Der folgende Text ist als Editorial der Februar/März-Ausgabe unserer Zeitung Offensiv erschienen.
„Die Bundesregierung, die jetzt unter meiner Führung ihre Arbeit aufnimmt, wird eine Fortschrittsregierung sein“, so kündigte es Olaf Scholz am 15. Dezember letzten Jahres in seiner Regierungserklärung im Bundestag an. Am 7. Dezember wurde der Koalitionsvertrag von den Bündnispartnern der Ampel unterschrieben. „Historischer Fortschritt“, eine „Koalition von Fortschritt, Erneuerung und Transformation“,… lauteten die Phrasen der öffentlichen Medien.
Keine zwei Monate später sind die Unterstützungswerte für die Ampelkoalition eingebrochen. Am 21. Januar veröffentlichte YouGov eine Umfrage, laut der nur knapp über ein Drittel mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden; 45% „(sehr) unzufrieden“ sind.
Was ist der Grund, dass diese Bundesregierung so schlechte Werte bei der Bevölkerung erzielt?
„Historische Reformen“? Leere Worte!
Lasst uns über Worte hinaussehen: Was ist der Inhalt der „fortschrittlichen Reformen“ dieser neuen Bundesregierung?
Hartz IV. Die neue Koalition hat ein „Bürgergeld“ versprochen, das Hartz IV ersetzen soll. Was ist davon geblieben? Wir sehen uns die neue Hartz-Erhöhung an: Sie beträgt 3 Euro! Drei Euro, bei einer Inflation von derzeit 5,3% – die Preise steigen 7x stärker als das Arbeitslosengeld!
Pandemiebekämpfung. Sie haben uns eine Verstärkung des Gesundheitsschutzes versprochen. Was ist geblieben? Die bundesweite Inzidenz liegt bei über 1.400 so hoch wie nie; gleichzeitig wurden Schutzmaßnahmen radikal abgebaut: Die Bundesregierung hat über eine Verkürzung der Isolations- und Quarantänezeiten (bei einigen Gruppen auf 5 Tage) entschieden. Mit Karl Lauterbach (SPD) haben wir einen Gesundheitsminister, der die Schließung von Krankenhäusern schon seit Jahren öffentlich befürwortet.
Arbeit. Das „Bürgergeld“ soll auf Vermittlung in qualifizierte Arbeit setzen. Aber: Wo soll diese Arbeit herkommen, wenn der kapitalistischen Krise und dem Kahlschlag der Industrie nichts entgegengesetzt wird? Nachdem Massenentlassungen in der Autoindustrie angekündigt wurden (die neue Ampelkoalition hat dazu bisher nichts gesagt!), werden jetzt die MV Werften in Wismar geschlossen. Nur ein Plan zur staatlichen Übernahme und Weiterführung der Betriebe könnte den Trend beenden – SPD, FDP und Grüne werden dazu nicht bereit sein!
Jugend. Die Coronapandemie hat Massen von Jugendlichen und Kindern in die Depression getrieben. Doch unsere kapitalistische Regierung ist zu einer Ausrottung des Virus nicht bereit – sie wollen die Produktivität der Betriebe nicht gefährden. Darum müssen sie über Jahre auf Lockdowns, Schulschließungen und Ausgangssperren setzen. Kinder und Jugendliche treiben diese Lebensbedingungen in die Verzweiflung: Allein im Frühjahr 2021 haben bis zu 500 Kinder (!) einen Suizidversuch begangen. Die Politik der Ampelkoalition, die auf Durchseuchung setzt, bietet dazu keine echte Trendwende!
Reichtum. Schon vergangenen März hat Olaf Scholz als Bundesfinanzminister ein „Steueroasen-Abwehrgesetz“ angekündigt. Erinnern wir uns richtig: noch im Mai danach erklärte er, dass „steuerliche Vorabsprachen“ des Staates mit Unternehmen nicht wie in anderen EU-Ländern veröffentlicht werden sollen. Sein „Steuergesetz“ ist ein Lückenteppich, der multinationalen Großkonzernen nützt – und jetzt hat er seine Geschäfte an Lindner von der FDP übergeben!
