Der Kampf um die imperialistische Hegemonie verschärft sich

Wenn die Wahrheit das erste Opfer eines Krieges ist, gilt das genauso in Zeiten einer weltweiten Pandemie. Wir leben im goldenen Zeitalter der Informationstechnologie (im Jahr 2020 hatten mehr als 4,54 Milliarden Menschen, 60% der Weltbevölkerung, einen Internetzugang) – und doch ist die Zensur in den Medien unerträglich. Wie immer, wenn es um strategisch wichtige Fragen für das Kapital geht, wird nichts dem Zufall überlassen. Eine wahrheitsgemäße Berichterstattung würde im Nu die imperialistische Dekadenz der Vereinigten Staaten und Europas aufdecken und jeden Versuch demontieren, das Virus zu einer Art biblischem Fluch und gerechter Strafe für die individuelle Verantwortungslosigkeit der Bürger zu machen. Vor allem aber würde sie die verbrecherische „Katastrophenbewältigung“ der westlichen Regierungen aufdecken, auf deren Konto Millionen absolut vermeidbare Todesfälle gehen.

 Als Teil des Krieges, der aktuell tobt, hat der westliche Imperialismus eine sorgfältige Desinformationsstrategie eingesetzt, um zu verbergen, wie die Situation in China, ein Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie, ist. Selbstverständlich ist das kein Zufall. Dem liegt der Kampf um den Weltmarkt und die kapitalistische Hegemonie zugrunde. Seit April sind die Informationen bezüglich China aus den Massenmedien verschwunden und das Land wird nur noch am Rande erwähnt, um zu bekräftigen, dass seine Erfolge in der Pandemiebekämpfung nur durch ein diktatorisches Regime möglich waren und dass der Preis von offenen und „freien“ Gesellschaften, von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, nun einmal der exponentielle Anstieg von Todesfällen ist. Sollten wir dem Glauben schenken?

Die Zahlen sind aufschlussreich

Angesichts der Bevölkerungsunterschiede der verschiedenen Länder – zwischen mehr als 1,4 Milliarden Menschen in China und den 330 Millionen in den USA – gibt es eine Zahl, die bewusst ignoriert wird, die aber außerordentlich nützlich ist: die Zahl der Todesfälle pro 100.000 Einwohner. In Spanien wäre die Sterblichkeit nach offiziellen Angaben der Regierung 390-mal höher als in China, aber wenn wir die Daten der Statistikbehörde INE nehmen, die berichtet, dass es im Jahr 2020 80.000 mehr Todesfälle als erwartet gab, wäre sie mehr als 600-mal höher.

  

Tode                      

Infizierte               

Sterblichkeit (100.000 Einw.)      

Bevölkerung (Mil.)        

Welt 

2.144.452                       

99.875.897                        

nicht bekannt

7.700

USA

421.670

24.631.890

128,10

330

China

4.808

99.470

0,30

1.440

Deutschland

53.317

2.158.407

63,80

83

 Großbritannien  

98.723

3.680.102

146,20

67

 Spanien [1]

56.799

2.629.817

121,50

47,4

 Spanien [2]

80.000

-

171,13

-

 

[1] nach Regierungsangaben. [2] Zahlen der INE zur Übersterblichkeit 2020 im Vergleich zu 2019.Daten nach EL PAIS (1), Stand 26.01.2021


Kurz gesagt: Wenn China die gleiche Todesrate pro 100.000 Einwohner wie die USA hätte, würden sie über 1,7 Millionen Tote und nicht unter 5.000 beklagen; umgekehrt würde es in den Vereinigten Staaten nicht mal 1.000 Todesfälle geben anstatt der aktuellen 420.000.

Auch wenn es natürlich die Möglichkeit gibt, dass manche der Zahlen der ostasiatischen Behörden gefälscht sind, wäre es kaum möglich 1,7 Millionen Leichen zu verstecken, ohne dass irgendein Geheimdienst davon Wind bekommen und die Lügen mit großen Schlagzeilen offenbart hätte. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass die chinesischen Daten tatsächlich doppelt, dreifach oder 20-mal so hoch sind wie die Offiziellen, würde der Unterschied immer noch beträchtlich sein. Millionen von Leben könnten weltweit gerettet werden.

