In wenigen Wochen jährt sich der Beginn des Krieges in der Ukraine zum zweiten Mal. In dieser Zeit haben der US-Imperialismus und die Europäische Union, die Washington folgt und dadurch ihren eigenen historischen Niedergang zur Schau stellt, der rechtsextremen ukrainischen Regierung Militär- und Finanzhilfe im Wert von mehr als 200 Milliarden Dollar gewährt, was dem Gesamt-BIP der Ukraine aus dem Jahr 2021 entspricht.
Gleichzeitig leiteten sie Sanktionen (bisher zwölf Runden seit Februar 2022) mit dem Versprechen ein, die russische Wirtschaft auf diesem Weg zu Fall zu bringen. Aber zwei Jahre später und trotz dieser massiven Unterstützung, der Sanktionen und all der westlichen Propaganda verliert der US-Imperialismus den Krieg und steht nun vor einem Abgrund mit unabsehbaren Folgen.
Militärisches Versagen
Das reaktionäre, chauvinistische und wütend antikommunistische Putin-Regime, das fest mit dem von China angeführten imperialistischen Block verbündet ist, hat es geschafft, die Initiative in diesem Krieg zu gewinnen und ihn in einen Konflikt der Zermürbung zu verwandeln, in dem Russland alle materiellen, menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Vorteile hat.
Die im letzten Sommer gestartete ukrainische Offensive ist grandios gescheitert. Selenskyjs Truppen ziehen sich aus den wenigen Stellungen zurück, in denen sie damals ein paar Kilometer oder ein paar hundert Meter vorgerückt sind, während Russland Marjinka eingenommen hat und die Einkreisung von Awdijiwka voranschreitet.
Was in den letzten Monaten an der Front geschehen ist, hat Selenskyj und seine Herren im Westen bloßgestellt. Bisher beruhte die westliche Kriegspropaganda auf der Modernisierung der ukrainischen Armee und ihrer Entschlossenheit, die vermeintlich überholte sowjetische Doktrin zugunsten der „überlegenen Taktik“ der NATO hinter sich zu lassen.
Doch bei der ukrainischen Gegenoffensive waren es genau diese „überlegene Taktik“ und die militärischen Pläne aus Washington, die an den russischen Verteidigungslinien zerschellten. Der ukrainische Oberbefehlshaber Saluschnyj brachte es gegenüber den Militärs im Pentagon in einem vernichtenden Satz auf den Punkt: „Sie verstehen die Natur dieses Konflikts nicht. Das hier ist keine Aufstandsbekämpfung. Das ist Kursk!“, womit er sich auf die große Schlacht zwischen den Nazi-Invasoren und der UdSSR im Sommer 1943 bezog, bei der massive Panzer-Verbände aufeinandertrafen.
Dieser Satz war nicht nur eine Kritik an den Plänen Washingtons für die gescheiterte Offensive, sondern weist direkt auf die Tatsache hin, dass die entscheidenden Faktoren in einem imperialistischen Konflikt dieser Art der Entwicklungsstand der Produktivkräfte und der jeweilige innere Zusammenhalt der Kontrahenten sind. Und in dieser Gleichung geht es nicht nur um die Ukraine und Russland, sondern auch um den Zustand der US-Wirtschaft, derjenigen der EU und Chinas sowie um deren politische Stabilität, die nötig ist, um den Krieg aufrechtzuerhalten.
Russland: Weder isoliert noch am Rande des Zusammenbruchs
Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass Putins Regime die russische Wirtschaft nicht nur aufrechterhalten, sondern sie erfolgreich in eine Kriegswirtschaft verwandelt hat. Natürlich war die Unterstützung Chinas ein entscheidendes Element bei der Überwindung der dabei auftretenden Schwierigkeiten.
Die Mainstream-Medien in den USA und die Säulen der NATO-Propaganda – etwa das reaktionäre „Institute for the Study of War“ (ISW) – haben eingeräumt, dass Russland sein Raketenarsenal erheblich schneller aufgestockt hat, als der Westen erwartet hatte, und bereits mehr produziert als vor Februar 2022. Der „Economist“ widmete der Tatsache, dass Russland der Ukraine sowohl in der elektronischen Kriegsführung als auch beim Einsatz von Drohnen massiv überlegen ist, zuletzt einen ganzen Artikel.