Krieg. Die neue Ampelkoalition spricht von einem Ausbau der „Sicherheitsarchitektur“, sie hat sogar eine „feministische Außenpolitik“ angekündigt. Ihre wahre Politik zeigt sich in Zahlen: Waffen- und Munitionslieferungen von 2,2 Milliarden Euro in den erstem sieben Wochen der Legislaturperiode – fast ebenso viel wie im ganzen ersten Halbjahr 2021!
Konflikt in der Ukraine
In ihrem Koalitionsvertrag schreiben die Ampelparteien von ihrem „Einsatz für Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte“. Aber das sind nur Worte; die internationalen Machtkämpfe der Großmächte sind Realität.
Sehen wir uns die Ukraine an: Die USA haben eine enorme Kampagne gestartet, um die Bundesregierung zu schärferen Aggressionen gegen Russland zu treiben. Doch die deutsche Bourgeoisie streitet über den richtigen Kurs und ist zunehmend gespalten: Während eine Minderheit – repräsentiert durch Teile der Grünen und die Springer-Medienhäuser – das Einlenken in den Kurs der USA propagiert, hat eine mächtige Fraktion enge Verbindungen zu Russland.
Erst am 27. Januar hat der „Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft“ – eine wichtige Lobby der Zusammenarbeit mit dem russischen Imperialismus, der Konzerne wie Siemens, BASF, Allianz und andere angehören – erklärt, am 3. März mit Putin zusammenzutreffen. Auch Olaf Scholz hat einen Besuch bei Putin angekündigt und schweigt über die Forderungen der USA, Nord Stream 2 aufzukündigen.
Das Handeln der deutschen Regierung kommt nicht aus dem Nichts: Gerade seit der großen Krise von 2008 hat sich Deutschland in seinen wirtschaftlichen Beziehungen verstärkt dem Osten zugewandt. Seit sechs Jahren ist China der wichtigste Handelspartner Deutschlands; vier von zehn deutschen Autos werden nach China exportiert. Was Russland angeht, sind vor allem seine Rohstofflieferungen für die deutsche Wirtschaft entscheidend: Der wichtigste Energieträger der deutschen Industrie ist (mit einem Anteil von 31Prozent) Erdgas, von dem Deutschland mehr als die Hälfte aus Russland importiert.
Die Tagesschau berichtet, dass sich auch die LINKE im Ukraine-Konflikt „hinter den Kurs Bundesregierung stellt“. Es ist gut, dass DIE LINKE Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt! Allerdings gehen manche in ihren Reihen – vor allem die Erben des Stalinismus und ehemalige Sozialdemokraten – zu weit in ihrer Anlehnung an den russischen Imperialismus: Klaus Ernst, Bundestagsabgeordneter der Partei, klingt in seinen Äußerungen regelmäßig wie ein Lobbyist von Nord Stream 2. Auch Sahra Wagenknecht äußert ihr „Verständnis“ für russische Truppenverlegungen. Aber nein: Putin ist kein Freund der Völker! Er ist der Kopf eines Staates, der die mächtigen Eigeninteressen der Oligarchen und kapitalistischen Großkonzerne verteidigt. Echten Fortschritt kann es nur gegen ihn geben. Erst in den letzten russischen Wahlen ist die linke Opposition erstarkt – die Kommunistische Partei konnte ihre Unterstützung um 3,6 Millionen steigern, was der Unzufriedenheit der russischen Arbeiterklasse mit Putins Regime geschuldet ist. Völkerfreundschaft wird es nur mit ihnen – den Arbeitern aller Länder –; und gegen Putin, Biden, Scholz und Baerbock geben!
Der deutsche Imperialismus ist geschwächt.