Die Gründe für den Unterschied zwischen China und dem Rest der Welt

Abgesehen davon, dass Jair Bolsonaro davor warnte, der Impfstoff „könnte uns in Krokodile verwandeln“ (2) oder dass Donald Trump vorschlug, Desinfektionsmittel zu trinken (3), ist es nicht schwer, die Maßnahmen der einzelnen Länder zu vergleichen. Was in den ersten Wochen dieses Jahres passiert ist, ist in dieser Hinsicht sehr erhellend.

Am 7. Januar wurde die chinesische Stadt Shijiazhuang, in der 11 Millionen Menschen leben, unter Quarantäne gestellt, nachdem 117 Fälle festgestellt worden waren. In den ersten 24 Stunden wurden mehr als 6 Millionen PCR-Tests durchgeführt und 40% davon direkt ausgewertet, der Unterricht wurde stadtweit ausgesetzt, Bahnhöfe, Busbahnhöfe und der Flughafen wurden geschlossen. (4) Am gleichen Tag gab das spanische Gesundheitsministerium 42.160 Neuinfektionen und 241 Todesfälle bekannt, ergriff aber keinerlei besonderen Maßnahmen. In Deutschland beschloss die Regierung am 5. Januar die Schließung von Schulen und nicht lebensnotwendigen Geschäften. Der Grund dafür war, dass an einem einzigen Tag 12.000 Neuinfektionen und über 900 Todesfälle aufgetreten waren. Und in den USA? Es genügt an dieser Stelle, auf die Erstürmung des Kapitols am 6. Januar hinzuweisen.

Wollen wir damit die chinesischen Behörden loben? Nichts könnte unserer tatsächlichen Absicht ferner liegen. Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass das Regime in Peking, auch wenn es sich in ihre roten Hammer-und-Sichel-Fahnen hüllt, die Interessen der kapitalistischen Bürokratie und der neuen chinesischen Bourgeoisie vertritt. China ist kein Arbeiterstaat und hat nichts mit Sozialismus zu tun. Der kapitalistische und bonapartistische Charakter von Xi Jinpings Präsidentschaft steht außer Zweifel.

Es ist aber genauso gefährlich, der westlichen imperialistischen Propaganda zu glauben. Sie versuchen die Tatsache zu verbergen, dass China in der Lage war, auf die Pandemie zu reagieren und sie zu besiegen. Die entscheidende Frage ist: Wie war das möglich? Die Antwort auf diese Frage liegt nicht darin, dass Bolsonaros Brasilien oder Trumps USA Leuchttürme der Freiheit und Demokratie sind; es sollte sofort offensichtlich sein, wie absurd ein solches Argument ist. Nein, die Frage hat eine materielle und keine moralische Grundlage, nämlich die außerordentliche Macht und der Aufstieg des „Roten Drachens“ China.

Die kapitalistische Propaganda der Mächte im Westen stellt uns vor das scheinbare Dilemma, zwischen dem Recht auf Gesundheit oder dem Überleben der Wirtschaft zu wählen. Millionen von arbeitenden Familien stehen vor der Wahl, an dem Virus zu sterben oder bestenfalls in die Armut abzurutschen, wenn die nicht lebensnotwendige Produktion und die Geschäfte geschlossen werden, um die Ausbreitung des Virus aufzuhalten. Aber das das Corona-Virus zu einer so tödlichen Pandemie geworden ist, ist ein Symptom, nicht die Ursache unserer tragischen Situation.

Der Ursprung der gegenwärtigen Katastrophe ist die jahrzehntelange brutale Kürzungs- und Sparpolitik, die Diktatur der großen Monopole, auch im Gesundheitsbereich, vor der sich alle Regierungen in Europa und den USA beugen. Kurz gesagt, die Ursache ist die organische Krise des kapitalistischen Systems, das nach der großen Rezession von 2008 nicht in der Lage war, die eigene Stagnation zu überwinden, wodurch sich der anhaltende Niedergang des US-amerikanischen und europäischen Imperialismus manifestiert hat.

