Die Degeneration der Kommunistischen Partei der UdSSR und des Arbeiterstaates durchlief verschiedene Stadien und war kein friedlicher Prozess: Die neue herrschende Kaste musste einen heftigen Kampf gegen den leninistischen Flügel führen, der von der Linken Opposition vertreten wurde.
 
Die linke Opposition
 
Ende 1923, als Lenin schwer erkrankt war, begannen das regierende Triumvirat - Stalin, Sinowjew und Kamenjew - den offenen Kampf gegen Trotzki. Ein Kampf, um den Weg für eine Reihe von Maßnahmen freizumachen, die die Arbeiterdemokratie innerhalb der Partei und der sowjetischen Institutionen untergruben und die unangefochtene Herrschaft der neuen Bürokratie sicherten.
 
Die Orientierung entsprach zunächst nicht einem fertigen Plan; sie drückte vor allem den Druck fremder Klassen, der Kulaken und des städtischen Kleinbürgertums aus, das dank der NÖP aufkam, und verband sich mit den Interessen einer großen Schicht von Beamten, die nach Jahren der Not und des Mangels materiell von ihrer Position profitieren wollten.
 
Doch der Verlauf des Herrschaftsapparates kollidierte heftig mit den alten Traditionen des Bolschewismus, der an politische Auseinandersetzungen gewöhnt war, die bei vielen Gelegenheiten in der Bildung von Plattformen und Fraktionen gipfelten. Angesichts dessen, was der Stalinismus in der Folge bedeutete, kommt die Tradition der freien Diskussion und inneren Demokratie, die in den bolschewistischen Reihen bestand, während Lenin an der Spitze blieb, nicht in Frage. Beispiele sind reichlich vorhanden und erstrecken sich über die gesamte Geschichte der Partei.
 
Im März 1918, als das Zentralkomitee beschloss, die Forderungen des deutschen Imperialismus durch die Unterzeichnung des Brest-Litowsker Vertrages zu akzeptieren, trat eine Gruppe von Führern, darunter Bucharin, Preobraschenski, Bubnow, Uritski, Piatakow usw., von allen Funktionen zurück und gewann ihre Agitationsfreiheit innerhalb und außerhalb der Partei zurück. Diese Fraktion der „linken Kommunisten“ gibt eine eigene Zeitung heraus, kämpft für einen revolutionären Krieg und verwirft den Standpunkt Lenins. Als die Ereignisse die letztere Auffassung auf dramatische Weise bestätigten, wurden sie erneut in die Tat umgesetzt, ohne dass dies Lenin daran hinderte, ihre Ansichten energisch in Frage zu stellen. Etwas Ähnliches geschah mit der so genannten „Arbeiter-Opposition“, die sich im Herbst 1920 um Schljapnikow und Alexandra Kollontai bildete, oder in den Debatten über die Gewerkschaftsfrage, in denen Lenin gegen Trotzki antrat. Die ganze Reihe von Polemiken, viele davon heftig, wie bei der Opposition von Kamenev und Zinoviev gegen die Machtergreifung im Oktober, hinderte die Partei nicht daran, die größte Einheit und Disziplin wiederzugewinnen. Lenins Methode bestand nie in Verleumdung, geschweige denn in der Verhaftung, Abschiebung oder Erschießung seiner Gegner.
 
Die bolschewistische Partei war mit außergewöhnlichen Situationen konfrontiert, angefangen bei der Bedrohung durch die imperialistische Intervention und der wirtschaftlichen Katastrophe, die mit den zugespitzten Mißständen des Bürgerkriegs einherging. Im März 1921 fand der zehnte Kongress statt, der sehr einschneidende Maßnahmen beschloss. Er fand zum ersten Mal während der militärischen Niederschlagung des Kronstädter Matrosenaufstandes statt, der ein Zeichen für die enorme Unzufriedenheit mit den brutalen Bedingungen, die der Krieg und die weit verbreitete Knappheit geschaffen hatte, war. Abgesehen von Kronstadt gab es im ganzen Land Agraraufstände, vor allem in Tambow, wo sich eine Armee von 50.000 Bauern monatelang der Roten Armee widersetzte. Zweitens beschloss der Kongress den Abbruch der NEP, und nicht zuletzt verabschiedete er eine außerordentliche, wenn auch vorläufige Resolution gegen die Bildung von Fraktionen und Tendenzen innerhalb der Partei, die die Einheit in diesen kritischen Momenten gefährden könnten. Die Resolution gab dem Zentralausschuss die Befugnis, auch nur eines seiner Mitglieder auszuschließen, wenn die Entscheidung mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln getroffen wurde.
 
Der Text richtete sich im Wesentlichen gegen die Arbeiteropposition, die Lenin als anarchosyndikalistische Abweichung bezeichnete. Durch das Entstehen von Umständen gerechtfertigt, sollte diese Resolution später zu einer Waffe in den Händen der neuen Bürokratie werden. Aber zum Zeitpunkt der Abstimmung waren nur 25 Delegierte dagegen. „Die Haltung Lenins war beruhigend“, schreibt Pierre Broue, „Jeder weiß, dass er eine rein umstandsbedingte Maßnahme vorschlägt, die durch die Schwere der Situation gerechtfertigt ist, es ist bekannt, dass er glaubt, dass 'die energischste fraktionelle Aktion gerechtfertigt ist (...) wenn die Meinungsverschiedenheiten wirklich tiefgreifend sind und wenn die Korrektur der fehlerhaften Politik der Partei oder der Arbeiterklasse nicht anders möglich ist. Als Rjasanow vorschlägt, einen Änderungsantrag anzunehmen, mit dem die Wahl der Mitglieder des Zentralkomitees künftig nicht mehr auf der Grundlage von Kandidatenlisten verschiedener Plattformen erfolgen soll, greift Lenin ihn leidenschaftlich an: „Wir können der Partei und den Mitgliedern des Zentralkomitees nicht das Recht vorenthalten, sich an die Mitglieder zu wenden, wenn eine grundlegende Frage zu Meinungsverschiedenheiten führt'...“ [1]
 
Doch nachdem Lenin von der Bildfläche verschwunden war, begannen die Abfolge bürokratischer Gräueltaten und die Erstickung des Parteilebens alarmierende Zeichen zu setzen. Bald wurden viele Stimmen laut, die eine Rückkehr zu den Bedingungen der inneren Demokratie und der freien Diskussion forderten, die es im Bolschewismus immer gegeben hatte.
 
Am 8. Oktober 1923 schreibt Trotzki einen Brief an das Zentralkomitee, in dem er den von Lenin begonnenen Kampf für die Demokratisierung fortsetzt und die bürokratischen Methoden der Ernennung von Parteiführern anprangert:
 
„(…) Im schlimmsten Zeitpunkt des Kriegskommunismus hatte das Wesen der Kooptation innerhalb der Partei auch nicht ein Zehntel der Verbreitung wie heute. Die Ernennung der Sekretäre der Gouvemementskomitees ist jetzt die Regel. Das schafft für die Sekretäre eine im Wesentlichen von den örtlichen Organisationen unabhängige und unkontrollierbare Position. Im Falle von Opposition, Kritik und Unzufriedenheit nimmt der Sekretär seine Zuflucht zu Versetzung, wobei er sich der Zentrale bedient. Auf einer der Sitzungen des Politbüros wurde mit Befriedigung erklärt, dass bei der Zusammenlegung eines Gouvernements die einzige Frage, die die zusammengelegten Organisationen interessierte, die war, wer der Sekretär des vereinigten Gouvernementskomitees sein würde. Der von der Zentrale ernannte und eben dadurch von der örtlichen Organisation nahezu unabhängige Sekretär bildet seinerseits die Quelle weiterer Ernennungen und Entlassungen im Gebiet des Gouvernements. Der von oben nach unten geschaffene Sekretärsapparat zieht in immer stärker eigengesetzlicher Weise alle Fäden an sich.
 
