Liebe Genossen,
die jüngsten Ereignisse stellen die deutsche Arbeiterklasse vor große Aufgaben. Der Krieg in der Ukraine und die organische Krise des Kapitalismus haben die Spaltung der bürgerlichen Klasse vertieft und einen sprunghaften Anstieg der sozialen Spaltung provoziert.
Wir gehen davon aus, dass eine Dynamik des Klassenkampfes und der internationalen militärischen Konflikte losgetreten wurde, die sich in den kommenden Jahren stetig ver-tiefen wird. Das Scheitern des Reformismus, wie ihn die Spitze der Linkspartei federfüh-rend vertritt, ist offensichtlich. Der Kapitalismus verdammt uns zur Barbarei – es ist von großer Bedeutung, dass alle Revolutionäre ihre Kräfte in diesem entscheidenden Moment vereinen!
Gleichzeitig gibt ein Anstieg der Aktivität industrieller Kernelemente der Arbeiterklasse Marxisten zunehmend Gelegenheit, in diese wichtigen Kämpfe zu intervenieren. Die Kräfte des revolutionären Marxismus sind jedoch heute nach wie vor isoliert.
Wir haben Eure Gründung ebenso wie die von Euch veröffentlichen Debatten verfolgt. Wir begrüßen Eure grundlegende Kritik an revisionistischen Ideen, allen voran der anti-monopolistischen Strategie, wie sie in Teilen der kommunistischen Bewegung kursieren.
Wir sind überzeugt, dass das kapitalistische Weltsystem in einem solchen Maße entwickelt ist, dass wir uns – so hat es auch der Genosse Sörensen in dem von Euch veröffentlichten Podcast ausgedrückt – heute in der Phase der sozialistischen Revolution befinden.
In unseren Augen ist die Theorie der antimonopolistischen Demokratie, mit all ihren Schlussfolgerungen, eine absolut revisionistische Abweichung vom Programm des Bolschewismus, wie es 1917 in Russland zum Sieg geführt hat. Sie stellt keine Basis für revolutionäre Bestrebungen dar. Wir sehen Eure Gründung ebenso wie Differenzen, die sich in Teilen der Kommunistischen Parteien und Gruppen anderer Länder ergeben haben[1], als Teil einer begrüßenswerten Suche nach Antworten auf die kapitalistische Krise und die offenen Fragen der revolutionären Organisation. Wir haben sie in unserem Material einer Kritik unterzogen, und wollen zur erwähnten Frage in Zukunft auch noch ein Theoriemagazin erstellen.
Auch im „trotzkistischen Lager“ sind wir auf Vorstellungen gestoßen – wie die Übernahme der Forderung nach einer „konstituierenden Versammlung“ in Chile –, die mit den oben geschilderten Ansätzen nicht vereinbar sind, und schwere taktische Fehler darstellen.
Darüber hinaus haben wir auch Eure Debatte zu den derzeitigen Konflikten auf Weltebene und der Rolle Russlands verfolgt, in der ein Sektor Eurer Aktiven eine aus unserer Sicht internationalistische und notwendige Positionierung eingenommen hat.
Wir sind überzeugt, dass sich in weiten Teilen der deutschen Linken an der Frage des Ukrainekrieges im Kern zwei, wenn auch derzeit in unterschiedlichem Grad schädliche, opportunistische Strömungen hervorgetan haben: Zum einen die chauvinistische Hal-tung, die die Führung der LINKEN eingenommen hat (eine unkritische Haltung zum Wirtschaftskrieg der deutschen Bourgeoisie). Zum anderen eine Haltung, die die Kritik an der herrschenden Klasse Russlands im Angesicht der Dominanz der Vereinigten Staaten als Weltmacht zurückstellt, und von „verbesserten Kampfbedingungen“ im Fall eines – wahrscheinlichen – russischen Sieges spricht.
Wir sind der Meinung, dass sich Revolutionäre zu beiden Haltungen grundlegend ablehnend verhalten müssen. Es besteht absolute Einigkeit was die Fehler der Führung der Linkspartei betrifft. Zu letzterer Frage jedoch sind wir überzeugt, dass eine „etappistische“ Haltung gegenüber den Kriegszielen der russischen Bourgeoisie Gefahr läuft, die Arbeiterklasse Russlands an die eigenen Herrscher zu ketten. Wir erleben derzeit eine Welle des Chauvinismus und der Repressionen gegen Kriegsgegner im russischen Staat.