Der chinesische Staat hat wichtige Erfolge im Kampf gegen die Pandemie erreicht, aber das hat nichts mit Gründen moralischer Natur oder der großen Sorge der chinesischen Führer um das Wohlergehen ihres Volkes zu tun. Der Grund ist ein anderer: China befindet sich inmitten einer Offensive zur Eroberung des Weltmarktes und muss seine Produktions- und Exportmaschinerie in Gang halten. Im Inland haben sie eine viel stabilere Situation, eine repressive Gesetzgebung, die die konstante Überausbeutung ihrer Arbeitskräfte sicherstellt (5), die Möglichkeit, die Rohstoffe zentralisiert aufzuteilen etc. Diesen Aspekten liegt der Staatskapitalismus zugrunde, der durch die aus der maoistischen Periode geerbten wirtschaftlichen und politischen Struktur, durch einen enormen Handelsüberschuss, riesige Devisenreserven und durch eine hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit getragen wird.

Politik ist konzentrierte Ökonomie

Betrachten wir die chinesische Politik in der Pandemie aus dieser Perspektive. Nach den anfänglichen Irrtümern und Vertuschungen beschlossen die Behörden, als die Tödlichkeit des Virus und die Geschwindigkeit der Ausbreitung erst einmal bestätigt waren, die wirtschaftliche Aktivität vollständig zu stoppen. Die Auswirkungen dieser Entscheidung ließen nicht lange auf sich warten: Das erste Quartal 2020 wies in China eine ähnliche Entwicklung wie im Westen auf. Das BIP sank um 6,8% und die Industrietätigkeit um 6%, während der inländische Konsum und die Investitionstätigkeit sich ebenfalls negativ entwickelten.

Das chinesische Regime war sich bewusst, dass, wenn die Pandemie außer Kontrolle geriet, die Perspektive nicht ein oder zwei schlechte Quartale, sondern eine lange und quälende Depression sein würde. Ihre schnellen und drastischen Maßnahmen zeichneten sich aus. China ist die einzige Volkswirtschaft, die 2020 mit einem positiven Wachstum abschließt. Prognosen zufolge wird sie auch im Jahr 2021 das Wachstum ihrer direkten Konkurrenten um das Doppelte übertreffen.

Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes nach der Weltbank:

 

2021              

2020            

 Welt

 4,0

-4,3 

 China

7,9 

2,3 

 USA

3,5 

-3,6 

 Europäische Union

3,6 

-7,4 

 Japan

2,5 

5,3 



Bereits während der Krise 2008 wurden die Unterschiede zwischen China und den westlichen Staaten deutlich. Damals wurden nach offiziellen Angaben mehr als 20 Millionen Arbeitsplätze vernichtet, aber durch die Umsetzung verschiedener staatlicher Investitionspläne, die insgesamt mehr als eine Billion Dollar umfasst haben und die dank des großen wirtschaftlichen Überschusses genutzt werden konnten, konnte ein erheblicher Teil der Beschäftigung und der Nachfrage in der Großindustrie wieder hergestellt werden.

Die „Wirksamkeit“ der chinesischen Pandemie-Politik wird genährt durch eine mächtige Infrastruktur in Produktion und Handel, die den Vormarsch der Produktivkräfte in den letzten Jahren widerspiegelt. Die brutale Ausbeutung von Hunderten Millionen Bauern, die in die Städte gekommen sind und dort zum großen Nutzen der chinesischen Kapitalisten und der westlichen
multinationalen Konzerne in halb-sklavische Arbeitsbedingungen gezwungen werden, sind ebenso ein Merkmal dieses Wachstums wie die erschreckende Umweltzerstörung.

Natürlich bekommt auch die chinesische Wirtschaft die Auswirkungen der globalen Überproduktionskrise, die Instabilität des Finanzsektors (die vor drei Jahren zum Zusammenbruch des chinesischen Aktienmarktes führte) und das rasante Wachstum der Unternehmens- und Bankenschulden (eine Zeitbombe in den Eingeweiden der kapitalistischen Wirtschaft) zu spüren. Aber der Punkt ist, dass sich die Konkurrenten des chinesischen Imperialismus in einer viel schlechteren Lage und einem viel tieferen und allgemeineren Rückzug befinden.

