Am 20. April feierte Joe Biden seine ersten 90 Tage als Präsident im Weißen Haus. Drei Monate, die von bombastischen Ankündigungen geprägt waren, die sowohl von vielen amerikanischen wie internationalen Medien als drastische Abkehr von Trumps’ Politik gefeiert wurden. Diese Propagandakampagne hat wenig mit der Realtität zu tun. Der Druck der Straße erzwang zwar die Verurteilung von Derek Chauvin, dem Mörder von George Floyd, doch der alltägliche Polizeirassismus geht auch nach dem Prozess, den Biden und sein Team als sichtbares Zeichen der Veränderung darstellen, weiter.

Tausende Antirassisten feierten diesen Sieg, der kein Resultat einer anderen Regierungspolitik unter den Demokraten darstellt, sondern der Mobilisierungen der Black Lives Matter-Bewegung und der Angst der herrschenden Klasse vor einer sozialen Eruption. Am selben Tag, an dem Derek Chauvin verurteilt wurde, wurde Ma’Khi Bryant, eine 16-jährige Afroamerikanerin, in Ohio von Polizisten getötet. Sogar der Prozess um den Mord an George Floyd wurde von erhöhten Sicherheitsmaßnahmen begleitet, nach dem der Tod Daunte Wright, ebenfalls Afroamerikaner, in Minneapolis, gerade einmal 15 Minuten vom tagenden Gericht durch die Hände eines anderen Polizisten neue Proteste angefacht hatte. Die Wut stieg nur weiter, nachdem bekannt wurde, dass der 13-jährige Latino Adam Toledo, ebenfalls von Polizisten am 29. März in Chicago ermordet, entgegen der Angaben des Staatsanwalts, der den Tod als Folge einer Notwehrhandlung durch den Officer darstellen wollte, unbewaffnet gewesen war.

Auch hier wird deutlich, dass es sich keinesfalls um isolierte Aktionen einzelner Rassisten in den Reihen der Polizei handelt. Bidens kalkulierte Gesten, wie die Aufnahme von Afroamerikanern und Latinos in seine Verwaltung, oder die Treffen mit den Familien der Ermordeten können nicht davon ablenken, das Rassismus und Polizeigewalt intrinsischer Teil des amerikanischen Kapitalismus und seines Staatsapparates sind. Biden hat die Grenzen seiner Politik klargemacht, in dem er der gründlichen Untersuchung und Säuberung des Polizeiapparates eine Absage erteilte. Genauso wenig steht eine Umverteilung der Gelder von den militarisierten „Sicherheitsbehörden“ zu Sozialarbeit oder zur Bekämpfung der Armut, die Ursache für Marginalisierung, Kriminalität und Drogensucht ist, auf seiner To-do-Liste. Auch die rassistischen, ultrarechten Gangs, die unter dem Schutz des selben Staatsapparates operieren, werden von der neuen Regierung nicht angetastet.

Die Krise an der Grenze und die Antwort der Regierung

Ein weiterer Konflikt, in dem die bombastischen Ankündigungen des Weißen Hauses in scharfem Gegensatz zu seiner tatsächlichen Politik stehen, ist die Migrationskrise an der Grenze zu Mexiko. Biden versprach noch im Wahlkampf 11 Millionen undokumentierter Migranten mit legalen Aufenthaltsrechten auszustatten und Trumps repressive Politik, angefangen bei der Mauer, die das Symbol seiner Grenzpolitik werden sollte, umzukehren. Und was war Bidens tatsächliche Antwort, als hunderttausende Männer, Frauen und Kinder, die vor der Misere in ihren lateinamerikanischen Heimatländern, ausgelöst durch kapitalistische Krise und dem Imperialismus der amerikanischen Bourgeoisie selbst, flohen und um Asyl baten? „Kommt nicht jetzt, wir werden euch zurückschicken müssen!“ (La Vanguardia, 03/18/21)

Mit diesem zynischen Kommentar und der Hilfe von Armee und den Patrouillen des gefürchteten Grenzschutzes wurden sie verfolgt und en masse deportiert. Juan Sebastián González und Ricardo Zúñiga, zuständig für Mittelamerika in der Biden-Regierung mussten zugeben, dass auch Artikel 42, der von Trump zur Erleichterung von Abschiebungen eingeführt wurde, weiterhin verwendet wird. Dieses Gesetz, angeblich zur Eindämmung der Corona-Pandemie verabschiedet, erlaubt die sofortige Deportation von Migranten ohne jegliche Formalitäten.

Im Februar allein wurden laut den Zahlen des Grenzschutzes mehr als 100.000 Migranten festgesetzt. „Um vergleichbare Zahlen zu finden, müssten wir zurück in den Juni 2019 gehen, dem Monat in dem Trump Mexiko in einen Vertrag zur Verhinderung illegaler Migration zwang. […] Wenn die Geschwindigkeit [der Festnahmen und Abschiebungen] aufrecht erhalten wird, könnte ein Höchstwert der letzten 20 Jahre erreicht werden.“ [El País 3/22/21]

