Wir erleben außergewöhnliche Zeiten. Tag für Tag berichten uns die Medien darüber, wie unsere Welt zu einer dieser apokalyptischen Dystopien wird, die in so vielen Science-Fiction-Serien und -Filmen die Hauptrolle spielen: Die Natur stirbt und es wütet der Klimawandel, extreme Temperaturrekorde und Dürreperioden stehen neben verheerenden Überschwemmungen, Hungersnöte breiten sich aus, Der Kampf um die Weltherrschaft verschärft sich, die nukleare Bedrohung wird wiederbelebt, die Inflation steigt im Vorfeld einer neuen wirtschaftlichen Rezession an und nährt darüber hinaus eine neue Welle von Volksaufständen und Massenstreiks….

Genau inmitten dieser erschreckenden Realität bricht der Krieg in der Ukraine aus. Wir stehen vor dem, was Marxisten als Wendepunkt in der Geschichte bezeichnen, der unser Leben und die Art und Weise, wie wir die Welt sehen und verstehen, verändern wird. Es ist leicht zu erkennen, dass wir es nicht mehr nur mit einem Scharmützel zu tun haben und dass die beiden mächtigsten Akteure auf der Welt eine neue Stufe in ihrem Kampf erreicht haben und sogar über die Möglichkeit eines Dritten Weltkrieges spekulieren.

Das kapitalistische System als Ganzes und die bürgerliche Demokratie als ihr glänzendes politisches Werk haben nicht nur ihre gesellschaftliche Legitimation verloren; das innere Gleichgewicht, das sie in den letzten Jahrzehnten genossen haben, ist ins Wanken geraten. Es ist offensichtlich, dass die Strategien des US-Imperialismus, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR die internationalen Beziehungen bestimmt haben, aus den Angeln gehoben wurden. Tiefgreifende Veränderungen im globalen Kräfteverhältnis bestimmen diese neue Ära und spiegeln die gewaltigen Veränderungen wider, die an der Basis des internationalen Kapitalismus stattgefunden haben: der Niedergang des amerikanischen Kolosses und die Probleme der USA, mit dem Aufstieg Chinas als Supermacht fertig zu werden.

Frieden, Diplomatie und Kriegspropaganda

Unter diesem Gesichtspunkt stellt der Krieg in der Ukraine auch die Organisationen der Linken auf die größte Bewährungsprobe seit dem Zusammenbruch des Stalinismus. Ob sie nun mehr als ein Jahrhundert oder nur ein Jahrzehnt alt sind, ob groß oder klein, sie werden ausnahmslos von ihrer Haltung zu diesem Thema geprägt sein.

Erwartungsgemäß hat uns die klassische Sozialdemokratie keine Überraschungen bereitet. Von Pedro Sanchez über den norwegischen Labour-Abgeordneten Jens Stoltenberg – den derzeitigen Generalsekretär des Atlantischen Bündnisses NATO – bis zur schwedischen Ministerpräsidentin Eva Magdalena Andersson, die gespannt die Tage bis zum Beitritt ihres Landes in die NATO zählt, verhalten sie sich alle wie erfahrene und zuverlässige Militaristen für den westlichen Imperialismus. Nichts neues unter der Sonne.

Für Aktivistinnen und Aktivisten, die in den sozialen Bewegungen und Gewerkschaftskämpfen involviert sind, die aufrichtig bestrebt sind, die Gegenwart, die wir erleben, zu verändern, ist es viel notwendiger, die Positionierung der anderen Linken zum Krieg zu klären, die jetzt institutionalisiert ist, aber in der Hitze der Mobilisierungen der letzten Jahre entstanden ist. Und dafür gibt es nichts Besseres, als sich eingehend mit dem Manifest „Ukraine: Frieden jetzt!“ (Ucrania: Paz Ya!) [1] zu befassen, das am 18. April dieses Jahres als Präambel der Europäischen Friedenskonferenz veröffentlicht wurde, die vier Tage später in Madrid stattfand.

An dem Treffen nahmen Organisationen wie Podemos, ERC (Republikanische Linke Kataloniens, Anm. d. Ü.), EH Bildu (eine baskische linke Koalition), BNG (Linke Koalition für die Unabhängigkeit Galiziens) und internationale Gäste wie Jeremy Corbyn oder Catarina Martins vom portugiesischen Bloco de Esquerda teil. Das Manifest wurde außerdem von Pablo Iglesias, Declan Kearney (Sinn Fein), Nicola Fratoianni (italienische Linke), Yannis Varoufakis, Noam Chomksy oder Rafael Correa (ehemaliger linker Präsident Ecuadors, Anm. d. Ü.) unterzeichnet. Auch Jean-Luc Mélenchon (France Insoumise) und Dimitris Tzanakopoulos (Syriza) haben teilgenommen.

Obwohl diese Initiative bisher nur wenig Beachtung gefunden hat, ist sie vor allem deswegen interessant, da sie die alten pazifistischen Positionen auffrischt, die bereits während des Ersten und Zweiten Weltkrieges eine heftige Polemik in der Arbeiterbewegung ausgelöst hatten. Gehen wir von dem aus, was die Erklärung wörtlich sagt:

„Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand und unterstützen die Verhandlungen für einen umfassenden und dauerhaften Frieden. Die Vereinten Nationen und andere einschlägige internationale Organisationen müssen bereit sein, eine Einigung zu gewährleisten.

Präsident Selenskyj hat die beiden wichtigsten Bedingungen für den Frieden umrissen: Die russischen Invasionstruppen müssen sich aus der Ukraine zurückziehen, und die Ukraine wird ein neutrales Land. Wir fordern die Regierungen und die Medien auf, jede kriegerische Sprache aufzugeben und den Dialog auf dieser Grundlage zu fördern und zu stärken. (...)

Wir fordern die Regierungen auf, den Wohlfahrtsstaat zu schützen, die sozialen Rechte aller Bürger zu garantieren und die Ungleichheit zu verringern. Es ist an der Zeit, dass die Reichen und die Konzerne einen angemessenen Beitrag zur Gesellschaft leisten, damit die Einkommen der großen Mehrheit nicht wieder die Kosten dieser Krise tragen.“

Sechs Monate nach Ausbruch des Krieges scheinen die Kernpunkte dieses Manifests überhaupt kein Gehör gefunden zu haben, ganz im Gegenteil. Wie Lenin zu sagen pflegte ist die Wahrheit konkret, und wenn wir uns an die Tatsachen halten, sind die Wunschträume dieser Erklärung, einschließlich der Schmeicheleien, mit denen Selenskyj geschmückt wird, an der Dynamik des Konflikts und an den mächtigen Interessen, die auf dem Spiel stehen, gescheitert.

Es wäre wirklich wunderbar, wenn diese Menschen, die glauben sie hätten die Fähigkeit, die Mächtigen mit ihren Reden zu bewegen, das Leid beenden würden. Wie in einem der Disney-Songs, könnten wir in einer idealen Welt leben. Aber die hartnäckige Realität, zumindest für die große Mehrheit, gleicht stattdessen immer mehr einem Horrorfilm. [2]

Ist es möglich, dass Pablo Iglesias, Jeremy Corbyn, Mèlenchon oder Yanis Varoufakis wirklich glauben, dass die diplomatischen Bemühungen der UNO diesen Konflikt beenden werden? Glauben Sie, dass der Appell an die Menschlichkeit der Regierungen den Wohlfahrtsstaat und die sozialen Rechte schützen oder die Ungleichheit verringern wird? Ganz bestimmt nicht. Sie sind intelligent und belesen und wissen aus eigener Erfahrung, wie wirtschaftliche, politische und militärische Macht aussieht.

Warum sagt man uns dann, dass „Präsident Selenskyj die zwei wesentlichsten Bedingungen für den Frieden umrissen hat“? Sehen sie nicht, dass Selenskyj jegliche Friedensverhandlungen ablehnt, während er Millionen seiner ukrainischen Mitbürger in einem Krieg opfert, den er für die Interessen des westlichen Imperialismus führt? Wissen sie denn nicht, dass es eines der wildesten kriegerischen Elemente der Hauptverantwortlichen der europäischen Diplomatie, der spanische „Sozialist“ Josep Borrel, war, der vor Selenskyj erklärte: „Das Mindeste, was wir tun können, ist euch Waffen zu geben (...) ihr braucht Waffen, Waffen, Waffen“ [3]?

