Dieser Artikel erschien im März 2008 in mehreren Teilen auf Spanisch.

Vorwort

Die brutale Krise des Finanzmarktes hat die tiefsitzenden Krankheiten der kapitalistischen Wirtschaft offenbart: eines Organismus, der sich nun schon länger in einer Phase des Verfalls und der Alterung befindet und der schon lange aufgehört hat, eine progressive Rolle bei der Entwicklung der Produktivkräfte zu spielen. Nach Jahren der Illusionen und der pro-kapitalistischen Propaganda haben Krise und Rezession das wahre Gesicht der kapitalistischen Weltwirtschaft zum Vorschein gebracht. Dieser Vorgang wird von allen Menschen der Welt aufmerksam beobachtet: von den Massenmedien, Regierungen, Finanzinstituten, in der akademischen Welt aber natürlich auch von der Arbeiterklasse, unseren Nachbarschaften, Fabriken und Häusern. Nach Jahren spektakulärer Gewinne von Multimillionären, aufgeblähten Finanz- und Immobilienblasen und massiver Verschuldung fliegen uns die Trümmer dieser Wirtschaftsweise um die Ohren, verursachen Unsicherheit und Angst. 

Die gegenwärtige Krise wird seit Jahren sorgfältig vorbereitet. Ihre schnelle, nahezu virale Verbreitung erklärt sich durch den Charakter des Booms, den die kapitalistische Wirtschaft in den letzten zwei Jahrzehnten erlebt hat. Nur wenige haben jedoch die Unausweichlichkeit dieser Krise vorhergesehen. Die überwiegende Mehrheit der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftler und Fachjournalisten, die im Allgemeinen auf der Gehaltsliste der großen kapitalistischen Konsortien stehen, plauderten noch vor nicht allzu langer Zeit darüber, wie solide die Grundlagen des Finanzsystems und der Weltwirtschaft seien, oder verbargen ihre Informationen über die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in den Vereinigten Staaten. Tausende dieser Personen, die von ihren Medienforen aus täglich den Mainstream der öffentlichen Medien erzeugen, lehnten die Perspektive eines abrupten Stopps der wirtschaftlichen Aktivität empört ab... Diese „Realisten“ konnten sich nicht mit der Vorstellung abfinden, dass ihr System vielleicht nicht so perfekt sei und dass sich der finanzielle Höhenflug schon bald in einen Alptraum verwandeln würde.

In solch unheilvollen Momenten für die Verfechter des Kapitalismus müssen wir einmal mehr wiederholen, dass Marx Recht hatte! Die ökonomische Theorie des Marxismus hat den Test der Realität glänzend bestanden; ihre Grundlagen und ihre Analysen des globalen Prozesses der kapitalistischen Produktion, seiner Widersprüche und seiner Dynamik, sind zutreffend und lebendiger denn je. Es genügt, Werke wie „Das Kapital“ oder „Theorien über den Mehrwert“ zu lesen, die vor mehr als 150 Jahren geschrieben wurden, um zu verstehen, warum die Bourgeoisie und ihre Ideologen den Marxismus als ihren gefürchtetsten Feind betrachten, und ihn immer wieder unter Tonnen von Beleidigungen, Lügen, Verleumdungen und Verfälschungen begraben wollen.

Für die Arbeiterklasse hingegen, für ihre Jugend und ihre bewusstesten Elemente, ist die Kenntnis über den Reichtum der marxistischen Wirtschaftstheorie eine notwendige Grundlage. Aus diesem Grund veröffentlichen wir eine Reihe von Artikeln zu den wichtigsten Aspekten marxistischer Wirtschaftstheorie in dieser Ausgabe von El Militante.[1]

Wenn es keinen Gewinn gibt, gibt es keine Produktion

Bürgerliche Wirtschaftstheoretiker lehnen es ab, den Kapitalismus als eine vorübergehende und zeitlich begrenzte soziale Formation zu betrachten. Das ist kein Zufall: Als Ideologen im Sold der Ausbeuter betrachten sie das System, das ihnen ihre Privilegien und ihr Prestige verleiht, als die Krone menschlichen Fortschritts.[2] Im Allgemeinen gehen alle Schulen der bürgerlichen politischen Ökonomie davon aus, dass bei Ausbruch der Krise nur diejenigen Faktoren gefunden werden müssen, mit denen die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Nachfrage erreicht werden kann, um das Problem zu lösen. Mit anderen Worten: Das Phänomen der kapitalistischen Krisen ist im Rahmen des Systems lösbar, und depressive Perioden sind nicht mehr als punktuelle Unfälle in einem Prozess des kontinuierlichen Aufstiegs der Produktion und der Schaffung von Zivilisation.