Von Trumps „America First“ zu Bidens „Made in America“

Desto näher Biden der Vollendung seiner Politik zur Überwindung der Probleme der amerikanischen Wirtschaft kommt, desto klarer wird wie wenig sie sich von Trumps Wirtschaftspolitik unterscheidet. Bidens „Made in America“-Plan unterscheidet sich von Trumps „America First“ vor allem sprachlich, in dem die selben protektionistischen Maßnahmen nüchterner und kalkulierter formuliert werden. Grund dafür ist das diese Strategie und die aggressive Außenpolitik der USA nicht Trumps alleinigem Willen entsprungen sind, sondern den strategischen Zielen der US-Bourgeoisie entsprechen. In dieser haben sich tiefe Kluften aufgetan. Der Sektor des Kapitals, der Biden unterstützt, bevorzugt eine schlichtende Sprache und kosmetische Verbesserungen, um die Natur ihrer Politik gegen die Mehrheit der Menschen und die Aufrechterhaltung der imperialistischen US-Hegemonie in der Welt, zu verheimlichen. Sie befürchten, dass eine unverhohlene Offensive, wie sie vom Trump zuneigenden Teil bevorzugt wird, zu einer sozialen Explosion führen wird. Trotzdem schränkt die Tiefe der kapitalistischen Krise und die Schwächung des US-Imperialismus gegenüber dem chinesischen Imperialismus ihren Handlungsspielraum immer weiter ein.

Die ersten Entscheidungen der Biden-Regierung haben bewiesen, das ihre Außenpolitik essenziell identisch mit der von Donald Trumps sind: Die ungebrochene Unterstützung der rechtsradikalen Putschisten Juan Guaidó in Venezuela und die brutalen Sanktionen, die den Zusammenbruch der venezolanischen Wirtschaft in die Höhe treiben; genau wie die Sanktionen gegen den Iran und die Blockade Kubas. Der Regierungssprecher erklärte, dass die Aufhebung dieser Blockade „nicht zu den Prioritäten“ der Regierung gehöre, und jede Lockerung der Sanktionen vom Wohlverhalten der Regierungen dieser Staaten, Verbündete der amerikanischen Konkurrenten Russland und China, abhänge. Mit anderen Worten bleiben sie weiterhin Geiseln um die Position der amerikanischen multinationalen Konzerne im Kampf um Märkte und natürliche Ressourcen zu stärken.

In Bezug auf den neuen Plan zur Stärkung der Wirtschaft, den Biden präsentierte und der mittlerweile vom Kongress abgesegnet wurde, hat die Propagandakampagne der Medien einen neuen Höhepunkt gefunden. Die New York Times schrieb von „der größten Anstrengung zur Bekämpfung der Armut in einer Generation“. Bernie Sanders und andere Führer des linken Flügels der demokratischen Partei haben praktisch geschlossen den Vorschlag unterstützt und im somit den progressiven Anschein, den er brauchte um die darin verborgenen Interessen der Wall Street zu verstecken, gegeben. Einige Stimmen in der reformistischen Linken haben ihn sogar, trotz Kritik an einigen Detailpunkten, zur Geburtsstunde eines neuen Sozialstaates erkoren. Was für eine politische Bankrotterklärung! Wenn wir den Plan herunterbrechen, sind alle Sozialausgaben, die ohnehin im Vergleich zu der dramatischen Situation, in der sich Millionen von arbeitenden Familien befinden, viel zu klein dimensioniert sind, bis September begrenzt. Der Plan enthält weder strukturelle Verbesserungen noch erfüllt er soziale Forderungen wie den Mindestlohn von 15 $ pro Stunde, den Kampf für Arbeiterrechte und ein kostenloses universelles Gesundheitssystem, für die Gewerkschaften und soziale Bewegungen seit Jahren kämpfen.

Statt dessen werden die begrenzten Mittel, die zur Unterstützung ins Gesundheitssystem fließen, ausschließlich als Subventionen an private Versicherungskonzerne ausgezahlt. Befürworter des Plans halten dem entgegen, dass sein Umfang – 1,9 Billionen Dollar – den des EU-Programms um das doppelte übertreffen und auch Obamas Stimulus-Programm von 2008 übersteigen. Damit stellt dieser Plan die Hälfte der Gelder dar, die in der Hoffnung, zusammen mit den Massenimpfungen, die amerikanische Wirtschaft wiederzubeleben, von staatlicher Seite ausgeschüttet wurden. Die andere Hälfte wurde bereits von der Trump-Administration bewilligt.

Das Ziel dabei ist nicht die Lebensumstände der Massen zu verbessern, sondern den privaten Konsum anzukurbeln um auf dem heimischen Markt kurz- und mittelfristig die Verluste, die der US-Kapitalismus auf dem Weltmarkt hinnehmen musste, auszugleichen. Gleichzeitig soll die Propaganda um diesen Plan und die Unterstützung der Reformisten die sozialen Konflikte entschärfen. Die Schwere der kapitalistischen Krise lässt allerdings das eine wie das andere Ziel in weite Ferne rücken.

Den Kampf auf die Straße tragen und die Arbeiterpartei aufbauen

Die letzten Jahre des intensiven Klassenkampfes in den USA und die ersten drei Monate von Bidens Mandat zeigen, dass es nur einen Weg gibt, dem Desaster, dass Millionen von arbeitenden Familien bedroht, entgegenzutreten und der Rechten, die von Trumps Präsidentschaft inspiriert wurde, entgegenzutreten: Massenmobilisierungen auf der Straße, die den Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt mit dem gegen Machismo und Sexismus, dem der migrantischen Arbeiter für ihre Rechte und dem der ganzen Jugend und Arbeiterklasse für ihr Recht auf Arbeit und guten Lohn, verbinden. Die Aufgabe der Linken ist das gesamte Potential, dass in diesen Konflikten verborgen ist zu mobilisieren und eine Arbeiterpartei, bewaffnet mit einem marxistischen Programm, das für die Enteignung der Finanzoligarchie und die Verstaatlichung des Kapitals unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter kämpft!

 

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