Die Europäische Union hatte keinen guten Start ins neue Jahr. Nachdem 2020 monatelang darüber getönt wurde, wie die EU an der Spitze der Pandemiebekämpfung und der Entwicklung eines Impfstoffes stehe, wurde sie nun von einer weiteren heftigen Corona-Welle überrollt. Während das England des reaktionären Boris Johnson – der Anfang des Jahres noch bereit war, Tausende Arbeiterfamilien für eine angebliche Herdenimmunität zu opfern – zum Ausgangspunkt einer der gefährlichsten Mutationen des Virus geworden ist, die inzwischen über den ganzen Kontinent verbreitet ist, ist in Portugal im Februar das Gesundheitssystem faktisch zusammengebrochen. Und auch die deutsche Regierung hat ihren Unwillen gezeigt, der Pandemie konsequent entgegen zu treten.

 Lockdown der Bosse

Der Lockdown in Ländern wie Deutschland ist weiterhin ein Lockdown der Bosse. Die  Einschränkungen betreffen vor allem den Freizeitbereich, während weite Teile der Produktion ungebremst weiterlaufen und die Profite des Kapitals fließen. Für uns bedeutet das: Volle Busse, volle Bahnen, volle Werkshallen und ein hohes Ansteckungsrisiko in einem kaputt gesparten Gesundheitssystem. Was haben die bürgerlichen Politiker und „Experten“ zu dieser Realität zu sagen? Sie feiern jeden noch so geringen Fall der Infektionszahlen, appellieren an unser Durchhaltevermögen und verkünden, alles Mögliche getan zu haben, als würde die Pandemie nicht weiterhin auf einem katastrophal hohen Niveau Verwüstungen anrichten!

Diese Politik, die, in verschiedenen Schattierungen, allen Regierungen Europas zu eigen ist, ist nicht Ausdruck des Versagens einzelner Politiker. Es ist die einzige Antwort auf die Krise, zu der die europäischen kapitalistischen Staaten fähig sind! Regiert wird nicht nach den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung, sondern der kapitalistischen Marktgesetze. Corona zeigt ein weiteres Mal: Der Kampf gegen diese Politik muss international sein!

Die „europäische Solidarität“ der Herrschenden

Insbesondere die deutschen Politiker betonen die Rolle der EU in dieser Krise. Die Bundesregierung hat eine entscheidende Rolle in der Durchsetzung der gemeinsamen Schuldenaufnahme gespielt und sprach dabei in vollen Tönen von einem „europäischen Marschallplan“.  Sie inszeniert sich als der Führer Europas, appelliert an die „Werteunion“ und schickt in einer symbolischen Geste Bundeswehrsoldaten zur Hilfe nach Portugal.

Nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein, als von der Leyens Lüge einer „europäischen Solidarität“ – tatsächlich stehen hinter dem Agieren der Bundesregierung glasklares Kalkül und wirtschaftliche Interessen. Die deutsche Bourgeoisie will weiter von der Währungsunion profitieren und hat überhaupt nicht im Sinn, an ihrer Austeritätspolitik irgendetwas zu ändern. Es waren die Europäische Zentralbank, der ESF und Politiker wie Wolfgang Schäuble, die den gnadenlosen Abbau der öffentlichen Versorgung in Griechenland, Italien und auf der iberischen Halbinsel vorangetrieben und mit dem Geschäft der Privatisierungen und „Verschlankungen“ Millionenprofite ermöglicht haben. Und schon jetzt gibt es Maßnahmen, um die aktuell aufgenommenen Schulden durch weiteren sozialen Kahlschlag zu finanzieren. 2011 wurde das „Europäische Semester“ eingeführt – eine Maßnahme zur Überprüfung der Haushalte aller Mitgliedstaaten vor deren Beschluss durch die Europäische Kommission, und schon jetzt finden Diskussionen über Sparmaßnahmen der „verschwenderischen“ Sozialstaaten in Südeuropa statt. Die EU ist in dieser gesundheitlichen und wirtschaftlichen Krise  nicht Teil der Lösung, sondern des Problems!

Das Ziel muss Null Infektionen sein!

Wie sehr die kapitalistische Propaganda an der angeblichen „Alternativlosigkeit“ ihrer Krisen-Politik festhält, zeigt sich auch in der Reaktion auf die europaweite Initiative „ZeroCovid“, die sich richtigerweise für einen harten und koordinierten Shutdown in ganz Europa ausspricht. Zu Recht fordert die Kampagne eine entschlossene Ausrottungsstrategie gegen das Virus: Anstatt die Kurve einfach nur „abzuflachen“, um das unterfinanzierte Gesundheitssystem aufrechtzuerhalten, muss das Ziel Null Infektionen sein! Panisch und in technokratischer Manier überschlugen sich Gastronomen, Unternehmer und die vor den Karren der Bundesregierung gespannten Wissenschaftler, auf allen ihnen zur Verfügung stehenden Plattformen, das Programm von ZeroCovid, dessen grundlegenden Forderungen nichts anderes als ein direkter Ausdruck der Interessen von abertausenden Beschäftigten und Arbeitern in Deutschland und Europa sind, anzugreifen. Vorstandschefs wie der des Chemiekonzerns Evonik warnen im Handelsblatt, ein Shutdown sei „wirtschaftlich höchst schädlich“.