Im Gegensatz dazu hat der Westen seine Arsenale geleert und sich wirtschaftlich und politisch als unfähig erwiesen, nicht nur Munition und Waffen in dem für einen solchen Krieg erforderlichen Tempo zu liefern, sondern auch seine eigenen Bestände wieder aufzufüllen. Ein Koordinator des „European Council on Foreign Relations“ brachte es auf den Punkt: „Die russische Rüstungsindustrie produziert Panzer, Artillerie und Munition 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Und das ist, was die NATO noch nicht erreicht hat.“
Auch einige in den letzten Wochen veröffentlichte Zahlen zur russischen Wirtschaft widerlegen die westliche Propaganda über die Auswirkungen der Sanktionen. Einem Bericht von JP Morgan vom November zufolge wird die russische Wirtschaft in diesem Jahr um mehr als 3 Prozent und im Jahr 2024 um 1,8 Prozent wachsen, während in der EU 0,6 bzw. 1,3 Prozent erwartet werden. Die Volkswirtschaft eines Landes, das sich im Krieg befindet, wächst also fast dreimal so schnell wie diejenige Deutschlands und doppelt so schnell wie die Frankreichs!
Wie die bürgerliche Presse einräumt, treibt Russland weiterhin regen Handel mit dem Westen, verkauft Öl und Gas in Rekordhöhe, importiert direkt oder über Dritte, und hat auch seinen Handel mit China, Indien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten erheblich ausgeweitet, was die Binnennachfrage und die Löhne angekurbelt hat.
Die Arbeitslosigkeit ist mit 3 % so niedrig wie nie zuvor und die Löhne steigen um über 11 %, während die Inflation bei 5,2 % liegt. Das bedeutet Reallohnzuwächse um mehr als 6 % für Millionen von Arbeitern in Russland – deutlich mehr als im Westen.
Weit entfernt von den Jahren der Rezession und wirtschaftlichen Stagnation in Russland, die von der westlichen Propaganda vorausgesagt wurden, ist das die materielle Grundlage für Putins Zustimmungsraten von bis zu 80 % in Umfragen.
Demoralisierung in der Regierung Selenskyj und offener Pessimismus bei seinen Anhängern
Auf westlicher Seite gibt es kein solches Datenmaterial, das Zuversicht ausstrahlen könnte.
Die Lage in Washington spitzt sich zu: Die Republikaner im Kongress lehnen ein neues 60-Milliarden-Hilfspaket ab – und das zu einer Zeit, in der die Unterstützung der US-Bevölkerung für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine auf einem historischen Tiefstand ist. Hinzu kommt, dass wir in ein Wahljahr eintreten und die Biden-Administration, die in ihrer Unterstützung für den zionistischen Völkermord im Gazastreifen feststeckt, ihren Ton ändert: Statt die Ukraine zu unterstützen „koste es, was es wolle“, heißt es jetzt: „Wir werden in dem Maße unterstützen, wie wir es können.“
In der Europäischen Union vertiefen sich derweil die Spaltungen vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Lähmung: Ungarns Rolle als potenzieller Verbündeter Putins hat sich durch den Sieg des pro-russischen Kandidaten in der Slowakei noch verstärkt, die Auseinandersetzungen zwischen Polen und der Ukraine nehmen zu, und der Sieg der Rechtsextremen bei den Wahlen in den Niederlanden trägt zur Unsicherheit bei.
Am schlimmsten ist jedoch die Lage in Deutschland, wo die Wirtschaft lahmt und eine SPD-geführte Regierung ins Trudeln geraten ist, die den Weg für den Vormarsch der rechtsextremen AfD geebnet hat. Letztere hat zu all ihrer populistischen und nationalistischen Demagogie gegriffen, um die Gefolgschaft Deutschlands gegenüber Washington lautstark anzuprangern und die Wiederherstellung der Beziehungen zu Russland zu fordern.
Das hat die EU bislang daran gehindert, ein neues 50-Milliarden-Hilfspaket zu genehmigen, das in erster Linie für die Bezahlung der Gehälter von zwei Millionen ukrainischen Staatsbediensteten erforderlich ist. Zwar hat Brüssel grünes Licht für die EU-Mitgliedschaft der Ukraine gegeben, aber das kann maximal als kleiner Trost für Selenskyj gelten, denn dabei handelt es sich um einen langwierigen und mühsamen Prozess, für den es keine Garantien gibt und der vor allem daraus resultiert, dass die NATO auf ihrem Gipfel in Vilnius im letzten Sommer der Ukraine ihre Türen zugeschlagen hatte.
Vor dem Hintergrund dieses düsteren Bildes befindet sich die Moral der Truppen und der Bevölkerung in der Ukraine auf einem historischen Tiefstand.
