30 Jahre nach der sogenannten „Wiedervereinigung“ 1989/90 läuft die kapitalistische Propaganda auf Hochtouren. Doch für die meisten ist die Bilanz dieser 30 Jahre mehr als ernüchternd und die Unterschiede zwischen Ost und West sind noch immer deutlich spürbar. Grund hierfür ist nicht die „Mangelwirtschaft“ der DDR, im Gegenteil: nach der Vereinigung wurden die volkseigenen DDR-Betriebe den westlichen Investoren zum Fraß vorgeworfen.

Unter Verwaltung der Treuhand wurde massiv privatisiert und im Profitinteresse der neuen Inhaber knapp 80% der bestehenden Arbeitsplätze vernichtet!

Diese kollektive Erfahrung, die die Arbeiterklasse im Osten seitdem gemacht hat, ist der Schlüssel, um die zunehmende Verachtung für das politische „Establishment“ zu verstehen. Ohne genau zu analysieren, was die DDR war und unter welchen Bedingungen sie entstanden ist wird es unmöglich sein, darauf aufbauend eine klassenkämpferische Linke aufzubauen.

Der Sieg der Roten Armee

Die Teilung Deutschlands war eine direkte Folge aus dem Zweiten Weltkrieg. Als am 2. Mai 1945 die siegreiche Rote Armee Berlin einnahm, hatte die Sowjetunion bereits einen Großteil des deutschen Ostens besetzt und war am 25. April das erste Mal auf die West-Alliierten gestoßen.

Doch die Sowjetunion war zu dem Zeitpunkt des Zweiten Weltkrieges schon kein Arbeiterstaat mehr, wie ihn die ursprünglichen bolschewistischen Revolutionäre Lenin und Trotzki erkämpft hatten. Unter dem Einfluss der Isolation der Revolution in einem rückständigen Agrarland wie Russland und der Zerstörung des Bürgerkriegs entwickelte sich eine bürokratische Kaste unter der Führung Stalins, die sich durch ihre Posten in der Verwaltung der staatlichen Wirtschaft Privilegien und politische Macht sichern konnte.

Unter diesem Eindruck analysierte der ins Exil geflüchtete Leo Trotzki die UdSSR als „degenerierten Arbeiterstaat“. In ihm war die kapitalistische Produktion abgeschafft: die Produktionsmittel befanden sich in staatlicher Hand, die Anarchie des kapitalistischen Wettbewerbs war durch einen Wirtschaftsplan abgelöst worden und ein staatliches Außenhandelsmonopol aufgebaut – ein gewaltiger Fortschritt, den jeder Arbeiter in der Sowjetunion spüren konnte. Doch anstatt echter Arbeiterdemokratie in der Form von Räten, lag die politische Herrschaft in den Händen der Bürokratie.

Das ist von entscheidender Bedeutung für die deutsche Geschichte. Daraus folgte, dass die Bürokratie auch in den besetzten Ländern im Schatten der Roten Armee ebenso wie in der Sowjetunion den Kapitalismus abschaffen und eine staatliche Planwirtschaft einführen musste; eben darin lag die Quelle ihrer Macht. Doch dies musste „von oben herab geschehen“, sodass diese neuen Arbeiterstaaten nie das Stadium einer gesunden Arbeiterdemokratie durchmachten, sondern von Anfang an „deformiert“ waren.

Die Gründung der DDR

Nach den Konferenzen von Jalta und Potsdam wurde Deutschland unter den Siegermächten aufgeteilt. Doch anstatt die günstige Position in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zu nutzen und in Ostdeutschland – wo sich viele ehemalige „Rote Hochburgen“ befanden – an die Schaffung von starken kommunistischen Organisationen zu gehen, die zusammen mit der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) die Agitation unter den Arbeitern der restlichen Besatzungszonen betreiben und eine deutsche Revolution hätten vorbereiten können, stellte die Sowjetunion zunächst enorme Reparationsforderungen an die SBZ, die die dortige Arbeiterklasse empfindlich trafen. Gegen Selbstorganisation unter den Massen, der Gründung von Räten in verschiedenen Betrieben und antifaschistischen Komitees in den Nachbarschaften wurde sogar aktiv vorgegangen!