Es gibt zwei Fakten, die uns helfen können, die wirkliche Dimension dieses historischen Prozesses zu erkennen. Ab 1980 verließen Abermillionen Menschen die ländlichen Regionen auf der Suche nach einer beruflichen Zukunft in den städtischen Zentren – eine Binnenmigrationsbewegung, die einem Vielfachen der deutschen Gesamtbevölkerung entspricht. Das führte zu einer qualitativen Veränderung des Landes: Der Anteil der Stadtbevölkerung stieg von 26% im Jahr 1990 auf 60% im Jahr 2020. Heute leben mehr als 840 Millionen Menschen in den chinesischen Großstädten.

Eine demografische Veränderung dieses Ausmaßes wurde durch große Investitionen in die Industrie, zunächst hauptsächlich aus dem Ausland, ermöglicht. Der massive Pool an Arbeitskräften unter fast schon sklavischen Bedingungen ohne jegliche Gewerkschaftsrechte zog Berge von westlichem Kapital an und führte zu dem berühmten Outsourcing von Unternehmen aus Europa und den USA nach Südostasien. Dieses Phänomen, das Teile des Kapitalflusses aus den imperialistischen Zentren wegverlagerte und den multinationalen Unternehmen millionenschwere Renditen bescherte, trug dazu bei, die Wirtschaft Chinas, das Transportwesen und die Infrastruktur, zu modernisieren. Es handelte sich um eine ungleiche und kombinierte Entwicklung, die, ausgehend von der Rückständigkeit und der eisernen Kontrolle des stalinistischen Apparates, das Land zu einem hohen Grad an Modernität führte, ohne die historische Phase der westlichen Mächte durchlaufen zu müssen.

Die kapitalistische Restauration in China folgte einem deutlich anderen Weg als die Russlands und der Länder Osteuropas. Anstatt eine lange Periode des Zusammenbruchs zu durchlaufen, mit Einbrüchen der Wirtschaft, die nur mit denen von langen Kriegen vergleichbar sind, und einer weit verbreiteten Verarmung der Bevölkerung, verzeichnete China ein jahrzehntelanges anhaltendes Wachstum. Ein einziges Beispiel, um unsere Aussage zu belegen: Wurden die Bruttoanlageinvestitionen in China im Jahr 2000 auf 400 Milliarden Dollar geschätzt, so erreichten sie 2018 5,5 Billionen und übertrafen damit den bisherigen Höchststand in den USA. Es ist kein Zufall, dass dieser Wendepunkt genau zwischen den Jahren 2008 und 2010 stattfand.

Bruttoanlageinvestitionen (in Billionen Dollar) nach Indexmundi:

 Jahr       

 China      

USA        

Verhältnis

China/USA [1] 

 2000

 0,4

 2,4

 16,7

 2010

 2,9

 2,8

 103,6

 2018

 5,7

 4,3

 132,6

 

[1] Prozentsatz China im Gesamtverhältnis zu den USA.

Dank dieser massiven ausländischen Investitionen wurde China zum „Sweatshop of the World“ gekürt und die Erzeugnisse von Made in China überschwemmten alle Kontinente. Seit 2008 fiel der Gesamtwert der chinesischen Exporte nie unter 1,2 Billionen Dollar, ab 2012 lagt die Untergrenze bei über 2,2 Billionen und im Jahr 2020, im Jahr der Pandemie, hat er den Rekordwert von 2,49 Billionen erreicht. Damit wurde ein rekordverdächtiger Handelsüberschuss von 535 Milliarden Dollar erzielt, der höchste seit fünf Jahren! (6)

Amerikanische Vorherrschaft in Gefahr

Der Aufstieg Chinas und der Niedergang des Westens entwickeln sich zwar in entgegengesetzten Richtungen, sind aber dialektisch miteinander verknüpft und durch Sprünge in der Entwicklung, in denen sich Quantität in Qualität wandelt, unterbrochen. Obwohl dem asiatischen Land die Rolle des Produzenten von geringwertigen Gütern sowie von Vor- und Importprodukten zugewiesen wurde, haben sich die Dinge stark verändert.