Die Teilnahme der Parteimassen an der wirklichen Formierung der Parteiorganisationen wird immer stärker illusorisch. Es ist in den letzten ein bis anderthalb Jahren eine besondere Sekretärspsychologie entstanden, deren wesentlicher Zug die Überzeugung ist, dass der Sekretär in der Lage ist, jede beliebige Frage ohne Vertrautheit mit dem Wesen der Sache zu entscheiden. Wir können regelmäßig beobachten, wie ein Genosse, der keinerlei organisatorische, administrative oder sonstige Fähigkeiten gezeigt hat, solange er an der Spitze einer Sowjetinstitution stand, herrisch wirtschaftliche und andere Fragen zu lösen beginnt, sobald er auf den Posten eines Sekretärs gerät. Eine solche Praxis ist umso schädlicher, weil sie das Verantwortungsgefühl schwächt und vernichtet. (…)
 
Die Bürokratisierung des Parteiapparats hat durch die bei der Sekretärsauswahl angewendeten Methoden eine unerhörte Entwicklung genommen. Wenn wir in den schlimmsten Stunden des Bürgerkriegs in den Parteiorganisationen und sogar in der Presse über die Heranziehung von Spezialisten, über Partisanenwesen und reguläre Armee, über Disziplin usw. usw. gestritten haben, dann ist jetzt an einen derart offenen Gedankenaustausch über Fragen, die wirklich die Partei bewegen, nicht einmal auch nur zu denken. Es hat sich eine überaus breite Schicht von im Staats- oder Parteiapparat tätigen Parteiarbeitern gebildet, die eine eigne Parteimeinung geradezu aufgegeben hat, zumindest eine öffentlich geäußert, so als meinten sie, dass die Sekretärshierarchie derjenige Apparat sei, welcher Parteimeinungen und Parteientscheidungen hervorbringe. Unter dieser Schicht, die sich einer eignen Meinung enthält, zieht sich die breite Schicht der Parteimassen hin, denen gegenüber sich jede Entscheidung schon als eine Art von Aufruf oder Befehl darstellt.
 
In dieser breiten Masse der Basis der Partei herrscht außerordentlich starke Unzufriedenheit, sowohl vollkommen berechtigte als auch durch zufällige Ursachen hervorgerufene. Diese Unzufriedenheit wird nicht auf dem Wege offenen Gedankenaustauschs auf Parteiversammlungen und auf dem Wege des Einwirkens der Massen auf die Organisation der Partei (Wahl der Parteikomitees, der Sekretäre usw.) beseitigt, sondern sie sammelt sich im Stillen an und führt dann zu inneren Geschwüren.“
 
Am 15. Oktober, bevor das Politbüro auf Trotzkis Brief antwortete, gaben sechsundvierzig bolschewistische Führer eine Erklärung ab, in der sie ein Ende der Macht der Funktionäre und der Verfolgung von Mitgliedern forderten, die andere Ansichten vertraten:
 
„Die außerordentlich ernste Lage zwingt uns - im Interesse unserer Partei, im Interesse der Arbeiterklasse - , Ihnen offen zu sagen, daß der gesamten Partei schwerwiegende, schlimme Folgen drohen, wenn die Politik der Mehrheit des Politbüros fortgesetzt wird. Die seit Ende Juli dieses Jahres entstandene Wirtschafts- und Finanzkrise mit allen sich daraus ergebenden politischen Folgen, u. a. innerhalb der Partei, hat schonungslos die unbefriedigende Führung durch die Partei im Bereich der Wirtschaft sowie insbesondere auf dem Gebiet der innerparteilichen Beziehungen aufgedeckt. (…) Angesichts einer durch solche engstirnigen Manipulationen entstellten Parteiführung hört die Partei in beträchtlichem Maße auf, jenes lebendige, an Eigeninitiative reiche Kollektiv zu sein, das in feinfühliger Weise die lebendige Wirklichkeit erfaßt, da es durch Tausende von Fäden mit dieser Wirklichkeit verbunden ist. Statt dessen beobachten wir eine immer weiter voranschreitende und fast durch nichts mehr bemäntelte Teilung der Partei in eine Hierarchie von Sekretären und in »Laien«, in von oben ausgewählte berufsmäßige Parteifunktionäre und in die übrige Parteimasse, die am öffentlichen Leben keinen Anteil nimmt.
 
Das Regime, das innerhalb der Partei gewachsen ist, ist ganz unerträglich; es erdrückt die Eigeninitiative in der Partei und verdrängt die Partei mit einem eingesetzten Beamtenapparat, der in normalen Zeiten ohne Reibung läuft, der jedoch in der Krise versagen muß und droht sich im Angesicht der kommenden ernsten Ereignisse als ganz unselbständig zu erweisen.
 
Die entstandene Lage erklärt sich damit, daß die Diktatur einer Fraktion in der Partei überlebt hat, die sich nach dem X. Parteitag ganz klar gebildet hatte. Viele von uns gingen bewußt einen Weg ohne Widerstand gegen solch ein Regime. Die Wende des Jahres 1921 und dann die Krankheit des Genossen Lenin erzwangen nach Ansicht einiger von uns als vorläufige Maßnahme eine Diktatur in der Partei.
 
Andere Genossen zeigten sich von Beginn an skeptisch und ablehnend. Wie auch immer, bis zum XII. Parteitag wurde diese Diktatur überflüssig. Es begann sein anderes Gesicht zu zeigen. Der Zusammenhalt in der Partei begann sie abzuschwächen. Die Partei erstarrte. Extrem oppositionelle und schon klar kranke Strömungen in der Partei zeigten einen parteifeindlichen Charakter, denn es gab keine Kameradschaft mehr in der Diskussion in der Partei über die dringendsten Fragen. Solch eine Diskussion hätte aber den kranken Inhalt dieser Strömungen leicht sowohl der Masse der Parteimitglieder als auch den meisten Anhängern dieser Strömungen bewußt gemacht. Die Folge war, daß die illegalen Gruppen die Mitglieder der Partei in ihre Strömungen zogen und die Trennung der Partei von den Massen der Arbeiter. (…)
 
Eine wirkliche Einheit in den Auffassungen und im Handeln ist notwendig. Die vor uns stehenden Prüfungen fordern das einmütige, brüderliche, ganz bewußte, sehr aktive und völlig geschlossene Handeln aller Mitglieder unserer Partei. Das Fraktionsregime muß gestürzt werden, und zwar durch die Mitglieder dieses Regimes selbst, und ersetzt werden durch ein Regiment der kameradschaftlichen Einheit und der innerparteilichen Demokratie.“
 
Trotzki, der zunächst am Rande der Erklärung der 46 blieb, unterstützte sie voll und ganz, indem er eine Reihe von Artikeln unter dem Namen "Der neue Kurs" veröffentlichte, in denen er die wirkliche Beteiligung der Arbeiterklasse und der jungen Generationen von Kommunisten an der Aufrechterhaltung und dem Voranschreiten der proletarischen Diktatur zum Sozialismus forderte. In den folgenden Monaten kristallisierte sich der Zusammenhang bei der Charakterisierung der Situation, in der sich die Partei befindet, in der Konstituierung der Linken Opposition heraus, die einen beträchtlichen Teil der bolschewistischen Führer, die die Erklärung unterzeichnet hatten, zusammenbrachte.
 
Diese Ereignisse fielen mit der Entwicklung einer neuen revolutionären Situation in Deutschland zusammen. Infolge der wirtschaftlichen Belastungen durch den Versailler Vertrag und die Besetzung des Ruhrgebiets durch die französische Armee brach eine neue Krise aus. Die Reaktion der deutschen Arbeiter war eindeutig: Es wurden große Massenstreiks organisiert und eine mächtige Bewegung von Fabrikdelegierten entstand. Die Arbeiter wandten sich an die Kommunisten, die in zahlreichen Gewerkschaften die Mehrheit gewannen. Auch bewaffnete Brigaden begannen sich zu formieren. Die Sozialdemokratische Partei war desorientiert und die Bourgeoisie tief gespalten. Es war an der Zeit, eine Strategie zur Machtergreifung zu entwickeln. Doch als es der Initiative und der praktischen Entscheidung der Führung bedurfte, um die Bewegung zum Sieg zu führen, erwies sich die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) auf Stalins bedauerlichen Rat hin als unfähig, ihre Aufgaben zu übernehmen.
 