Auch hier gibt es nichts Originelles. Lenin hatte während des Ersten Weltkrieges auch mit Leuten zu tun „deren beispiellose Naivität an den hinterhältigen Wunsch grenzt, die alte Heuchelei zu verewigen. [4] Es lohnt sich nicht, über die Ehrlichkeit oder den Opportunismus der Erklärung zu spekulieren, denn letzten Endes zählt ihre Wirkung unter den Aktivisten: Illusionen zu wecken – ebenso falsche wie reaktionäre –, dass die Mächte, die bereits die größten Kriegsverbrechen und Staatsterrorismus begangen haben, eine gerechte Lösung herbeiführen könnten.

Rafael Poch, ein normalerweise gut informierter Journalist und überraschenderweise Unterzeichner des Manifests, erinnerte sich erst kürzlich: „Frankreich hat in Algerien Krieg geführt und dort eine Million Tote hinterlassen. In Indochina wurden weitere 350.000 Menschen getötet und 15 Millionen durch die kaiserliche Trennung von Indien und Pakistan vertrieben. In Kenia hat die Entkolonialisierung 300.000 Tote und 1,5 Millionen Gefangene gefordert. Sogar das kleine Holland hat die Rechnung von 100.000 Toten zugegeben, die sein vierjähriger Kolonialkrieg in Indonesien gefordert hat. Und was ist mit den Vereinigten Staaten, dem großen Patron des Westblocks? Sein ehrwürdiger Niedergang zieht seit Jahrzehnten einen permanenten Krieg nach sich. Seit dem 11. September 2001 hat sie nach der eher freundlichen Rechnung der Brown University in den Vereinigten Staaten („Cost of War“) die Zerstörung ganzer Gesellschaften verursacht, 38 Millionen Vertriebene und 900.000 Tote.“ [5]

Wir könnten noch viel mehr Untaten in diese Chronik des Friedens aufnehmen, wie die Durchführung blutiger Militärputsche in Lateinamerika oder die Unterstützung des zionistischen Regimes in Israel bei der Zerschlagung des palästinensischen Volkes. Aber, wie die Volksweisheit sagt: Es gibt keinen schlimmeren Blinden als den, der nicht sehen will.

Darüber hinaus stellt sich heraus, dass laut den Führern von Podemos, ERC, EH Bildu oder der BNG die „Medien jede kriegerische Sprache beiseitelassen müssen, um zum Frieden beizutragen.“ Es sind dieselben Medien, die ständig Kriegspropaganda verbreiten und ihre Seiten mit Erklärungen gegen die totalitäre Bedrohung durch die Russen – unterstützt von den ebenfalls bösen Chinesen – füllen, die unseren Lebensstil zerstören und die „Demokratie“ und dieses angebliche Völkerrecht, das die Menschenrechte schützt, untergraben. Was genau meinen sie? Die 96,5 Millionen armutsgefährdeten Menschen allein in der EU [6] oder die Millionen Menschen, die als illegal gelten [7], die zu Zehntausenden bei dem Versuch sterben, in die Länder der sogenannten Ersten Welt zu gelangen, oder in Konzentrationslagern unter den unmenschlichsten und erniedrigendsten Bedingungen zusammengepfercht sind?

Tatsache ist, dass uns diese Kampagne gegen das russische Volk, das auch Opfer des kapitalistischen und imperialistischen Regimes Putins ist, vertraut ist. Indem sie den amerikanischen und europäischen Imperialismus von jeder Verantwortung für diesen Krieg freisprechen (Moskau hat zuerst angegriffen!) wollen sie uns mit dem Gift des Chauvinismus infizieren. Es ist die gleiche Art Verleumdung, die sie gegen das arabische Volk und den Islam ausgegossen haben, um uns in einen weiteren der berühmten „Kulturkämpfe“ zu verstricken. [8] Damals beschlossen die Regierungen, die mit der „Ausbreitung der Demokratie“ im Nahen und Mittleren Osten betraut waren, dass der beste Weg dahin die Bombardierung des irakischen, afghanischen oder syrischen Volkes sei. Um die Intervention zu rechtfertigen, fälschten sie Beweise über Massenvernichtungswaffen und viele andere Dinge, die von morgens bis abends in den Massenmedien wiederholt wurden.

Bereits Rosa Luxemburg warnte vor dieser Falle: „Und jedes Mal, wo bürgerliche Politiker die Idee des Europäertums, des Zusammenschlusses europäischer Staaten auf den Schild erhoben, da war es mit einer offenen oder stillschweigenden Spitze gegen die ‚gelbe Gefahr‘, gegen den ‚schwarzen Weltteil‘, gegen die ‚minderwertigen Rassen‘, kurz, es war stets eine imperialistische Mißgeburt. (…) Nicht die europäische Solidarität, sondern die internationale Solidarität, die sämtliche Weltteile, Rassen und Völker umfaßt, ist der Grundpfeiler des Sozialismus im Marxschen Sinne.“ [9]

Der Militarismus beherrscht und verschlingt die Welt [10]

Ausnahmslos alle kapitalistischen Mächte – einschließlich des chinesischen und russischen Imperialismus – bereiten sich auf neue Kriege vor – und wie! Im Jahr 2020 „betrugen die weltweiten Militärausgaben 1,9 Billionen Dollar, 2,6% mehr als im Jahr 2019 und 9,3% mehr als 2011. Die globalen Militärausgaben – Militärausgaben im Verhältnis zum globalen BIP – sind im Jahr 2020 um 0,2% auf 2,4% gestiegen.“ [11]

Die EU will nicht hinterherhinken: Ihr Militärbudget erreichte 2020 mit 198 Milliarden Euro einen historischen Höchststand, was einem Anstieg von 5% gegenüber 2019 entspricht [12]. Das ist ihnen jedoch noch nicht genug. Die deutsche sozialdemokratische Regierung hat vor kurzem Investitionen in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Modernisierung ihrer Streitkräfte angekündigt und sich verpflichtet, jährlich 2% des BIP für die Verteidigung aufzuwenden, wie von der NATO und dem US-Außenministerium in Washington gefordert.

Dieses Geschenk in Millionenhöhe, das aus den Staatskassen direkt in die Taschen der Waffenhersteller fließt – jener finsteren Industrie, die den Ausbruch eines jeden neuen Krieges feiert – und das zu einem Zeitpunkt, da das Gesundheitswesen, das Bildungswesen, die staatlichen Renten oder die Löhne ständig gekürzt und gesenkt werden, veranlassen uns, die Unterzeichner des Manifests zu fragen: Wo sind denn die Regierungen, die den Wohlfahrtsstaat schützen und soziale Rechte für alle Bürger garantieren und die Ungleichheit verringern?

Man muss ehrlich zugeben, dass die Austerität und Sparpolitik nicht nur eine Agenda der Rechten ist: Wenn man die Politik der spanischen Regierungskoalition aus PSOE und UP von den Fakten und nicht von der Propaganda her betrachtet, wird die Sache klar. Ein konkretes Beispiel: Während in den sozialen Diensten das bürokratische, unnötige und grausame System angeprangert wird, das Hunderttausenden von Familien den Zugang zu den knappen Sozialleistungen verwehrt [13], hat der Ministerrat von Pedro Sánchez nicht nur das militärische Erbe der konservativen PP unangetastet gelassen, sondern sogar die Militärausgaben auf 2% des BIP erhöht (in den letzten fünf Jahren sind sie bereits „um 20% auf 12,293 Mrd. EUR im Jahr 2021 gestiegen“ [14]).

Pedro Sánchez hat begeistert begrüßt, dass Madrid Austragungsort des NATO-Gipfels war. Die spanische Regierung, die direkt mit der Außenpolitik Washingtons verbunden ist, erlaubt es der spanischen Rüstungsindustrie, die Waffenkammer Saudi-Arabiens in ihrem Krieg gegen das jemenitische Volk auszustatten, und das gleiche gilt für Diktaturen wie Marokko.

In der Ukraine liefert der spanische Staat dem Selenskyj-Regime reichlich Munition, Schutzausrüstung und leichte Waffen (Granatwerfer und Maschinengewehre) und schließlich sogar schwere Waffen nach Kiew und bot an, das ukrainische Militär auszubilden. Sanchez hat erklärt, er werde seinen Beitrag zum NATO-Einsatz in Osteuropa verstärken, indem er mehr Truppen in Lettland stationiert, wo Spanien derzeit 500 Soldaten hat. Aber das reicht auch noch nicht aus. Margarita Robles hat gerade um zusätzliche 3 Milliarden Euro für den Haushalt des Verteidigungsministeriums gebeten, damit sind es fast 25% mehr als im letzten Jahr.