Für die marxistische Ökonomie, die auf dem dialektischen Materialismus basiert, ist der Ausgangspunkt für die Behandlung des Problems genau das Gegenteil. Das kapitalistische System hat, wie jede Produktionsweise oder sozioökonomische Formation, einen vorübergehenden Charakter. Marx demonstrierte in seinem bahnbrechenden Werk „Das Kapital“ die Gesetze, die die Funktionsweise von Produktion, Umlauf und Austausch von Gütern erklären und das kapitalistische System charakterisieren. Ausgehend von den Beiträgen der klassischen Ökonomie und über diese hinaus entdeckte Marx, dass das Ziel, das die kapitalistische Produktion antreibt, der maximale Profit ist, d.h. der Kampf um die Aneignung des Mehrwerts, der von der menschlichen Arbeit, der einzigen wertschöpfenden Quelle, deren Wert durch den Verkauf von Waren realisiert wird, produziert wird. Im Kapitalismus geht es nicht um die Befriedigung sozialer Bedürfnisse, sondern um die Erzielung von Profit: Wenn es keine Möglichkeit des Profits, der Realisierung von Mehrwert gibt, wird der Kapitalist nicht produzieren. Dies ist das grundlegende Merkmal der kapitalistischen Produktionsweise. Die Größe des Wertes einer Ware wird demzufolge gemessen an der „wertschöpfenden Substanz“, d.h. der in ihr enthaltenen Arbeit. Für den Marxismus wird der Wert einer Ware durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt, die in ihre Produktion investiert wird.

Krise der Überproduktion

Weit entfernt von dem idyllischen Bild, das die bürgerlichen Ökonomen gerne von der reibungslosen Funktionsweise des Kapitalismus malen, erklärt der Marxismus den anarchischen Charakter der kapitalistischen Produktion, die von den blinden Kräften des Marktes und dem individuellen Profitmotiv der Kapitalisten angetrieben wird. Dabei stößt die kapitalistische Akkumulation immer an objektive Grenzen. Der Marxismus erklärt die Ursachen der kapitalistischen Krise, und im Zentrum seiner Erklärung steht der Widerspruch zwischen dem sozialen, gesamtgesellschaftlichen Charakter, den die Produktion im Kapitalismus hat, und dem individuellen, privaten Charakter der Aneignung.

Im Kapitalismus hat die Entwicklung der Produktivkräfte und der internationalen Arbeitsteilung den Charakter der Produktion völlig verändert. Das aber bringt das zyklische Auftreten von Krisen hervor, von Überproduktionskrisen. Im Gegensatz zu anderen Produktionsweisen und sozioökonomischen Formationen der Vergangenheit sind die Eigentümer des Kapitals, die ständig durch die Konkurrenz anderer auf dem Markt konkurrierender Kapitalisten unter Druck gesetzt werden, gezwungen, die Produktionstechniken ständig zu revolutionieren, die Produktionsmittel zu erneuern und die Ausbeutung der Lohnarbeitskräfte zu intensivieren (Erhöhung des absoluten und relativen Mehrwerts). Es herrscht ein harter Wettbewerb zwischen den Kapitalisten um eine höhere Gewinnrate, was in der Folge dramatische Auswirkungen auf die allgemeine Funktionsweise des Systems hat.

Das Kapital fließt immer in diejenigen Produktionsbereiche mit der größten Profitmarge, auch wenn das einen hohen Einsatz von Anlagekapital[3]und eine allmähliche Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals[4] bedeutet. Dieses Phänomen ist in jeder Periode des kapitalistischen Booms aufgetreten, wenn die Produktion ansteigt, die internationale Arbeitsteilung sich ausweitet und der Welthandel die Märkte erweitert. Dies geschah auch in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, einer kriegerischen Zerstörung, die die größte Anzahl von Produktivkräften in der Geschichte vernichtete. So gab es in den goldenen Jahrzehnten der 50er und 60er Jahre und in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern eine gewaltige Entwicklung neuer Produktionszweige (Ölderivate, Chemie, Automobilindustrie, Luftfahrt, Elektronik, Militärindustrie...), und es wurden Vollbeschäftigungsquoten erreicht. Doch die Art, wie seit der großen Rezession von 1973 „Wachstum“ erzeugt wird, unterscheidet sich davon. Die Fortschritte sind viel kleiner und Gewinne werden nur in bescheidenem Maß in den Produktionsapparat reinvestiert, was die Schleusen zu einer beispiellosen historischen Phase der Finanzspekulation öffnete.