„Am 10. Juli“, schreibt Jean Jacques Marie, „traten die Beschäftigten des grafischen Gewerbes, die für die Versorgung der unersättlichen Druckpressen der Münzanstalt zuständig waren, in den Streik. Das Ruhrgebiet, das an den französischen Besatzer gebunden ist, ist eine Brutstätte. Am 12. August fegt der Generalstreik die Regierung Cuno hinweg, die durch eine Koalitionsregierung mit sozialdemokratischen Ministern ersetzt wird. Die Revolution klopft an die Tür. Die Kommunisten, die bei allen Gewerkschaftswahlen auf dem Vormarsch sind, treten in die sozialdemokratischen Regierungen von Sachsen und Thüringen ein. In der UdSSR weckt diese Eskalation bei vielen Kämpfern enthusiastische Erwartungen. Fünf Tage vor dem Sturz der Cuno-Regierung schreibt Stalin an Bucharin, dass die deutschen Kommunisten besonders vorsichtig sein müssen, um das Hornissennest nicht aufzurühren, und dass es den Faschisten - damals eine schreiende Randgruppe - überlassen werden muss, die Initiative zu ergreifen. Ohne sich auf irgendein Element zu berufen, erklärt er Folgendes. 'Wenn die Macht in Deutschland heute sozusagen fallen würde und die Kommunisten sie sich nehmen würden, würden sie selbst mit einem Absturz untergehen. Und in einer Skizze der Taktik, die er Anfang der 1930er Jahre in Deutschland selbst anwenden wird, fügt er hinzu: Wir sind daran interessiert, dass die Faschisten als erste angreifen; das wird die ganze Arbeiterklasse um die Kommunisten scharen (...) Meiner Meinung nach sollten wir die Deutschen zurückhalten und nicht ermutigen.' Entgegen Trotzkis Meinung werden die Führung der sowjetischen Partei und die Internationale sie so gut zurückhalten, dass sie für immer geknebelt werden.“ [2]
 
Die KPD-Führung weigerte sich, die unzufriedene Basis der Sozialdemokratie zu erobern, die mit außerordentlicher Sympathie auf die Kommunisten blickte, und zögerte, die Einheitsfronttaktik formell zu begreifen, da sie nicht verstand, dass sich die Umstände zu diesem Zeitpunkt rasch geändert hatten und es notwendig war, in die Offensive zu gehen. Die deutschen Arbeiter erlitten ihre dritte Niederlage innerhalb von nur fünf Jahren.
 
Dieses erneute Versagen hatte verheerende Auswirkungen auf die Reihen der russischen Partei und ermutigte zu Angriffen gegen Trotzki. Eine Flut von Artikeln in den Presseorganen der Sowjetunion und der Partei, unterzeichnet von Stalin und Sinowjew, versuchte ihn zu diskreditieren, indem seine nichtbolschewistische Vergangenheit hervorgehoben wurde. Die alten Differenzen mit Lenin, die nach dem Oktober-Triumph und aufgrund der Rolle, die Trotzki an der Spitze des sowjetischen Staates in den schwierigsten Verantwortungsbereichen gespielt hatte, völlig überwunden waren, wurden zur Sprache gebracht und grob verfälscht. Aus dem Zusammenhang gerissene Zitate aus vergangenen Kontroversen wurden als Zündstoff verwendet.
 
Das waren nicht die einzigen Schandtaten, die von dem Apparat ausgingen. In Parteikreisen verbreitete sich, dass Trotzki seinen autoritären, sogar „bonapartistischen“ Tendenzen nicht abschwört und dass er beabsichtigte, einen Staatsstreich zu organisieren, indem er sich auf seinen Einfluss innerhalb der Roten Armee stützte. Diese Verleumdungen wurden durch andere ergänzt, insbesondere durch diejenige, die sich auf seine angebliche „Unterschätzung“ der Bauernschaft und der „Fähigkeit“ Sowjetrusslands bezog, mit eigenen Kräften auf den Sozialismus zuzugehen.
 
Die Polemik zog sich über Monate hin, und Trotzki verteidigte sich, indem er Lektionen des Oktober schrieb, eine Bekräftigung seiner leninistischen Position während der Revolution und gleichzeitig eine Anprangerung der erbärmlichen Rolle, die einige der „alten Bolschewiki“ in den entscheidenden Stunden spielten.
 
Die Stärke der linken Opposition zeigte sich auf zahlreichen Parteitagen Ende 1923. Ihre Unterstützung in der Armee war bemerkenswert, ebenso wie die der führenden Kader der Kommunistischen Jugend. So beschreibt es Isaac Deutscher:
 
„Die Triumvirn konnten diese „Meuterei“ nicht einfach unterdrücken. Die Meuterer waren nicht nur Fußsoldaten, sondern sechsundvierzig Generäle der Revolution. Viele waren Mitglieder des Zentralkomitees gewesen. Einige hatten sich 1917 zusammen mit Trotzki den Bolschewiki angeschlossen, andere waren es bereits seit 1904. Ihr Protest ließ sich nicht so einfach verbergen. Die Parteizellen in Moskau hielten eine rebellische Haltung aufrecht. Sie empfingen die offiziellen Führer mit Feindseligkeit und lobten die Sprecher der Opposition. In einigen Versammlungen in den großen Fabriken wurden die Triumvirn selbst verspottet und sie verloren die Abstimmungen mit großem Abstand (…) Antonov-Ovséineko sprach mit den Organisatoren, die die Militärgarnison unterstützten, und bereits kurz nach Beginn der Debatte hatte sich mindestens ein Drittel auf die Seite der Opposition geschlagen. Das Zentralkomitee der Kommunistischen Jugend und die meisten Komsomol-Zellen in Moskau taten dasselbe. Die Universitäten waren begeistert, und eine große Mehrheit der Studentenzellen erklärte ihre enthusiastische Unterstützung für die sechsundvierzig. Die Führer der Opposition reagierten mit Freude (…)
 
Die Triumvirn bekamen Angst. Als sie sahen, auf welche Seite das Gleichgewicht in den Garnisonen kippte, beschlossen sie, dass sie ihnen nicht erlauben konnten, weiter abzustimmen. Sie enthoben Antonov-Ovséinko sofort von seinem Posten als politischer Chefkommissar der Roten Armee mit der Begründung, er habe das Zentralkomitee bedroht, indem er erklärte, die Streitkräfte würden sich ‚als ein Mann‘ zugunsten Trotzkis, ‚des Führers, Organisators und Inspirators der Revolution‘ erheben. (…) Es folgten die Entlassungen dieser Kritiker. Das Generalsekretariat löste satzungswidrig das Komsomol-Zentralkomitee auf und ersetzte es durch ernannte Funktionäre“ [3]
 
Der Kampf breitete sich über die Grenzen Russlands hinaus aus. Auf dem Fünften Kongress der Kommunistischen Internationale, der im Juni und Juli 1924 stattfand, proklamierten Stalin und Sinowjew die „Bolschewisierung“ der nationalen Sektionen, wodurch der kommunistische Parteiapparat unter ihre Kontrolle gebracht und die Dissidenten eliminiert wurden. Dies war der erste Schritt von vielen anderen, obwohl sich die Dynamik der Säuberung bald gegen einige ihrer Verfechter wandte.
 
Sozialismus in einem Land
 
Ab Ende 1924 fand die Diskussion eine neue Achse: die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Auswirkungen der Aufrechterhaltung der NEP und die daraus resultierende Stärkung kleinbürgerlicher Tendenzen und die damit verbundene Gefahr einer kapitalistischen Restauration. In der „großen Debatte“ bestanden Führer wie Trotzki oder Preobrazhenski darauf, die Industrialisierung des Landes durch einen zentralisierten Plan zu stärken und die hohen Preise für Fertigungs- und Konsumgüter, die sowohl auf dem Land als auch in der Stadt benötigt werden, schrittweise zu senken. Mit dieser Ausrichtung wurde ein entscheidender Sprung nach vorn angestrebt, um die Situation der Rückständigkeit und der geringen Produktivität in der Industrie zu beenden und vor allem die Lebensbedingungen und Löhne der Arbeiter zu verbessern, indem die für den Aufbau des Sozialismus absolut notwendigen Wohlstands- und Gleichheitsstandards erhöht werden.
 
Die These zugunsten der Industrialisierung wurde vom Herrschaftsapparat mit zwei Theorien beantwortet: dem Sozialismus in einem Land und, daraus folgend, der Forderung nach dem Aufbau des Sozialismus im Schneckentempo. Giuliano Procacci, ein Gelehrter jener Jahre, weist darauf hin:
 
„Im Januar 1925, zur selben Zeit, als sich die lange Debatte über den Trotzkismus dem Ende zuneigte, gab Stalin als Vorwort zu dem Band Der Weg des Oktobers erneut eine Schrift von ihm in Polemik mit Trotzki heraus, die bereits am 20. Dezember 1924 in der Prawda erschienen war. Es handelt sich bekanntlich um eine Schrift, die großen Erfolg hatte und in den aufeinander folgenden Ausgaben der Fragen des Leninismus wiedergegeben wurde. Es ist auch bekannt, dass sein Erfolg darauf zurückzuführen ist, dass in dieser Arbeit zum ersten Mal die Idee des Aufbaus des 'Sozialismus in einem Land' formuliert wird (...) Die Ereignisse und Diskussionen der folgenden Monate trugen wahrscheinlich wesentlich dazu bei, die Aufmerksamkeit auf diese Formel zu fixieren. Tatsächlich tagte Ende März das Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale in Moskau, und das Zeichen, unter dem sich seine Aufgaben entfalteten, war das Eingeständnis, dass, nachdem die große revolutionäre Welle, die die Oktoberrevolution ausgelöst hatte, vorübergehend erschöpft war, allmählich eine Periode der 'relativen Stabilisierung' des Kapitalismus eingetreten war (...)
 