Über die Unterwerfung der spanischen Regierung unter die Nato-Strategie hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Gipfel von Madrid mit der Annahme des „Strategischen Konzepts“ der Atlantischen Allianz einen Schritt nach vorn getan hat. Das Dokument, das alle beteiligten Nationen unterzeichnet haben, lässt keinen Zweifel daran, wer der Feind ist, den es zu besiegen gilt: „Die erklärten Ambitionen und Zwangsmaßnahmen der Volksrepublik China gefährden unsere Interessen, unsere Sicherheit und unsere Werte. Die VR China setzt eine breite Palette politischer, wirtschaftlicher und militärischer Instrumente ein, um ihre Präsenz in der Welt auszuweiten und Macht zu projizieren, während sie ihre Strategie, ihre Absichten und ihre militärische Aufrüstung weiterhin undurchsichtig macht. (...) Die VR China strebt danach, wichtige Technologie- und Industriesektoren, kritische Infrastrukturen und Materialien sowie strategische Lieferketten zu kontrollieren. Es nutzt seinen wirtschaftlichen Vorteil, um strategische Abhängigkeiten zu schaffen und seinen Einfluss zu vergrößern.“

Der westliche Kapitalismus ist sich seiner Schwäche und des Mangels an Unterstützung durch die Bevölkerung seiner Länder bewusst und stärkt daher seinen militärischen und repressiven Apparat. Er verbirgt seine Absichten nicht. Trotz ihrer Rhetorik und ihrer Heuchelei ist das Bild, das die NATO-Erklärung zeichnet, kristallklar: Wir steuern auf eine globale Konfrontation zwischen den beiden imperialistischen Großmächten zu, die Zerstörung, Tod und Leid auf der ganzen Welt verstärken wird.

Es ist daher schwer zu übersehen, dass die Forderungen des Manifests, die voller respektvoller Diplomatie gegenüber den Verantwortlichen des ukrainischen Krieges sind, nur dazu dienen, die Aufmerksamkeit von der zentralen Frage abzulenken: Was sind die Ursachen und der Charakter dieses Krieges und welche Mittel gibt es, ihn im Interesse der ukrainischen, russischen und internationalen Bevölkerung zu stoppen?

Der Pazifismus als Diener des Imperialismus

Die pazifistische Rhetorik des Manifests ist eine Utopie und darüber hinaus reaktionär. Die Vorschläge zur Beendigung des Ukraine-Konflikts haben eine narkotisierende Wirkung auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse und nähren die Passivität: „Das Resultat ist eine Vertuschung. eine Abstumpfung der fundamentalsten Widersprüche des jüngsten Stadiums des Kapitalismus statt einer Enthüllung ihrer Tiefe, das Resultat ist bürgerlicher Reformismus statt Marxismus.“ [15]

Die Erfahrung der deutschen Grünen, eines der Flaggschiffe des europäischen Pazifismus, ist sehr aufschlussreich, um zu sehen, wie die Tatsachen Reden und Wünsche grausam widerlegen. Die lautstarken Friedensappelle, die von den deutschen „ökologischen“ Politikern üblich waren, sind unweigerlich stets zu kriegstreiberischer Begeisterung geworden, wenn sie an der Regierung teilhatten. Das Beispiel des historischen Führers der Grünen,  Joschka Fischer, und seine bedingungslose Unterstützung der Bombenangriffe auf Jugoslawien im Jahr 1999 während seiner Amtszeit als Außenminister ist nur der Anfang.

Gegenwärtig sind sie erneut an der Regierung mit SPD und Liberalen und in fünf Ministerien, darunter dem Außenministerium unter der Leitung von Annalena Baerbock und dem Wirtschafts- und Klimaschutzministerium unter der Leitung von Robert Habeck. Obwohl die Grünen eigentlich ein ausdrückliches Verbot von Waffenexporten in Kriegsgebiete vertreten, haben sich beide diese Politiker durch ihre begeisterte Unterstützung des Selenksyj-Regimes und der Waffenlieferungen hervorgetan und nicht gezögert, für das größte deutsche Aufrüstungsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg zu stimmen.

Ein verblüffter Journalist berichtet über die Haltung der Ministerin, die sich nicht nur als Umweltschützerin, sondern auch als radikale Feministin ausgibt: „Gerade von einer Außenministerin der Grünen mit deren pazifistischer Parteitradition kamen da ungewohnte Worte, wie sie selbst zugab. Von ‚Wehrhaftigkeit‘ sprach sie immer wieder, die Sicherheit garantiere. Der Ukraine-Krieg zeige ‚einmal mehr, dass die Sicherheit von der Bündnisfähigkeit der NATO abhängt‘. Deutschland sei bereit, darin mehr Verantwortung zu übernehmen. Dazu gehören für sie deutlich höhere Verteidigungsausgaben, wie sie Scholz bereits mit der 100-Milliarden-Geldspritze für die Bundeswehr angekündigt hat. Das zeige sich aber auch in der geplanten Anschaffung von atomwaffenfähigen US-amerikanischen F-35-Kampfflugzeugen. Die nukleare Abschreckung der NATO müsse glaubhaft bleiben, das Bündnis seine Präsenz in den besonders bedrohten östlichen NATO-Staaten deutlich verstärken.“ [16]

Marx sagte, die Geschichte wiederholt sich, einmal als Tragödie und dann als Farce. Das Gerede der französischen Pazifisten, das Trotzki vor einem Jahrhundert zusammenfasste, entspricht der der deutschen Grünen bis ins Detail: „Wir waren immer gegen den Krieg, unsere Abgeordneten, unsere Minister waren gegen den Krieg, – ruft der französische Kleinbürger, – folglich hat man uns den Krieg aufgedrungen, – und im Namen der Verwirklichung unserer pazifistischen Ideale - müssen wir den Krieg bis zum siegreichen Ende führen.“ [17]

Die Führung der Grünen als Komplizen des westlichen Imperialismus zu bezeichnen, ist keine unbegründete Behauptung, sondern ein Fakt. Die Reise von Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Katar im März dieses Jahres ist unbestritten. Der Meinung aller Beteiligten nach, einschließlich der Wirtschaftsvertreter, die ihn begleiteten – Thyssenkrupp, Bayer, Siemens usw. – war die Reise ein Erfolg. Die guten Beziehungen zum Emir von Katar, Tamin bin Hamad Al-Thani, ermöglichten die Unterzeichnung eines Abkommens in Milliardenhöhe mit dem Emirat, welches über die drittgrößten Erdgasreserven der Welt verfügt und für seine Missachtung der demokratischer Rechte bekannt ist.

In einem Bericht über diesen Besuch bringt ein Journalist seinen Eindruck über das Verhalten dieses sogenannten „Pazifisten“ zum Ausdruck: „Katar zum Beispiel wird für seine Einhaltung der Menschenrechte und schlechten Arbeitsbedingungen kritisiert. Soll das Gas eines Aggressorlandes wie Russland durch das eines autokratischen Emirats ersetzt werden? Und das wird von einem grünen Politiker unterstützt? Tatsächlich behauptete Habeck nach dem Treffen mit Vertretern der katarischen Regierung, er habe ‚die schlechten Bedingungen der Tausenden von ausländischen Arbeitnehmern angesprochen, und niemand habe daraufhin den Raum verlassen‘.“ [18]

So heuchlerisch ist die westliche Demokratie, deren Wortführer der Weltöffentlichkeit moralische Vorträge halten. Das katarische Regime ist für das Verschwinden von Journalisten und Gewerkschaftsaktivisten, für die Halbsklaverei seiner Arbeiter und die brutale Unterdrückung von Frauen verantwortlich. Für die Grünen und andere „Pazifisten“ anscheinend trotzdem besser als Putin; gut genug, um problemlos profitable Vereinbarungen zu treffen. [19]

Zwei Monate vor dem Besuch der deutschen Delegation, am 31. Januar 2022, reiste der katarische Emir ins Weiße Haus, wo Joe Biden „Katar zu einem seiner größten Verbündeten außerhalb der NATO-Sphäre“ erklärte. Am 16. Mai besuchte Hamad al-Thani offiziell Spanien, um sich mit dem König, Pedro Sánchez und dem Präsidenten vom Energiekonzern Iberdrola zu treffen. Das Treffen in Madrid erwies sich als ebenso fruchtbar.

Kurz gesagt: verschiedene Regierungen weltweit, welche sich aus Parteien aller Couleur zusammensetzen – amerikanische Demokraten, Grüne, deutsche Liberale und Sozialdemokraten, britische Konservative oder die „fortschrittlichste Regierung der Geschichte“ in Spanien – unterhalten engste wirtschaftliche und politische Beziehungen zu allen Arten von Diktaturen und blutigen Regimen ohne jegliche Skrupel. Ihre Liebe zur Demokratie und zum „Frieden“ ist, wie sich herausstellt, von zweierlei Maß.