Die internationalen Machtverschiebungen verschärfen die zentrifugalen Tendenzen, die sich seit der Krise von 2008 in der EU breitgemacht haben, und mit dem beschleunigten Niedergang der USA als Weltmacht, den Aufstieg Chinas und die nun hochkochenden Konflikte noch verstärkt werden. Für die deutsche Bourgeoisie ist das ein Grund zur Besorgnis: Das Projekt EU wurde zur Steigerung ihrer Profite und der der französischen Bourgeoisie aufgebaut.
Doch das deutsche Kapital musste zusehen, wie die USA unter Trump aktiv den Brexit unterstützt haben, und wie Großbritannien jetzt an der Seite von Polen Bidens Außenpolitik in Europa vorantreibt.
Der deutsche Imperialismus ist geschwächt. Die deutsche Bourgeoisie will Stabilität und Ordnung in der EU, um ihre Profite zu sichern. Doch die Neuaufteilung der Welt, der Niedergang der USA und die hochkochenden Konflikte sind eine objektive Dynamik, der sie nichts entgegensetzen kann. Die untergeordnete Rolle, die die EU in der Diskussion zwischen den USA und Russland spielt, ist ein Beweis für die Irrelevanz der EU-Außenpolitik und ihre zunehmende Unwichtigkeit in den entscheidenden geopolitischen Fragen.
Die Spannungen auf dem internationalen Schachbrett werden zunehmen; genauso die Konflikte in der herrschenden Klasse. Die instabile Lage der internationalen Beziehungen werden Kräfte im Staat stärken, die sich zurückgelassen und erniedrigt fühlen und das Hochhalten der Flagge des deutschen Imperialismus fordern.
Wir müssen uns an das Beispiel der USA erinnern: Die kapitalistische Krise und der Abstieg als Weltmacht haben eine Schicht von wütenden Militärs, Staatsdienern und demoralisierten Elementen genährt, die die soziale Basis für den Aufstieg des Trumpismus und der Rechten bilden. Elemente davon können wir in Deutschland erkennen: Angehörige aus Militär und Staatsdienst, die sich offen nach rechts wenden und in demoralisierten Schichten immer mehr Gehör finden. Sie sind das Produkt der kapitalistischen Krise – der einzige Weg, sie zu schlagen, ist, entschlossen gegen dieses System vorzugehen.
Rechte erstarkt.
Die sozialen Widersprüche im Land und die internationalen Konflikte haben die Rechte und die rückschrittlichsten Schichten der herrschenden Klasse provoziert. Wir sehen es in der CDU: Mit Laschet wollte sich die Mehrheit der Partei an den Merkel-Kurs klammern. Doch die Strategie führte in die Krise, und nun hält mit Merz der rechteste Kandidat den Vorsitz der Partei.
Auch der Fall von Otte (CDU), dem Vorsitzenden der rechten „Werteunion“, der überlegt auf dem Ticket der AfD als Bundespräsident zu kandidieren, und der Parteiaustritt von Meuthen (AfD), der den rapiden Machtgewinn des faschistischen „Flügels“ in der Partei bestätigt, sprechen die gleiche Sprache.
Die CDU hat die Wahl verloren, weil die Mehrheit der Bevölkerung ihre arbeiterfeindlichen Angriffe und die Rechte verurteilt. Aber die Enttäuschungen durch das Versagen der Ampel werden der Rechten Auftrieb geben, wenn die Linke sie nicht beantwortet.
Schon die ersten Wochen der neuen Koalition liefern eindrucksvolle Beispiele:
- Die Befragung von Christian Lindner vor dem Bundestag am 10. Januar,
- die Unfähigkeit der Koalition, ihre Pläne zur Impfpflicht durchzusetzen, aus Angst vor der politischen Polarisierung und davor, die eigenen Koalitionsparteien nicht für eine Fürstimme zu gewinnen,
- die Ermittlung der Berliner Staatsanwaltschaft gegen den Bundesvorstand der Grünen wegen Veruntreuung,…
Die rechte Opposition im Parlament und auf der Straße wird jedes Versagen der Ampelkoalition und die Desillusionierung ausnutzen, um Fortschritte zu machen.
Reformismus versagt.