Stalin schwebte zunächst eine kapitalistische Republik auf deutschem Boden vor, die als Puffer zu den Westmächten dienen sollte. Doch die westlichen Imperialisten hatten ihre Strategie längst festgelegt. Sie verstanden genau, dass es auf Dauer keine harmonische Koexistenz zwischen einem Arbeiterstaat – egal wie degeneriert er sein mag – und dem globalen Imperialismus geben konnte.

Ihre westdeutschen Besatzungszonen sollten zu einem neuen, starken kapitalistischen Staat werden, der als Bollwerk gegen den Bolschewismus dienen und zukünftiger Militärpartner werden konnte. Sie arbeiteten unaufhörlich an der Teilung Deutschlands und bereiteten mit dem amerikanischen Marshallplan den Boden einer schnellen wirtschaftlichen Entwicklung und (zumindest vorerst) der Befriedung der westdeutschen Arbeiterklasse.

Die Währungsreform und schließlich die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik 1949 waren Reaktionen auf die Einführung der D-Mark und die Gründung der BRD im Westen. Gleichzeitig zwang der massive Druck und die Erwartungshaltung der ostdeutschen Arbeiterklasse, so wie die Notwendigkeit, ihre eigene Macht zu zementieren, die Bürokratie, die Wirtschaft der DDR nach dem Vorbild der Sowjetunion zu formen: die Produktionsmittel wurden verstaatlicht, die kapitalistische Produktion hörte in einem beträchtlichen Teil Deutschlands auf zu existieren.

Der fortschrittlichste Staat auf deutschem Boden!

Man kann den enormen Fortschritt, den dies bedeutete, kaum überbetonen. Während in der BRD die „Entnazifizierung“ eine reine Farce blieb (und viele der Alt-Nazis bald gegen den Ostblock eingesetzt werden sollten), wurden in der DDR konsequent der Besitz und die Unternehmen von Nationalsozialisten enteignet. Der Grundbesitz des preußischen Junkertums, eines parasitären Überbleibsels des alten deutschen Adels, wurde in einer Landreform bereits 1946 abgeschafft.

Die kleinteilige landwirtschaftliche Produktion, die gerade in Mecklenburg-Vorpommern vorherrschend war, wurde in kollektiven „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“ zusammengefasst. Die ehemaligen kapitalistischen Industrieunternehmen in Ost-Berlin oder Sachsen-Anhalt wurden zu „Volkseigenen Betrieben“. Innerhalb weniger Jahre wurde der wirtschaftlich unterentwickelte und vom Rest Deutschlands abhängige Osten auf der Basis der Planwirtschaft zum „Wirtschaftswunderland des Ostens“. Der Aufbau einer eigenständigen industriellen Infrastruktur und Energieversorgung wurde unaufhaltsam vorangetrieben.

Diese Wirtschaftsleistung floss nicht, wie im Kapitalismus, als Profit in die Privatvermögen einer Kapitalistenklasse, sondern kam dem arbeitenden Volk zugute. Die Warmmieten der massenhaft neugebauten Wohnungen wurden gesetzlich festgelegt, auf, im Vergleich zu heute, beinahe lächerlich niedrige Beträge, sodass Obdachlosigkeit quasi ausgerottet wurde. Jedem DDR-Bürger wurde ein Recht auf Arbeit zuteil: Nach den polytechnischen Ausbildungen musste man sich keine Sorge machen, keine Arbeit zu finden, und gekündigt werden durfte nur, wenn ein anderer Arbeitsplatz frei war. Fast in jedem größeren Betrieb wurden Kita-Plätze und Mensen zu erschwinglichen Preisen eingerichtet und auch außerhalb der Arbeit waren die Lebensmittelpreise in der DDR deutlich niedriger als im Westen.

Deformierter Arbeiterstaat

Diese sozialen Fortschritte in der DDR wurden nicht dank der bürokratischen Führungsriege an den Spitzen von SMAD/KPD und später SED erreicht, sondern trotz ihr. Wie in der Sowjetunion unter Stalin wurden die Ansätze von tatsächlicher Arbeitermacht und Rätedemokratie brutal unterdrückt. Nach der Zwangsfusion von KPD und SPD zur SED wurden alle oppositionellen Kommunisten aus ihren Reihen gesäubert und mit der berühmten Behörde für Staatssicherheit (Stasi) ein Unterdrückungsapparat geschaffen, der einem Arbeiterstaat unwürdig ist.