Reaktionäre Kriege und revolutionäre Kriege

Wir brauchen konkrete Antworten, um nicht den Fehler zu begehen, Verbündete nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ zu wählen. Diese zentrale Frage wird in dem Manifest jedoch völlig außer Acht gelassen. Selenskyj wird in dem Text als Verfechter der politischen Neutralität dargestellt, was eine irreführende Behauptung ist [20], aber Begriffe wie Imperialismus und alles, was mit der Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Krieg zu tun hat, fällt durchs Fehlen auf. Kurz gesagt: im Manifest fehlt alles, was es ermöglichen würde, die wahre Natur des Krieges zu verstehen.

Die politischen Vertreter der neuen Linken prangern die Interessen der Bourgeoisie nicht an, sondern verbreiten Verwirrung, indem sie die alten pazifistischen Slogans hochhalten und die gleichen  Appelle an „Verhandlungslösungen“ nachbeten, die die Führer der Zweiten Internationale während des Ersten Weltkriegs gebrauchten. Somit geben sie eine klassenkämpferische, internationalistische, antimilitaristische und antiimperialistische Position vollständig auf.

Lenin betonte, dass es ein großer Fehler ist, wenn sich Revolutionäre in einer militärischen Auseinandersetzung nur auf Grundlage der Frage positionieren, wer zuerst geschossen hat, ohne dabei die von jeder Seite vertretenen Klasseninteressen zu berücksichtigen. Viele von denen, die heute in einigen europäischen Ländern in der Regierung und in der hohen Staatsverwaltung sitzen und sich vor nicht allzu langer Zeit noch öffentlich als Anti-NATO-Aktivisten präsentierten, stimmen heute in den Chor der westlichen Propaganda ein und machen ausschließlich Putin verantwortlich, wobei sie die wahren Ziele des Atlantischen Bündnisses verschweigen.

Um die Gegenwart zu verstehen und uns auf die Zukunft vorzubereiten, müssen wir die Geschichte betrachten. In der Gründungserklärung der NATO, die am 4. April 1949 in Washington von den Vereinigten Staaten, Kanada, Belgien, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Island, Italien, Luxemburg, Norwegen, dem Vereinigten Königreich und Portugal unterzeichnet wurde, hieß es: „Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und Regierungen in Frieden zu leben. Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten.“

Schauen wir uns an, wie das Land, das immer an der Spitze der NATO stand, die Vereinigten Staaten von Amerika, diese hehren Ziele erfüllt hat. Seit der Gründung der NATO hat der US-Imperialismus die folgenden Ländern bombardiert, in ihnen militärisch interveniert, Putsche inszeniert und die Tötung von Millionen von Menschen organisiert:

Korea und China 1950-1953

Guatemala 1954

Indonesien 1958

Kuba 1959-1961

Guatemala 1960

Kongo 1964

Laos 1964-1973

Vietnam 1961-1973

Kambodscha 1969-1970

Guatemala 1967-1969

Grenada 1983

Libanon 1983, 1984

Libyen 1986

El Salvador 1980

Nicaragua 1980

Iran 1987

Panama 1989

Irak 1991

Kuwait 1991

Somalia 1993

Bosnien 1994, 1995

Sudan 1998

Afghanistan 1998

Jugoslawien 1999

Jemen 2002

Irak 1991-2003

Irak 2003-2015

Afghanistan 2001-2015

Pakistan 2007-2015

Somalia 2007-2008, 2011

Jemen 2009, 2011

Libyen 2011, 2015

Syrien 2014-2016

Der einzige Frieden, den die Imperialisten kennen, ist der Frieden, der auf den Friedhöfen herrscht. Die Bilanz der militärischen und putschistischen Interventionen des US-Imperialismus ist bekannt. Die Verantwortung des US-Imperialismus für den Krieg in der Ukraine so offensichtlich, dass es peinlich ist, sie erneut in Erinnerung rufen zu müssen.

Die Verbündeten der USA, angefangen bei der EU bis hin zur internationalen Sozialdemokratie, zucken nur mit den Schultern, wenn man sie daran erinnert, dass die NATO zwischen 1999 und 2009 um Ungarn, Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Bulgarien, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Kroatien und Albanien erweitert wurde. Diese Verfechter von „Demokratie und Frieden“, „Rechtsstaatlichkeit“ und „Diplomatie“ haben versucht, die Verteidigungsfähigkeit des russischen Staates zu schwächen. Dieser war noch nie zuvor so stark umzingelt. Die Verantwortung, diese militärische Expansion auszuweiten, die Ukraine in die NATO einzubinden und Russland weiter einzukreisen, liegt bei Washington. Wie würden die USA reagieren, wenn Russland oder China militärische Abkommen mit Mexiko schließen würden und Militärbasen oder Atomwaffen in Mexiko oder Kanada errichten würden?

Aus der Sicht des Marxismus sind Gewalt, Krieg und Kapitalismus gleichbedeutend. Vorzuschlagen, dass der Frieden von denselben Imperialisten hergestellt werden soll, die den Krieg in der Ukraine forciert haben, ist nicht nur eine Illusion, sondern wirft auch das Bewusstsein der Arbeiterklasse zurück.

Tatsache ist, dass Kapitalisten Gewalt nie abgelehnt haben, sondern immer wieder auf sie zurückgreifen, um ihr Monopol durchzusetzen, ungeachtet der menschlichen Kosten. Und damit ist nicht nur die Armee gemeint, sondern alle Arten von „bewaffneten Menschen und Formationen“, die ihr Eigentum, ihre materiellen Anlagen, Gefängnisse und Einrichtungen [21] verteidigen.

Genau aus diesem Grund sprechen wir Marxisten uns nicht wie die Pazifisten und die NATO-freundlichen Pseudolinken gegen jegliche Gewalt aus. Engels erinnerte vor langer Zeit einen Zeitgenossen: „Daß die Gewalt aber noch eine andre Rolle in der Geschichte spielt, eine revolutionäre Rolle, daß sie, in Marx' Worten, die Geburtshelferin jeder alten Gesellschaft ist, die mit einer neuen schwanger geht (…) daß sie das Werkzeug ist, womit sich die gesellschaftliche Bewegung durchsetzt und erstarrte, abgestorbne politische Formen zerbricht – davon kein Wort“. [22] Revolutionäre verteidigen im Gegensatz zu kleinbürgerlichen Pazifisten das Recht der Unterdrückten, gegen ihre Unterdrücker zu den Waffen zu greifen, und wir setzen unter keinen Umständen die von den Ausbeutern ausgeübte Gewalt mit derjenigen der Ausgebeuteten gleich, die sich von ihren Ketten befreien wollen.

Wir geben den spanischen Arbeitern Recht, als sie nach dem Militärputsch vom 18. Juli 1936 dem Faschismus den Krieg erklärten und eine sozialistische Revolution auslösten, die nur mit der von 1917 in Russland vergleichbar ist. Das Gleiche gilt für den antifaschistischen Widerstand im von den Nazis besetzten Europa während des Zweiten Weltkriegs, den heldenhaften Kampf der Roten Armee gegen die Hitlerarmeen, den revolutionären Krieg der chinesischen Bauern gegen die japanische Besatzung und die Truppen von Chiang Kai-shek oder den Kampf der Völker Kubas und Vietnams gegen den amerikanischen Imperialismus.

Der Krieg in der Ukraine hat jedoch mit keinem dieser historischen Beispiele Ähnlichkeit. Offensichtlich kann kein echter Kommunist Putins großrussischen Chauvinismus [23] unterstützen. Das ukrainische Nationalgefühl ist keine Erfindung. Die national-demokratischen Rechte der Ukraine wurden im Laufe der Geschichte von verschiedenen imperialistischen Mächten unterdrückt – vor allem von der zaristischen Despotie – und von der stalinistischen Bürokratie, die den zentralistischen Chauvinismus Großrusslands wiederbelebte, indem sie die Politik Lenins aufgab. Wir Marxisten unterstützen bedingungslos das Recht des ukrainischen Volkes, eine unabhängige Nation zu bilden, und wir fügen hinzu: Befreit euch von der Unterdrückung durch die imperialistischen Blöcke und der Diktatur ihrer kapitalistischen Oligarchie. Wir kämpfen daher für eine unabhängige und sozialistische Ukraine. [24]

Formalismus ist eine dem Marxismus fremde Methode. Der reaktionäre Charakter des russischen kapitalistischen Regimes allein macht seine Gegner noch lange nicht fortschrittlicher. Es ist offensichtlich, dass der sogenannte ukrainische „Widerstand“ von faschistischen und nationalistischen Elementen angeführt wird und dass diese seit 2014 so massiv in die staatlichen Streitkräfte integriert wurden, dass selbst westliche Medien wie die New York Times dies offen zugeben mussten.