Zur gleichen Zeit, als in einem Land die Theorie des Aufbaus des Sozialismus lanciert wurde, entwickelte sich auf der sowjetischen politischen Bildfläche eine andere Debatte, in deren Zentrum auch die Figur Bucharin stand. Am 17. April hielt Bucharin im Bolschoi-Theater eine Rede, die große Kontroversen auslösen sollte: Bucharin lancierte darin die Losung „Reich werden“ für die Bauern und skizzierte die politische Perspektive einer Fortführung der NEP auf unbestimmte Zeit und damit des Aufbaus des Sozialismus im Schneckentempo, wie er im Laufe der Debatten des 14. Kongresses (18.-31. Dezember 1925) sagen würde.“ [4]
 
Die Formel des Sozialismus in einem Land warf die Grundlagen der marxistischen Theorie über den Haufen und verzichtete auf den proletarischen Internationalismus.
 
„Was bedeutet die Möglichkeit des Triumphs des Sozialismus in einem Land? Es bedeutet – laut Stalin – die Möglichkeit, die Widersprüche zwischen dem Proletariat und dem Bauern mit den inneren Kräften unseres Landes zu lösen, die Möglichkeit, dass das Proletariat die Macht übernimmt und sie zum Aufbau der vollständigen sozialistischen Gesellschaft in unserem Land nutzt, wobei es mit der Sympathie und Unterstützung der Proletarier anderer Länder rechnet, aber ohne den vorherigen Triumph der proletarischen Revolution in anderen Ländern.“ [5]
 
Schritt für Schritt wurde die Degeneration der stalinistischen Bürokratie entlang nationaler und reformistischer Linien vorbereitet, so dass das „Projekt“ des Aufbaus des Sozialismus innerhalb der Grenzen der UdSSR bald über die Politik der Kommunistischen Internationale entscheiden würde, indem es diese an die Bedürfnisse der neuen herrschenden russischen Kaste, an ihre materiellen und nationalen Interessen und, falls notwendig, an ihre Pakte und Vereinbarungen mit den verschiedenen Blöcken der ausländischen Bourgeoisie anpasste.
 
Die Theorie kollidierte scharf mit dem leninistischen Internationalismus, den sich eine Generation von Revolutionären fest einverleibt hatte:
 
„Seit den ersten Tagen der Oktoberrevolution“, so Lenin, „sind die Außenpolitik und die internationalen Beziehungen für uns die wichtigste Frage geworden, nicht nur, weil der Imperialismus von nun an eine enge und feste Verkettung aller Staaten der Welt zu einem System – um nicht zu sagen, zu einem schmutzigen, blutigen Knäuel – bedeutet, sondern auch weil der volle Sieg der sozialistischen Revolution in einem Lande unmöglich ist, weil er die aktivste Zusammenarbeit mindestens einiger fortgeschrittener Länder erfordert, zu denen wir Russland nicht zählen können.“
 
Der Thermidor der Russischen Revolution war eine Antwort auf mächtige gesellschaftliche Kräfte. Stalin brachte die niedergeschlagene Atmosphäre der Arbeiterbewegung zum Ausdruck, die durch die aufeinanderfolgenden Niederlagen der europäischen Revolution noch verstärkt wurde, und lieferte eine politische Rechtfertigung für all jene Bürokraten, die die neuen Umstände ausnutzen konnten. Von der neuen autoritären Macht, die im Entstehen begriffen war, vervielfachten sich die repressiven Maßnahmen gegen die Kader und Führer der Opposition. Trotzki sah, wie seine Kollaborateure in der Roten Armee vertrieben oder direkt eliminiert wurden. Schließlich sah er sich durch die wachsende Feindseligkeit gezwungen, die militärische Führung aufzugeben.
 
Ein politisches Phänomen dieses Ausmaßes könnte nicht ohne ernsthafte Spannungen, Widerstand und Kampf konsolidiert werden. Im Frühjahr 1925 explodierten die Diskrepanzen im Triumvirat: Die neue Theorie war eine zu grobe Abweichung vom Denken von Marx und Lenin, und Sinowjew und Kamenjew prangerten sie an, indem sie sich zu ihrer Verantwortung für die Angriffe auf Trotzki bekannten.
 
Am 4. September 1925 präsentierten Kamenev, Sinoviev, Sokolnikov und Lenins Witwe, Krushkaja, dem Politbüro eine Plattform gegen die Wirtschaftspolitik, die die reichen Bauern privilegierte. Trotzki wies zwei Monate später darauf hin:
 
„Die von Leningrads herrschenden Kreisen eingenommene Position ist ein bürokratisch deformierter Ausdruck der politischen Angst, die die fortgeschrittenste Schicht der Arbeiterklasse angesichts der wirtschaftlichen Orientierung als Ganzes verbrennt und die Zukunft des Regimes fördert.“ [6]
 
Der 14. Kongress der KPdSU, der im Dezember 1925 stattfand, besiegelte die Position Stalins, der von Bucharin unterstützt wurde, und stellte einen durchschlagenden Triumph über Sinowjew und Kamenjew dar. Erst im Frühjahr 1926, auf der Aprilsitzung des Zentralkomitees, stimmten Trotzki, Sinowjew und Kamenjew auf der Aprilsitzung des Zentralkomitees zeitgleich über Änderungen an Stalin-Bucharins wirtschaftspolitischen Resolutionen ab. Von diesem Moment an wurde die linke Opposition durch die Ankunft von Anhängern Sinowjews und Kamenjews verstärkt, die in der Leningrader und Moskauer Organisation eine breite und kämpferische Basis hatten.
 
Trotzki wusste sehr wohl um den unzuverlässigen Charakter seiner neuen Verbündeten, aber er verstand die Notwendigkeit, Tausende von Arbeitern und kommunistischen Aktivisten, die hinter ihnen standen und die eine entscheidende Kraft im Kampf gegen den bürokratischen Apparat darstellen konnten, direkt zu beeinflussen. Es dauerte nicht lange, bis die Gemeinsame Opposition in den Reihen der stalinistischen Führung Panik auslöste.
 
Die öffentliche Präsentation der neuen Oppositionskräfte fand auf der Juni-Sitzung des ZK im selben Jahr statt und wurde erneut in der Debatte über die chinesische Revolution ausgelotet. Im Mai 1927 legte Trotzki vor dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale die Thesen der Opposition dar und verurteilte die Politik von Stalin und Bucharin, die für das Bündnis mit der bürgerlich-nationalistischen Kuomintang-Partei und die Niederlage des chinesischen Kommunismus verantwortlich waren. [7]
 
Die wachsende Macht der Bürokratie zeigte sich sofort in der internen Debatte. Öffentliche Versammlungen, an denen Mitglieder der Opposition teilnahmen, wurden von bewaffneten Streikposten angegriffen, und der Zwang, Andersdenkende zum Schweigen zu bringen, war weit verbreitet. Ab April 1927 fanden die ersten Verhaftungen und Zwangsversetzungen von Mitgliedern statt: Preobrazhenski und Piatakov wurden zusammen mit Rakovski nach Paris geschickt; Antonov-Ovséyenko nach Prag; Kamenev nach Italien. Die Vertreibungen betrafen alle Ebenen der Partei und der Jugend (Komsomol), während die Zensur von Schriften und Texten der Oppositionellen zunahm.
 
Angesichts der Weigerung der stalinistischen Fraktion, die politische Plattform der Opposition für den 15. Kongress zu veröffentlichen, hat sie beschlossen, sie heimlich zu verteilen, Tausende von Kopien anzufertigen und Hunderte von Treffen mit Parteimitgliedern abzuhalten, um sie vorzustellen und zu diskutieren. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Miashkovski, Preobrazhenski, Serebriakov und 14 weitere bolschewistische Führer wurden ausgewiesen. Trotzki und Sinowjew sollten am 23. Oktober aus dem Zentralkomitee und am 15. November aus der Partei ausgeschlossen werden.
 