Der durchschnittliche Kapitalist investiert sein Kapital in dem Bereich, der ihm Profite verspricht: Wenn er glaubt, in bestimmten Produktionszweigen schnelle und größere Gewinne erzielen zu können, wird er nicht zögern, so viel Kapital wie möglich in sie zu investieren, indem er auf Bankkredite und massive Verschuldung zurückgreift.[5] Wenn er dies nicht tut, verliert er die Möglichkeit, seinen Anteil an den Gewinnen zu erhöhen. Aber dieser Prozess kann nicht grenzenlos sein, auch wenn das Streben nach Profit grenzenlos ist. Am Ende steht eine Überinvestition von Kapital, d.h. die Investitionen werden nicht so schnell amortisiert,[6] weil der Markt mit Rohstoffen gesättigt ist. Die unvermeidliche Folge dieser Überinvestitionen in Investitionsgüter ist eine Überproduktion, sowohl von Konsumgütern als auch von Produktionsmitteln, und eine Überkapazität der installierten Produktion. Kurz gesagt, es gibt von allem zu viel, eine Fülle, die der Markt zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht aufnehmen kann. Ab einem bestimmten Punkt beginnt die Krisenphase mit einer Spirale aus sinkenden Gewinnen, Desinvestitionen, Massenentlassungen und Fabrikschließungen. Kurz gesagt, die Zerstörung der Produktivkräfte nimmt den Wirtschaftskreislauf in Beschlag.

Heute wird deutlich, dass die Krise, die aus der inneren Funktionsweise des Kapitalismus selbst resultiert, durch verschiedene Faktoren katalysiert und beschleunigt werden kann. Die riesige Finanzblase, die sich im letzten Jahrzehnt aufgrund der starken Zunahme von Krediten und der massiven Verschuldung angesammelt hat, hat nicht nur den Markt und die Produktion über ihre Grenzen hinaus ausgedehnt und den Kapitalisten, die spekulierten, große Gewinne beschert, sondern auch die gegenwärtige Rezession beschleunigt. Die Krise der Finanzmärkte war nicht die Ursache der Rezession, die ihre Wurzeln in der Realwirtschaft hat, aber sie hat sie zweifellos begünstigt und wird ihre explosionsartige Verbreitung befeuern. Kurz gesagt, wie Marx und Engels im Kommunistischen Manifest betont haben, drücken die Krisen die Revolte der Produktivkräfte gegen die Zwangsjacke der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse und des Nationalstaates aus,[7] die von der Bourgeoisie in der Phase ihres revolutionären Aufstiegs geschaffen, aber in der Ära der überwältigenden Dominanz des Weltmarkts in ein reaktionäres Hindernis verwandelt wurde.

Teil I

Die Gültigkeit der marxistischen Theorie der kapitalistischen Krisen

Am 4. Dezember 1928, Monate vor dem schicksalhaften Börsencrash vom Herbst 1929, überbrachte US-Präsident Coolidge dem Repräsentantenhaus seine letzte Botschaft zur allgemeinen Lage: „Keiner der bisher zusammengetretenen US-Kongresse hatte vor ihnen eine so günstige Perspektive, wie sie uns heute geboten wird. Was die inneren Angelegenheiten betrifft, gibt es Ruhe und Zufriedenheit (...) und die längste Periode des Wohlstands. Nach außen hin herrscht Frieden, und diese Aufrichtigkeit wird durch gegenseitiges Verständnis gefördert...“.

Wenn wir die Wirtschaftsgeschichte des Kapitalismus betrachten, insbesondere die Zeiten des finanziellen Überschwangs, finden wir immer wieder dieselben Individuen, angeblich fähig und intelligent, die die Macht der Hochfinanz in ihren Händen konzentrieren und Nationen regieren. Wenn man die Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht als die toten Seiten eines Buches, sondern als Quelle der Lehren betrachtet, mit denen die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft vorzubereiten ist, kann man viel lernen. Deshalb müssen die Lehren aus dem Wirtschaftscrash von 1929, seinen Ursprüngen und Folgen, sehr ernsthaft untersucht werden.