Die Führer der chinesischen stalinistischen Bürokratie studierten sorgfältig die Auflösung der UdSSR, als sie die kapitalistische Restauration in ihrem eigenen Land in Angriff nahmen. Die KPCh steuerte die Demontage der Planwirtschaft, indem sie ihre Interessen um jeden Preis schützte und auf eine starke Zentralisierung und einen mächtigen Staatssektor zurückgriff. Die Partei und der Staat verschmolzen weiter, aber als Werkzeug im Dienst der kapitalistischen Akkumulation.

Diese eigentümliche, historische Formation des chinesischen Staatskapitalismus akzeptierte die Rolle nicht, die die Großmächte China zugewiesen hatten. Die chinesische Bourgeoisie verstand, dass die Bedingungen, um mit den Großmächten zu konkurrieren, schnell heranreifen würden. Das enorme Kapital, das ihnen dank des Handelsüberschusses zur Verfügung stand, erlaubte es ihnen, ihren Bedarf an Rohstoffen zu decken und millionenschwere Investitionen in aller Welt zu tätigen. Latein- und Zentralamerika, Afrika und viele asiatische Länder sind zunehmend von chinesischen Käufern und Krediten abhängig.

Diese quantitative Entwicklung war so umfassend, dass sie sich in einen qualitativen Schritt umgewandelt hat. Die USA haben ihre Position als Bankier der Welt verloren. China ist inzwischen Gläubiger von mehr als 5 Billionen US-Dollar, was 6% des weltweiten Bruttoinlandproduktes entspricht. (7) Der Anteil des asiatischen Riesen an den Gesamtschulden anderer Nationen gegenüber den G20-Ländern stieg von 45% im Jahr 2013 auf 63% Ende 2019. Im gleichen Zeitraum blieb der Anteil Japans, des zweitgrößten G20-Gläubigers, unverändert bei 15% (nach den Daten der Weltbank). China ist nach Japan der größte Inhaber von US-Schulden.

Aber die Veränderungen sind nicht auf den Finanzsektor beschränkt. China kämpft um die technologische Vorherrschaft, und das bewusst und beharrlich, wie die folgende Tabelle zeigt.

Investition in Forschung und Entwicklung (in Prozentsatz des BIP) nach der Weltbank:

 

2018   

2010   

2000   

1998   

Welt 

 2,27

 2,02

 2,06

 1,98

USA

 2,84

 2,74

 2,63

 2,50

Deutschland

 3,09

 2,71

 2,40

 2,21

China

 2,19

 1,71

 0,89

 0,65

 

Obwohl Deutschland im Jahr 2018 prozentual mehr für Forschungsinvestitionen ausgegeben hat als China, hinkt es in Bezug auf den absoluten Umfang hinterher: 0,1 Billionen Dollar im Vergleich zu 0,31 Billionen durch die Chinesen.

Der Wettlauf um die technologische Vorherrschaft wird von Peking ausgenutzt. Wir müssen nur auf die Besessenheit des US-Imperialismus mit den Fortschritten des chinesischen Konzerns Huawei schauen. Ebenso bedeutsam ist auch die Teilnahme am Wettlauf ins All, die China 2020 mit dem Erfolg der Mondmission Chang’e 5 in die elitäre Gruppe der Länder katapultierte, die es geschafft haben, Mondproben zur Erde zu bringen. Von den beiden anderen Mächten, die sich damit rühmen können, ist eine die USA und die andere die ehemalige Sowjetunion.

Wir haben weiter oben festgestellt, dass die Corona-Pandemie die Folge und nicht die Ursache des globalen Leids war. Aber, wie der der Marxismus erklärt, sind soziale und ökonomische Ereignisse in ständiger Bewegung und Veränderung. Unter bestimmten Umständen werden die Folgen in Ursachen umgewandelt.

Gab es schon vor der Pandemie eine große weltweite Abhängigkeit von chinesischen medizinischen Geräten (8), so hat der wirtschaftliche Zusammenbruch dem Land weitere Möglichkeiten gegeben, diesen Markt zu übernehmen. Gleichzeitig haben die Drohungen der USA und der Handelskrieg mit seinen Zollsanktionen nicht gefruchtet. Während der Präsidentschaft Trumps hat sich das Handelsdefizit der USA mit China keineswegs verringert, sondern sogar noch um 13% erhöht (9).

