Der Klassenkampf, der imperialistische Kampf um die Hegemonie und der Aufstieg der Rechten

Enthält: Der Krieg in der Ukraine und die globalen Kräfteverhältnisse · Die Hölle von Gaza

Das Dokument, das wir nachstehend veröffentlichen, wurde Mitte Oktober fertiggestellt, im November von den Aktiven der Internationalen Revolutionären Linken debattiert und geändert und schließlich auf dem Kongress am 8., 9. und 10. Dezember in Madrid unter Beteiligung von 250 Personen, darunter Delegierte und Gäste, angenommen. 

Es befasst sich mit den programmatischen Positionen unserer Organisation und den grundlegenden Prozessen des Klassenkampfes und des imperialistischen Kampfes um die Welthegemonie. Eine eingehende Analyse der turbulenten Zeiten, die der globale Kapitalismus durchlebt, und ein Aufruf zum Aufbau der Kräfte des revolutionären Kommunismus.

Um die Lesbarkeit zu erleichtern, veröffentlichen wir es in drei Teilen. Hier ist das Dokument in PDF-Form abrufbar. 

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I. Der Krieg in der Ukraine und die globalen Kräfteverhältnisse

Die Konfrontation zwischen den beiden imperialistischen Blöcken erreicht ein so kritisches Niveau, dass man bis zum Zweiten Weltkrieg zurückgehen müsste, um ein Szenario zu finden, das dem entspricht, welches wir derzeit erleben. Es stimmt, dass die schweren Kämpfe in der Ukraine diesen Konflikt zum zerstörerischsten auf europäischem Boden seit 1945 gemacht haben, aber das Chaos, in das die globale kapitalistische Ordnung gestürzt ist, ist mit der Intervention des zionistischen Staates Israel in Gaza noch einen Schritt weiter gegangen.

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts stehen mehr als 300.000 Soldaten bereit, in den Gazastreifen einzumarschieren. Die Auswirkungen könnten nach tagelangen zerstörerischen Bombardierungen, die bereits den Tod Tausender palästinensischer Zivilisten zur Folge hatten, apokalyptisch sein. Der Streifen, der zum größten Freiluftgefängnis der Welt geworden ist, wurde vom zionistischen Staat der Grundversorgung beraubt. Seine 2,3 Millionen Einwohner – darunter fast 1,5 Millionen von der UNO registrierte Flüchtlinge – sind auf 361 Quadratkilometern zusammengepfercht und der Belagerung völlig ausgeliefert: kein Wasser, keine Lebensmittel, kein Strom, keine Krankenhäuser. Wenn die Invasion schließlich stattfindet, gibt es keinen Zweifel über das Ergebnis: Die Zahl der Opfer wird in die Tausende oder Zehntausende gehen, wichtige Infrastrukturen werden dem Erdboden gleichgemacht, ganz zu schweigen von den Häusern und Gebäuden, die in Schutt und Asche gelegt werden.

Aber die Entscheidung des US-Imperialismus und seines Agenten Israel, dieses Massaker zu provozieren, ist auf eine unerwartete Reaktion gestoßen: die der Massen des arabischen Volkes, die sich in einem Land nach dem anderen erheben, und der internationalistischen Solidaritätsbewegung, die die Straßen der großen europäischen und amerikanischen Städte gefüllt hat. Und es ist genau diese Reaktion, die trotz aller pro-zionistischen Kampagnen und der polizeilichen und gerichtlichen Repression in vielen Ländern den Plänen Washingtons und der Regierung Netanjahu einen Strich durch die Rechnung macht. Die Aussicht, dass eine Intervention eine noch größere politische Krise in Israel auslöst und zu einem Krieg führt, in den große Länder und militärische Kräfte involviert sein werden, eröffnet eine brandgefährliche Perspektive.

Das Bild der Welt gleicht dem eines Monstrums, das mit unberechenbarer Gewalt auf die Selbstzerstörung zusteuert. Aber es ist nicht die abstrakte Menschheit, die dafür verantwortlich ist. Diese Barbarei ist das Ergebnis des kapitalistischen Systems.

Die generelle Destabilisierung der internationalen Beziehungen, die imperialistischen Kriege, die Staatsstreiche, der Totalitarismus und die starken bonapartistischen Tendenzen, die die Repressionsapparate stärken, der institutionalisierte Rassismus, die Ungleichheit und die Verarmung, die Krise der traditionellen Parteien und der Aufstieg der extremen Rechten, die Umweltzerstörung... sind deutliche Symptome für die unlösbaren Widersprüche, die die Gesellschaft zersetzen.

Eine Krise mit tiefen Wurzeln

Diese erschütternden Prozesse lassen sich nicht erklären, ohne andere politische Ereignisse zu erwähnen, die sich Ende des 20. Jahrhunderts abgespielt haben. Der Zusammenbruch des Stalinismus, die Restauration des Kapitalismus in der UdSSR, in Osteuropa und in China, der ideologische Zusammenbruch der internationalen Linken (Sozialdemokraten und Ex-Stalinisten) und ihr scharfer Rechtsruck, die schweren Niederlagen der Arbeiterklasse in vielen Ländern... all dies hat den Vormarsch der Washingtoner Weltordnung und des Neoliberalismus vorangetrieben.

Doch diese günstige Situation für die kapitalistische Stabilität nahm mit dem neuen Jahrhundert eine dramatische Wendung, insbesondere nach der Großen Rezession von 2008. Der Aufschwung des Klassenkampfes, der in Lateinamerika begann (die bolivarische Revolution), gefolgt vom Ausbruch des Arabischen Frühlings, der Bewegung der Indignados in Spanien, der revolutionären Krise in Griechenland... führte zu politischen Umgruppierungen und dem Entstehen einer neuen Linken, die den Schlüssel für eine radikale Transformation in der Hand hielt. Doch alle Chancen, die sich Syriza, Podemos, Die Linke, Corbyn, Sanders oder Boric boten, wurden vertan, was zu einer politischen Enttäuschung führte, die die aktuellen Entwicklungen belastet.

In der Tat haben Generalstreiks, Massenproteste, Aufstände und revolutionäre Krisen seit 2008 nicht aufgehört. Wir müssen noch nicht einmal zu weit zurückliegenden Daten zurückgehen. Beginnen wir mit dem Jahr 2019, dem Jahr vor der Pandemie, so waren sie vielzählig: Chile, Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Honduras, Sudan, Algerien, Libanon, Südafrika, Myanmar, Sri Lanka, USA, Frankreich, Großbritannien, Katalonien... Die Aufstände beschränken sich nicht auf die ehemaligen Kolonialländer, sondern betreffen auch die imperialistischen Zentren.

Die objektiven Voraussetzungen dafür, dass revolutionäre Entwicklungen erfolgreich abgeschlossen werden konnten, waren gegeben. Wir haben dies in den zahlreichen Erklärungen, die zu diesem Thema veröffentlicht wurden, ausführlich dargelegt. Die Beispiele von Chile, Bolivien, Sri Lanka und Myanmar, wo die Möglichkeit der Machtergreifung aufgrund des Vorstoßes der Massen und der Lähmung der herrschenden Klasse weiter fortgeschritten ist, unterstreichen diesen Gedanken. Günstige objektive Bedingungen reichen jedoch nicht aus, sie können verdorben und zu Gunsten der Konterrevolution umgewandelt werden. Das Fehlen des subjektiven Faktors, einer revolutionären Partei mit einer Massenbasis in der Arbeiterklasse, einer bewährten Führung mit einem Programm und einer Taktik, die dem Gang der Ereignisse entsprechen, hat entscheidend dazu beigetragen, dass diese Chancen vertan wurden.

Die Welt hat sich seit 2008 stark verändert. Dass die US-Macht organische Schwächen und Ermüdungserscheinungen zeigt, ist offensichtlich. Es handelt sich nicht um einen konjunkturellen Einflussverlust, sondern um einen viel tieferen Prozess. Obwohl der Kampf um die Weltherrschaft bereits zwei große Sprünge während der Großen Rezession von 2008 und der Covid-19-Krise erlitten hat, offenbaren der Krieg in der Ukraine und das beispiellose Massaker in Gaza die wahre Dimension des Konflikts zwischen den imperialistischen Blöcken unter Führung der USA und Chinas.

Der asiatische Drache entwickelt sich zu einer wirtschaftlichen, technologischen und militärischen Supermacht, die die herrschende Klasse der USA in nie dagewesener Weise unter Druck setzt. Wir haben die Merkmale von Chinas Aufstieg und die Besonderheiten seines staatskapitalistischen Regimes eingehend analysiert.[1] Doch einige ahnungslose selbsternannte marxistische Theoretiker tun diese Fakten als Kleinigkeiten ab. Im Gegensatz dazu ist die westliche herrschende Klasse davon überzeugt, dass es sich um eine sehr ernste Angelegenheit handelt.