Diese Neonazis, die ihre Uniformen mit SA- und SS-Symbolen schmücken, haben die Verbrennung von Gewerkschaftern bei lebendigem Leib und die Ermordung Tausender ethnischer Russen im Donbass zu verantworten. Als ob dies nicht genug wäre, um sie zu Feinden der gesamten Arbeiterklasse zu erklären, ungeachtet ihrer Nationalität, sind sie zusätzlich der militärische Arm des US-Imperialismus in der Region. Washington prahlt schamlos damit, wie es diesen ukrainischen „Widerstand“ finanziert, bewaffnet, ausbildet und nachrichtendienstliche Informationen mit ihm teilt.

Was hat das mit der von Mao in China oder Fidel Castro und Che Guevara geführten Revolution in Kuba oder der Niederlage des US-Imperialismus in Vietnam zu tun? Selenskyj zielt nicht darauf ab, den Kapitalismus zu beenden, wie es das chinesische Volk getan hat, geschweige denn den mächtigsten Vertreter des Großkapitals zu besiegen, wie es die vietnamesischen Bauern getan haben. Selenskyj opfert, wie Putin, Tausende seiner Landsleute in einem militärischen Konflikt mit reaktionären Zielen.

Wenn wir nach einer historischen Parallele zum Krieg in der Ukraine suchen, wäre der Erste Weltkrieg die geeignetste. Unmittelbar nach Ausbruch des Konflikts antwortete Lenin auf die Frage, ob der Sieg der einen oder der anderen Seite den Unterdrückten insgesamt zugutekäme: „Bei der jetzigen Lage kann vom Standpunkt des internationalen Proletariats nicht bestimmt werden, die Niederlage welcher der beiden Gruppen von kriegführenden Nationen das kleinere Übel für den Sozialismus wäre.“ [25]

Unsere Position wird viele schockieren. Die neue und alte Linke wird uns vorwerfen, dass wir die Waffenlieferungen an die Ukraine nicht verteidigen. Nach den Worten von Vizepräsidentin Yolanda Díaz ist die russische Invasion „eine absolut illegitime Aggression, die gegen das Völkerrecht verstößt“ und „die Völker haben das Recht auf legitime Selbstverteidigung“. Auch Minister Alberto Garzón denkt so. Schade, dass sie die militaristische Expansion der NATO in Osteuropa in den letzten drei Jahrzehnten vergessen und dass sie für das palästinensische Volk und das Volk der Sahara nicht die gleichen Kriterien anwenden wie für die Ukraine. Interessant ist auch, dass Yolanda Díaz der Meinung ist, dass Pedro Sánchez als „Regierungspräsident, nichts anderes tut, als den Frieden zu verteidigen und sich mit Ernsthaftigkeit dem Krieg vor den Toren Europas zu verpflichten, wie wir ihn im 21. Jahrhundert nie für möglich gehalten hätten.“ [26] Derselbe Pedro Sánchez, der stolz den Vorsitz des NATO-Gipfels in Madrid führt und ergeben die Pläne Washingtons unterstützt.

Die Erben des Stalinismus werden uns vorwerfen, dass wir Russland nicht verteidigen, weil Putin ihrer Meinung nach „den westlichen Imperialismus eindämmt“. Dabei verschweigen sie, dass sein Regime die Interessen und Ziele der russischen kapitalistischen Oligarchie verteidigt. Andere Organisationen, bei denen nicht klar ist, warum sie behaupten, antikapitalistisch oder gar trotzkistisch zu sein, werden dies tun, weil wir den so genannten „nationalen Befreiungskrieg“, den Selenskyjs Truppen ihrer Meinung nach führen, nicht nachdrücklich unterstützen.

Aber gucken wir uns die Realität an: Wo sind die aus der Bevölkerung rekrutierten Volksbataillone zur Verteidigung der ukrainischen Unabhängigkeit? Nach sechs Monaten des Krieges ist niemand in der Lage, uns dafür Beweise zu zeigen. Was jedoch in der westlichen Presse veröffentlicht wird, und dass trotz der strengen Zensur, ist, dass die ukrainische Regierung zu immer härteren Gesetzen greifen muss, um die Ausreise der Bürger im kampffähigen Alter zu sanktionieren, da die Emigration massiv ist.

Wir erleben also eine Flut von Analysen, die zunehmend falsch und weit entfernt von einer unabhängigen, marxistischen Analyse sind. Eine solche muss diesen Konflikt in den Rahmen des Kampfes zwischen den Großmächten um die Weltherrschaft, die Kontrolle über geostrategische Gebiete, Rohstoffe, Handelswege, Technologie und Versorgungsketten einordnen.

Ein Sieg der NATO, der USA, der EU und von Selenskyj wird das ukrainische Volk nicht von der brutalen Zerstörung dieses Krieges befreien. Wenn überhaupt würde er die Macht der prowestlichen ukrainischen Bourgeoisie festigen, die als Lakai Washingtons agiert und nicht zögern wird, eine unerbittliche Verfolgung der Linken voranzutreiben, die Arbeitnehmerrechte durch eine Verschärfung der bereits bestehenden gewerkschaftsfeindlichen Gesetzgebung zu unterdrücken, die Wirtschaft für weitere Privatisierungen zu öffnen und den Nationalismus und Chauvinismus zu einer Staatsreligion zu machen.

Die russischsprachige Bevölkerung wird den Pogromen des Asows Bataillons und anderer faschistischer Organisationen ausgeliefert sein.

Wenn hingegen Putin und seine chinesischen Verbündeten triumphieren, wird es nicht besser. Bedeuten nicht die roten Fahnen mit Hammer und Sichel auf vielen russischen Panzern, die den heroischen antifaschistischen Kampf der Roten Armee für sich ausnutzen wollen, den Triumph des Kommunismus im Donbass? [27]

Putin ist der Kopf eines staatsmonopolistischen Kapitalismus, der auf dem Niedergang der UdSSR, der KPdSU und des Stalinismus beruht. Ein Prozess, der jetzt wieder von den westlichen Führern gefeiert wird, wenn sie den verstorbenen Michail Gorbatschow loben. Aber Gorbatschow, Jelzin, Putin und die Bürokratie, die die KPdSU beherrschte, waren verantwortlich für die Zerstörung der Sowjetunion und den Zusammenbruch der Lebensbedingungen von Millionen von Sowjetbürgern, die Zerstörung der Planwirtschaft und die brutale Plünderung des verstaatlichten öffentlichen Eigentums. Sie nutzen ihre führenden Positionen im Staatsapparat aus, um eine neue bürgerliche Oligarchie zu züchten und beabsichtigen nach drei Jahrzehnten, gestützt auf den mächtigen russischen industriell-militärischen Komplex, erneut eine führende Rolle auf der internationalen Bühne einzunehmen und die traditionellen Einflusssphären des imperialistischen Russlands wiederherzustellen.

Es liegt auf der Hand, dass die Annexion des Donbass durch Russland und der Sieg der russischen Armee in diesem Krieg ein Schlag wäre, von dem sich die USA nicht so leicht erholen könnten. Daraus jedoch den Schluss zu ziehen, dass das die wirtschaftliche Gleichstellung des ukrainischen und des russischen Volkes, das Ende der Privatisierungen und der arbeitnehmerfeindlichen Gesetzgebung oder ein Ende des großrussischen, chauvinistischen Nationalismus (der im Einklang mit der weltweiten Ultrarechten steht) bringen würde, geht vollkommen an der Realität vorbei. Der zwischenimperialistische Kampf wird sich in den folgenden Jahren weiter verschärfen und neue Kriege und blutige Konflikte auslösen.