Ebenso ungeeignet ist eine solche Haltung aber auch in allen anderen Ländern. In der Ukraine wird Russland fortschrittlichen, kommunistischen Kräften, die es wieder aufzu-bauen gilt, nicht freie Hand lassen. In anderen Ländern, wie auch in Deutschland, beobachten wir außerdem in der Bewegung, dass auch unter den Gegnern der Sanktionspolitik große Unklarheiten existieren. Einige Teile der Friedensbewegung erklären die Wirtschaftssanktionen statt als Folge der kapitalistischen Krise nun als Ursache der sozialen Zerwürfnisse, und schüren so die Illusion, mit einer geschickteren Diplomatie gegenüber Russland oder einer Öffnung von Nord Stream 2 allein sei die Krise im Sinne der deutschen Arbeiterklasse und Armen zu lösen. Die Idee der „verbesserten Kampfbedingungen“, die durch den imperialistischen russischen Staat zu schaffen wären, geht nicht fundamental über diese reformistischen Illusionen hinaus.
Eine solche Position ist letztendlich die Position des Kleinbürgertums, die ein völlig falsches Bild vom Charakter der derzeitigen Krise und den nötigen Antworten darauf zeichnet, und von den Kräften der Rechten dankend aufgenommen werden wird.
Es ist nicht ausgeschlossen, derzeit sogar wahrscheinlich, dass der deutsche Kapitalismus seinen Kurs im Bezug auf Russland und China weiter justieren wird. Es ist aber völlig ausgeschlossen, dass die kapitalistische Krise im Rahmen des Kapitalismus zu lösen ist. In dem Kontext ist es eine reformistische Phrase, wie sie aus vergangenen Kriegen und Lenins Kritik daran in seinen Schriften zur Zimmerwalder Konferenz bekannt ist, auf „günstigere Bedingungen“ zu hoffen, die durch die Politik eines imperialistischen Staates zu schaffen sind.
Die Überakkumulationskrise des Kapitalismus ist umfassend, und macht vor dem chinesischen Staat nicht Halt.[2] Der Niedergang des westlichen Kapitalismus wird die Systemkrise der Bourgeoisie verschärfen. Nur solche Kräfte, die sich mit einem klaren revolutionären Programm auf die Kämpfe der Arbeiterklasse stützen, werden diese Herausforderungen beantworten können.
Wir begrüßen Eure Anstrengungen, in all den erwähnten Fragen Klarheit zu schaffen.
An der Diskussion über die Haltung zum Krieg in der Ukraine wurde erneut deutlich, dass es sich auch bei der stalinistischen Bewegung nicht um einen monolithischen Block handelt – ebenso, wie es im Trotzkismus nicht der Fall ist. Für uns ist eine solche Zuordnung weniger entscheidend, als die Frage, wie sich die entsprechenden Organisationen zu den wichtigsten aktuellen Fragen des Klassenkampfes positionieren.
Wir sind auf dem Weg des Trotzkismus zu den oben aufgeführten Positionen gelangt, denn aus unserer Sichtweise ist es das, was den Trotzkismus ausmacht: die Ablehnung der Idee einer bürgerlichen Zwischenetappe, die permanente Revolution und der proletarische Internationalismus.
Wir sammeln uns unter dem Banner des Trotzkismus, weil wir denken, dass es in diesem Sinne einen positiven Nutzen hat, um die Kräfte des revolutionären Marxismus ideologisch von opportunistischen Abweichungen reinzuhalten.
Auf diesem Weg sind wir uns nicht nur einig über die ideologischen Kernelemente unserer Organisation, sondern haben auch einen straffen demokratischen Zentralismus als oberstes Organisationsprinzip angenommen.
Von den grundlegenden Prinzipien unserer Arbeit wollen wir nicht abrücken. Gleichzeitig wollen wir auf der Grundlage gerne einen inhaltlichen Austausch ebenso wie eine punktuelle Zusammenarbeit mit Euch. Das nicht um der Diskussion willen, sondern mit dem uns alle vereinenden Ziel, die Kräfte des revolutionären Kommunismus aufzubauen.
Wir senden Euch Solidarität und kommunistische Grüße,
Exekutivkomitee der Marxistischen Organisation Offensiv
[1] Wir haben diesen Prozess in Portugal verfolgt, in Spanien haben wir uns eindeutig zur Jugendabspaltung der GKS im Baskenland positioniert https://www.izquierdarevolucionaria.net/index.php/estado-espanol/general/13187-la-direccion-de-eh-bildu-se-enfrenta-al-avance-de-gazte-koordinadora-sozialista-y-mugimendu-sozialista-con-metodos-injustificables
[2] https://offensiv.net/index.php/international/asien/ueberproduktion-und-gigantische-schulden-chinesischer-kapitalismus-in-der-krise