Die Außenpolitik spiegelt die inneren Stärken und Schwächen der Nationen wider. Die herrschende Klasse der USA versucht, trotz des wirtschaftlichen und sozialen Verfalls im eigenen Land den Anschein einer Supermacht zu wahren. Die eklatante Ungleichheit, die ausgeprägte politische Polarisierung, die sich im Rechtsruck der republikanischen Partei und der zunehmenden Unterstützung der Linken durch breite Schichten der Jugend sowie in den antirassistischen Massenmobilisierungen und der Welle offensiver Streiks ausdrückt, sind ein Zeichen dafür, dass im Herzen des westlichen Kapitalismus ein Klassenkampf tobt.

Anders als zuvor auf dem Balkan und im ersten Golfkrieg 1991 haben die USA im Irak, in Syrien und in Afghanistan schwere Niederlagen erlitten. Im August 2021 war der Abzug der Marines vom Flughafen Kabul angesichts der Ankunft der Taliban mehr als ein militärischer Rückschlag. Er symbolisierte das Ende einer Ära und den Beginn einer viel turbulenteren Ära für die Interessen Washingtons und seiner Verbündeten.[2]

Der US-Imperialismus, mit Trump an der Spitze, musste in den sauren Apfel beißen. Es sollten noch viele weitere Niederlagen folgen, wie etwa das Scheitern des Handelskriegs mit China. Angesichts solch unsicherer und entmutigender Aussichten reagierte die herrschende Klasse heftig. Präsident Joe Biden und die Führung der Demokratischen Partei erhöhten den Einsatz: Kein Rückzug, unter keinen Umständen, aus ihren traditionellen Einflusssphären.

Ukraine: Krieg in Europa

Europa ist eine dieser Einflusssphären und daraus folgt ein eindeutiges Ziel für Washington: Die Unterbrechung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen Chinas und Russlands zu den wichtigsten europäischen Nationen, insbesondere Deutschland, und die Disziplinierung ihrer Verbündeten war eine Voraussetzung dafür, dass man im wichtigsten und härtesten zwischenimperialistischen Kampf des 21. Jahrhunderts auf sie zählen konnte. Das war das Ziel des Krieges in der Ukraine; das Problem ist, dass sich die Entwicklung des Konflikts gegen sie gewendet und der transatlantischen Einheit stattdessen geschadet hat.

In anderen Stellungnahmen haben wir die Faktoren analysiert, die den Krieg in der Ukraine möglich gemacht haben, wobei wir auf die Verantwortung der USA und der NATO hingewiesen und seinen imperialistischen Charakter charakterisiert haben.[3] Die Quintessenz ist, dass die westlichen Verbündeten nach 19 Monaten des Konflikts einen noch größeren Rückschlag erlitten haben als in Afghanistan.

Die Widerstandsfähigkeit des Putin-Regimes gegenüber der Batterie von Wirtschaftssanktionen, die Stärke seiner Armee und seiner Kriegsindustrie angesichts der immensen Ressourcen, die die NATO, die USA und die EU Selenskyj zur Verfügung gestellt haben, das Fehlen von Widerstand in der Bevölkerung in den von Russland besetzten Gebieten des Donbass und – der entscheidende Faktor – die Rolle Chinas als Unterstützer der Initiativen des Kremls stellen einen qualitativen Unterschied zu früheren Kriegen dar.

Die opportunistische Entartung von Gruppen, die sich als trotzkistisch bezeichnen, aber die Machenschaften der Nato und das reaktionäre Regime in Kiew unterstützen, bedarf keines weiteren Kommentars. Das ist eine Position, die dem Leninismus fremd ist, auch wenn sie hinter einer falschen Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts getarnt ist. Vergleiche mit der Spanischen Revolution von 1936-1939, um eine solche Kapitulation zu rechtfertigen, sind ein Bruch mit dem revolutionären Marxismus.[4]

Die stalinistische Linke ihrerseits lobt die Politik Putins und das Eingreifen der russischen Armee und leugnet jegliche imperialistische Absicht bei dieser Aktion. Das ist die Kehrseite der Medaille: Sie folgt einem imperialistischen Block, der von einer bürgerlichen Oligarchie angeführt wird, die ihre Macht durch den Zusammenbruch der UdSSR und die Ausplünderung der staatlichen Ressourcen konsolidiert hat. In den letzten Jahrzehnten haben diese kapitalistischen Kräfte zusammen mit dem Staatsapparat und einem mächtigen militärisch-industriellen Komplex ein bonapartistisches Regime gefestigt, das einem rabiaten großrussischen Nationalismus Vorschub leistet. Die Tatsache, dass sie während der Intervention in der Ukraine demagogisch auf den Begriff „Entnazifizierung“ zurückgegriffen haben, um die Arbeiterklasse besser zu täuschen, ändert nichts am Klassencharakter von Putins Regime.

Russland ist weit davon entfernt, eine rückständige Wirtschaft zu sein, es ist ein entwickeltes kapitalistisches Land, in dem die großen Monopole die Produktionsverhältnisse beherrschen. Es ist ein staatsmonopolistischer Kapitalismus. Die Expansionsbestrebungen der russischen Bourgeoisie leiten sich von dieser objektiven Grundlage ab, und auch wenn seine Position in der globalen imperialistischen Hierarchie hinter der der USA und Chinas zurückbleibt, so negiert dies nicht seinen Charakter als imperialistische Macht. Wir werden hier nicht auf theoretische Fragen eingehen, die wir bereits eingehend behandelt haben.

Es war unvermeidlich, dass ein Ereignis dieses Ausmaßes eine heftige Debatte in der Linken, die den Anspruch erhebt, revolutionär zu sein, auslösen würde. Die Tatsache, dass einige Massenorganisationen wie die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) eine klassenkämpferische und internationalistische Position beibehalten haben, indem sie den Krieg als imperialistisch anprangerten, mit dem Volksfront-Ansatz brachen und die Kapitulation der KPRF von Guennadi Sjuganow und anderen vor dem russischen und chinesischen Imperialismus aktiv zurückwiesen, ist ermutigend.

In diesen schwindelerregenden Monaten sind die Entscheidungsträger in Washington und Brüssel von Euphorie zu Besorgnis übergegangen. Im Februar 2022 twitterte Biden: „Als Ergebnis unserer beispiellosen Sanktionen ist der Wert des Landes in Schutt und Asche gelegt worden“. Er prahlte auch mit der internationalen Isolierung des Putin-Regimes und damit, dass sie bald den Triumph der ukrainischen Armee auf dem Schlachtfeld feiern würden.

Nichts von alledem ist geschehen. Russland hat die Kontrolle über 20 Prozent des ehemaligen ukrainischen Territoriums im Donbass gefestigt, mit den Provinzen Donezk und Luhansk an der Spitze, und hat die Frühjahrs-Gegenoffensive der Kiewer Armee zurückgeschlagen. Die vom US-Außenministerium ausgearbeitete Strategie ist gescheitert. Russland ist weder besiegt noch isoliert, und die Wirtschaftssanktionen haben es nicht vermocht, dem Putin-Regime wirklichen Schaden zuzufügen.

Die seriösesten Zeitungsartikel sind eindeutig: „Zwischen dem 24. Februar und dem 15. Dezember [2022] hat die Europäische Union 10.300 Sanktionen gegen Russland verhängt. Sie ist jetzt bei ihrem zehnten Sanktionspaket angelangt. Die Sanktionen sollten Russland dazu bringen, den Krieg zu verlieren, oder zumindest den Energiekrieg. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte, sie wolle Russland „ruinieren“, und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erklärte, das Ziel sei es, „Russlands industrielle Kapazitäten Schritt für Schritt zu demontieren“. Doch Russlands Wirtschaft ist nicht zusammengebrochen. Seine Einnahmen aus dem Export von Kohlenwasserstoff sind um 28 Prozent gestiegen (...) Die Kasse, die Moskaus Krieg trägt, ist nicht leer.“[5]

Der Misserfolg der Sanktionen und der Handelsblockade gegen Russland ist kolossal. Im März 2023 erreichte Russland laut dem Monatsbericht der Internationalen Energieagentur (IEA) den höchsten Stand der Ölexporte seit drei Jahren,[6] als seine Gesamtlieferungen um 600.000 Barrel pro Tag (bpd) auf 8,1 Millionen bpd stiegen, den höchsten Stand seit April 2020.

Beim internationalen Handel mit Russland geht es nicht nur um Energie. Die russische Kriegsindustrie ist gut mit westlicher Technologie versorgt worden. Ein umfangreiches Analysepapier auf einer seriösen Website bestätigt dies:

„Allein in den letzten sechs Monaten hat Russland trotz des Verbots Chips im Wert von mehr als 502 Millionen Dollar von westlichen Unternehmen importiert, die zur Herstellung von Raketen und anderen Waffen verwendet werden. Außerdem wurden Maschinen für die Rüstungsindustrie im Wert von mehreren Millionen Dollar, westliche Ersatzteile für die zivile Luftfahrt im Wert von mindestens 171 Millionen Dollar und iPhones im Wert von 389 Millionen Dollar importiert (...).

Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass fast alles aus der ganzen Welt nach Russland importiert werden kann, von einem Dual-Purpose-Chip bis zu einem Turbotriebwerk für Airbus. Westliche Unternehmen sind über Drittländer an diesen Aktionen beteiligt, und die russischen Behörden umgehen erfolgreich die europäischen und amerikanischen Sanktionen. (...) Nach den Berechnungen von Verstka haben die vier größten russischen Fluggesellschaften Aeroflot, S7, Pobeda und Rossiya seit Anfang dieses Jahres Flugzeugteile im Wert von 47 Millionen, 35 Millionen, 13 Millionen bzw. 15 Millionen eingeführt. Fast alle diese Teile stammen von westlichen Herstellern. (...)

China ist Russlands wichtigste Drehscheibe für den Empfang sanktionierter Güter. Chinas Gesamtlieferungen decken einen großen Teil des russischen Bedarfs, nicht nur im militärischen Bereich. Sogar durch die Wiederausfuhr von sanktionierten Gütern aus den Vereinigten Staaten und Europa. Am Beispiel Chinas lässt sich gut nachvollziehen, wie das funktioniert“.[7]

Einige Institutionen wie der IWF oder die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sagten für das Jahr 2022 einen Einbruch der russischen Wirtschaft um 8,5 bis 10 Prozent, einen Anstieg der Inflation um 24 Prozent und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit um 9,3 Prozent voraus. Die Realität sah jedoch ganz anders aus: Die Wirtschaft schrumpfte nur um 2,1 %, die Arbeitslosenquote lag bei 3,9 % und die Inflation blieb bei 12,5 %. Andere Messungen betreffend waren die Daten sogar noch besser: Die Investitionsquote lag 2022 bei hervorragenden 22,7 % und die Bruttosparquote stieg von 29,90 % im Jahr 2021 auf 33 % im Jahr 2022.

Alles in allem ist es Russland gelungen, eine makroökonomische und finanzielle Destabilisierung zu vermeiden, Verluste zu minimieren und wichtige Ressourcen für die Fortsetzung des Krieges zu bewahren. Das ukrainische BIP ging jedoch 2022 um 30,4 % zurück, und die Aussichten für dieses Jahr sind ebenso negativ.

Diese Zahlen zeigen, dass Washington und Brüssel nicht in der Lage sind, ihre Bedingungen auf dem Weltmarkt durchzusetzen; sie können kein verbindliches Diktat mehr erlassen. Was ist der Grund für diesen Wandel? Die Antwort liegt offensichtlich im Aufstieg Chinas zu einer imperialistischen Großmacht und in seiner Fähigkeit, auf den Weltmärkten zu intervenieren und den internationalen Handel zu beeinflussen.

Es ist klar, dass der Kreml ohne die Zustimmung der Regierung von Xi Jinping diesen Krieg nicht begonnen hätte, und es besteht kein Zweifel daran, dass Peking jetzt eine Schlüsselrolle bei den russischen militärischen Bemühungen spielt, um Moskau mit allem zu versorgen, was es braucht.

Der chinesische Imperialismus war sehr gut informiert und hat während des gesamten Konflikts seine Trümpfe ausgespielt, um zahlreiche Länder in seine Einflusssphäre zu ziehen. Umgekehrt werden die USA als Quelle von Instabilität und Chaos angesehen, eine Wahrnehmung, die sich bei vielen ihrer einst treuen Verbündeten noch verstärkt hat.

Die Türkei, Indien, Saudi-Arabien, um einige einschlägige Beispiele zu nennen, haben sich auf den Gegner der USA zubewegt. Die Handelsbeziehungen dieser Länder mit China und Russland sind in den letzten zwei Jahren exponentiell angestiegen. Russland ist bereits der größte Öllieferant Indiens und hat damit den Irak und Saudi-Arabien überholt. Saudi-Arabien wiederrum ist selber ein sehr aktiver Wirtschaftspartner für China geworden. Riad hat seinen Handel mit Peking stark ausgeweitet, exportiert bereits 25 % seines Öls nach China (Stand 2022), und im vergangenen Dezember haben beide Länder vereinbart, ihre Beziehungen auf das Level einer strategischen Partnerschaft aufzuwerten, indem sie einen erheblichen Teil ihres Handels in Yuan abwickeln. Saudi Arabien, langjähriger Verbündeter der USA am Persischen Golf, hat die Forderung Joe Bidens nach einer Produktionssteigerung der OPEC entschieden zurückgewiesen.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Der westlichen Bourgeoisie ist es nicht gelungen, eine Massenmobilisierung zugunsten ihrer imperialistischen Agenda zu erreichen. Die Vorstellung, dass Selenskjy für Demokratie und nationale Befreiung in der Ukraine kämpft, wird weithin in Frage gestellt: Seine Verbindungen zu faschistischen Organisationen, seine Verstrickung in den ukrainischen supremazistischen Nationalismus und in die Massaker an der Arbeiterklasse in der Donbass-Region sind so offensichtlich, dass die Bemühungen, sein Image zu beschönigen, weiterhin scheitern.

Die unmittelbarste Auswirkung in den Ländern, die dem Konflikt nahe stehen, war jedoch die Schwächung der sozialdemokratischen und rechtskonservativen Parteien, die den Krieg unterstützen, und die Zunahme der Wählerstimmen für extremrechte oder populistische nationalistische Gruppierungen, die ein Ende der Wirtschaftssanktionen gegen Russland und eine Abkehr von Bidens Agenda fordern. Das ist der Fall in Deutschland, Ungarn, Finnland, Schweden, Norwegen, der Tschechischen Republik und der Slowakei.

Die Gräben zwischen den Verbündeten haben sich vertieft, und selbst die nationalistische und rechtsgerichtete Regierung Polens, der treue Diener der USA im Krieg, hat begonnen, sich vom Selenskyj-Regime zu distanzieren, weil es neue Exportprivilegien für ukrainisches Getreide zum Nachteil der polnischen Landwirtschaft gibt.

Alle haben gebetet, dass die militärische Gegenoffensive des „Frühjahrs“ eine Änderung der Dynamik bewirken würde. Doch das Ergebnis war ein durchschlagender Misserfolg. Das Pentagon bestand auf einem einzigen Angriff im Süden, ohne Rücksicht auf die Zahl der Opfer, und provozierte damit eine Auseinandersetzung mit Kiew, die durch die Worte des ukrainischen Oberbefehlshabers Saluschnyj an die Amerikaner auf den Punkt gebracht wurde: „Sie verstehen die Natur dieses Konflikts nicht. Dies ist keine Aufstandsbekämpfung. Das ist Kursk.“[8]

In verschiedenen Berichten ist die Rede von 150.000 bis 225.000 getöteten Soldaten auf ukrainischer Seite seit Beginn des Krieges und weniger als 100.000 russischen Soldaten.[9] Nach Angaben der amerikanischen Presse haben mehr als 50.000 ukrainische Soldaten entsetzliche Amputationen erlitten, ähnlich viele wie die deutschen oder französischen Kämpfer im Ersten Weltkrieg.

Die Auswirkungen dieses Gemetzels haben die Popularität der Selenskyj-Regierung untergraben. Die enormen Schwierigkeiten, die Rekrutierungsziele zu erreichen, Massendesertionen und sogar Demonstrationen von Angehörigen, die die Leichen ihrer Söhne, Neffen, Nichten und Enkel fordern, sind ein beunruhigendes Symptom.

Zugleich nimmt die wirtschaftliche Verschwendung skandalöse Ausmaße an. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat die Gesamthilfe, die Kiew in den ersten 15 Monaten des Krieges erhalten hat, auf 165 Milliarden Euro geschätzt, was etwa 100 Prozent des ukrainischen BIP entspricht. Ohne die westliche imperialistische Hilfe wäre die Ukraine kollabiert: Nach Angaben der Bruegel-Beobachtungsstelle sind die Staatseinnahmen im Juni im Vergleich zum Vorjahr um 29,1 % gesunken, aber dank der Hilfe der USA und der EU betrug der Rückgang letztlich nur 2,6 %.

Wie im Irak und in Afghanistan hat diese Flut von Milliarden von Dollar außer Kontrolle geratene Korruptionsnetze genährt. Junge Männer sterben zu Zehntausenden auf dem Schlachtfeld, während die ukrainische Oligarchie und die Mafia aus Händlern, Zwischenhändlern und Mittelsmännern ihr Geld machen. Das hat die westlichen Herren dazu veranlasst, kosmetische Maßnahmen der ukrainischen Regierung einzufordern: Entlassungen und Rücktritte ziehen sich durch die gesamte militärische Befehlskette und die Regierungsstruktur selbst.

Es ist nicht auszuschließen, dass die ukrainische Regierung angesichts der inneren Widersprüche und der schwindenden Unterstützung durch die Bevölkerung zusammenbricht. Tatsache ist, dass sich die Gegenoffensive verlangsamt hat, weil die Opferzahlen die Moral der Truppen gedämpft haben. Berichte über Meutereien halten seit Wochen an.

Die Gebietsgewinne der russischen Armee sind konsolidiert worden. Wenn man die Berichte der ehrlichsten Militärspezialisten auf westlicher Seite aufmerksam liest, versteht man besser, was vor sich geht. Laut dem US-Generalstabschef Mark Milley hat die Ukraine bereits erreicht, was sie militärisch erreichen konnte, mehr ist nicht möglich.

