Die aktuelle Situation in Palästina – aber auch die Eruptionen im Nahen Osten der letzten Jahre – zeigen auf, wie wichtig es ist, als revolutionäre Kommunisten zum fundamentalistischen Islam eine unabhängige Position einzunehmen. Dafür brauchen wir eine marxistische Klassenanalyse von dem, was der Islamismus ist und davon, welche Rolle er im Klassenkampf spielt. Dies ist umso wichtiger, als verschiedene politische Organisationen der Linken, die den Anspruch erheben, marxistisch und revolutionär zu sein, in dieser Hinsicht eine unkritische Haltung einnehmen.

Der Islamismus und seine Wurzeln

Die Führung des fundamentalistischen Islamismus speist sich aus den traditionsverbunden Oberschichten (und Mittelschichten) der arabischen Welt und des Nahen Ostens. Dabei geht es um die Errichtung eines islamischen Gottesstaates, der die Verbreitung des Islams zum Ziel hat. Dementsprechend sollen alle Gesetze sich nach dem Koran und religiösen Überlieferungen richten. Genauso sollen Regierung, Verwaltung und Militär in den Händen einer männlichen Elite sein. Frauen hingegen werden auf ihr Leben als Ehe- und Hausfrauen reduziert.

In der Propaganda beschwert sich der Islamismus über einen „Werteverfall“, dem er mit solchen Maßnahmen entgegentreten will, in der Realität jedoch setzt er sich für die Barbarei der freien Marktwirtschaft, für Kapitalismus und Profitstreben ein. Die Taliban in Afghanistan beispielsweise vertreten die Interessen der Stammesführer, Großgrundbesitzer und War Lords. Daran kann man gut erkennen, dass der Islamismus die Herrschaftsideologie aus den Ober- und Mittelschichten ist. Diese vertritt entweder die Interessen reaktionärer Eliten oder strebt an, selbst die gesellschaftliche Elite zu werden. Allein das macht den Islamismus zu einem Feind der Arbeiter und Armen.

Historisch war es so: Nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich die großen Massenbewegungen der nationalen Befreiungs-, Unabhängigkeits- und Entkolonialisierungskämpfe entwickelten, die von säkularen nationalistischen Ideologien und Bewegungen mit starken sozialistischen und kommunistischen Einflüssen dominiert wurden, hatte der islamische Fundamentalismus nur sehr wenig Unterstützung in der Bevölkerung. Die säkularen Kräfte setzten – unter dem Druck der Arbeiterklasse – große soziale Reformprogramme um, führten Verstaatlichungen durch und trennten Staat und Religion. Diese Reformen stießen auf heftigen Widerstand bei den Großgrundbesitzern und der traditionellen arabischen Oligarchie und diese brachten den Islamismus gegen sie in Stellung.

Afghanistan: Die USA und der Westen mit den Mudschaheddin und gegen den Kommunismus

Diese vorangegangen beschriebene Entwicklung vollzog sich auch in Afghanistan,

wo ab 1978 die groß angelegte Operation der CIA zum Aufbau bewaffneter islamisch-fundamentalistischer Gruppen gegen die Saur-Revolution und deren Unterstützung durch die Sowjetunion begann.

Nach dem Sturz der Monarchie im Jahr 1973 wurde eine Diktatur unter der Führung von Mohammed Daoud Khan errichtet, die das Land in der gleichen Rückständigkeit beließ, die Interessen der Großgrundbesitzer sicherte, Liberalisierungen förderte, die große Teile der Gesellschaft ruinierten, und weitreichende Repressionen u. a. gegen die Kommunisten, die Demokratische Volkspartei Afghanistans, die zum Sturz der Monarchie beigetragen hatten, auslöste.

Schließlich wurde der Diktator 1978 in der so genannten Saur-Revolution gestürzt und zusammen mit Mitgliedern der königlichen Familie hingerichtet, nachdem ein von Kommunisten angeführter Aufstand von Offizieren der mittleren Führungsebene die Macht an die Demokratische Volkspartei Afghanistans übergeben hatte.

Das neue stalinistische Regime wollte mithilfe von Bodenreformen und weiteren Maßnahmen Afghanistan zu einem modernen sozialistischen Staat entwickeln. Die enteigneten Großgrundbesitzer und die muslimische Gelehrtenschaft hingegen verbündeten sich dagegen und unterstützten den Kampf der Mujaheddin (der „Gotteskrieger“), die gegen die von der Sowjetunion militärisch unterstützte Regierung kämpften.

Die Mujaheddin wurden – im Rahmen der „Operation Cyclone“ – aufgebaut, ausgebildet und finanziert von der CIA und den Geheimdiensten der US-Verbündeten Pakistan und Saudi-Arabien. Allein die USA gaben für die Rekrutierung und Ausbildung fundamentalistischer Islamisten über 32 Milliarden US Dollar aus. Darunter waren auch mehrere Millionen Dollar für islamistisch-militante Lehrbücher, die afghanische Kinder mithilfe von Koran-Zitaten und weiteren islamistisch-militanten Inhalten für den Kampf gegen den „gottlosen“ Kommunismus gewinnen sollten. Diese Bücher wurden über Pakistan auch in anderen Teilen der muslimischen Welt verbreitet.