Die vereinigte Opposition beklagte diesen Druck mit Entschiedenheit und begann zu brechen. Einige Kreise neigten zur Spaltung, während andere offen die Möglichkeit einer Verständigung mit der stalinistischen Fraktion ansprachen. Trotzki lehnte beide Positionen energisch ab und forderte eine Begradigung der Parteipolitik, die Wiederherstellung der inneren Demokratie und eine Rückkehr zum leninistischen Programm.
 
Stalins Zickzack
 
Ab 1924 unternahm die stalinistische Bürokratie eine ganze Reihe von politischen Zickzackkursen, die gleichzeitig mit massiven Säuberungen von Mitgliedern in den Parteiorganisationen und der Internationale einhergingen.
 
Zwischen 1924 und 1925 verlagerte sich die Unterstützung für die Kulaken und Nepmänner im Inland in Form opportunistischer und bürokratischer Absprachen mit reformistischen und nationalistischen Organisationen ins Ausland. Dies war der Fall bei der der Kommunistischen Partei Chinas auferlegten Unterordnung unter die Kuomintang, die zur Niederlage der chinesischen Revolution 1925-1927 und zum Massaker an Tausenden von kommunistischen Mitgliedern und Kadern in Kanton und Shanghai führte. Auch aus dem Bündnis mit der britischen Gewerkschaftsbürokratie, dem so genannten „Anglo-Russischen Komitee“, das den reformistischen Führern der Gewerkschaften, die den Generalstreik von 1926 verraten hatten, linke Deckung bot.
 
Alle Fehler der stalinistischen Führung mit den sich daraus ergebenden Folgen wurden von der Opposition angeprangert, die vor den Gefahren für den Arbeiterstaat warnte. Die Opposition verteidigte die Planwirtschaft und ihre Eroberungen, forderte die Wiederherstellung der Arbeiterdemokratie in Partei, Staat und Sowjets sowie die Aufgabe der Theorie des Sozialismus in einem Land und der Klassenkollaboration und trat für eine entschlossene internationalistische Politik und die Unabhängigkeit der Klasse ein.
 
Die Warnungen der Opposition wurden bald durch die Ereignisse bestätigt. Nachdem sie sich auf die Kulaken und Nepmänner verlassen hatte, stand die Bürokratie vor der Liquidierung durch dieselben sozialen Kräfte, die sie gefördert hatte. Die kapitalistische Restauration in der UdSSR wurde zu einer echten Bedrohung.
 
Die bürokratische Kaste erstickte die demokratische Beteiligung der Massen an der Leitung und Kontrolle des Staates, der Wirtschaft, der Politik und der Kultur, aber zumindest in diesen Jahren war sie nicht daran interessiert, dass die mit der Oktoberrevolution geborenen sozialen Produktionsverhältnisse, d.h. die Verstaatlichung der Wirtschaft, beseitigt wurden. Aus diesem Wirtschaftsregime bezog sie den Großteil ihrer Privilegien und Einkünfte: Als parasitärer Körper verzehrte sie einen wesentlichen Teil des von den Arbeitern erwirtschafteten Mehrwerts und wurde so zu einer immer wichtigeren Bremse des sozialistischen Aufbaus.
 
In Panik vollzog Stalin eine neue Wende in seiner Politik und begann, die von Bucharin, dem Verfechter von Zugeständnissen an den Kulak und die Nepmänner, angeführte rechtsgerichtete Fraktion zu bereinigen. Mit brutalen Methoden verhängte er die Zwangskollektivierung des Landes, die „Liquidierung der Kulaken als Klasse“ und einen Fünfjahresplan für die Industrialisierung des Landes (in vier Jahren), wobei er in verzerrter Weise von einem der Hauptpunkte des Programms der linken Opposition ausging.
 
In den Reihen der Opposition sahen viele ehrliche Kader und Mitglieder, die eifrig zur Entwicklung des Arbeiterstaates beitragen wollten, in Stalins Wende die Anerkennung ihres Kampfes und den Weg zur Versöhnung. So kam es zu einer Welle der Kapitulation vieler inhaftierter und deportierter Führer und Kämpfer. Aber die Ereignisse würden bald beweisen, dass diese Annahme falsch ist.
 
Diese neue Entwicklung würde sich erwartungsgemäß unmittelbar in der Sphäre der Internationale widerspiegeln. Wie wir oben dargelegt haben, beschlossen Sinowjew und Stalin auf dem Fünften Kongress der KP (Juni-Juli 1924) die „Bolschewisierung der Internationale“ und eine umfassende Säuberung der Führungen der kommunistischen Parteien. Auf diesem Kongress wurden auch die Umrisse der sektenartigen Thesen, die später angenommen werden sollen, zur Kenntnis genommen. [8]
 
Auf dem Sechsten Kongress – der 1928 nach vierjähriger Unterbrechung abgehalten wurde – gab die Kommunistische Internationale auf Geheiß Stalins grünes Licht für die ultralinke Wende, die zu den bekannten Thesen von der „Dritten Periode“ und dem Sozialfaschismus führen sollte, mit tragischen Folgen für das deutsche Proletariat und ganz Europa. Die neue Generallinie wurde im Juli 1929 während der 10. Plenartagung des KP-Exekutivausschusses verankert, wo die Entlassung von Bucharin als Chef der Internationale sanktioniert wurde: „Die Assimilation der Sozialdemokratie an den Faschismus ist perfekt vollzogen, und Ersteres wird in Sozialfaschismus umgewandelt: 'die Ziele der Faschisten und der Sozialdemokraten sind identisch; der Unterschied liegt in den Parolen und zum Teil in den Methoden (...) es ist klar, dass sich der Sozialfaschismus mit der Entwicklung des Sozialfaschismus dem reinen Faschismus nähert'“... [9]
 
Da die übrigen Arbeiterströmungen als faschistisch (sozialfaschistisch, anarchofaschistisch, trotzkistisch) bezeichnet wurden, war es den kommunistischen Parteien unmöglich, mit ihnen die antifaschistische Einheitsfront zu verteidigen. Keine Politik könnte für Hitler nützlicher sein, denn er war bereit, die Macht zu übernehmen.
 
Die deutsche Tragödie
 
In der Zeit zwischen 1927 und 1933 erlitt Trotzki den Ausschluss aus der Partei, seine Verbannung in die Stadt Alma-Ata in Zentralasien und sein anschließendes, durch Stalins Vertreibungsbefehl erzwungenes Exil aus dem Land. Als er im Februar 1929 mit seiner Genossin Natalia und seinem Sohn Léon Sedov auf der Insel Prinkipo (Türkei) ankam, wurde er von seinen Oppositionskameraden, die unter der brutalen Unterdrückung des stalinistischen Apparats zu leiden hatten, isoliert. Zu Tausenden wurden sie aus der Partei ausgeschlossen, von ihren Arbeitsplätzen entlassen und aus ihren Häusern vertrieben. Später wurden sie verhaftet und in die Lager in Sibirien und am Polarkreis gebracht, um dort massakriert zu werden.
 
In dieser ersten Phase seines neuen Exils schrieb Trotzki brillante Texte von großer Klarheit, die sich mit der Bilanz seiner Leistung als Revolutionär und den brennendsten Ereignissen des internationalen Klassenkampfes befassen. In Prinkipo schloss er „Mein Leben“, „Die permanente Revolution“, seine monumentale „Geschichte der Russischen Revolution“ [10] und zahlreiche Artikel über das Vordringen des Faschismus in Deutschland sowie die ersten Werke über die spanische Revolution ab. In diesen Jahren begann er unter großen Schwierigkeiten mit der Aufgabe, die Internationale Linke Opposition zu organisieren.
 
Seine Schriften über den Aufstieg des Faschismus in Deutschland zeichnen sich durch ihre theoretische Tiefe und genaue Prognosen aus:
 
„Die Reihe ist ans faschistische Regime gekommen, sobald die „normalen“ militärisch-polizeilichen Mittel der bürgerlichen Diktatur mitsamt ihrer parlamentarischen Hülle für die Gleichgewichtserhaltung der Gesellschaft nicht mehr ausreichen. durch die faschistische Agentur setzt das Kapital die Massen des verdummten Kleinbürgertums in Bewegung, die Banden deklassierter, demoralisierter Lumpenproletarier und all die zahllosen Menschenexistenzen, die das gleiche Finanzkapital in Verzweiflung und Elend gestürzt hat. Vom Faschismus fordert die Bourgeoisie ganze Arbeit: hat sie einmal die Methoden des Bürgerkriegs zugelassen, will sie für lange Jahre Ruhe haben. (…) Der Sieg des Faschismus führt dazu, daß das Finanzkapital sich direkt und unmittelbar aller Organe und Einrichtungen der Herrschaft, Verwaltung und Erziehung bemächtigt: Staatsapparat und Armee, Gemeindeverwaltungen, Universitäten, Schulen, Presse, Gewerkschaften, Genossenschaften (…) vor allem und hauptsächlich die Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen“ [11]
 
Nach seiner Konsolidierung in Italien hielt der Faschismus seinen Siegeszug über Deutschland an. Die kapitalistische Weimarer Republik trieb Millionen von Arbeitern in die Arbeitslosigkeit und ruinierte einen bedeutenden Teil der Mittelschichten. Diese kleinbürgerlichen Massen, die für die Sache des Proletariats hätten gewonnen werden können, wenn die Arbeiterorganisationen ein revolutionäres Programm verteidigt hätten, machten einen gewalttätigen Schritt nach rechts.
 