Die Lage ist derart schlimm, dass sich die Rufe nach einer Beendigung der US-Unterstützung für die Ukraine quer durch das politische Spektrum mehren: Leitartikel in der New York Times und der Washington Post ergänzen die öffentlichen Erklärungen hochrangiger Pentagon-Beamter, des ehemaligen Präsidenten George W. Bush sowie von Donald Trump und zahlreichen Republikanern im Kongress, die ein Ende der Hilfe für die Ukraine und einen Fahrplan hin zu einem Friedensabkommen fordern.

Die Meinungsverschiedenheiten sind so groß, dass die Regierung von Biden nicht in der Lage war, eine gemeinsame Sitzung mit Selenskyj im Kapitol zu organisieren, die mit seinem Besuch der jährlichen UN-Tagung zusammenfallen sollte, und ein Teil der Republikaner hat ein neues Hilfspaket in Höhe von 24 Milliarden Dollar blockiert.

Es gibt weitere erschwerende Faktoren. Die USA haben ihre Waffenarsenale geleert und ihre Produktionskapazität reicht nicht aus, um die Intensität der Kämpfe aufrechtzuerhalten. Europa versucht seit mehr als einem Jahr, sich auf eine Erhöhung seiner Munitionsproduktion zu einigen. In beiden Fällen besteht ein grundlegendes Problem darin, dass die private Rüstungsindustrie selbst nicht darauf vertraut, dass ihre Gewinne garantiert sind, und aus diesem Grund „Notverträge“ ablehnt. Stattdessen versuchen die großen Rüstungskonzerne, langfristige Verträge mit Investitionen von mindestens 10 Jahren im Voraus auszuhandeln. Krieg ist und bleibt in erster Linie ein Geschäft.

Betrachtet man die Entwicklung des Konflikts unter rein militärischen Gesichtspunkten, die natürlich durch wirtschaftliche, politische und geostrategische Faktoren ergänzt werden müssen, hat der Kreml Grund zur Freude. Wie die New York Times vor einigen Wochen berichtete, produziert Russland inzwischen mehr Raketen, Panzer, Munition und allgemeines Rüstungsgut als noch vor dem Krieg.

Politisch hat Putin die Prigoschin-Meuterei erfolgreich beigelegt.[10] Die irrsinnigen Analysen, die einen „drohenden Bürgerkrieg“ in Russland vorhersagen, beweisen das Ausmaß der Lügen und des Rausches der westlichen Propaganda. Wagner steht definitiv unter der direkten Kontrolle des russischen Staates, und die Botschaft an die Oligarchie ist klar: Wer versucht, die Gesamtstrategie in Frage zu stellen, wird die Konsequenzen tragen. Das bonapartistische Regime ist gestärkt worden. Und das alles bei einer Popularität Putins, die sich auf einem Allzeithoch befindet: über 80 Prozent laut der Umfrage des unabhängigen Levada-Zentrums von Ende Juli.

Mitte August deutete der Stabschef des NATO-Generalsekretärs einen möglichen Frieden mit der Abtretung ostukrainischer Gebiete an Russland im Gegenzug für die NATO-Mitgliedschaft Kiews an. Stoltenberg musste sich zurücknehmen, nachdem Selenskyj den Vorschlag als „inakzeptabel“ bezeichnet hatte. Es ist jedoch klar, dass die Option eines Verhandlungsfriedens bei einem zunehmend einflussreichen Teils der US-Regierung und der europäischen Verbündeten, insbesondere Deutschland, an Gefallen gewinnt. Sie sind sich darüber im Klaren, dass die Vertreibung Russlands aus dem Donbass und von der Krim immer unmöglicher wird.

Viele militärische und politische Strategen beginnen, sich auf das Ziel zu einigen, den Konflikt offen zu halten, aber einzufrieren, ähnlich wie es 1950 im Koreakrieg geschah. Dieser Vorschlag liegt seit Anfang des Jahres auf dem Tisch. Im vergangenen Januar warnte Oleksij Danilow, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine: „Man bietet uns die koreanische Option an. 'Hier gibt es Ukrainer, hier gibt es Ukrainer und hier gibt es keine Ukrainer'. Ich bin überzeugt, dass eine der Optionen, die sie uns anbieten werden, eine Parallele zum 38ten[11] ist.“[12]

Auch der ehemalige US-Präsident George W. Bush sprach sich auf der Jahrestagung der Europäischen Strategiegruppe von Jalta in Kiew für eine koreanische Lösung aus. „In einer vom US-Radiosender NPR am 8. September veranstalteten Debatte sprachen sich führende Experten für dieselbe Lösung aus. Carter Malkasian, ehemaliger Berater der US-Generalstabschefs und Leiter der Abteilung für Verteidigungsanalysen an der Naval Postgraduate School, sagte, dass 'das koreanische Waffenstillstandsmodell die beste Option sein könnte, obwohl nichts seinen Erfolg garantiert'...“.[13]

Eine solche Lösung würde die Niederlage Washingtons und Brüssels besiegeln, hätte negative Folgen für die Demokratische Partei kurz vor den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr und wäre ein schwerer Rückschlag für alle europäischen Parteien, die Bidens Kriegsstrategie unterstützt haben.

Wenn die NATO, die USA und ihre Verbündeten Kiew schließlich zur Unterzeichnung eines Waffenstillstands drängen, wird der Konflikt zwischen den imperialistischen Blöcken nicht entschärft werden. Natürlich wird Putin den Wiederaufbau von Luhansk und Donezk demagogisch anpreisen und eine neue großrussische chauvinistische Propagandakampagne entfachen. Aber die kapitalistische Ordnung wird nicht stabilisiert werden, wir werden dem Weltfrieden nicht näher kommen, und Millionen von Ukrainern werden in einen Nachkriegsalptraum des Elends gestürzt werden. Das hat nichts mit einer Durchsetzung von Freiheit zu tun. Das wird das makabre Ergebnis des imperialistischen Krieges in der Ukraine sein.

Chaos und Barbarei werden nicht aufhören, sich auszubreiten. Die Lösung der nationalen Frage in der Ukraine, wie auch in Palästina, wird niemals durch Bündnisse mit imperialistischen Mächten jeglicher Couleur erfolgen. Nur der unabhängige Kampf der Unterdrückten mit einem klassenkämpferischen und internationalistischen Programm, der sich den Mächten entgegenstellt, die das legitime Streben nach Selbstbestimmung zu ihrem eigenen Vorteil nutzen, kann einen Ausweg aus dieser Sackgasse schaffen.

Die sozialistische Revolution ist die einzige realistische Option zur Lösung der ukrainischen nationalen Frage und zum Sturz des reaktionären Regimes in Kiew und der faschistischen Banderisten des Maidan. Die sozialistische Revolution ist das einzige Mittel, um das imperialistische Regime in Moskau zu stürzen und Putin und seinen Antikommunismus auf den Müllhaufen der Geschichte zu schicken. Dafür müssen sich die Arbeiter der Ukraine und Russlands, die in ihrer Geschichte so viele Bande geknüpft haben, unter demselben Banner des Kampfes vereinen: Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!

II. Die Hölle von Gaza

Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant machte die mörderische Strategie seiner Regierung glasklar: „Ich habe eine vollständige Belagerung des Gazastreifens angeordnet. Es wird keinen Strom, keine Lebensmittel und keinen Treibstoff geben. Nichts wird hineingehen und nichts wird herauskommen. Sie sind kämpfende Tiere und wir werden dementsprechend handeln“. Dies sind die Worte eines ausgemachten Faschisten, der bedingungslos von Washington und Brüssel unterstützt wird.

Die Angriffe der Hamas-Milizen am Wochenende vom 7. und 8. Oktober haben die Weltbühne erschüttert und den Fokus von der Ukraine auf die besetzten palästinensischen Gebiete verlagert. Die Operation hat Fragen zur Rolle der israelischen Geheimdienste aufgeworfen, die angeblich nicht in der Lage waren, einen Angriff aufzudecken, der monatelang sorgfältig geplant wurde und einen enormen Aufwand an Ressourcen und Ausbildung erforderte. Doch die Reaktion der zionistischen, neofaschistischen, rassistischen und kolonialistischen Regierung von Benjamin Netanjahu ließ nicht lange auf sich warten.

Ein neues Massaker im Gazastreifen und in den besetzten palästinensischen Gebieten ist im Gange, ohne dass irgendeine Macht einen Finger rührt, um es zu verhindern. Nach der Ausrufung des Kriegszustands und der Mobilisierung von Hunderttausenden von Reservisten hat die schwere Bombardierung des Gazastreifens bereits Tausende von Opfern und Verwundeten, darunter viele Kinder, hinterlassen und ganze Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt. Aber diese Zahlen sind nicht vergleichbar mit dem was passiert, wenn es zu einer Bodeninvasion kommt, die nur mit größter Gewalt durchgeführt werden kann.