Der Crash von 1929

Die durch den Ersten Weltkrieg in Europa verursachte massive Zerstörung der Produktivkräfte, die mit keiner früheren imperialistischen Konfrontation vergleichbar ist, hat die Achse der Weltwirtschaftsaktivität unwiderruflich in Richtung Pazifik verschoben und die USA als entscheidende Wirtschaftsmacht positioniert.[8]

Zwischen 1922 und 1925 schienen die Grundlagen des amerikanischen Wachstums solide zu sein. Angetrieben durch die Entwicklung neuer Märkte für ihre Erzeugnisse (sowohl in Europa als auch in Lateinamerika) und durch die zivile Anwendung der neuen Erfindungen und Technologien, die der Krieg mit sich brachte, machte die amerikanische Industrie erstaunliche Fortschritte. Dieser dynamische Prozess hat sich wiederum in der Entwicklung neuer Produktionszweige (Kunststoff, Luftfahrt, Telekommunikation...) und in einer starken Steigerung der Arbeitsproduktivität niedergeschlagen. Einige wenige Zahlen genügen, um die frenetische Wirtschaftstätigkeit zu veranschaulichen, die die Vereinigten Staaten erlebten: Zwischen 1923 und 1929 stieg die Automobilproduktion um 33% und der Verbrauch von elektrischer Energie um mehr als 100% an. Im Jahr 1925 lagen die produktiven Investitionsraten bei fast 20% des Bruttosozialprodukts.

Inmitten eines scheinbar unendlichen Wohlstands zeigten sich jedoch Ende 1926 die ersten Anzeichen einer Verlangsamung der Produktionstätigkeit aufgrund der europäischen Stagnation und der Sättigung der Weltmärkte für Getreide und landwirtschaftliche Produkte (insbesondere Weizen und Baumwolle, die einen deutlichen Rückgang der Agrarpreise zur Folge hatten). Von diesem Moment an trat ein für wirtschaftliche Boomzeiten typisches Phänomen auf: Aufgrund des Überflusses an Kapital, das nicht gewinnbringend in der produktiven Wirtschaft platziert werden konnte, wurde es stark auf die Börse umgelenkt.

Zwischen 1926 und 1929 vergrößerte sich die Kluft zwischen wirtschaftlicher Aktivität und Börsenspekulation: In diesen vier Jahren stieg der allgemeine Index der Aktienkurse von 105 auf 220, während der allgemeine Geschäftsindex der börsennotierten Unternehmen nur von 105 auf 120 stieg. Wie heute kollidieren die Wünsche der Spekulanten und der Behörden, den Kreislauf des Aufschwungs auf unbestimmte Zeit aufrechtzuerhalten, mit der Realität. Der Einbruch der Aktienkurse war abrupt und überraschend, was wiederum eine unbestreitbare Tatsache widerspiegelt: Die Aktiva der Unternehmen und ihr Produktionsvolumen lagen weit unter dem, was die Preisindizes anzeigten. Die Dynamik der Realwirtschaft, die durch keinen Aktienmarkt zu leugnen ist, setzte sich schließlich durch, und die Auswirkungen waren verheerend.

Panik

Am 24. Oktober 1929 brach Panik aus: Die Wall Street-Börse registrierte mehr als neun Millionen Verkaufsanträge, am 29. Oktober waren es 16 Millionen. Die New Yorker Börse verlor im Oktober 20 % ihres Marktwertes und im November 1929 50 %.[9]

Die massiven Kredite, die die Spekulationsblase der 1920er Jahre nährten, übertrugen die Krise sofort auf den Bankensektor und beschleunigten den allgemeinen Zusammenbruch. Die Banken konnten die Kredite in Höhe von mehreren Millionen Dollar, die sie zur Finanzierung des Kaufs von Börsenwerten und Unternehmen, die keinen Wert mehr hatten, gewährt hatten, nicht zurückerhalten.[10]

Die Produktionstätigkeit erlitt einen starken Rückgang: Bei einem Index der Industrieproduktion von 100 für 1928 lag der Index 1930 bei 83 und 1932 bei 54. 1929 verschwanden 22.909 Unternehmen, 1932 waren es 31.822. Die Investitionsraten brachen zusammen: lagen sie 1929 noch bei 15,4% des BSP, so sanken sie 1931 auf 7,2% und 1932 auf 1,5%.

Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit auf ein unbekanntes Niveau: von 1,5 Millionen Arbeitslosen im Jahr 1929 stieg sie auf 4,5 Millionen im Jahr 1930, 7,9 Millionen im Jahr 1931, 11,9 Millionen im Jahr 1932 und schließlich 13 Millionen im Jahr 1933. Auf dem Land kam es zu einer regelrechten Abwanderung von mehr als 600.000 Bauern pro Jahr in die Städte und wohlhabenderen Regionen.

Eine weltweite Krise

In einer globalisierten Wirtschaft machte die Krise nicht an den Grenzen der Vereinigten Staaten Halt. Wie 2008 zog die Rezession sofort nach Europa, wo das Finanzsystem nach dem Abzug des US-Kapitals seine Strangulierung nicht vermeiden konnte. Was aber am weitgehendsten zur Vertiefung der Krise führte, war die weit verbreitete Annahme protektionistischer Maßnahmen und wettbewerblicher Abwertungen durch die verschiedenen Mächte, um ihre Märkte zu schützen. In Frankreich stiegen die Einfuhrzölle von 17,8% im Jahr 1929 auf 29,4% im Jahr 1935. Auch in Großbritannien wurde die Dosis des Protektionismus deutlich erhöht: Die Zölle stiegen von 19,8% im Jahr 1932 auf 23,3% im Jahr 1935. Durch diese Maßnahmen erlitt der Welthandel einen sehr starken Rückgang; allein in den Vereinigten Staaten führte der wirtschaftliche Zusammenbruch dazu, dass der Wert ihrer Importe von 4,4 Milliarden Dollar im Jahr 1929 auf 1,339 Milliarden Dollar im Jahr 1932 sank.

Kurz gesagt, die Produktion ging in allen Ländern zurück, die Arbeitslosigkeit stieg auf ein erschütterndes Niveau und die Inflation nahm dramatische Formen an, was die Löhne und die Kleinunternehmen ruinierte. Die politischen Auswirkungen der weltweiten Rezession waren enorm. Europa wurde durch Generalstreiks, Massendemonstrationen und eine tiefe Krise der bürgerlichen Demokratie und ihrer Institutionen erschüttert. Es begann eine Phase von Revolution und der Konterrevolution, die nur mit der Zeit von 1917-1923[11] verglichen werden kann.

Das kapitalistische Gleichgewicht wurde auf allen Ebenen (wirtschaftlich, politisch, diplomatisch und militärisch) zerbrochen.

Die Lektionen der Geschichte

Obwohl es Daten und Zahlen gibt, die bestätigen, dass wir in den letzten zehn Jahren außergewöhnlich günstige Bedingungen für eine neue Phase der kapitalistischen Akkumulation erlebt haben, werden wir, wenn wir den gesamten Zeitraum genau betrachten, auch die Schwierigkeiten für produktive Investitionen erkennen, eine angemessene Rentabilität für alle in diesen Jahren erzielten Kapitalgewinne zu bieten. Das Phänomen der Überakkumulation von Kapital, das seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre viel ausgeprägter ist, hat die gigantische Spekulationsblase hervorgerufen, die nun geplatzt ist. Die Börse wurde wie in den Jahren vor dem Crash von 1929 zu einem neuen Eldorado, das den idealen Traum eines jeden Kapitalisten ermöglichte: Kapital zu produzieren, ohne die harte Erfahrung von produktiven Investitionen und dem Verkauf von Rohstoffen machen zu müssen.

Die Phänomene des Aktienrückkaufs, die Börsenexplosion der Dotcom-Unternehmen, der irrationale Werteüberschuss, der bei weitem nicht dem Tätigkeitsvolumen der Unternehmen und ihren Gewinnen auf dem Markt entspricht, haben dazu geführt, dass das überschüssige Kapital an der Börse und in den großen Spekulationsfonds untergebracht wurde. Das Finanzkapital bestätigte, was Marx im Kapital geschrieben hinterlassen hatte: es entwickelte eine immer unabhängigere Bewegung von dem Prozess, den die reale Wirtschaft durchlief, es wurde fiktiv und unproduktiv und verwandelte sich in eine totes Gewicht der kapitalistischen Produktion. Damit wurde der grundlegende Widerspruch der Überproduktion verschärft: der zwischen dem Kapital, wie es direkt in den Produktionsprozess eingeführt wird, und dem Kapital, wie es als Geld präsentiert wird, auf relativ autonome Weise und außerhalb des Prozesses.