In einer zerrütteten Gesellschaft gelang es den Nazis, ihren Einfluss erheblich zu vergrößern. Bei der Wahl im September 1930 gewann die SPD 8.577.700 Stimmen, die Kommunistische Partei (KPD) 4.592.100 und die Nazi-Partei 6.409.600. Wenn die KPD ihre Unterstützung aus der vorangegangenen Wahl von 1928 um 40 Prozent erhöhte, so taten dies die Nazis um 700 Prozent.
 
Trotzki prangerte unermüdlich die sektiererischen Positionen der stalinisierten KP an und rief zu einer Einheitsfrontpolitik zwischen den Kommunisten und Sozialdemokraten im Kampf gegen Hitler auf. Es war notwendig, zwischen den Arbeiterorganisationen Vereinbarungen über minimale gemeinsame Punkte zu treffen, die äußerst klar waren, angefangen bei der Verteidigung von Betriebsgeländen, Druckerpressen, Demonstrationen, Gewerkschaften und demokratischen Rechten und der gemeinsamen Organisation von Arbeiterselbstverteidigungsmilizen. Diese Einheitsfrontpolitik bedeutete keinesfalls den Verzicht auf Propaganda für das sozialistische Programm, aber sie begünstigte die Verständigung mit den ehrlicheren und fortgeschritteneren sozialdemokratischen Arbeitern, die die faschistische Bedrohung bekämpfen wollten, weil ihr eigenes Überleben davon abhing.
 
„Darum müssen wir den sozialdemokratischen, christlichen und parteilosen Arbeitern offen sagen: die Faschisten – eine kleine Minderheit – wollen die gegenwärtige Regierung stürzen, um die Macht zu übernehmen; wir Kommunisten halten die gegenwärtige Regierung für einen Gegner des Proletariats; aber diese Regierung stützt sich auf Euer Vertrauen und Eure Stimmen; wir wollen diese Regierung im Bunde mit Euch stürzen, nicht aber durch eine Allianz mit den Faschisten gegen Euch. Wenn die Faschisten einen Aufstand versuchen, werden wir Kommunisten bis zum letzten Blutstropfen gegen sie kämpfen, – nicht um die Regierung Braun-Brüning zu verteidigen, sondern um die Erdrosselung und Vernichtung der proletarischen Elite, der Arbeiterorganisationen, der Arbeiterpresse – nicht nur unserer kommunistischen, sondern auch Eurer sozialdemokratischen – zu verhindern. Wir sind bereit, gemeinsam mit Euch jedes Arbeiterhaus, jede Druckerei einer Arbeiterzeitung gegen faschistische Angriffe zu verteidigen. Und wir fordern, daß Ihr Euch verpflichtet, uns zu Hilfe zu kommen, wenn unsere Organisationen bedroht sind. Wir schlagen Euch die Einheitsfront der Arbeiterklasse gegen die Faschisten vor. Je entschlossener und standhafter wir diese Politik durchführen, desto schwerer wird es den Faschisten, uns zu überrumpeln, um so weniger Chancen haben sie, uns im offenen Kampf zu schlagen.“
 
Trotzkis Warnungen stießen auf taube Ohren. Viele Jahre später hatte Fernando Claudín, Führer der Jungkommunisten in den 1930er Jahren und später Mitglied des Exekutivkomitees der PCE, den Mut, Bilanz zu ziehen:
 
„Die Ereignisse zeigten bald die Klarheit von Trotzkis Analysen und Vorschlägen in seinen Schriften über Deutschland 1931-1932. Aber die Führung der KP und der KPD berücksichtigte sie nicht…“ [12]
 
Bei den Wahlen im November 1932 gewannen die Nationalsozialisten 11.737.000 Stimmen, aber immer noch waren sie zwischen KPD und SPD mit mehr als 13 Millionen Stimmen zahlenmäßig unterlegen (die Sozialdemokraten gewannen 7.248.000 Stimmen, die Kommunisten 5.980.000). Diese Zahlen bezeugen, dass die Unterstützung von Millionen an den Urnen ohne revolutionäre Politik nicht viel wert ist.
 
Im Januar 1933 wurde Hitler zum Kanzler ernannt, ohne dass er auf einen nennenswerten Widerstand seitens der Sozialdemokratie oder der KPD gestoßen wäre. Während erstere den Sieg Hitlers akzeptierten, weil er demokratisch war und ihre Kämpfer warnten, von Protestaktionen Abstand zu nehmen, erkannten die deutschen stalinistischen Führer, die in der Theorie des Sozialfaschismus verwurzelt waren und von Moskau aus beraten wurden, noch immer nicht den Ernst der Lage und begnügten sich damit, den Triumph der Nazis als Vorspiel zum kommunistischen Sieg zu betrachten.
 
Es gab keine bewaffnete Reaktion des Proletariats, obwohl SPD und KPD über Milizen verfügten, die eine halbe Million Arbeiter umfassten. Die Führer lähmten das deutsche Proletariat, das stärkste in Europa, auf politischer Ebene, und die Nazis vollendeten die Arbeit, indem sie die Arbeiterorganisationen pulverisierten. Im Februar 1933 löste Hitler den Reichstag auf, nachdem er ihn in Brand gesteckt und den Kommunisten die Schuld gegeben hatte, und setzte alle verfassungsrechtlichen Garantien außer Kraft: Die KPD wurde verboten und Tausende ihrer Aktivisten inhaftiert. Dies war nicht der letzte Sieg des Faschismus. In Österreich schloss die Regierung des christlich-sozialistischen Dollfuss (das Modell, von dem Gil Robles inspiriert wurde) im März 1933 das Parlament und führte eine bonapartistische Diktatur an, nachdem sie den Wiener Arbeiteraufstand besiegt hatte.
 
Der Bankrott der stalinistischen Führung angesichts der deutschen Ereignisse, ihre Weigerung, Bilanz zu ziehen und ihre Ausrichtung zu korrigieren, veranlasste Trotzki dazu, die dringende Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Internationale zu erwägen.
 
Ein neuer Wendepunkt in der Geschichte war eingetreten. Die stalinisierte Kommunistische Internationale hatte aufgehört, das Instrument der Weltrevolution zu sein, und der Kampf für ihren Aufstand war nicht mehr so bedeutsam wie zuvor. Die deutsche Tragödie war für die Kommunistische Internationale ein Abgesang, so wie der Erste Weltkrieg für die Zweite Sozialistische Patriotische Internationale ein Abgesang war.
 
Im August 1933 wurde das Plenum der Internationalen Linken Opposition abgehalten, um alle praktischen Schlussfolgerungen in der Strategie zum Aufbau der Organisation zu verabschieden. „Es besteht jetzt ein dringender Bedarf an einem engen Zusammenhalt in unseren Reihen, an absoluter Klarheit in den Positionen und Prinzipien, an einer Vermischung der Aktivitäten der arbeitenden und unterdrückten Massen in allen Bereichen. Diese Prämissen werden es uns erlauben, eine flexible Taktik gegenüber allen Strömungen, die sich am Kommunismus orientieren, und auf der Grundlage fester Prinzipien anzuwenden; ihre Assimilation der fundamentalen Wahrheiten und ihren endgültigen Übergang auf das Feld des kompromisslosen und bedingungslosen Kampfes für den Sturz des Kapitalismus zu erleichtern. Wie kann diese neue Internationale aufgebaut werden? (...) Uns als Embryo einer wahren kommunistischen Partei zu betrachten; in jedem Abschnitt unser Aktionsprogramm aufzustellen (...) Fraktionen in allen Arbeiterorganisationen zu schaffen...“ [13]
 
Dies war die neue Strategie der Opposition, die danach den Namen der Internationalen (bolschewistisch-leninistischen) Kommunistischen Liga (IKL) annehmen sollte. Die Entscheidung, die Vierte Internationale zu gründen, war gefallen, und Trotzki würde in den folgenden Jahren sein ganzes politisches Talent und seine ganze Erfahrung darauf verwenden, die Kräfte zu sammeln und die Kader auszubilden, die sie Wirklichkeit werden lassen würden.
 