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Ein Einspieler im US-Propaganda-Film Rambo 3, der 1988 erschien und noch bis zum 11. September so gezeigt wurde, in dem die Mudschaheddin, die späteren Taliban, Verbündete der Amerikaner im Kampf gegen den Kommunismus sind.

Diese Politik der USA, Großbritanniens und des Westens legte den Grundstein für die Terrorherrschaft der Taliban, die aus den alten Mujaheddin entstanden ist, genauso wie für den heutigen fundamentalistischen Terrorismus, den wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Daran lässt sich gut erkennen, dass der fundamentalistische Islamismus und Terrorismus damit ein direktes Produkt des westlichen Imperialismus ist. Durch die Unterstützung der Mujaheddin wollten die USA und ihre Verbündeten vor allem der Einfluss der Sowjetunion in der Region schwächen.

Iran: Von der sozialistischen Revolution zur islamisch-fundamentalistischen Republik

Dass fundamentalistische Islamisten ein Rammbock gegen linke und kommunistische Kräfte sind und so vom Imperialismus genutzt werden, zeigt sich auch im Beispiel der iranischen Revolution und islamischen Konterrevolution 1979.

Das diktatorische kapitalistische Regime des Schahs, das sein Volk brutal unterdrückte, geriet in eine tiefe Krise und schließlich in eine ausgewachsene soziale Revolution. Millionen von streikenden Arbeitern, die Hunderte von Fabriken besetzten, forderten den Sturz des Regimes. Die moskautreue Tudeh-Partei, die größte kommunistische Partei im Nahen Osten, weigerte sich, der Massenbewegung gegen den Schah eine revolutionäre und sozialistische Perspektive zu geben, obwohl die Bedingungen dafür reif waren: Es entstanden Organe der Arbeitermacht, die Schuras, die den Sowjets gleichkamen und die Macht in der Praxis in die Hände der Arbeiterklasse und der Unterdrückten legten.

Im Gegenteil, in Anlehnung an die stalinistische Etappentheorie vertraten sie die Auffassung, dass zunächst eine bürgerliche Demokratie errichtet werden müsse, um die Monarchie zu ersetzen, und dass erst in einer ungewissen Zukunft der Kampf für den Sozialismus an der Tagesordnung stünde. Im Gegensatz zu dieser Position unterstützte die Tudeh-Partei den Vertreter des reaktionärsten islamistischen Klerus, Ayatollah Ruhollah Khomeini, und bezeichnete ihn als „antiimperialistischen“ Vertreter des Bürgertums.

Gleichzeitig bildeten Khomeini und die reaktionäre klerikale Kaste, unterstützt von den Grundbesitzern und den kapitalistischen Eliten, eine Schocktruppe zur Bekämpfung der Arbeiterbewegung, die „Islamische Revolutionsgarde“; sie schlugen Aufstände der Kurden nieder, schränkten Frauenrechte ein, peitschten Homosexuelle aus, usw. – sie spielten eben die Rolle, die Faschisten in einer Konterrevolution spielen.

Trotz dieser Situation unterstütze ein Teil der Linken weiterhin das neue Regime – inklusive der Tudeh-Partei, die ihre Anhänger dazu aufrief, im Volksentscheid 1979 für die Islamische Republik zu stimmen.

An diesem Beispiel zeigt sich, dass die Dynamik der Revolution viel weiter gegangen ist, als die Führer der opportunistischen Tudeh-Partei, die sich von der sozialistischen Revolution losgesagt haben, indem sie sich in einer Volksfront mit den bürgerlichen und reaktionären islamischen Kräften verbündeten, nur um letztendlich von diesen zerschlagen und geächtet zu werden. Diese Politik der Klassenkollaboration hatte schwere Folgen für die gesamte Arbeiterklasse und die proletarische Revolution im Iran. Das heutige islamistische Mullah-Regime im Iran, das Proteste und die eigene Arbeiterklasse radikal unterdrückt, kann keine Unterstützung für das palästinensische Volk sein. 

Der palästinensische Widerstand und der Islamismus

Dasselbe gilt auch für die islamistische Organisation Hamas in Palästina. Der Aufstieg der Hamas wäre überhaupt nicht möglich gewesen, wenn die palästinensischen Massen sich nicht – aufgrund des Verrats der Führer – gegen die Fatah, die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) und die Palästinensische Autonomiebehörde gewendet hätten – eine direkte Folge des Verrats ihrer Führer, die nach Unterzeichnung des Osloer Abkommens zu Handlangern des zionistischen Regimes wurden. Jahrzehntelang haben sich diese Kräfte auf Korruption und Zusammenarbeit mit dem US-Imperialismus, dem zionistischen Staat und korrupten arabischen Regimen verlassen und auf Kosten des palästinensischen Volkes lukrative Geschäfte gemacht.