Da die Realisierung des Mehrwerts in Schwierigkeiten geriet, wurde der Finanzsektor auf der Suche nach größerer Rentabilität zunehmend durch Kapital genährt. In den 1990er Jahren und im laufenden Jahrzehnt wurde der permanente Rückgriff auf Kredite, der für jede Expansionsphase typisch ist, zu einem unverzichtbaren Element, um den Konsum zu garantieren und damit die Produktion aufrechtzuerhalten. Unter diesen Umständen wurde der Druck, die kreditbasierte Akkumulation aufrechtzuerhalten, noch stärker, und die natürlichen Grenzen des Wirtschaftszyklus wurden überschritten.[12]

Seit zehn Jahren erleben wir eine vollständige Deregulierung der Finanzmärkte, die den Kapitalverkehr zwischen verschiedenen Bereichen produktiver und spekulativer Investitionen erleichtern soll. Auch in diesen Jahren wurde die verbreitete Anwendung des Hebeleffekts[13] gefördert, um Mega-Firmenzusammenschlüsse zu finanzieren, um auf einem zunehmend gesättigten Markt konkurrenzfähig zu bleiben indem der Hebeleffekt Gewinnraten ermöglicht. Die Ausweitung des Welthandels, die Öffnung der UdSSR und Chinas für imperialistisches Kapital, der erbarmungslose Druck auf unterentwickelte Volkswirtschaften, ihre Grenzen für eine Lawine westlicher Investitionen zu öffnen (Freihandelsabkommen, bilaterale Abkommen...), die massiven Privatisierungen von Staatsunternehmen, die Immobilienblase usw. Alle trugen zur Omnipräsenz des Finanzkapitals bei. Aber der Finanzmarkt und die Kredite sind vom Fluchtventil der kapitalistischen Akkumulation zu den Auslösern einer globalen Wirtschaftskrise geworden. Und diese Krise wird nach einer Periode des Booms, die auf Kosten der weltweiten Überausbeutung der Arbeiterklasse erreicht wurde, die Grundlagen des Kapitalismus erschüttern und den Kampf für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft ganz oben auf die Tagesordnung setzen.

 

 

[1] In den folgenden Artikeln werden wir uns kurz und bündig mit theoretischen Debatten über die Krisentheorie, die in der marxistischen Bewegung aufgetreten sind, sowie mit der marxistischen Theorie des Imperialismus befassen. Anschließend analysieren wir die Geschichte der Krisen, wobei wir unsere Aufmerksamkeit auf den Crash von 1929, den Boom nach dem Zweiten Weltkrieg und den Keynesianismus richten und mit der Rezession von 1973/74 abschließen. Schließlich werden wir den gegenwärtigen finanziellen Zusammenbruch, die Rezession der amerikanischen Wirtschaft und die Auswirkungen beider Phänomene auf die Weltwirtschaft und den Klassenkampf analysieren.

[2] „Meine Untersuchung mündete in dem Ergebnis, dass Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind noch aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln, deren Gesamtheit Hegel, nach dem Vorgang der Engländer und Franzosen des 18. Jahrhunderts, unter dem Namen „bürgerliche Gesellschaft“ zusammenfasst, dass aber die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft in der politischen Ökonomie zu suchen sei. [...] In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt“ (Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie, in: Marx-Engels-Werke (MEW) Bd. 13, Berlin 1961, S. 7 – 11).

Diese zentralen Ideen des marxistischen Denkens setzen in keinem Fall die Annahme einer fatalistischen und mechanischen Sicht der Geschichte voraus. Marx und Engels stellten auch fest:

„Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.“ (ebd.) Selbst ein zerfallendes System wie der Kapitalismus kann überleben und sein endgültiger Zusammenbruch kann sich sehr lange hinziehen, wenn die Arbeiterklasse nicht in der Lage ist, es mit revolutionären Methoden zu stürzen und eine andere höhere Form der Produktion und Organisation der Gesellschaft zu etablieren. Daher lehnt der Marxismus den wirtschaftlichen Determinismus gänzlich ab, auch wenn dieser von seinen ideologischen Feinden als ein zentrales Merkmal des marxistischen Denkens angesehen wird. Entgegen jeder mechanistischen und empirischen Vision hat der revolutionäre Marxismus immer auf dem Klassenkampf als Motor des historischen Wandels basiert.

