-Bericht die Wachstumsprognose der USA von 2,3 auf 2,6% nach oben korrigiert. Gleichzeitig warnte es vor den „problematischen“ sozialen Indikatoren des amerikanischen Giganten, wie der wachsenden Anzahl an Armen, deren Anzahl mittlerweile auf 45 Millionen, 14 Prozent der Gesamtbevölkerung angewachsen ist.

Der Niedergang der Lebensbedingungen der amerikanischen Arbeiterklasse und einem großen Teil der Bevölkerung, beschleunigt durch die Folgen von drei Jahren Trumpscher Politik, steht im krassen Gegensatz zur obszönen Anhäufung ungeheuren Reichtums durch eine winzige Minderheit von Milliardären und ist Öl im Feuer der politischen Polarisierung, die die amerikanische Gesellschaft erschüttert.

Eine Welle von Streiks: Die Arbeiterklasse nimmt den Kampf auf

„Mindestens 40% der Leute, die zu uns kommen arbeiten. Sie haben zwei oder drei Jobs, sie haben Kinder, versuchen einen Schlafplatz auf irgendeiner Couch zu bekommen, wohnen in verlassenen Häusern oder in ihren Autos. Sie kommen hierhin zum essen und gehen zur Arbeit.“ Das berichten die Betreiber von Essensausgaben für die Obdachlosen in Atlanta. Mittlerweile sind 46 Millionen Amerikaner auf Tafeln angewiesen, 30% mehr als 2007. Die Jobs, die in den letzten Jahren entstanden sind, sind prekär und haben dem Phänomen „Arm trotz Arbeit“ neuen Aufschwung gegeben.

Durch diese Not ist die Menge von Konsumkrediten sprunghaft angestiegen. Laut der Federal Reserve Bank, der amerikanischen Zentralbank, liegt die Höhe der Verschuldung bei privaten Haushalten mit 13,7 Milliarden Dollar über dem vorherigen Höhepunkt 2008 während der Bankenkrise.

Gefangen in dieser Situation beteiligen sich größere Teile der amerikanischen Arbeiterklasse an wichtigen Auseinandersetzungen. Tatsächlich wurden letztes Jahr so viele Streiks geführt wie seit 1968 nicht. Das Startsignal kam von den Lehrern in West Virginia. Trotz der Gesetze des Bundesstaates, die eigentlich Streiks im öffentlichen Sektor verbieten, legten sie für neun Tage ihre Arbeit nieder und konnten eine Lohnerhöhung von 5% durchsetzen. Inspiriert durch diesen Sieg begannen auch in den Schulen in Arizona, Colorado, Oklahoma, North Carolina, Kalifornien und Chicago die Angestellten für eine Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen zu kämpfen.

Häufig standen den Streikenden dabei nicht nur ihre Arbeitgeber, sondern auch die Führung ihrer eigenen Gewerkschaften gegenüber. Diese versuchten häufig vorschnell faule Kompromisse mit den Bossen zu erreichen, ohne die Kampfkraft ihrer Mitglieder zu nutzen. Ein Beispiel ist die Chicago Teachers Union, die eine schwache Vereinbarung traf und den Streik gegen den aktiven Widerstand von fast der Hälfte der Lehrer abbrach.

Dieselbe Situation lies sich bei den historischen Streiks bei General Motors beobachten, die am 16. September begannen. Sechs Wochen Streik, an denen sich circa 50.000 Arbeiter beteiligten, konnten 33 Fabriken und 22 Logistikzentren lahmlegen. Die Führung der Gewerkschaft UAW verteidigte die Beendigung des Streiks, obwohl trotz einiger Verbesserungen für einen Teil der Belegschaften GM nicht von seinem Vorhaben mehrere Betriebe stillzulegen abgerückt war. 57% der Streikenden akzeptierten die Einigung, da kein Plan, den Kampf fortzuführen vorlag, obwohl die Opposition dagegen, insbesondere bei den schlechter bezahlten Beschäftigten und denjenigen im von der Schließung bedrohten Wrerk in Lordstown (Ohio), in dem 80% gegen den Plan stimmten, stark war.