China hat die USA noch nicht als vorherrschende Macht abgelöst. Die US-Wirtschaft behauptet ihre Stellung in wichtigen Bereichen: Die Vereinigten Staaten haben nach wie vor ein höheres BIP, eine höhere Arbeitsproduktivität, der Dollar ist weiterhin die dominierende Währung auf dem Weltmarkt. Aber es ist ein lebendiger Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Wer wird sich durchsetzen? Es wäre voreilig , eine hundertprozentige Aussage zu treffen und das eigene Sichtfeld einzuschränken, aber die derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Umstände begünstigen zweifelsohne das Regime in Peking.

Es gibt historische Parallelitäten und wir sollten diese ernsthaft studieren. Als die USA Großbritannien das Zepter entrissen und gerade die furchtbare Krise, die 1929 begann, den Amerikanern den letzten und entscheidenden Stoß versetzten, schrieb Trotzki: „…wir schließen auch nicht aus, dass die nächste Krise angesichts des derzeitigen globalen Ausmaßes des amerikanischen Kapitalismus extrem tief und akut sein wird. Aber es gibt absolut nichts, was die Schlussfolgerung rechtfertigt, dass dies die amerikanische Hegemonie einschränken oder schwächen wird (…) Es ist genau andersherum. In einer Zeit der Krise werden die USA ihre Herrschaft umfassender, dreister und brutaler ausüben als in einer Zeit des Booms. Die USA werden versuchen, ihre Probleme und Übel auf die Schultern Europas abzuwälzen.“ (10)

Die aktuelle Krise wird China weitere Vorteile verschaffen.

Imperialistische Konkurrenz und Klassenkampf

Im November letzten Jahres gelang dem chinesischen Imperialismus ein neuer Sieg, und zwar durch die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), einem Vertrag, der von 15 Ländern aus dem asiatisch-pazifischen Raum unterzeichnet wurde. Die Mitgliedsstaaten umfassen eine Bevölkerung von mehr als 2,2 Milliarden Menschen, machen etwa ein Drittel der Weltwirtschaft aus und erwirtschaften zusammen ein BIP von etwa 26,2 Billionen US-Dollar, in der am schnellsten wachsenden Region der Welt. Es ist eine schlagkräftige Antwort auf den von den USA entfesselten Handelskrieg: China exportiert bereits mehr nach Südostasien als in die USA oder nach Europa. (11) Und das wurde inmitten einer Pandemie erreicht! Wir können erahnen, was in der kommenden Zeit passieren könnte.

Seit Jahren verlieren die USA in vielen strategischen Bereichen Boden an China, von Lateinamerika über Afrika und den Nahen Osten bis zum Pazifik. Dieser voranschreitende Verlust ihrer externen Ausbeutungsmöglichkeiten hat im eigenen Land zu großer sozialer Instabilität, verstärktem Klassenkampf und tiefer politischer Polarisierung geführt. Historische Bewegungen wie Black Lives Matter oder die massenweise Unterstützung für Bernie Sanders sind Ausdruck der Radikalisierung von Millionen Arbeitern jeder Herkunft und Hautfarbe. Aber diese Medaille hat auch eine Kehrseite: Die enorme Wählerbasis für Trump bei den letzten Wahlen, die Offensive der faschistischen Milizen und der jüngste Angriff auf das Kapitol zeigen die Wut und Ohnmacht der verarmten Mittelschichten und demütigen den Staatsapparat vor den Augen der ganzen Welt.

Wenn wir den asiatischen Riesen betrachten, sehen wir eine völlig andere Klassenstruktur. Das fängt bei der Situation der Mittelschichten an – ein sozialer Sektor, der, wenn er zufrieden ist und der Zukunft optimistisch entgegenblickt, geradezu zu einem Puffer für den Klassenkampf wird. Auch wenn die offiziellen Zahlen der bürgerlichen Analysten oft auf beliebigen Kategorien beruhen, wer genau zum Kleinbürgertum oder zur Mittelschicht zählt, ist die Entwicklung der letzten Jahre bemerkenswert. Im Jahr 1990 stellten die USA und Westeuropa drei Viertel der weltweiten Mittelschicht, obwohl sie nur ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachten. (12) Im Jahr 2018 ist es China, in dem sich fast 50% der weltweiten Mittelschicht konzentriert. (13)