Gerade die Grünen konnten in der Bundestagswahl mit ihren Wahlversprechen junge Wähler für sich gewinnen, die auf Veränderungen hoffen. Ihre Jugend erklärte, dass sie dem Koalitionsvertrag nur zustimmen würde, wenn einige Mindestbedingungen (eine Ausbildungsplatzgarantie, Begrenzung der Mieten,…) erfüllt werden.
Zwar war für die Führung der Grünen der Reformkurs, den sie in ihren Reden andeuteten, nur ein wertloses Lippenbekenntnis. Das ist es aber nicht für die einfache Bevölkerung!
Für die Linke ist mit der Wahl der Ampelkoalition eine vorteilhafte Situation entstanden! Sie kann den Kampf von unten aufnehmen, die Regierung vor sich hertreiben und sich auf Arbeiter und Jugend stützen, die auf der Straße ihre Forderungen aufstellen. Dazu muss sie einen Kampfplan aufstellen, um die Politik für die Profite der Besitzenden zu beenden und mit einem antikapitalistischen Programm für öffentlichen Wohnraum, Gesundheit und gute Arbeit kämpfen.
Das wäre nötig – doch leider ist die Politik der Führung der LINKEN und der Gewerkschaften eine andere. In der LINKEN haben Bürokraten an Einfluss gewonnen, die ihre kleinlichen Kämpfe um Staatsposten ohne echten Einfluss führen. Ihre Taktierereien und ihre völlig nutzlose Zusammenarbeit mit den kapitalistischen Eliten öffnen die Türen für den Verrat der Bewegungen und das Erstarken der Rechten. Genauso verrottet agieren die Gewerkschaftsführer! Während hunderttausende Arbeiter in den Betrieben an Corona erkranken, veröffentlichen die Betriebsräte großer Konzerne Briefe, die zu Verständnis mit den Bossen (!) aufrufen, da es zur Durchseuchung keine Alternative gäbe!
Brecht den sozialen Frieden! Für ein marxistisches Kampfprogramm!
Die Politik der Führungen von LINKE und Gewerkschaften entfremden sie von den Arbeitern, der Jugend und den Armen.
Wie sollen Beschäftigte, deren Löhne von der Inflation gefressen werden, deren Mieten in den Himmel steigen und die auf der Arbeit krank werden, den Beschwichtigungen der Gewerkschaftsführungen glauben?
Die neue Bundesregierung tut alles, um die nationale Einheit aufrechtzuerhalten: Sie will den Eindruck vermitteln, im Interesse des ganzen Volkes zu handeln, und den sozialen Frieden bewahren. Die Süddeutsche bringt ihr Mantra auf den Punkt: „Eigentlich kann sich das ganze Volk schlafen legen“.
Nein, das Volk wird sich nicht schlafen legen! Die Ampelkoalition schlägt uns vor, unsere Opposition aufzugeben – mitten in einer Situation, die eine soziale Katastrophe ist! Wir erleben eine Durchseuchung mit massenhaft Toten, einen Kahlschlag der Industrie und die Zerstörung unseres Lebensstandards!
Wir dürfen uns keinen Wurm ins Ohr setzen lassen: Die Toten gehen nicht aufs Konto der Individuen, die sich nicht impfen lassen! Das Impfen ist wichtig – aber die Verantwortung für die Katastrophe liegt bei denen, die das Gesundheitssystem zerschlagen haben! Und auch wenn die offiziellen Veröffentlichungen der Gewerkschaften und LINKEN das Gegenteil sagen: Wir werden diese Realität in den Nachbarschaften und Betrieben sehen.
Unsere Aufgabe ist es, den Kampf zurück auf die Straße zu bringen. Die übergroße Mehrheit der Menschen ist für härtere Gesundheitsmaßnahmen, gegen Stellenabbau und Lohnkürzungen! Nur ein antikapitalistisches Programm kann alle diese Kämpfe vereinen im großen Kampf um eine sozialistische Welt, in der nach den Bedürfnissen der einfachen Bevölkerung produziert wird!
Mach mit bei Offensiv!