Doch ohne die Kontrolle und Beteiligung der Beschäftigten machte sich die Planwirtschaft anfällig für Missmanagement und Korruption. Die Parteibürokraten konnten sich zunehmend Privilegien sichern. Diese bürokratische Schicht konnte sich immer mehr ausbreiten: 1950 waren bereits über 100.000 Parteikader in bezahlten Positionen im „Staatsdienst“; Rechenschaftsplicht und demokratische Kontrolle herrschte, wenn überhaupt, nur auf den unwichtigsten Posten.

Die Existenz dieser Bürokratie ist der beste Beweis für die Richtigkeit einer marxistischen Analyse der DDR als „Deformierter Arbeiterstaat“. Sie war nicht der Träger des „Aufbau des Sozialismus in einem Land“, wie die Stalinisten behaupten, und auch nicht die notwendige Folge aus dem „real existierenden Sozialismus“, wie es uns die bürgerliche Geschichtsschreibung weis machen will, sondern die Folge aus der Isolation der Revolution und der Degeneration von Teilen der Kommunistischen Partei. Die Bürokraten an sich und die Möglichkeit der Existenz einer solchen privilegierten Kaste standen im Gegensatz zu den revolutionären Kommunisten und der Arbeiterklasse und behinderten jeden weiteren Schritt in Richtung Sozialismus.

Aufstand und Ausverkauf

Mit dem Fortschreiten der Wirtschaft in der DDR musste das Fehlen einer tatsächlichen demokratischen Planung immer mehr ins Gewicht fallen. Die Bürokratie offenbarte mehr und mehr ihren parasitären Charakter als Hemmnis jeder weiteren Entwicklung der Produktivkräfte. Die DDR reihte sich in die zunehmende wirtschaftliche Krise des Ostblocks ab den 1980ern ein.

Gleichzeitig prallten die hohen Erwartungen der Arbeiterklasse gegen das stalinistische Regime und die offensichtlichen Unterschiede in den Lebensbedingungen von normalen Arbeitern und Parteibürokraten. Schon 1953 kulminierte die Unzufriedenheit in einer Welle von Demonstrationen und Streiks. Ähnlich wie die anfänglichen Proteste 1989 trieb den größten Teil der Demonstranten nicht der Wunsch auf eine Rückkehr zum Kapitalismus auf die Straße, sondern ihr Aufbegehren gegen die Herrschaft der Bürokratie. Nach der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstandes 1953 verselbstständigte sich der Prozess der Entfremdung großer Teile der Arbeiterklasse von „ihrem“ Staat. Es kam zur massenweisen Emigration in den Westen, statt tiefgreifender Reformen reagierte die Bürokratie mit dem Bau der Mauer 1961 und der Verschärfung der Repression.

Leo Trotzki sah die Katastrophe voraus: wenn es der Arbeiterklasse nicht gelingen würde, das bürokratische Regime durch eine politische Revolution zu stürzen, würde die Bürokratie das Grab für die Errungenschaften der russischen Revolution (und der Revolutionen in der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg, die Trotzki nicht mehr erlebte) schaufeln. Für Deutschland hieß das: die Wiedervereinigung konnte nur auf der Basis eines revolutionären Sturzes der Bürokratie im Osten und der Bourgeoisie im Westen und des Aufbaus einer gesamtdeutschen Sowjetrepublik, oder der kompletten Vernichtung jeglicher Errungenschaften der DDR und ihrer Einverleibung durch den Westen geschehen.

Welche von den beiden Möglichkeiten eingetreten ist, ist bekannt und soll heutzutage auch noch „gefeiert“ werden. Das Erbe der DDR wurde nach der Wende komplett zunichte gemacht. Wenn sich heute ein ostdeutscher Arbeiter mit Wehmut an diese „andere“ Zeit erinnert, dann hat das nichts mit einfältiger „Ostalgie“ zu tun, sondern mit dem richtigen instinktiven Verständnis, dass die DDR trotz allem ein völlig anderer Staat war als das heutige Deutschland: ein Arbeiterstaat.

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