Während weltweit der Ton eines sich verschärfenden Klassenkampfes dominiert, mit kontinuierlichen revolutionären Ausbrüchen, defensiven Kämpfen gegen die Austeritätspolitik und dem Anwachsen des Rechtspopulismus, oszilliert China zwischen vereinzelten offensiven Streiks für eine gerechtere Verteilung des Kuchens und einer auffallenden sozialen Stabilität; vor allem im Vergleich zu dem, was in den USA und dem Rest der Welt passiert. Zwischen 2008 und 2019 haben sich die Reallöhne in China verdoppelt, so dass 2016 die chinesischen Löhne die der größten Länder Lateinamerikas und einiger EU-Länder wie Rumänien und Bulgarien übertrafen. Während sich der durchschnittliche Stundenlohn in Chinas Industrie zwischen 2005 und 2016 verdreifachte und 3,60$ erreichte, sank der durchschnittliche Lohn eines Industriearbeiters in Brasilien im gleichen Zeitraum von 2,90$ auf 2,70$, in Mexiko von 2,20$ auf 2,10$. (14)

Interessant sind auch die Widersprüche, die dieser Prozess der Akkumulation innerhalb der herrschenden Klasse Chinas selbst hervorruft. Der Fall von Ma Yun (vor allem unter dem englischen Namen Jack Ma bekannt, Anm. d. Ü.), dem Besitzer des Alibaba-Imperiums, ist ziemlich eindrucksvoll.

Zahlreichen Berichten zufolge konzentrierte dieser reiche Kapitalist eine ungeheure Menge Macht auf sich – einige Investoren schätzten den Wert seines Konglomerates auf 359 Milliarden Dollar – und stellte, insbesondere durch die Tochtergesellschaft Aliplay, die mit ihren Krediten an 20 Millionen Privatkunden und 500 Unternehmen in direkte Konkurrenz zu den staatlich unterstützen Banken trat, eine echte Bedrohung für den chinesischen Staat dar. Als Reaktion auf das unaufhörliche Wachstum der Unternehmensgruppe und die Kritik, die dieser Tycoon unaufhörlich an der Wirtschaftspolitik der Regierung geäußert hatte, verschoben die Behörden nur 48 Stunden vor dem geplanten Termin den Börsengang seines Unternehmens AntGrup, von dem sich Ma eine Kapitalisierung von über 30 Milliarden Dollar versprochen hatte. Seitdem gibt es Gerüchte über eine mögliche Verstaatlichung.

Der chinesische Kapitalismus befindet sich in einer Phase des Aufstiegs und wahrscheinlich werden die Auswirkungen der aktuellen Krise auf seine Konkurrenten diesen nur noch verstärken. Aber es ist notwendig zu betonen, dass wir es nicht mit einer neuen Form eines tugendhafteren Kapitalismus zu tun haben, der die inneren Widersprüche der kapitalistischen Produktion überwinden kann. Kein Land, keine Volkswirtschaft, egal wie mächtig sie ist, kann sich in dieser Epoche der imperialistischen Dekadenz vom Weltmarkt und der weltweiten organischen Krise abkoppeln.

In einer ganzen Reihe von Bereichen beginnt China bereits, am Werner Syndrom zu leiden; einer Krankheit, die den Organismus zu schnell altern lässt. Graue Haare, Verkalkung der Arterien, Herzversagen, Diabetes… Im Falle eines wirtschaftlichen Organismus übersetzt sich das in eine gigantische Verschuldung (15), ausufernde Finanzspekulation, Immobilienblasen, Umweltzerstörung und vielem mehr.

Zum Schluss erlauben wir uns, Trotzki zu zitieren, und empfehlen dem Leser, „amerikanischer Kapitalismus“ durch „chinesischen Kapitalismus“ zu ersetzen: „Ein neuer ökonomischer Aufschwung (und man kann ihn nicht im vorhinein für ausgeschlossen halten) wird sich nicht auf das innere ‚Gleichgewicht‘, sondern auf das gegenwärtige Chaos der Weltwirtschaft stützen müssen. Der amerikanische Kapitalismus ist in die Epoche eines ungeheuerlichen Imperialismus eingetreten, eines beständigen Wachstums der Rüstung, der Einmischung in die Angelegenheiten der ganzen Welt, militärischer Konflikte und Erschütterungen“ (16)