Beide imperialistischen Seiten haben keine fortschrittlichen Ziele, sie sind gleichermaßen reaktionär, aber sie müssen diese verächtlichen Absichten hinter falschen Flaggen verstecken. Auch das ist nichts Neues: „“m jedoch das Proletariat hinters Licht zu führen und seine Aufmerksamkeit abzulenken (...) bemüht sich die Bourgeoisie eines jeden Landes, mit verlogenen patriotischen Phrasen die Bedeutung ‚ihres‘ nationalen Krieges zu preisen und zu versichern, daß sie den Gegner nicht deshalb besiegen wolle, um ihn auszuplündern und Territorien zu erobern, sondern um alle anderen Völker – nur ihr eigenes nicht – zu ‚befreien‘.“ [28]

Politik ist konzentrierte Wirtschaft

In seinem Werk über den Imperialismus sagt Lenin: „Denn unter dem Kapitalismus ist für die Aufteilung der Interessen- und Einflußsphären, der Kolonien usw. eine andere Grundlage als die Stärke der daran Beteiligten, ihre allgemeinwirtschaftliche, finanzielle, militärische und sonstige Stärke, nicht denkbar.“ [29] Leichtfertige Behauptungen, dass Putins Krankheit oder Bidens Senilität der Grund für diese Eskalation sind, genau wie die Auffassung, dass der Trumpismus nur ein vorübergehendes Phänomen ist, welches von einer „Witzfigur“ angeführt wird, sind nichts weiter als Ablenkungsmanöver, um die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Thema abzulenken. Egal wie verachtenswert oder lächerlich diese Figuren auch sein mögen, sie sind nichts anderes als das sichtbare Gesicht des Einflusses der mächtigsten Kapitalisten.

Marxisten verwenden eine Analysemethode, die das genaue Gegenteil von dem ist, was im Manifest der neuen Linken steht. Wir beschreiben die Funktionsweise der Gesellschaft nicht auf der Grundlage gut gemeinter Wünsche oder brillanter Witzeleien und zwingen dann die Realität, sich in ein künstliches Schema einzufügen. Wir studieren die Welt, wie sie ist, ausgehend von einer Analyse der konkreten gesellschaftlichen Phänomene in ihrer Entwicklung: „Die Dialektik verlangt die allseitige Erforschung einer gegebenen gesellschaftlichen Erscheinung in ihrer Entwicklung sowie die Zurückführung des Äußerlichen und Scheinbaren auf die grundlegenden Triebkräfte, auf die Entwicklung der Produktivkräfte und den Klassenkampf.“ [30] Der Marxismus ist dynamisch und in der Lage, alle Wendungen der sich stets wandelnden Realität zu verstehen, und wir lassen die ideologische Spreu beiseite, mit der uns die herrschende Klasse bombardiert, um das Korn der Wahrheit zu verbergen.

„Die wundersame Prophezeiung ist nichts als eine Fabel, aber die wissenschaftliche Prophezeiung ist eine Tatsache“, schreibt Lenin und erinnert daran, wie Engels mit dieser Methode den Ausbruch des Ersten Weltkriegs voraussah: „Und das wird ein Weltkrieg von nie gekanntem Ausmaß und nie gekannter Grausamkeit sein. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich gegenseitig auslöschen und dabei ganz Europa in einem Ausmaß verwüsten, wie es Heuschreckenschwärme noch nie getan haben. Die durch den Dreißigjährigen Krieg verursachten Verwüstungen, die sich auf einen Zeitraum von drei oder vier Jahren komprimieren und über den gesamten Kontinent verteilen...“ [31]

Marxisten erwarten von den Kapitalisten nicht, dass sie die vernünftigste Politik für die Menschheit machen, sondern die, die ihren Interessen am meisten nützt. Die Agenda von Biden und Selenskyj oder Xi Jinpin und Putin lässt sich nicht durch ihre besondere Bosheit oder ihren Wahnsinn erklären, sondern durch das Aufeinandertreffen widersprüchlicher Interessen zwischen den herrschenden Klassen, die um die Kontrolle der Welt kämpfen. Politik ist konzentrierte Ökonomie, denn „[w]enn die ökonomischen Vorgänge, Aufgaben und Interessen einen bewußten und verallgemeinerten (‚konzentrierten‘) Charakter erlangen, dann betreten sie allein deswegen den Bereich der Politik und machen das Wesen der Politik aus.“ [32]

Es stimmt, dass Adolf Hitler sicherlich von körperlichen Problemen aller Art und psychopathischen Tendenzen geplagt war, wie einige Studien behaupten, aber er kam nicht wegen dieser Aspekte seiner Persönlichkeit soweit, sondern weil sein Programm, das des Faschismus, das war, was die deutschen Kapitalisten brauchten, um die Arbeiterklasse zu vernichten: „Am 20. Februar 1933 traf Krupp zusammen mit etwa zwanzig Unternehmern mit dem neu gewählten Kanzler zusammen. Hitler bot ihnen einen Deal an: Als Gegenleistung für die Finanzierung seines Wahlkampfes für die bevorstehenden Wahlen versprach er, die Gewerkschaften abzuschaffen, die kommunistische Bedrohung zu neutralisieren und das parlamentarische System in Deutschland abzuschaffen. Er deutete auch seine Expansionspläne und die Vorteile an, die sie mit sich bringen würden. Die meisten stimmten zu. Krupp, der damals Präsident des Verbandes Deutscher Industrieller war, zeigte sich am großzügigsten: Er spendete eine Million Mark für die Sache. Hitler würde nicht vergessen. Am 5. März 1933 gewann der Kanzler die Wahlen und übernahm, nachdem er seine politischen Gegner ausgeschaltet hatte, die diktatorische Macht. Eine der ersten Maßnahmen, die er ergriff, war ein ehrgeiziges Wiederaufrüstungsprogramm. Und dafür wandte er sich an Krupp.“ [33].

Wir lehnen die Philosophie, die diesem Manifest zu Grunde liegt, ab, weil sie die Entscheidung der Regierungen für Frieden oder Krieg als freie Entscheidung darstellt, ohne Rücksicht auf die Interessen, die auf dem Spiel stehen. Diese Sichtweise von Berufspolitikern als Männer oder Frauen, die in der Lage sind, die Realität durch ihren Willen und außerhalb objektiver materieller Prozesse zu verändern, ist eine typische Projektion des kleinbürgerlichen Individualismus.

Natürlich leugnet der Marxismus die Rolle des Individuums nicht. Große Persönlichkeiten können eine entscheidende Rolle spielen, wenn sie sich mit den Bedürfnissen der gesellschaftlichen Entwicklung verbinden. Aber es sind die sozialen Klassen, die die Macht haben, den Lauf der Geschichte zu bestimmen. Frieden und Krieg hängen nicht vom Willen eines oder mehrerer Individuen ab. Sie reagieren auf die unüberwindbaren Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft.

Der kleinbürgerliche Pazifismus hat absolut nichts Originelles an sich. Während des Ersten Weltkriegs erwies sich Karl Kautsky als dessen größter Vertreter. Er wurde von vielen Marxisten der Zeit, von Lenin bis Rosa Luxemburg, mit Argumenten, Fakten und Zahlen widerlegt.

Kautsky vertrat vor einem Jahrhundert die Auffassung, dass die Politik des Imperialismus von seiner Ökonomie getrennt werden könne, d.h. dass ein „nicht-monopolistischer“, gewaltfreier Kapitalismus ohne Expansionsbestrebungen möglich sei. Die historische Parallele ist so offensichtlich, dass wir die Antwort seiner marxistischen Zeitgenossen wortwörtlich zitieren können und damit auch der neuen Linken des 21. Jahrhunderts eine Antwort geben: „Und nun, da der bewaffnete Kampf um die Großmachtvorrechte Tatsache geworden ist, macht sich Kautsky [und die Neue Reformistische Linke] daran, die Kapitalisten und das Kleinbürgertum zu überreden: der Krieg sei doch ein gar entsetzlich Ding, die Abrüstung aber eine gute Sache (...) in der Tat nichts anderes als ein echt kleinbürgerlicher Versuch, die Finanzkapitalisten zur Unterlassung des Bösen zu überreden.“ [34]

Auch Trotzki brachte es in seinen Schriften zum Ersten Weltkrieg auf den Punkt: „Theoretisch und politisch steht der Pazifismus auf demselben Boden, wie die Lehre von der Harmonie der sozialen Klasseninteressen. Der Gegensatz zwischen den kapitalistischen Staaten hat dieselbe ökonomische Unterlage, wie der Klassengegensatz. Wenn wir die Möglichkeit der allmählichen Abstumpfung der Klassengegensätze annehmen, so müssen wir als Folgerung die allmähliche Abstumpfung und Regulierung der völkerrechtlichen Beziehungen annehmen.“ [35]

Der imperialistische Krieg in der Ukraine hat deutlich gemacht, dass Opportunismus und „Pragmatismus“ in der Politik ein Rezept für die politische Katastrophe sind. Die Führer der neuen reformistischen Linken, die an den Glauben gewöhnt sind, dass die „unbewussten“ Massen immer schuld sind, während die „denkende“ Elite mit diesem Menschenmaterial macht, was sie kann, haben das Rad ihrer Ausreden nicht neu erfunden.  Lenin hat sich bereits mit dem angeblichen „Mangel an Bewusstsein“ der Arbeiterklasse auseinandergesetzt, der als Argument zur Rechtfertigung der Komplizenschaft ihrer Führer mit den Imperialisten diente:

„Kautsky versucht, seine Gegner, die Linken, zu schlagen, indem er ihnen den folgenden Unsinn zuschreibt: sie hätten die Frage so gestellt, als müssten ‚die Massen‘, als Antwort‘ auf den Krieg ‚in vierundzwanzig Stunden‘ Revolution machen und gegen den Imperialismus den ‚Sozialismus‘ einführen, und als bekunde jede andere Handlungsweise ‚der Massen‘ ‚Charakterlosigkeit und Verrat‘. Aber das ist der purste Unsinn, wie ihn bisher nur Verfasser von dummen Bourgeois- und Polizeitraktätchen zum ‚Erledigen‘ der Revolutionäre ins Feld geführt hatten, – und jetzt will Kautsky damit Staat machen.