Die Volksfront
 
Stalin blieb an der Macht, aber das proletarisch-bonapartistische Regime in der UdSSR war alles andere als stabil. Das war der Grund, aus dem heraus ständige Maßnahmen zur Gewährleistung der „inneren Sicherheit“ und ihrer äußeren Verteidigung nötig waren. Nach dem nationalsozialistischen Triumph von 1933 versuchte Stalin eine Annäherung an Hitlerdeutschland. „Natürlich sind wir weit davon entfernt, uns für das faschistische Regime in Deutschland zu begeistern“, betonte Stalin. „Aber hier geht es nicht um Faschismus, aus dem einfachen Grund, dass beispielsweise der Faschismus in Italien die UdSSR nicht daran gehindert hat, die besten diplomatischen Beziehungen mit diesem Land aufzunehmen“. [14]
 
Doch Hitler lehnte das ab und Stalin suchte Zuflucht in der „internationalen Legitimation“ der anderen imperialistischen Mächte. Die UdSSR trat dem Völkerbund bei, welcher von Lenin als „Diebesküche“ betitelt wurde, und entwirft eine Politik der „kollektiven Sicherheit“ für die Kommunistische Internationale, welche auf einer gemeinsamen Front mit den „demokratischen Mächten“, insbesondere Frankreich, beruhte.
 
Der Siebte Kongress der Kommunistischen Internationale, der vom 25. Juli 1935 an in Moskau tagte, rief die Bündnisse der Kommunistischen Parteien auf, mit der Sozialdemokratie und bürgerlichen Formationen verschiedenster Couleur zusammen zu arbeiten um „die Demokratie zu verteidigen“ und die „faschistische Bedrohung“ abzuwenden. In Wirklichkeit stellte die Wende der Volksfront einen offensichtlichen Rückschritt im Gegensatz zu der Politik der Einheitsfront gegenüber der Zweiten Internationale und dem Menschewismus dar.
 
Vor dem Hintergrund der revolutionären Krise, die Frankreich während des gesamten Jahres 1936 erschütterte und die in Spanien zwischen den Februarwahlen desselben Jahres und dem revolutionären Ausbruch nach dem Militärputsch vom 18. Juli ihren Höhepunkt erreichte, führte die Klassenkollaboration der KPdSU-Führung und folglich auch der Kommunistische Internationale mit der Politik der Volksfront zur Vollendung ihrer politischen Degeneration , welche mit der Theorie des Sozialismus in einem Land begann.
 
Als ein Programm der Klassenunabhängigkeit am dringendsten nötig war, als es am dringendsten war, die Gesellschaft aus dem Griff der Finanz- und Industrieoligarchie und dem toten Gewicht der Landbesitzer zu befreien, beharrten die stalinistischen Führer auf die Verteidigung der „bürgerlichen Demokratie“, schüttelten die gesamte historische Erfahrung des Bolschewismus ab und bereiteten die Niederlage der spanischen und französischen Arbeiter vor. Aber all das, einschließlich ihrer diplomatischen Abkommen mit Frankreich und England und des berüchtigten deutsch-sowjetischen Paktes von 1939, konnte weder den Weltkrieg noch Hitlers Aggression gegenüber der UdSSR verhindern.
 
Lenins Position zur Politik der Volksfront und seine Kritik an reformistischen Staatskonzepten ist weithin bekannt. Auch wenn Lenin der Meinung war, dass eine sozialistische Revolution in Russland vor einer in Westeuropa nicht gelingen könne, lehnte er die Idee eines programmatischen Blocks mit der liberalen Bourgeoisie stets ab.
 
Bekanntlich kam es ihm 1917 nie in den Sinn, der Koalitionsregierung beizutreten oder sie zu unterstützen, so wie es die Menschewiki taten. In „Staat und Revolution“ [15] machte er, wie Trotzki betont, die marxistische Position zu diesem Thema deutlich: „Damals richtete Lenin die ganze Kraft seiner theoretischen Kritik gegen die Theorie der reinen Demokratie. Seine Innovationen waren die eines Restaurators. Er reinigte die Doktrin von Marx und Engels – den Staat als Instrument der Klassenunterdrückung – von all den Vermischungen und Verfälschungen und stellte sie in ihrer kompromisslosen theoretischen Reinheit wieder her. Dem Mythos der reinen Demokratie stellte er die Realität der bürgerlichen Demokratie gegenüber, die auf dem Fundament des Privateigentums aufgebaut und durch die Entwicklung des Prozesses in ein Instrument des Imperialismus verwandelt wurde. Lenin zu Folge schloss die Gesellschaft durch ihre bestimmte Klassenstruktur des Staates die Möglichkeit des Proletariats aus, im Rahmen der Demokratie und mit ihren Methoden die Macht zu ergreifen. Man kann einen bis an die Zähne bewaffneten Gegner nicht mit den vom Gegner selbst auferlegten Methoden besiegen, wenn er darüber hinaus auch noch der oberste Schiedsrichter des Kampfes ist.“
 
In seinen Thesen über die bürgerliche Demokratie und die Diktatur des Proletariats, welche er für den Ersten Kongress der Kommunistischen Internationale verfasste, wog Lenin jedes Wort über die Bildung von Kadern ab und machte eine klare Aussage:
 
„(4) Alle Sozialisten haben bei der Erklärung des Klassencharakters der bürgerlichen Zivilisation, der bürgerlichen Demokratie, des bürgerlichen Parlamentarismus den Gedanken geäußert, den Marx und Engels mit großer wissenschaftlicher Präzision formuliert haben, als sie sagten, dass die bürgerliche Republik, selbst die demokratischste, nichts anderes als eine Maschine zur Unterdrückung der Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie, der Masse der Arbeiter durch eine Handvoll Kapitalisten ist. Es gibt nicht einen einzigen Revolutionär, nicht einen einzigen Marxisten unter denen, die heute gegen die Diktatur und für die Demokratie stehen, der nicht vor den Arbeitern auf alles Menschliche und Göttliche geschworen hat, dass er dieses fundamentale Axiom des Sozialismus anerkennt; aber jetzt, wo das revolutionäre Proletariat am Aufblühen ist und sich vorbereitet, diese Maschine der Unterdrückung zu zerstören und die proletarische Diktatur zu erkämpfen, tuen diese Verräter des Sozialismus so, als ob die Bourgeoisie den Arbeitern eine „reine Demokratie“ geben wird, als ob die Bourgeoisie auf Widerstand verzichten wird und bereit sein wird, sich der Mehrheit der Arbeiter zu unterwerfen, als ob in der demokratischen Republik keine Staatsmaschine zur Unterdrückung der Arbeit durch das Kapital existierte (...).
 
(20) Die Zerstörung der Staatsmacht ist ein Ziel, das sich alle Sozialisten, einschließlich Marx, gesetzt ha-ben. Wenn dieses Ziel nicht erreicht wird, kann wahre Demokratie, d.h. Gleichheit und Freiheit, nicht verwirklicht werden. Nur die sowjetische oder proletarische Demokratie führt in der Praxis zu diesem Ziel, denn indem sie die ständige und unvermeidliche Beteiligung der Massenorganisationen der Arbeiter an der Führung des Staates einleitet, beginnt sie sofort damit, sich auf die vollständige Auslöschung jedes Staates vorzubereiten.“ [16]
 
Diese Thesen wurden in einem für Sowjetrussland kritischen Moment aufgestellt, nämlich als es von 21 imperialistischen Armeen überfallen wurde. Unter diesen extremen Bedingungen gab der bolschewisti-sche Führer die marxistische Methode und das marxistische Programm nie auf. Es ist falsch, wie die Stalinisten damals zu argumentieren das der bevorstehende Weltkrieg und die Bedrohung der UdSSR die Politik der Volksfront und ihre „Vereinbarung“ mit ihr rechtfertige.
 
Lenin, Trotzki und die Bolschewiki haben das Schicksal der russischen Revolution, der UdSSR und natürlich auch der Weltrevolution nie der politischen Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands oder irgendeines anderen Landes überlassen. Es war immer ihre Position die revolutionäre Aktion der russischen Arbeiter und den Arbeitern der übrigen Welt anzuspornen. Das war die beste Garantie für die Verteidigung der Sowjetunion, der größte Beitrag zum Aufbau des Sozialismus in Russland und war der Grund für die Entstehung der Kommunistischen Internationale.
 