Die USA und die Europäische Union haben diesem neuen Gemetzel ihren Segen gegeben. Ob Joe Biden und die Demokratische Partei der USA, Ursula von der Leyen, Macron, der britische Premierminister oder die spanische Regierung unter Pedro Sanchez, der die PCE, Podemos und IU[14] angehören... die Regierungsvertreter des westlichen Imperialismus haben sich geschlossen hinter Netanjahu gestellt.

Alle sprechen von „Terrorismus“, um den militärischen Einmarsch der Hamas zu beschreiben, aber sie schweigen abscheulich angesichts des zionistischen Staatsterrorismus. Diese „Demokraten“ des Westens, Protagonisten einer langen Geschichte kolonialer und imperialistischer Gewalt, unterstützen eine Regierung, die sich aus offen faschistischen ultranationalistischen Organisationen zusammensetzt, die die endgültige Auslöschung des Gazastreifens von der Landkarte und ethnische Säuberungen gegen die Palästinenser fordern. Es ist kein Zufall, dass Netanjahu den Völkermord der Nazis nicht Hitler, sondern den Arabern in die Schuhe schob und dabei kaum Kritik von seinen NATO-Verbündeten erntete. Lassen wir uns also nicht von der westlichen Propaganda täuschen, die Aussagen über Israels Recht auf Selbstverteidigung sind ein Aufruf zur Massakrierung der palästinensischen Zivilbevölkerung.

Die Hamas-Operation kommt nicht aus heiterem Himmel und ist nicht unerwartet. Verantwortlich dafür ist die jahrzehntelange unerträgliche Unterdrückung des palästinensischen Volkes, die sich in den letzten Jahren stetig verschlimmert hat und Tausende von Toten zur Folge hatte.

Die Eskalation der Provokationen in den letzten Monaten, mit einer Regierung, deren Agenda von den fanatischsten ultranationalistischen Gruppen gesteuert wird, hat sich unvermindert fortgesetzt: repressive Maßnahmen an der Al-Aqsa-Moschee, dem Symbol der Palästinenser in Jerusalem; Ermordung palästinensischer Zivilisten durch paramilitärische Siedlergruppen, die von der zionistischen Polizei und Justiz geschützt werden; Zerstörung von Häusern und Ernten, Vertreibung hunderter palästinensischer Familien aus ihren Häusern und Ausweitung der zionistischen Kolonien; Bombenanschläge auf Moscheen, Schulen, Krankenhäuser und Gebäude von Nichtregierungsorganisationen; Dutzende von Militärangriffen im Westjordanland und im Gazastreifen und bisher fast 700 Tote in diesem Jahr, nicht mitgezählt die Opfer der aktuellen Bombenanschläge, Tausende von Gefangenen und die Folterung unschuldiger Zivilisten. Dies ist der Alltag des palästinensischen Volkes.

Hinzu kommt die verzweifelte Lage im Gazastreifen, der zum größten Konzentrationslager der Welt geworden ist, zum Warschauer Ghetto der Palästinenser, in dem mehr als 2 Millionen Menschen aufgrund einer genozidalen Politik in extremer Armut zusammengepfercht sind. Es ist nicht möglich, das Gebiet zu verlassen oder Lebensmittel, Medikamente oder andere Ressourcen zu erhalten, es sei denn, sie werden sporadisch verteilt. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist zum Hungertod verurteilt, und Tausende von Gebäuden wurden zerstört, darunter auch von Israel bombardierte Krankenhäuser, die aus Mangel an Material nicht wieder aufgebaut werden können. Und nun auch noch eine umfassende militärische und wirtschaftliche Belagerung, die man nur als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnen kann.

In diesem Zusammenhang ist der Versuch, den palästinensischen Widerstand oder die Aktionen der Hamas mit der Gewalt des israelischen Staates gleichzusetzen, ein echter Trugschluss. Für Tausende von Palästinensern in Gaza, die keine Zukunftsperspektive haben, die täglich unter dem Grauen leiden, ist der Kampf die einzige Alternative, weil sie nichts zu verlieren haben. Wir von der International Revolutionären Linken verteidigen das Recht des palästinensischen Volkes, mit aller Kraft gegen den mörderischen und kolonialistischen zionistischen Staat zu kämpfen, sich massiv zu mobilisieren, einen Generalstreik auszurufen und natürlich zur bewaffneten Selbstverteidigung. Die Frage ist, wie wir erklären werden, unter welchem politischen Programm dieser Kampf zum Sturz der zionistischen Bourgeoisie und ihres repressiven und militaristischen Apparates stattfinden kann. In diesem Punkt ist die fundamentalistische und bürgerliche Strategie der Hamas und der islamistischen Milizen letztlich machtlos.

Die Offensive der Hamas ist der größte Angriff auf israelisches Territorium seit dem Jom-Kippur-Krieg vor etwas mehr als 50 Jahren. Sie hat bereits mehr als 1.200 zivile Todesopfer gefordert, in einigen Fällen durch Exekutionen von Hunderten unbewaffneten Jugendlichen und Kibbuzbewohnern und in geringerem Maße auch von israelischem Militärpersonal.

Als revolutionäre Marxisten beklagen wir den Tod dieser Zivilisten. Aber das Schauspiel westlicher Führer, die Krokodilstränen weinen, wenn ein Israeli stirbt, während sie angesichts des Todes von Tausenden von Afrikanern südlich der Sahara und Menschen aus anderen Teilen der Welt, die versuchen, die Küsten Europas oder des US-Territoriums zu erreichen, völlig kalt bleiben, ganz zu schweigen von all den imperialistischen Kriegen, die sie seit Jahrzehnten angezettelt haben und die Millionen von Toten verursacht haben, ist verachtenswert. Sie sind der Hauptfaktor dafür, dass der zionistische Staat die palästinensischen Gebiete weiterhin ungestraft besetzen kann.

Wenn wir über die Tötung von Zivilisten sprechen, sprechen wir auch über die DNA der israelischen Armee. Bilder von Hunderten von Kindern, die durch Kopfschüsse getötet wurden, von Männern und Frauen, die gefoltert und dann von den Soldaten getötet wurden, sind überall in den sozialen Medien zu sehen. Die große Mehrheit dieser Fälle wurde nie von der israelischen oder internationalen Justiz untersucht. Westliche Regierungen rechtfertigen diese Verbrechen, und wenn auf den israelischen Staatsterrorismus hingewiesen wird, werden schnell verleumderische Kampagnen des „Antisemitismus“ gegen diejenigen gestartet, die diese Anschuldigungen erheben.

Wir dürfen den Widerstand des palästinensischen Volkes, das seit Jahrzehnten einen ungleichen Kampf führt, nicht mit den Methoden und der Politik der Hamas verwechseln, einer fundamentalistischen Organisation mit einer reaktionären religiösen Agenda, die einst wie die Taliban vom US-Imperialismus finanziert wurde, um die linken Kräfte einzudämmen, die die palästinensische nationale Befreiungsbewegung dominierten. Der Mossad und die CIA wissen viel darüber, denn sie haben die Hamas wiederholt im großen Nahostspiel eingesetzt.

Viele Analysten und Medien weisen immer wieder darauf hin, dass wir es mit einem historischen Versagen des israelischen Geheimdienstes zu tun haben, der wahrscheinlich einer der besten der Welt ist. Stimmt das? Hatten der Mossad und die CIA, deren Agenten die Hamas und den Islamischen Dschihad infiltriert haben, wirklich keine Informationen über eine Operation dieses Ausmaßes? Ist es möglich, dass eine der am stärksten militarisierten Grenzen der Welt mit einer Sicherheitsbarriere mit modernster Technologie, die in der Lage ist, jede Bewegung aufzudecken, nicht darauf vorbereitet ist, einen Angriff dieses Ausmaßes zu verhindern?

Die Behauptung, sie hätten nichts gewusst, ist nicht glaubwürdig. Das Leck in der New York Times vom 30. November bestätigt voll und ganz, was wir sagen: „Israel wusste schon vor mehr als einem Jahr von dem Angriffsplan der Hamas. Israelische Beamte taten ihn als Wunschdenken ab und ignorierten spezifische Warnungen (...) Israelische Beamte erhielten den Kampfplan der Hamas für den Terroranschlag vom 7. Oktober mehr als ein Jahr vor dessen Durchführung, wie Dokumente, E-Mails und Interviews zeigen. Doch israelische Militär- und Geheimdienstbeamte taten den Plan als ambitioniert ab, da sie ihn für die Hamas als zu schwer durchführbar ansahen. Das etwa 40-seitige Dokument, das von israelischen Beamten mit dem Codenamen „Jericho Wall“ versehen wurde, beschrieb Punkt für Punkt genau die Art von verheerender Invasion, die zum Tod von etwa 1.200 Menschen führte (...) Das Dokument wurde unter israelischen Militär- und Geheimdienstführern weit verbreitet, aber Experten kamen zu dem Schluss, dass ein Angriff dieses Ausmaßes und dieses Anspruchs die Fähigkeiten der Hamas übersteigt...“

Der einzige strittige Punkt ist, dass das, was die New York Times als Versagen des israelischen Geheimdienstes ansieht, kein Versagen ist. Sie wussten alles darüber. Aber sie ließen es geschehen, weil es politisch im Interesse von Netanjahu und seiner Regierung lag, die Hamas zu vernichten, einen Schlag wie den in Gaza auszuführen und das Westjordanland zu erobern. Diese Tatsache hat den Interessen der zionistischen extremen Rechten gedient. Provokationen dieser Art, so unglaublich sie auch erscheinen mögen, gibt es in der Geschichte zuhauf.