Kautskys linke Gegner wissen sehr gut, dass man die Revolution nicht ‚machen‘ kann, dass Revolutionen aus den objektiv (unabhängig vom Willen der Parteien und Klassen) herangereiften Krisen und Umwälzungen der Geschichte hervorwachsen, dass die Massen ohne Organisation eines einheitlichen Willens beraubt sind, dass der Kampf gegen die mächtige, terroristische, militärische Organisation der zentralisierten Staaten eine schwere und langwierige Sache ist. Die Massen konnten bei dem Verrat ihrer Führer im kritischen Augenblick nichts tun; die ‚Handvoll‘ dieser Führer aber hatte voll und ganz die Möglichkeit und die Pflicht, gegen die Kredite zu stimmen, gegen den ‚Burgfrieden‘ und gegen die Rechtfertigung des Kriegs aufzutreten, sich für die Niederlage der eigenen Regierungen zu erklären, einen internationalen Apparat für die Propaganda der Verbrüderung in den Schützengräben einzurichten, die Herausgabe illegaler Literatur zu organisieren, in der die Notwendigkeit des Übergangs zu revolutionären Aktionen gepredigt worden wäre usw.“ [36]

Wenn ihr Frieden wollt, kämpft für die sozialistische Revolution!

Wir können die Entwicklung des Krieges und seiner Folgen nicht als eine geschlossene Perspektive betrachten. „Wird diese Situation lange anhalten, und wie weit wird sie sich noch zuspitzen? Wird sie zur Revolution führen? Das wissen wir nicht, und das kann auch niemand wissen.“ [37]

Der Krieg in der Ukraine hat neue und starke Widersprüche ans Tageslicht gebracht, die sich rasch entwickeln. Der politische Faktor (der Krieg) und der wirtschaftliche Faktor (die Krise) verstärken sich gegenseitig und bringen das globale Gleichgewicht auf allen Ebenen durcheinander. Das angehäufte Leid wird jeden Tag größer. Der Alltag wird zu einem ständigen und anstrengenden Kampf: über die Runden kommen, mit dem Arbeitstempo mithalten, sich medizinisch versorgen lassen, eine Ausbildung machen, eine Wohnung finden... Die Jugend sieht keine Zukunft, die diesen Namen verdient. Und jetzt, wo die Inflation die Löhne auffrisst, die sozialen Rechte weiter beschnitten werden und die Sparmaßnahmen für die arbeitenden Familien zunehmen, verschärft sich der Klassenkampf in einem Land nach dem anderen, und das Bewusstsein macht einen deutlichen Sprung.

In Europa – dem großen Verlierer dieses Konflikts – verläuft die Polarisierung und Diskreditierung der bürgerlichen Demokratie parallel zu einer wirtschaftlichen und sozialen Umwälzung, die bemerkenswerte Veränderungen der objektiven Situation mit sich bringen wird. Eine seit den 1970er Jahren beispiellose Streikwelle erfasst bereits Großbritannien (den wichtigsten Verbündeten der USA im Ukraine-Krieg) und droht, sich auf den gesamten Kontinent auszudehnen (in Belgien ist bereits ein Generalstreik für November angekündigt). Revolutionäre Ausbrüche werden nicht mehr nur in den schwächsten Gliedern der kapitalistischen Kette drohen, sondern auch die zentralen Länder werden zunehmend von solchen Entwicklungen betroffen sein.

Es gibt viele Dinge, die wir, mit dem Programm der Revolution bewaffnet, bereits tun können. Zunächst einmal stützen wir uns, im Gegensatz zum Manifest der Neuen Linken, „nicht auf die militärischen Erfolge der kapitalistischen Staaten, sondern auf die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Krieg der Arbeiter gegen die Kapitalisten, auf den Sturz der herrschenden Klassen aller Länder, auf die sozialistische Weltrevolution. (…) Unabhängig vom Verlauf des Krieges erfüllen wir unsere fundamentale Aufgabe: Wir erklären den Arbeitern die Unvereinbarkeit zwischen ihren Interessen und den Interessen des blutrünstigen Kapitalismus; wir mobilisieren die Werktätigen gegen den Imperialismus; wir propagieren die Einheit der Arbeiter in allen kriegführenden und neutralen Ländern; wir verlangen die Verbrüderung der Arbeiter und Soldaten innerhalb eines jeden Landes und der Soldaten mit den Soldaten der gegenüberliegenden Seite der Kampffront; wir mobilisieren die Frauen und die Jugend gegen den Krieg.“ [38]

Die Kapitalisten sind sich dieses außergewöhnlichen historischen Moments voll bewusst: Das System, das ihre Privilegien stützt, ist ins Wanken geraten und sie werden alles tun, um seinen Zusammenbruch zu verhindern. Hinter ihnen paradieren gehorsam zahllose Personen, die sich „Sozialisten“ und „Progressive“ nennen und die die längst widerlegte Idee wieder aufleben lassen, dass ein demokratischerer und friedlicherer Imperialismus möglich ist.

Wir Kommunisten, die wir dem Marxismus nie abschwören, d.h. die wir Revolutionäre sind, sagen, dass ein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz nicht möglich ist. Wir sind überzeugt, dass die einzige Alternative zu der apokalyptischen Perspektive, die sich der Menschheit eröffnet, die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft ist. Unsere Position ist nichts emotionales, sondern das Ergebnis einer wissenschaftlichen Analyse, die auf dem Studium der Geschichte des Klassenkampfes beruht, der unsere Klasse so viel Blut gekostet hat.

Karl Liebknecht, der deutsche Revolutionär, der im Januar 1919 auf Befehl der sozialdemokratischen Regierung ermordet wurde und der sich als erster Abgeordneter weigerte, im Reichstag für die Kriegskredite zu stimmen, betonte, dass die „Feinde des Volkes auf die Vergesslichkeit der Massen“ setzen. [39] Wir vergessen nicht.

Wir bleiben dabei, dass die von Lenin, Trotzki und Rosa Luxemburg vor einem Jahrhundert entwickelten Positionen auch heute noch das beste Mittel sind, um der uns drohenden Katastrophe zu begegnen und die ideologische Propaganda der herrschenden Klasse zu bekämpfen. Darüber hinaus machen Prozesse, auf die diese Theoretiker des Marxismus kühn hingewiesen haben und die sich in einem unendlich größeren Maßstab entwickelt haben (Macht und Konzentration des Finanzkapitals, die tiefe gegenseitige Abhängigkeit aller Länder, die an denselben Weltmarkt gebunden sind, das zahlenmäßige Wachstum der Arbeiterklasse, die chronischen Überproduktionskrisen usw.), zusammen mit den Folgen des Klimawandels, ihre revolutionären Ideen noch relevanter für unsere heutige Zeit.

Wir erwarten keine schnellen und einfachen Siege; die Arbeiterklasse weiß aus eigener Erfahrung, dass jeder Fortschritt Anstrengung und Beharrlichkeit erfordert. Wenn wir jedoch Siege und Niederlagen analysieren und aus Fehlern lernen, brauchen wir keine Angst vor der Zukunft zu haben. Wir sind entschlossen, die Welt zu verändern und vom Sieg des internationalen Sozialismus überzeugt.

Anmerkungen:

[1] Siehe https://ctxt.es/es/20220401/Firmas/39403/manifiesto-guerra-Ucrania-paz-Noam-Chomsky-Jeremy-Corbyn-Ione-Belarra-Boaventura-de-Sousa-Santos.htm.