Sozialisten in den USA? Das Phänomen Sanders wächst weiter

Dieser Anstieg an offenen Klassenkämpfen zeigt eindeutig wie tief die Grundfesten der amerikanischen Gesellschaft erschüttert sind. Sie sind der treibende Faktor hinter der Popularität von Bernie Sanders, der als einziger Kandidat der Demokraten echtes Interesse und Beteiligung an den Streikbewegungen gezeigt hat. Auch die breite Unterstützung, die der Senator von lokalen und nationalen Basisgewerkschaftern aus verschiedensten Sektoren erhält, spiegeln diesen Umstand wider. Die breite Bewegung um Sanders beunruhigt die Eliten der USA – allen voran die seiner eigenen Partei, die nun die soziale Unruhe durch das Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump zu kanalisieren.

Schon während der Wahlkampagne um den Präsidentschaftskandidaten 2016 erschütterte Sanders Erfolg – mit mehr als 13 Millionen Wählern auf seiner Seite und Siegen in 22 Staaten gegen die Bürokratie der Demokraten – das Machtgefüge der Partei und eröffnete vielen neuen, linken Kandidaten wie Alexandria Ocasio-Cortez eine Bühne, auf der sie für ihre sozialen Anliegen kämpfen können. Ein besonderes Beispiel ist der Fall von Kshama Sawant, die gerade ihre Wiederwahl in den Stadtrat von Seattle gegen Egan Orion, in den der in Seattle fast allmächtige Konzern Amazon hunderttausende Dollar investiert hatte. Dreh- und Angelpunkt ihrer Kampagne war die Forderung, die desaströsen Sozialbehörden der Stadt durch Besteuerung der größten Konzerne zu finanzieren.

Der Kandidat des Establishments der demokratischen Partei wird Exvizepräsident Joe Biden und auch viele liberale Medien sind weiterhin auf seiner Seite. Trotz der Unterstützung des Apparats liegt er in den Umfragen momentan nur bei 28% [1], und damit nur vier Prozent vor Sanders. Der dritte Kandidat mit Erfolgsaussichten ist Elisabeth Warren, die sich mit dem von ihr propagierten Bild als „feministische, progressive und vernünftige“ Kandidatin im Gegensatz zu Sanders angeblichem „Radikalismus“ zu profilieren versucht.

Diese Daten verschleiern die spektakuläre Unterstützung die Bernie Sanders von Basisaktivisten erhält. Als er seine Kandidatur im Februar 2019 ankündigte, erreichte er 6 Millionen Dollar Spenden von 225.000 Kleinspendern in 24 Stunden. Bei seinen Kundgebungen kamen mehr Zuhörer als bei jedem anderen Kandidaten, in Oktober in Queens etwa mehr als 25.000.

Die Arbeiterklasse braucht eine Partei

Sanders großer Erfolg ist es, die Bedürfnisse der arbeitenden Klasse wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Seine Grenzen sind auf der einen Seite sein Programm, das eher sozialdemokratisch anmutet und keinen Bruch mit dem Kapitalismus fordert, zum anderen seine Weigerung mit der Demokratischen Partei zu brechen, und das trotz der bürokratischen Manöver und Hinterzimmertaktiken, die ihn 2016 die Kandidatur gegen Hillary Clinton gekostet haben. Auch im Falle eines Sieges bei den Vorwahlen haben Clinton und andere Funktionäre angedeutet, sie würden Sanders nicht unterstützen, wenn er bei der Präsidentschaftswahl gegen Donald Trump zur Wahl stände. Diese Ankündigung zeigt, wie wenig Zugeständnisse eine im Kern bürgerliche Partei einer Politik im Sinne der Arbeiter machen kann und will, auch wenn sie sich hundert mal als „progressiv und fortschrittlich“ bezeichnet.

Alle diese Erfahrungen zeigen das Potential und die Notwendigkeit eine echte Arbeiterpartei mit einem sozialistischen Programm in den USA zu organisieren. Die Vertiefung der kapitalistischen Krise und der Aufschwung der Klassenkämpfe öffnen weite Schichten der arbeitenden Bevölkerung für diese Aufgabe. Sollte es nicht gelingen eine politische Vernetzung und Führung herzustellen, ist zu befürchten, dass die Arbeitskämpfe auf lokaler Ebene versanden und an ihrer Zersplitterung scheitern.

 

 

[1]: Stand 28.1.2020, RealClearPolitics Average

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