Die Behauptung, man habe nichts gewusst, ist unglaubwürdig. Wie israelische Militärexperten und Medien deutlich gemacht haben, hatten sie die Informationen. Sie wussten, was passieren würde, und sie ließen es geschehen. Kobi Lavie, Oberstleutnant der Reserve und ehemaliger Leiter der Abteilung für palästinensische Angelegenheiten des Verteidigungsministeriums, sagte: „Es ist unmöglich, eine Operation dieses Ausmaßes in Gaza zu organisieren, ohne dass Israel davon wusste. Die Informationen waren vorhanden. Was schiefgelaufen ist, ist das Verständnis dieser Informationen. Seit drei oder vier Monaten ist von einem Krieg die Rede“. Hinzu kommt, dass drei Bataillone von der Grenze zum Gazastreifen in das Westjordanland verlegt wurden, wodurch die Grenze noch unbewachter ist. Es scheint also nicht so, dass wir es nur mit einer Kette von Fehlern und Sicherheitsmängeln zu tun haben.

Die Hamas hat natürlich einen günstigen Moment gesucht, um ihre Offensive zu starten. Israel befindet sich seit Monaten in einer schweren politischen Krise mit Massendemonstrationen. Auslöser war Netanjahus Justizreform, die von der Opposition als Zerschlagung der „Unabhängigkeit“ des Justizsystems angeprangert wurde. Die Reform war maßgeschneidert, um den Regierungschef von den zahlreichen Korruptionsskandalen zu entlasten, die ihn belasten.[15] Die israelische Gesellschaft ist zersplittert, und innerhalb der herrschenden Klasse herrscht große Uneinigkeit, was sich auch in der Unentschlossenheit in der Frage der Intervention im Gazastreifen widerspiegelt.

Netanjahu baut ein totalitäres Regime auf, indem er sich auf ultranationalistische Fanatiker stützt, die einen Staat errichten wollen, der in Bezug auf soziale Regulierung und Unterdrückung von Freiheiten dem Iran der Mullahs ähnelt. Sie wollen jedes Element des Säkularismus abschaffen und die Gesellschaft ins Mittelalter zurückführen. Die Situation hat einen solchen Punkt erreicht, dass der Präsident, der ein rein symbolisches Amt bekleidet, vor einigen Monaten vor der ernsten Gefahr eines Bürgerkriegs gewarnt hat.

Im Juli dieses Jahres unterzeichneten 10.000 Reservisten einen Brief, in dem sie damit drohten, sich angesichts des autoritären Kurses der Regierung zu weigern, in die besetzten Gebiete versetzt zu werden. Eine wachsende und gefährliche Spaltung in der Armee hat dazu geführt, dass ehemalige Militärbefehlshaber wie General Amiram Levin die Besetzung des Westjordanlandes öffentlich als „Kriegsverbrechen“ anprangerten, die mit denen von Nazi-Deutschland vergleichbar seien.[16] Jetzt, nach dem Einmarsch der Hamas, bekunden Reservisten bereits ihre Unterstützung für die Regierung und schließen damit vorerst die Gräben in der Armee. Zumindest vorläufig.

Die Hamas-Offensive ist für Netanjahu, unabhängig von ihren Absichten, zu einem Mittel geworden, seine angeschlagene Lage vorübergehend zu verbessern, indem er die „nationale Einheit“ fordert, um sich einem „langen und schwierigen“ Krieg zu widersetzen und mehr Raum für seine totalitäre und militaristische Politik zu haben. Seine Regierung wird jede Untersuchung über angebliche Versäumnisse der Geheimdienste und der militärischen Sicherheit vertuschen. Die Erklärung des Kriegszustands, die es in früheren Konflikten nicht gegeben hat, wird die demokratischen Rechte weiter einschränken, indem sie mögliche Demonstrationen und interne Proteste verhindert.

Kurzfristig werden die reaktionäreren Tendenzen in Regierung und Gesellschaft gestärkt werden. Die extreme Polarisierung in Israel, die auf den Niedergang der Regionalmacht und den Verfall des Kapitalismus zurückzuführen ist und zu einer sichtbaren Zunahme von Ungleichheit und Armut geführt hat, wird jedoch nicht verschwinden.

Andererseits wird die faschistische Haltung von Netanjahus Verbündeten und der rechtsextremen Opposition, die offen zur Ausrottung der Palästinenser, zum offenen Kampf im Libanon gegen die Hisbollah und zum Krieg auch gegen den Iran[17] aufrufen, weiterhin eine Quelle der Instabilität für Israel und die gesamte Region sein. Deshalb hat der wichtigste Oppositionsführer, Yair Lapid, seinen Eintritt in eine Regierung der nationalen Einheit davon abhängig gemacht, ob Netanjahu mit seinen extremeren Partnern bricht, was bisher nicht geschehen ist. Der Knackpunkt ist nicht Lapids Forderung nach einer Politik des Dialogs mit Palästina, sondern die Garantie für eine ebenso brutale, aber auf bestimmte Ziele beschränkte Militärintervention.

In diesem Klima des Fanatismus bereitet die israelische Bourgeoisie eine verheerende Militäroffensive auf den Gazastreifen vor, die mit einer harten Kampagne im Westjordanland kombiniert werden soll. Während diese Zeilen geschrieben werden, wurden Sondergesetze verabschiedet, um die Zivilbevölkerung, d.h. hauptsächlich paramilitärische Siedlermilizen, mit mehr Waffen auszustatten, und in den sozialen Netzwerken sind bereits Videos von den ersten Pogromen gegen Araber und Palästinenser zu sehen.

Eine Dynamik hin zu diktatorischen Zuständen, die die zionistischen Fundamentalisten weiter stärken und sich zunächst gegen die arabische Bevölkerung innerhalb Israels, dann gegen die säkularen Sektoren, die Frauen und die Arbeiterbewegung selbst richten wird. Nach den monatelangen Massenmobilisierungen gegen Netanjahu und die extreme Rechte, die sie in die Enge getrieben haben, bietet sich ihnen nun die Chance zur Revanche.

Wie mehrere Analysten bereits anmerken,[18] wirft die Offensive in Gaza auch ernste Probleme auf. Erstens der bewaffnete Widerstand der Hamas und anderer Organisationen, der Tausende von Soldaten einbeziehen und der israelischen Armee erhebliche Verluste zufügen wird, vor allem in einem Kampf von Dorf zu Dorf und Haus zu Haus. Aber selbst nach einem „Sieg“, wie sieht der Plan aus – die militärische Besetzung des Gazastreifens zu einem sehr hohen Preis aufrechtzuerhalten? Zehntausende von Palästinensern zu töten und den Rest ins Meer zu treiben? Der Versuch, die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im Gazastreifen wiedereinzusetzen, damit sie wie im Westjordanland als kollaborative Kraft agiert? Nichts davon wird mittelfristig funktionieren.

Die interne Situation Israels hat wenig mit den vergangenen Kriegen und Invasionen in Gaza zu tun. Genauso wie die Tatsache, dass die neue Regierung der nationalen Einheit nur von 66 der 120 Mitglieder des Knesset (israelisches Parlament) unterstützt wird. Zweitens sind laut Umfragen in der israelischen Presse mehr als die Hälfte der Öffentlichkeit (56 %) der Meinung, dass Premierminister Benjamin Netanjahu nach Beendigung der Kämpfe zurücktreten sollte. Die Umfragen zeigen auch, dass 59 % der Befragten der Regierung wenig oder gar kein Vertrauen in der Führung des Krieges entgegenbringen.[19]

Wenn Netanjahu beabsichtigt, den Gazastreifen von der Landkarte zu löschen und ein grausames Massaker zu veranstalten, könnte er auf enorme Komplikationen stoßen. Die zionistische Brutalität wird, wie sie es bereits tut, eine Solidaritätsbewegung in der gesamten arabischen Welt hervorrufen, die von unten Druck auf all jene reaktionären und korrupten Regierungen ausüben wird, die die palästinensische Sache längst aufgegeben haben, angefangen bei Ägypten und Jordanien, den treuen Verbündeten Washingtons. Daher auch die Verurteilungen Israels durch Katar und Saudi-Arabien, die bereits ihre Absicht bekundet haben, jegliche Verhandlungen mit Tel Aviv abzubrechen, die begonnen wurden um die diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen.