 

Anmerkungen:

(1) Casos confirmados de coronavirus en España y en el mundo, https://elpais.com/sociedad/2020/07/27/actualidad/1595838623_808240.html.
(2) Bolsonaro dice que la vacuna de Pfizer podría tener como efecto secundario convertir a las personas en caimans, https://amp.20minutos.es/noticia/4516241/0/bolsonaro-dice-que-la-vacuna-de-pfizer-podria-tener-como-efecto-secundario-convertir-a-las-personas-en-caimanes/.
(3) Trump sugiere inyectar desinfectante y luz a enfermos de la Covid-19 para matar al virus, https://www.lavanguardia.com/internacional/20200424/48691995298/donald-trump-desinfectante-luz-enfermos-covid-19-coronavirus.html.
(4) Daten der Agentur EFE, in La Vanguardia veröffentlicht. China cierra una ciudad de 11 millones de habitantes tras más de cien casos, https://www.lavanguardia.com/internacional/20210107/6172935/china-cierra-ciudad-11-millones-habitantes-mas-cien-casos.html.
(5) Wir müssen offensichtlich die Fähigkeiten und den Willen des Regimes bezweifeln, in der Quarantäne eine systematische, sichere und soziale Gesundheitspolitik für den Großteil der arbeitenden Bevölkerung, vor allem in den produktiven Sektoren, durchzuführen. Das Gleiche gilt für Millionen Bauern und Arbeiter, die in überfüllten Fabriken für die großen Technologie-, Textil- und Spielzeugproduzenten tätig sind. Die Möglichkeiten und Maßnahmen für „Social Distancing“, klare Hygieneregeln und allgemeine Gesundheitsversorgung werden in den meisten Fällen durch Abwesenheit glänzen. Dennoch sind in den großen städtischen Zentren die ergriffenen Maßnahmen viel drastischer, energischer und effektiver als die in den westlichen Ländern.
(6) Indexmundi. Cuadros de Datos Históricos Anuales, https://www.indexmundi.com/g/g.aspx?c=ch&v=85&l=es.
(7) Los créditos ocultos de China a los países en desarrollo y su creciente poder como el "gran prestamista" del mundo, https://www.bbc.com/mundo/noticias-53273716.
(8) Nach Angaben des Peterson Institute for International Economics wurden 50% der PSA-Schutzanzüge, 71% der Masken, 38% der Handschuhe und 58% der Schutzbrillen der in Europa konsumierten medizinischen Güter in China hergestellt.
(9) La pandemia crea un nuevo orden mundial: todos pierden, China gana, https://www.elconfidencial.com/economia/2020-10-12/pandemia-orden-mundial-china-crece-pib_2785056/.
(10) Frei aus dem Spanischen übersetzt da im Deutschen nicht verfügbar, nach: El bagaje de conocimientos de Molotov, septiembre de 1930.
(11) El Sudeste Asiático se convierte en el mayor socio comercial de China, https://www.lavanguardia.com/economia/20210111/6179733/sudeste-asiatico-china-asia-comercio-asean.html.
(12) La emergencia de la clase media: cosa de emergentes, https://www.caixabankresearch.com/es/economia-y-mercados/mercado-laboral-y-demografia/emergencia-clase-media-cosa-emergentes.
(13) Siehe Credit Suisse Wealth Report China ya concentra la mitad de la clase media mundial, lavanguardia.com/economia/20181021/452454099592/distribucion-riqueza-china-clase-media-espana-informe-datos.html
(14) Alle Daten stamen aus dem Global Wage Report 2018-19 der Weltarbeitsorganisation.
(15) Während sich das BIP in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat, stieg die Staatsverschuldung Chinas nach Angaben des Institutes of International Finance von 34% im Jahre 2010 auf über 63% im dritten Quartal 2019. Unter Miteinbeziehung privater Haushalte und nichtfinanzieller Unternehmen stieg das Verhältnis zwischen Verschuldung und BIP im gleichen Zeitraum von 178% auf 289%.
(16) Leo Trotzki: Deutschland – der Schlüssel zur internationalen Lage, 16. November 1931.

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