[3] Konstantes Kapital, das in Maschinen, Gebäude usw. investiert wird

[4] Organische Zusammensetzung = Anteil des konstanten Kapitals an gesamter Kapitalmenge

[5] Das zeigt auch, dass bei der Suche nach Investitionsfeldern nicht das Gesetz der Nachfrage, sondern die Profitmarge entscheidet.

[6] Getilgt, in Erträge umgesetzt

[7] Karl Marx/Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, in: Marx-Engels-Werke (MEW) Bd. 4, Berlin 1959, S. 467.

[8] Betrug die US-Auslandsverschuldung 1914 noch 3,7 Milliarden Dollar, so lag der Gläubigerüberschuss 1919 bei über 3 Milliarden Dollar. Während des Ersten Weltkrieges erzielten die Vereinigten Staaten eine außergewöhnliche Kapitalakkumulation und konzentrierten die größten Goldreserven der Welt, während der Dollar die einzige konvertierbare Währung in diesem Edelmetall war.

[9] Zwischen 1929 und 1932 fiel der Kurs einer Gruppe von 65 Wertpapieren von der 125-Dollar-Grenze auf weniger als 27 Dollar. Ein Einbruch, der mit dem aktuellen Preisverfall vieler Immobilienunternehmen, Bauunternehmen und Banken in den USA und Europa verglichen werden kann.

[10] 1929 scheiterten in den Vereinigten Staaten 642 Banken, 1930 waren es 1.341 und 1931 schoss die Zahl der Pleiten auf 2.298. Insgesamt gingen zwischen 1931 und 1932 5.096 Banken in Konkurs.

[11] Selbst in den Vereinigten Staaten gab es große Bewegungen von Arbeitslosen, eine politische Radikalisierung nach links und eine beispiellose Streikwelle, insbesondere nach 1933, als die Wirtschaft Anzeichen einer Erholung zeigte.

[12] „Um beim Kredit anzufangen, so hat er in der kapitalistischen Wirtschaft mannigfaltige Funktionen, seine wichtigste besteht aber bekanntlich in der Vergrößerung der Ausdehnungsfähigkeit der Produktion und in der Vermittlung und Erleichterung des Austausches. Da, wo die innere Tendenz der kapitalistischen Produktion zur grenzenlosen Ausdehnung auf die Schranken des Privateigentums, den beschränkten Umfang des Privatkapitals stößt, da stellt sich der Kredit als das Mittel ein, in kapitalistischer Weise diese Schranken zu überwinden [...] So ist der Kredit, weit entfernt, ein Mittel zur Beseitigung oder auch nur zur Linderung der Krisen zu sein, ganz im Gegenteil ein besonderer mächtiger Faktor der Krisenbildung. Und das ist auch gar nicht anders möglich. Die spezifische Funktion des Kredits ist - ganz allgemein ausgedrückt - doch nichts anderes, als den Rest von Standfestigkeit aus allen kapitalistischen Verhältnissen zu verbannen und überall die größtmögliche Elastizität hineinzubringen, alle kapitalistischen Kräfte in höchstem Maße dehnbar, relativ und empfindlich zu machen. Dass damit die Krisen, die nichts anderes als der periodische Zusammenstoß der einander widerstrebenden Kräfte der kapitalistischen Wirtschaft sind, nur erleichtert und verschärft werden können, liegt auf der Hand.“ (Rosa Luxemburg: Sozialreform oder Revolution? (1899), in: Gesammelte Werke Bd. 1.1, Berlin 1987, S. 378 – 379).

[13] Auch Leverage-Effekt: Anreize, den Verschuldungsgrad zu erhöhen. Zum Beispiel wenn das Aufnehmen von Krediten aufgrund günstiger Konditionen weniger kostet, als sich das investierte Kapital rentiert – das befördert die Investition von Fremdkapital. Damit steigt jedoch auch das Risiko von Zahlungsausfall bei niedrigerer oder ausbleibender Rendite. (Anm. d. Ü.)

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