Das Massaker im Norden des Gazastreifens hat bereits mehr als 20.000 Tote gefordert und 1,5 Millionen Menschen aus dem Gazastreifen in den Süden vertrieben, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen zusammengepfercht sind, von Krankheiten, Hunger und Kälte geplagt werden und keine medizinische Versorgung und keinerlei Lieferungen jeglicher Art erhalten. Das Bild dieses völkermörderischen Gemetzels muss durch die Untätigkeit und den Verrat der arabischen Staaten an der palästinensischen Sache ergänzt werden. Diese bürgerlichen Regime, angefangen bei Ägypten und Jordanien, sind dem US-Imperialismus völlig Untertan und haben zahlreiche und solide Abkommen mit dem zionistischen Staat geschlossen. All ihre Bemühungen sind darauf ausgerichtet, diese Bündnisse zu sichern und eine militärische Eskalation in der Region zu verhindern.

Dies ist auch die Haltung des Iran und des Libanon. Trotz der aufrührerischen Äußerungen der Hisbollah-Führer wollen sie nicht in einen größeren militärischen Konflikt hineingezogen werden, der zu einer enormen internen Destabilisierung in ihren Ländern führen könnte. Eine Ansicht, die schwer wiegt und von Moskau und Peking geteilt wird, deren Vertreter feierliche Reden vor der UNO gehalten haben, aber keinen Krieg mit ungeahnten Folgen in einem Gebiet wollen, das für ihre imperialistischen wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen von zentraler Bedeutung ist. Diese Tatsachen beflügeln die Kühnheit der ultrarechten Regierung in Tel Aviv, die sich des militärischen und politischen Spielraums bewusst ist, den sie hat, um Gaza zu zerstören.

Die USA haben die Situation ausgenutzt und beschlossen, ihre Flugzeugträger ins Mittelmeer zu verlegen, um vor jeglicher Unterstützung der palästinensischen Sache durch die Länder der Region zu warnen. Die reaktionären Regierungen Großbritanniens und Frankreichs setzen ebenfalls alles daran, Solidaritätsbekundungen zu unterdrücken. In Frankreich wurde die Polizei nach allen möglichen Gesten und widerlichen Äußerungen Macrons, der Netanjahu und den Zionismus unterstützt, angewiesen, pro-palästinensische Demonstrationen zu verbieten, obwohl sich bereits Tausende der Repression widersetzen. In Großbritannien hat der Justizminister inmitten einer Orgie pro-zionistischer Propaganda ein Verbot von palästinensischen Flaggen bei Demonstrationen angeordnet. Und in Deutschland wurde eine Organisation, die palästinensische Gefangene unterstützt, verboten.

Des Weiteren hat die Einschränkung bürgerlicher demokratischer Rechte in Deutschland ein neues Level erreicht: Nicht nur wurde eine Organisation verboten, die palästinensische Gefangene unterstützt, es wurden auch drastische repressive Maßnahmen gegen Palästinenser durchgesetzt, begonnen mit Maßnahmen gegen Jugendliche und Schüler, pro-palästinensische Demonstrationen wurden verboten und Proteste durften nur unter sehr strikten Auflagen durchgeführt werden.

Der Nahe Osten stand schon immer im Mittelpunkt der amerikanischen Interessen, weil er mit einem so wichtigen Rohstoff wie Öl verbunden ist. Die Kriege im Irak, in Syrien und Afghanistan, die wirtschaftliche, soziale und politische Krise im Libanon und vor allem die lange Konfrontation mit dem Iran und ihre Folgen, wie der Krieg im Jemen, zeigen, dass diese Region für den US-Imperialismus eine Priorität darstellt.

Und doch hat sich die Situation in den letzten Jahren gerade mit dem Entstehen des russisch-chinesischen Blocks bemerkenswert gewandelt. Der Sieg über den Islamischen Staat in Syrien hat die Stärke der russischen Streitkräfte im Ausland (und der Wagner-Söldner) auf die Probe gestellt. Der Krieg in Syrien-Kurdistan hat die USA gegen den verlässlichen Verbündeten Türkei ausgespielt, der seine eigene regionale imperialistische Agenda verfolgt hat. Doch der vielleicht kühnste Schachzug kam von der chinesischen Diplomatie, die eine Versöhnung und die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ermöglicht hat.

Im Rahmen der von China vermittelten Vereinbarung zur Verringerung der Spannungen mit dem Iran und seinen regionalen Verbündeten hat Saudi-Arabien gerade die Entscheidung vorangetrieben, die Regierung von al-Assad wieder in die Arabische Liga aufzunehmen. Dies ist kein Zufall. Chinas Rolle als „Friedensstifter“ ist ein weiterer Aspekt seines globalen Einflusses. Es will diese Rolle in Konflikten wie dem Jemen und dem Sudan spielen und versucht dies bereits im Krieg in der Ukraine. Dabei geht es nicht um den Frieden für die Menschen, sondern um seine wirtschaftlichen Interessen. Peking will jeden Konflikt lösen, der den reibungslosen Ablauf seiner Seidenstraßeninitiative und seiner zahlreichen bilateralen Handelsabkommen behindert. Das ist ein ernstes Problem für die USA, die unter keinen Umständen zum Stinktier der Diplomatie werden wollen.

Diese Gründe erklären, warum die USA die diplomatische Expansion Chinas schnell abwehren will. Ihre Pläne, Saudi-Arabien zur Anerkennung des Staates Israel zu bewegen, gehen in diese Richtung. Doch in Wahrheit ist das Regime in Riad alles andere als ein verlässlicher Freund, wie seine Haltung im Ukraine-Krieg und sein Schulterschluss mit Russland an der Spitze der OPEC gezeigt haben. An einem solch kritischen Punkt sind die USA objektiv an einer neuen Runde der Destabilisierung interessiert, die die Chinesen und Russen in der Region frustriert, ihren treuesten Verbündeten Israel stärkt und ihre europäischen Verbündeten dazu zwingt, den Kopf einzuziehen.

Gaza ist zum Epizentrum der weltweiten Aufmerksamkeit geworden. Dieses neue, Massaker im Stil eines Genozids kann ebenso wie die Lösung der palästinensischen nationalen Frage nur mit einer revolutionären Klassen- und internationalistischen Politik erfolgreich angegangen werden. Es ist ein großer Irrtum zu behaupten, dass die einzig gangbare Option zur Befreiung des Gazastreifens und der besetzten Gebiete rein militärisch ist, wie einige Linke nach dem spektakulären Angriff der Hamas glauben. Trotz seiner enormen Tapferkeit, seines Mutes und seiner Widerstandsfähigkeit kann das palästinensische Volk keinen siegreichen Kampf gegen die israelische Tötungsmaschinerie mit rein militärischen Mitteln führen. Es muss sich auf die Massenbewegung, die Klassensolidarität und eine internationale revolutionäre Perspektive stützen.

Die Unterstützung der Arbeiterklasse und der sozialen Bewegungen in Israel, die ebenfalls der Bedrohung durch den ultranationalistischen Faschismus ausgesetzt sind, ist entscheidend für den Sieg der palästinensischen Sache. Dies hat sich in den letzten Monaten und auch in der Vergangenheit gezeigt, als starke Protestbewegungen in Israel ausbrachen und Bewegungen, die die Bestrebungen des palästinensischen Volkes unterstützen, gestärkt wurden. Im Jahr 2021 während der massiven Bombardierung des Gazastreifens war es der Generalstreik in Palästina und Israel, der die Eskalation stoppte.[20] Und das war auch während der ersten und zweiten Intifada der Fall. Es ist der revolutionäre Kampf mit Klassenmethoden, nicht der religiöse Fundamentalismus, der die unterdrückten Massen Palästinas mit denen Israels vereinen und die Unterstützung für zionistische und reaktionäre Ideen im jüdischen Volk brechen kann.

Die Aktion der Hamas ist ein Propagandacoup in einer völlig verzweifelten Situation in Gaza. Es ist ein Schlag, der ihren Einfluss gegenüber der Al-Fatah stärkt, die seit Jahren als Vollstreckungsarm der israelischen Kolonialpolitik im Westjordanland agiert, wo sie ebenfalls Positionen und das wenige an Einfluss verliert, das ihr vielleicht noch geblieben ist. Dies ist das traurige Erbe der PLO und der berühmten Osloer Abkommen, die von vielen Teilen der Linken, einschließlich der revolutionären Linken, als der richtige Weg zur Lösung der palästinensischen Frage begrüßt wurden.

Abgesehen von diesem vorübergehenden Propagandacoup ist der religiöse Fundamentalismus der Hamas jedoch keine Alternative, auch wenn sie in den letzten Jahren von der populistischen und klassenkollaborationistischen Politik der stalinistischen Linken, sowohl der palästinensischen als auch der arabischen, profitiert hat. Die Hamas ist ein Instrument von Teheran, einer theokratischen Diktatur, die die Volksaufstände dieser Jahre in Blut getränkt hat. Die Hamas verfolgt keine revolutionäre, klassenbezogene oder internationalistische Politik, sondern eine religiöse und pro-bürgerliche.

In Gaza stützt sich die Hamas-Führung auf einen großen Teil der palästinensischen Handels- und Geschäftsbourgeoisie, die gute Geschäfte mit den israelischen Kapitalisten macht. Ihr zwielichtiger Fundamentalismus stößt den linken und militanten Sektor sowohl in Israel als auch international ab. Eine isolierte Militäraktion, die das gesamte Volk Israels ohne jegliche Klassendifferenzierung zum Feind hat, wie groß sie auch sein mag, wird sich gegen sie wenden. Sie schwächt den Zionismus nicht, sondern stärkt ihn, indem sie den extremsten Elementen der Rechten Auftrieb gibt.