Sie beweisen einmal mehr, dass Kapitalismus und die Bedürfnisse der Arbeiter und Armen nach Gesundheit und menschenwürdiger Arbeits- und Lebensbedingungen zwei grundverschiedene Dinge sind. Wenn die Privatwirtschaft – geführt von Konzernchefs, deren Reichtum wir jeden Tag in stundenlanger, aufzehrender Arbeit erwirtschaften – unsere Bedürfnisse nicht befriedigen kann, müssen wir nicht unsere Bedürfnisse in Frage stellen, sondern die kapitalistische Wirtschaftsordnung!

Konzerne, die nun aus öffentlichen Geldern Milliardenhilfen erhalten und sich gleichzeitig einer konsequenten Gesundheitspolitik entgegenstellen, könnten ebenso gut enteignet und unter Arbeiterhand fortgeführt werden! Denn warum sollten sie nicht von denjenigen verwaltet werden, die auch ein Interesse an einer Lösung der gesundheitlichen und sozialen Krise haben? Mit einem solchen – einem sozialistischen Programm – wäre die Ausrottung des Virus und eine richtige Antwort auf die Wirtschaftskrise möglich. Die Corona-Pandemie hat den Klassenwiderspruch, der unsere Gesellschaft durchzieht, wie nie zuvor in den letzten Jahren verdeutlicht. Diese Forderungen hätten ein enormes Potenzial für einen gemeinsamen internationalen Kampf gegen die kapitalistische Krisenpolitik.

Big Pharma schlägt Profit aus der Gesundheitskrise

Nach nun über einem Jahr völliger Unfähigkeit bei der Pandemiebekämpfung, geht der kapitalistische Horror nun bei der Produktion und Verteilung der Impfstoffe weiter, die einzig und allein der Profiterzielung unterworfen wird. Das Programm der Bundesrepublik zur Entwicklung der Impfstoffe vom Juni 2020 umfasste 750 Millionen Euro – bis zu 375 Millionen erhielt allein der Privatkonzern BioNTech – doch die Gewinne aus diesem staatlichen Förderprogramm werden privatisiert! Konzerne wie AstraZeneca versprachen eine Produktion zum Kostenpreis – öffentliche Propaganda, die im krassen Gegensatz dazu steht, dass BioNTech und Pfizer den Preis einer Impfstoffdosis zu Anfang auf einen Phantasiepreis von über 50 Euro ansetzten. Bis 2022 werden die großen Pharmaunternehmen mit dem Vertrieb der Impfstoffe Einnahmen zwischen 50.000 und 70.000 Millionen erzielen – gesponsert durch die öffentlichen Haushalte!

Auch die Verteilung der Impfstoffe findet völlig unkoordiniert statt: Gerade einmal 0,1 Prozent der Impfungen werden in den ärmsten Ländern der Welt verabreicht – dagegen 70 Prozent in den reichsten. Im Kapitalismus diktiert der Profit, nicht die Bedürfnisse der Menschen!

Währenddessen zeigt das bisherige Scheitern der „Impfkampagnen“ in Deutschland, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern, die Heuchelei, die hinter den Aussagen vieler Regierungen Ende letzten Jahres stand, Corona mit den ersten Impfstoffen binnen weniger Monate überwunden zu haben.

Die Regierungsvertreter in der EU-Kommission haben sich bemüht, mit der Kommissionsvorsitzenden Ursula von der Leyen einen Sündenbock für das nur langsame Voranschreiten zu finden. So werden die Impfstoffe zum Katalysator und zur Projektionsfläche für die sich zusehends verschärfenden Konflikte zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. Politiker wie Boris Johnson, der verkündet hat, durch die Impfungen bereits im Juni wieder zum Normalzustand zurückkehren zu wollen, nutzen ihre Kampagnen als Selbstinszenierung. Auch in Deutschland werden wir vielleicht ähnliches beobachten können, wenn es im Sommer in den Wahlkampf geht.

Die kapitalistischen Politiker werden den schwarzen Peter immer weiter hin und her schieben. Aber sie können und werden nichts daran ändern, dass der Kapitalismus und das Diktat des Profits der Grund sind, dass elementare Notwendigkeiten wie die Beendigung einer Pandemie nicht erfüllt werden können. Das Corona-Virus ist eine Gefahr für unser Leben und das wird es auch noch seien, wenn es „Impfausweise“ gibt, wie es Sebastian Kurz, oder Selbsttests, wie es Jens Spahn vorschlägt. Der Kapitalismus ist in ein Stadium von Verfall und Dekadenz eingetreten. Erst seine Zerschlagung wird eine lebenswerte Zukunft für Arbeiterklasse und Arme ermöglichen.

 

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