Gleichzeitig wurde die Hamas ursprünglich vom Staat Israel selbst und seinen westlichen Verbündeten gefördert und finanziert, um säkularen linken Kräften wie der PLO und der Fatah Konkurrenz zu machen und sie zu schwächen. Seit ihrer Machtübernahme im Jahr 2006 sind die Hamas-Eliten bestrebt, die gleichen Geschäfte zu machen und die gleichen Privilegien zu erhalten, die sich die Führer und Funktionäre der Fatah, PLO und PNA gesichert haben. Daher ihre Vereinbarungen mit Netanjahu zur Sicherung von Finanzierungen über Katar oder das umfangreiche Netz von Unternehmen, die sie kontrollieren und mit denen sie in Ländern wie der Türkei und dem Sudan Geschäftsbeziehungen unterhalten.

Die Aufrufe bestimmter Kräfte der palästinensischen und internationalen Linken zu einem unkritischen politischen Bündnis mit der Hamas, einer reaktionären bürgerlich-islamistischen Kraft, unter dem Vorwand, gemeinsam gegen das zionistische, kolonialistische und faschistische Regime von Netanjahu zu kämpfen, treiben dieselbe Politik der Klassenkollaboration voran, die zur Niederlage der Tudeh-Partei im Iran oder der PLO in Palästina geführt hat, und ordnen sich erneut den arabischen und islamischen bürgerlichen Kräften unter.

Islamisten wie die Hamas bieten keine Alternative zu kapitalistischer Ausbeutung. Sie streben einen regulären Kapitalismus an – mit Banken und Monopolen und islamischen Vorzeichen – und brauchen dafür eine stabile kapitalistische Grundlage. Dementsprechend brauchen sie die Bündnisse mit dem Imperialismus, sobald sie stark genug sind, um ein „anerkannter“ politischer Partner des Imperialismus zu sein. Deshalb ergibt es auch Sinn, dass die Hamas als Konkurrenz zu linken, säkularen Kräften wie der PLO und der Fatah gegründet wurde – mit der materiellen Unterstützung zionistischer Kräfte, des Mossad und westlicher Verbündeter, sei es Katar, Iran oder die Türkei, um als respektabler politischer Partner anerkannt zu werden.

Islamismus, Imperialismus und der Marxismus

Anhand der vorangegangenen Beispiele lässt sich der Schluss ziehen, dass islamistische Kräfte vom Imperialismus – in erster Linie des westlichen – aufgebaut und unterstützt und finanziert werden, um ein Gegengewicht zur säkularen Linken zu bilden und um als Kräfte der Konterrevolution zu wirken. Das ist die Rolle, die der Islamismus in den Spielereien des Imperialismus spielt. Er ist ein Werkzeug der Herrschenden.

So wie also Osama bin Laden ein Kind des US-Imperialismus war, und nur durch den US-Imperialismus stark werden konnte, ist die Hamas ein Kind des Imperialismus. Der Islamismus wird da stark, wo linke, klassenkämpferische Kräfte versagen und verraten. Auch wenn Islamisten sich als Gegengewicht zum Westen darstellen, sind Islamismus und Imperialismus verwandt und aufs Engste miteinander verbunden. Der Islamismus ist Produkt des Imperialismus. Der Imperialismus braucht den Islamismus als Spielball seiner eigenen Interessen. Genauso braucht der Islamismus den Imperialismus, geht ein Bündnis mit ihm ein und stellt damit die Spitze der Konterrevolution. Aus dieser Tatsache geht hervor, dass fundamentalistische Islamisten kein Bündnispartner der Arbeiterklasse und der kämpferischen Linken sein können. Als revolutionäre Marxisten müssen wir ein eigenes Programm nach vorn stellen, ein klassenkämpferisches Programm, welches internationalistisch und sozialistisch ist. Dies beinhaltet die Losung, dass die Befreiung Palästinas nicht mit islamistischen Kräften wie der Hamas erreicht werden kann.

Schon Lenin hatte sich damit unter anderem in seinem „Entwurf der Thesen zur nationalen und kolonialen Frage“ befasst und die marxistische Haltung wie folgt zusammengefasst:

„[D]rittens die Notwendigkeit, den Panislamismus und ähnliche Strömungen zu bekämpfen, die die Befreiungsbewegung gegen den europäischen und amerikanischen Imperialismus mit einer Stärkung der Positionen der Khane, der Gutsbesitzer, der Mullahs usw. verknüpfen wollen“.

Wenn wir als Kommunisten also gegen Gutsbesitzer, Warlords und Kapitalisten kämpfen wollen – ob nun religiös, Mullahs oder nicht – müssen wir die sektiererische Herangehensweise der Islamisten beiseitelassen, die die Arbeiterklasse und die Unterdrückten spaltet. Das bedeutet auch, nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen und eine unabhängige, marxistische Position für die Befreiung von nationaler Unterdrückung und kapitalistischer Ausbeutung einzunehmen.

Wenn wir ein freies Palästina wollen, müssen wir einen gemeinsamen Kampf der Palästinenser, der israelischen Arbeiter und Armen führen gegen den Zionismus, den Imperialismus, gegen Kapitalismus und alle Ausbeuter und Unterdrücker – auch gegen diejenigen, die so tun, als stünden sie auf unserer Seite.

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