Bei der nationalen Befreiung Palästinas geht es nicht nur darum, der mörderischen Netanjahu-Regierung entgegenzutreten, sondern auch der palästinensischen und arabischen Bourgeoisie. Die arabische herrschende Klasse macht sich mitschuldig an der Besatzung und war ein Befürworter der Abkommen von Camp David und Oslo. Und die Palästinensische Autonomiebehörde, Erbe der PLO von Jassir Arafat, ist ihr Anhängsel. Sie hat bei zahlreichen Gelegenheiten auf Weisung Washingtons und Brüssels gehandelt und ihr eigenes Volk unterdrückt. Die vom Imperialismus entworfene „Zweistaatenstrategie“ ist eine grausame Falle, deren Ergebnisse jetzt sichtbar werden. Der einzige Staat, den es gibt, ist der zionistische Staat, und sein Überleben beruht auf der Vernichtung oder Versklavung des palästinensischen Volkes.

Massenmobilisierungen zur Unterstützung des palästinensischen Volkes und gegen den zionistischen Genozid breiten sich weltweit aus, während wir diese Zeilen schreiben. In den europäischen Hauptstädten und den großen Städten der USA finden Massendemonstrationen statt. In der arabischen Welt gehen Hunderttausende von Arbeitern und Jugendlichen auf die Straße, um die palästinensische Sache zu unterstützen und der Feigheit ihrer Herrscher zu trotzen. Wir stehen am Anfang einer militärischen Intervention, die sich gegen Netanjahu wenden und mittelfristig eine politische und soziale Krise in der gesamten Region auslösen könnte.

Wir internationalistischen Kommunisten unterstützen bedingungslos den Kampf des palästinensischen Volkes gegen die jahrzehntelange Besatzung und Ausrottung. Und wir tun dies mit dem Programm und den Methoden der sozialistischen Revolution. Die Freiheit des palästinensischen Volkes, ebenso wie der israelischen Bevölkerung, ist untrennbar mit einem gemeinsamen Kampf für die Zerstörung des zionistischen Staates und seiner Militärmaschine, und der sozialistischen Revolution verbunden. Nur das kann die G die Selbstbestimmung aller Völker der Region ermöglichen, und eine Grundlage für eine sozialistische Föderation im Nahen Osten. Das schließt die Enteignung der kolonialistischen israelischen Bourgeoisie und das Rückkehrrecht aller palästinensischen Flüchtlinge ein, das wirksam gewährt werden muss. Das ist die einzige realistische Option, damit die palästinensischen Massen in Würde und Freiheit leben können.

 

[1] Barbara Areal, Ein Bonaparte um die Welt zu erobern. Der chinesische Kapitalismus und der Kampf um die Vorherrschaft

(https://offensiv.net/index.php/international/asien/ein-bonaparte-um-die-welt-zu-erobern-der-chinesische-kapitalismus-und-der-kampf-um-die-vorherrschaft).

[2] Juan Ignacio Ramos und Víctor Taibo, Der US-Imperialismus in Afghanistan demütigend besiegt. Die Taliban kehren an die Macht zurück (https://offensiv.net/index.php/international/naher-osten/der-us-imperialismus-in-afghanistan-demuetigend-besiegt-die-taliban-kehren-an-die-macht-zurueck)

[3] Für weitere Analysen siehe die zahlreichen Materialien, die wir seit Februar 2022 geschrieben haben und unddie Dokumente des Kongresses der Internationalen Revolutionären Linken im November 2021:

- Der Klassenkampf in der Epoche der imperialistischen Dekadenz

(https://offensiv.net/index.php/international/ii-kongress-der-internationalen-revolutionaeren-linken-der-klassenkampf-in-der-epoche-der-kapitalistischen-dekadenz).

- Stoppt den imperialistischen Krieg in der Ukraine (https://www.izquierdarevolucionaria.net/index.php/internacional/europa/13124-alto-a-la-guerra-imperialista-en-ucrania).

[4] Juan Ignacio Ramos und Víctor Taibo, Der imperialistische Krieg in der Ukraine: Bilanz und Perspektiven (https://offensiv.net/index.php/international /europa/der-imperialistische-krieg-in-der-ukraine-bilanz-und-perspektiven).

[5] Rafael Poch, La gran ceguera (https://ctxt.es/es/ 20230101/Firmas/41926/Rafael-Poch-Ucrania-Alemania-tanques-guerra-Rusia-eeuu-nuclear.htm)

[6] Die russischen Ölexporte erreichen den höchsten Stand seit drei Jahren (https://www.france24.com/es/ programas/economía/20230414-las-exportaciones-de-petróleo-ruso-alcanzaron-su-nivel-máximo-en-tres-años)

[7] Der vollständige Bericht auf verstka.media ist lesenswert (https://verstka.media/rassledovanie-kak-v-rossiyu-popadayut-lyubye-sankcionnie-tovary).

[8] Die Schlacht bei Kursk 1943 war die letzte deutsche Großoffensive an der Ostfront des II. Weltkriegs, die in einer durchschlagenden Niederlage endete. Es folgte im Anschluss die sowjetische Sommeroffensive von 1943. Anm. d. Ü.

[9] Vergleiche zum Beispiel in der spanischsprachigen Presse: „Krieg ist immer ein Graus. Obwohl die folgenden Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind, gehen zuverlässige Quellen davon aus, dass die Ukrainer etwa 180.000-220.000 Tote und die Russen zwischen 30.000 und 40.000 Tote zu beklagen hatten, was zwar das Gegenteil von dem ist, was in den Medien berichtet wird, aber mit dem Unterschied in der Feuermenge übereinstimmt. Wenn diese Zahlen stimmen, hätte die Ukraine innerhalb eines Jahres drei Armeekorps verloren und hätte nur noch eine letzte Patrone übrig, eine „offensive“ Truppe, die aus den wenigen westlichen Panzern (mit sehr unterschiedlichem Einsatzstatus) und den Divisionen besteht, die in den letzten Monaten von der NATO ausgebildet wurden, aber noch keine Luft- und Artillerieunterstützung haben, die diesen Namen verdient.“ (Fernando del Pino Calvo-Sotelo, Der langsame Abstieg der Ukraine, https://www.fpcs.es/la-lenta-derrota-de-ucrania/).

[10] Carlos Rodríguez, Wagners Söldner erheben sich gegen Putin und werden besiegt – was bedeutet das für den Ukraine-Krieg? (https://offensiv.net/index.php/international/europa/wagners-soeldner-erheben-sich-gegen-putin-und-werden-besiegt-was-bedeutet-das-fuer-den-ukraine-krieg).

[11] Gemeint ist die Einfrierung eines Konflikts an einem bestimmten Breitengrad, vergleichbar mit dem 38. Breitengrad, der die koreanische Halbinsel teilt (Anm. d. Ü.)

[12] Die Ukraine befürchtet, dass der Krieg in einer Teilung des Landes wie auf der koreanischen Halbinsel enden wird (https://elpais.com/internacional/2023-09-24/ucrania-teme-que-la-guerra-acabe-en-una-division-del-pais-como-en-la-peninsula-de-corea.html).

[13] Ebd.

[14] Izquierda Unida, spanisches Linksbündnis, Anm. d. Ü.

[15] Carlos Rodríguez, Israel: Gesellschaftlicher Aufschrei gegen Netanjahus rechte Regierung (https://offensiv.net/index.php/international/naher-osten/israel-gesellschaftlicher-aufschrei-gegen-netanjahus-rechte-regierung).

[16] Ex-IDF general likens military control of West Bank to Nazi Germany (https://www.timesofisrael.com/ex-idf-general-likens-military-control-of-west-bank-to-nazi-germany/).

[17] Israeli Opposition Party Leader Lieberman: I’m Ready to Join Government if There’s a Commitment to Destroy Hamas (https://www.haaretz.com/israel-news/2023-10-08/ty-article/.premium/israels-lieberman-im-ready-to-join-government-if-theres-a-commitment-to-destroy-hamas/0000018b-105d-d2fb-a3df-d1fd61470000)

[18] Four Bad Options Face Israel in the Gaza Strip (https://www.haaretz.com/israel-news/2023-10-08/ty-article/.premium/four-bad-options-face-israel-in-the-gaza-strip/0000018b-10db-d3a8-afeb-93db97d40000).

[19] Umfrage: Mehr als die Hälfte glaubt, dass Netanjahu nach Ende der Kämpfe zurücktreten sollte (https://www .maariv.co.il/news/politics/Article-1044390).

[20] Miguel Ángel Domingo, Israel bombardea Gaza y las masas se levantan contra la ocupación. ¡Abajo el Estado capitalista sionista!

(https://www.izquierdarevolucionaria.net/index.php/internacional/oriente-medio/12654-israel-bombardea-gaza-y-las-masas-se-levantan-contra-la-ocupacion-abajo-el-estado-capitalista-sionista).

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