Das „Time“-Magazine – dasselbe Magazin, das Selenskyj zum Mann des Jahres 2022 ernannt hatte – veröffentlichte im Oktober einen Bericht mit einer Beschreibung der Zustände in der Ukraine, die glatt denjenigen aus den Komödien Dantes entspricht. Ein hoher Beamter beschreibt die Korruption inoffiziell mit dem Satz „Sie stehlen, als gäbe es kein Morgen“, und Selenskyj wird als ein Führer dargestellt, dem nicht widersprochen werden kann, der von einer Clique umgeben ist und dessen innerer Zirkel zunehmend von Machtkämpfen zerrissen wird.
Die Unzufriedenheit der ukrainischen Bevölkerung mit der Regierung wächst von Tag zu Tag – eine Tatsache, die durch Fakten wie den Mangel an Rekruten eindrucksvoll belegt wird, die bereit sind, für Selenskyj und seine Unterstützer zu sterben. Die westliche Presse räumt ein, dass die Rekrutierungsbeamten als „Menschenräuber“ bezeichnet werden, die Städte und Dörfer auf der Suche nach Männern im Alter von 18 bis 60 Jahren durchkämmen und zunehmend auf Ablehnung stoßen. Die Regierung hat zuletzt die gesetzlichen Strafen für Männer verschärft, die sich weigern, in die Armee einzutreten, und will etwa eine halbe Million neuer Soldaten anwerben. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass diese Pläne verwirklicht werden können.
Die Verfallserscheinungen des ukrainischen Regimes zeigen sich in immer rauerer Form. Die Auseinandersetzungen zwischen Selenskyj und Oberbefehlshaber Saluschnyj werden öffentlich ausgetragen, und in Umfragen liegt die öffentliche Unterstützung für Selenskyj bei 32 %, diejenige für Saluschnyj hingegen bei 70 %.
In diesem verrotteten Staatsapparat wird ein regelrechter Bürgerkrieg mit Bombenanschlägen und Vergiftungen geführt, wie die jüngst erfolgte Ermordung eines Adjutanten Saluschnyjs in seiner Kiewer Wohnung demonstriert. Wenn sich die Lage für die Ukraine weiter verschlechtert, ist zudem ein Staatsstreich nicht auszuschließen, worauf verschiedene Medien bereits hinweisen, die Saluschnyj die Entscheidung überlassen wollen, die Voraussetzungen für Verhandlungen mit Russland zu schaffen.
Zuletzt schloss sich auch der Bürgermeister von Kiew der Kritik an Selenskyj an, der ihm vorwarf, „autoritär zu agieren und das Land nicht auf einen Krieg vorbereitet zu haben.“ Angesichts der immer schlechteren Aussichten scheinen die Ratten jetzt also das sinkende Schiff zu verlassen.
Seit dem Sommer mehren sich im Westen die Rufe nach Verhandlungen. In diesem bedeutsamen Kampf um die Aufrechterhaltung des US-Einflusses in Europa aber, der Teil eines umfassenderen Kampfes um die globale Vorherrschaft zwischen den USA und China ist, hat Washington keine Wahl: Entweder es akzeptiert die eigene Niederlage oder es erhöht den Einsatz und eskaliert sein Engagement in diesem Krieg.
Aber wie jede der sich zuletzt zuspitzenden Krisen eindrucksvoll zeigt, ist der US-Imperialismus schlicht nicht mehr dazu in der Lage, seine Ordnung überall rücksichtslos durchzusetzen: Kann Washington nach dem Desaster in Afghanistan, dem Völkermord in Gaza und dem nicht enden wollenden Aderlass in der Ukraine wirklich direkt in einen Krieg wie denjenigen in der Ukraine eintreten und Zehn- oder Hunderttausende von Truppen mobilisieren? Was würde dabei innerhalb der USA passieren? Wie würden die Arbeiterklasse und die Jugend reagieren?
Der Ausweg, der sich in bedeutenden Teilen der herrschenden Klasse der USA abzuzeichnen beginnt, ist die Akzeptanz der russischen Kontrolle über den Südosten der Ukraine – 20 % des Landes – und ein Einfrieren des Konflikts, das eine Lösung ähnlich der Situation auf der koreanischen Halbinsel oder seinerzeit in den Minsker Vereinbarungen bedeuten würde.
Eines scheint in jedem Fall sicher: Eine Niederlage des US-Imperialismus im Ukraine-Krieg, die sich in vielerlei Hinsicht bereits abzeichnet, wird enorme Folgen haben und eine weitere Verschiebung im Kräfteverhältnis der beiden imperialistischen Blöcke darstellen.