[2] In einem der jüngsten Berichte von Oxfam heißt es: „Für jeden neuen Milliardär, der während der Pandemie geschaffen wurde, d.h. einen alle 30 Stunden, könnte bis Ende 2022 in der selben Zeit fast eine Million Menschen in extreme Armut gedrängt werden (...) 573 Menschen wurden während der Pandemie zu neuen Milliardären (...) Wir gehen davon aus, dass in diesem Jahr 263 Millionen Menschen mehr in extreme Armut fallen werden, mit einer Rate von einer Million Menschen alle 33 Stunden.“ Er warnt auch davor, dass in diesem Sommer in Afrika bis zu 350.000 Kinder an Hunger sterben könnten. Alle Wirtschaftsagenturen sehen eine Verlangsamung des BIP-Wachstums, eine Verschärfung der Inflation und eine neue Rezession sowie einen langen Krieg als unvermeidlich an. Siehe: https://www.oxfam.org/es/notas-prensa/cada-30-horas-la-pandemia-genera-un-nuevo-milmillonario-mientras-que-al-mismo-ritmo-un.

[3] https://twitter.com/el_pais/status/1512680614083936257.

[4] W. I. Lenin: Der Zusammenbruch der II. Internationale (1915), Werke Bd. 21, S. 201.

[5] Frei übersetzt nach: https://rafaelpoch.com/2022/03/01/hacia-una-quiebra-en-rusia/#more-878.

[6] https://elordenmundial.com/mapas-y-graficos/pobreza-exclusion-union-europa/.

[7] Nach Angaben der Weltbank gibt es zum ersten Mal in der Geschichte 100 Millionen Flüchtlinge, d. h. 100 Millionen Menschen, die gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben wurden.

[8] Diese Theorie, die der Amerikaner Samuel Huntington 1993 nach dem Zusammenbruch der UdSSR in der Zeitschrift Foreign Affairs formulierte, wird regelmäßig wiederbelebt, wenn der westliche Imperialismus ein weiteres Gemetzel vor der Öffentlichkeit rechtfertigen muss. Dies war z.B. der Fall, als der französischen Präsident Sarkozy im Jahr 2007 die Welt vor der drohenden Konfrontation zwischen dem Islam und dem Westen warnte.

[9] Rosa Luxemburg: Friedensutopien (1911), Gesammelte Werke Bd 2., S. 491–504.

[10] Dieser Satz ist inspiriert von Friedrich Engels Anti-Düring, insbesondere von den Kapiteln zur „Gewalttheorie“, wo er sagt, der Militarismus beherrsche und verschlinge Europa.

[11] https://sipri.org/sites/default/files/2021-09/yb21_summary_esp.pdf.

[12] https://www.infolibre.es/politica/tres-paises-otan-dedica-2-pib-defensa-ahora-promete-sanchez_1_1222482.html.

[13] Siehe: https://www.europapress.es/epsocial/igualdad/noticia-ayudas-sociales-900000-beneficiarios-frenta-total-33-millones-personas-necesitadas-demasiada-burocracia-20210818105405.html.

[14] Vergleiche erneut: https://www.infolibre.es/politica/tres-paises-otan-dedica-2-pib-defensa-ahora-promete-sanchez_1_1222482.html.

[15] W. I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1917), Werke Bd. 22, S. 274.

[16] https://www.dw.com/de/eine-sicherheitsstrategie-f%C3%BCr-deutschland/a-61176789.

[17] Siehe Leo Trotzki: Der Pazifismus im Dienste des Imperialismus (1917).

[18] https://learngerman.dw.com/es/la-febril-b%C3%BAsqueda-alemana-de-alternativas-al-gas-ruso/a-61204875#.

[19] „Nach einer Untersuchung von The Guardian sind mehr als 6.000 Arbeiter auf diesen Baustellen [der Fußballstadien] gestorben, ohne dass die internationale Gemeinschaft dies verurteilt hätte. Auch verfolgt das Regime von al-Thani die Transsexuelle. Das Strafgesetzbuch stellt homosexuelle Beziehungen zwischen Männern unter Strafe und sieht Haftstrafen von bis zu sieben Jahren vor. Darüber hinaus werden Frauen gesetzlich und in der Praxis diskriminiert, da ihr Leben der männlichen Vormundschaft unterliegt.“ https://www.publico.es/internacional/emir-qatar-heroe-villano.html.

[20] Am 19. März „rief Selenskyj das Kriegsrecht aus, um 11 Oppositionsparteien zu verbieten ... Die verbotenen Parteien umfassten das gesamte linke, sozialistische oder NATO-feindliche Spektrum in der Ukraine. (...) Offen faschistische und pro-nazistische Parteien wie das Asow Bataillon waren von dem Präsidialdekret jedoch nicht betroffen.“ Siehe: https://consortiumnews.com/2022/04/20/zelenskys-hardline-internal-purge/.

[21] Siehe W. I. Lenin: Staat und Revolution (1917), Werke Bd. 25, S.393-507.

[22] F. Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, MEW Bd. 20, S. 171.

[23] Unter Hinweis auf Lenins Position vor und nach der Machtergreifung schreibt Trotzki: „Der bolschewistischen Partei gelang es nicht ohne Schwierigkeiten und nur allmählich, unter dem ständigen Druck Lenins, eine richtige Herangehensweise an die ukrainische Frage zu finden. Das Recht auf Selbstbestimmung, d.h. da Recht auf Loslösung [von Russland], gestand Lenin den Polen und den Ukrainern gleichermaßen zu. Aristokratische Nationen erkannte er nicht an. Jede Neigung, das Problem einer unterdrückten Nationalität zu umgehen oder auf die lange Bank zu schieben, betrachtete er als Ausdruck großrussischen Chauvinismus.“ (Leo Trotzki: Die ukrainische Frage [1939], Schriften Bd. 1, S. 1172).

[24] „Da die Angelegenheit von der militärischen Stärke der imperialistischen Staaten abhängig ist, wird der Sieg dieser oder jener Gruppierung nichts anderes zu bedeuten haben, als eine erneute Zerstückelung und eine noch brutalere Unterjochung des ukrainischen Volkes. Das Programm für die Unabhängigkeit der Ukraine ist in der Epoche des Imperialismus unmittelbar und unlösbar mit dem Programm der proletarischen Revolution verbunden.“ (Ebd., S. 1178).

[25] W. I. Lenin: Der Krieg und die russische Sozialdemokratie (1914), Werke Bd. 21, S. 19.      

[26] https://www.eldiario.es/politica/ultima-hora-actualidad-politica_6_8933193_1088915.html.

[27] In seiner Ansprache an das russische Volk 48 Stunden vor der militärischen Intervention in der Ukraine prangerte Putin Lenin und die Bolschewiki als „Verbrecher“ an, die nach der Oktoberrevolution 1917 das Selbstbestimmungsrecht und die Unabhängigkeit der Ukraine durchgesetzt und ihre gleichberechtigte Eingliederung in die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) mit Russland und anderen Nationen befürwortet hatten. In dieser Rede hat Putin gezeigt, dass er ein großrussischer Chauvinist, ein Imperialist, ein entschiedener Feind des Bolschewismus, ein erbitterter Antikommunist und in jedem Fall ein Fortsetzer der repressiven, zentralisierenden und russifizierenden Politik Stalins ist.

[28] W. I. Lenin: Der Krieg und die russische Sozialdemokratie (1914), Werke Bd. 21, S. 15.     

[29] W. I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1917), Werke Bd. 22, S. 300.

[30] W. I. Lenin: Der Zusammenbruch der II. Internationale (1915), Werke Bd. 21, S. 211.

[31] Engelszitat aus dem Vorwort zu Borkheims Broschüre „Zur Erinnerung für die Deutschen Mordspatrioten 1806-1807“ (Dezember 1887). Zitiert von Lenin in seinem Artikel „Prophetische Worte“, Vergleiche Werke Bd. 27, S. 494-500.

[32] L. Trotzki: Von einer Schramme – zur Gefahr der Knochenfäule (1940), in: Verteidigung des Marxismus.

[33] https://www.lavanguardia.com/historiayvida/historia-contemporanea/20200116/472902683101/gustav-krupp-armamento-igm-iigm-nazismo.html.

[34] W. I. Lenin: Der Zusammenbruch der II. Internationale (1915), Werke Bd. 21, S. 223.

[35] Leo Trotzki: Der Pazifismus im Dienste des Imperialismus (1917).

[36] W. I. Lenin: Der Zusammenbruch der II. Internationale (1915), Werke Bd. 21, S. 235f.

[37] Ebd., S. 209.

[38] Siehe L. Trotzki: Manifest der IV. Internationale zum imperialistischen Krieg und zur proletarischen Weltrevolution (1940).

[39] Siehe K. Liebknecht: Der Hauptfeind steht im eigenen Land (1914).

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