In „Die Dritte Internationale und ihr Platz in der Geschichte“ macht Lenin dies deutlich:
 
„Um den Aufbau des Sozialismus fortzusetzen, um ihn zu verwirklichen, bedarf es noch viel, viel mehr. Die Sowjetrepubliken in den am besten ausgebildeten Ländern, in denen das Proletariat das größte Ge-wicht und den größten Einfluss hat, haben alle Chancen, Russland zu überholen, wenn sie den Weg der Diktatur des Proletariats bestreiten. Die Zweite Internationale ist abgebrannt und liegt im Sterben (...) Ihre prominentesten ideologischen Führer, wie beispielsweise Kautsky, singen ein Loblied auf die bürgerliche Demokratie, nennen sie „Demokratie“ im Allgemeinen oder – was noch törichter und krasser ist – „reine Demokratie“. Die bürgerliche Demokratie ist ebenso wie die Zweite Internationale erloschen, obwohl sie historisch notwendige und nützliche Arbeit leistete, als die Arbeit zur Vorbereitung der arbeitenden Massen im Rahmen dieser bürgerlichen Demokratie auf der Tagesordnung stand (...) Die bürgerlich-demokratische Republik versprach der Mehrheit die Macht, verkündete sie, konnte sie aber nie verwirklichen, da es Privateigentum an Land und anderen Produktionsmitteln gab. Die „Freiheit“ in der bürgerlich-demokratischen Republik war in der Tat Freiheit der Reichen. Die Proletarier und werktätigen Bauern könnten und sollten sie ausnutzen, um sich darauf vorzubereiten, das Kapital zu stürzen, die bürgerliche Demokratie zu besiegen; aber in der Tat konnten die werktätigen Massen im Kapitalismus in der Regel keine Demokratie genießen.“
 
Lenin schließt seinen Artikel mit einem Gedanken ab, der keine Rücksicht auf die „volksnahen“ Thesen von Stalin, Dimitrov und Togliatti nimmt:
 
„Wer beim Lesen von Marx nicht begriffen hat, dass in der kapitalistischen Gesellschaft, in jeder ernsten Situation, in jedem wichtigen Klassenkonflikt nur entweder die Diktatur der Bourgeoisie oder die Diktatur des Proletariats möglich ist, hat nichts von Marx' Wirtschaftsdoktrin oder politischer Doktrin verstanden.“ [17]
 
Die Zerstörung der Partei Lenins
 
Das im Jahre 1935 von der Kommunistischen Internationale verabschiedete Programm war eine Rechtfertigung des Menschewismus und stellte die endgültige Abwendung von den Lehren Marx‘, Engels und Lenins dar. [18] Die Folgen dieses Verrats waren desaströs: Stalin bereitete nicht nur die Niederlage des spanischen Proletariats vor und entwaffnete die UdSSR gegenüber Hitler, sondern ließ auch das Blut der alten revolutionären Generation in Strömen fließen.
 
Die Revolution und der spanische Bürgerkrieg waren bis 1938 Stalins Hauptaugenmerk. Die Aussicht, dass die Ereignisse in Spanien übergreifen und seine Strategie der internationalen Bündnisse zunichtemachen könnten, sowie die Befürchtung, dass die Revolution oppositionelle Aktivitäten innerhalb der KPdSU und der Kommunistischen Internationalen wecken könnte, erklären vieles.
 
Obwohl Trotzkis Anhänger aus den Reihen der KPdSU ausgeschlossen worden waren, musste Stalin seine despotische Macht ohne jeden Wettbewerb verstärken. Aber ein solches Streben führte ihn auf den Weg maßloser Gewalt. Er glaubte dies würde alle gesellschaftlichen Kräfte, welche versuchten ihn her-auszufordern unterwerfen. Das Ergebnis davon war eine Politik der Vernichtung, welche kalkuliert und ohne das geringste Zugeständnis gegen all jene angewandt wurde, die zu irgendeinem Zeitpunkt und auf irgendeine Weise sein Regime und den roten Faden des revolutionären Programms in Frage stellen konnten.
 
Die großen stalinistischen Säuberungen begannen 1936, hatten ihren Höhepunkt im folgenden Jahr und dauerten bis Ende der 1940er Jahre. Ihr Vernichtungswerk richtete sich in erster Linie gegen die unumstößlichen Kämpfer der linken Opposition: „Ihre Feinde tauften sie Trotzkisten“, schreibt Pierre Broué, „aber sich selbst nannten sie Bolschewiki-Leninisten, weil sie sich als die Fortsetzer der Bolschewistischen Partei Lenins und Trotzkis begriffen. Sie waren die Oktobergeneration, manchmal zurückgehalten von den alten Leuten einer ausgebluteten, müden, ausgelaugten und oft demoralisierten Partei. Ein junger Korporal, der den Befehl erhalten hatte, Dutzende von Gefangenen zu erschießen, war schockiert, dass sie singend starben, und sagte, sie seien Fanatiker. Ein grober Fehler, aber nützlich für die Chefs der Henker. In Wirklichkeit waren sie überzeugte Kämpfer. Sie hatten eine strenge Moral, die ihnen den Respekt ihrer Genossen auf Golgatha einbrachte. (...)
 
Waren diese etwa zehntausend Gegner, die in den Massengräbern von Vorkuta und Kolyma landeten, der Überrest einer überholten Vergangenheit oder ein Keim der Zukunft? (...) Wir sind der Meinung, dass dieser lebende Rest zu einem unumstößlichen Keim hätte werden können. Um ihre Macht zu sichern und ihre Privilegien zu erweitern, mussten die an Stalin gebundenen Bürokraten diesen Keim ersticken, jeden letzten Mann ausrotten – sie alle töten. Die Frauen und Männer, die an den Hungerstreiks teilnahmen und letztlich dabei starben waren sich dessen bewusst. Sie vertrauten darauf, dass andere später ihre Ideen, ihre Hingabe, ihren Mut, ihre menschlichen Qualitäten, den Wert des von ihnen verteidigten sozialen und politischen Systems ausrufen würden.“ [19]
 
Diese aggressiven Repression gegen Zehntausende kommunistische Mitglieder der russischen Partei wurden in den nationalen Sektionen der Komintern, unter den internationalen Brigaden und sowjetischen Militärberatern der republikanischen Armee, unter den Partisanen und Widerständlern, die gegen Hitler kämpften, brutal erweitert.
 
Dieses Massaker an einer ganzen Generation von Revolutionären markierte einen blutigen Riss zwischen Stalins despotischem Regime und der Arbeiterdemokratie, welche in den ersten Jahren der russischen Revolution unter Lenin erkämpft wurde.
 
„Am 14. August“, schreibt Pierre Broué, „markierte ein veröffentlichtes offizielles Kommuniqué den Beginn der Ära der „Moskauer Prozesse“. Im August 1936, im Januar 1937, im März 1938 spielen sich öffentlich identische Szenen vor dem Militärkollegium des Obersten Gerichtshofs der UdSSR ab. Die Angeklagten waren die Genossen und Kollaborateure Lenins, des Staats- und Parteigründers und weltbekanntem Revolutionsführers, deren bloßer Namen für manche noch immer an das Revolutionsepos von 1917 erinnerte und denen die schlimmsten Verbrechen zur Last gelegt werden. Sie erklären sich selbst zu Mördern, Saboteuren, Verrätern und Spionen, sie alle beteuern ihren Hass auf Trotzki, der nach dem Tod Lenins im offenen Kampf in der Partei besiegt wurde, sie alle singen das Lob des Siegers, Stalin, des „großen Führers“, der „das Land mit fester Hand führt“...“. [20]
 
Das von Stalin verübte Gemetzel erstreckte sich bis in die letzten Winkel der Partei und erreichte viele derer, die ihm in der Vergangenheit treu waren. Auf dem 17. Kongress der KPdSU im Januar und Februar 1934 wurde der Generalsekretär zum Letzen mal herausgefordert. Mehr als zweihundert Delegierte stimmten gegen seine Aufnahme in den Zentralausschuss, während Sergej Kirow, der für die Organisation Leningrads verantwortlich war, die größte Unterstützung erhielt. Dieses Ergebnis wurde dem Kongress offensichtlich verschwiegen, aber es spiegelte die wachsende Unzufriedenheit mit der despotischen Diktatur des Kremlmeisters wider. Kirov wurde im Dezember 1934 auf Befehl Stalins ermordet. Um dieses Verbrechen herum organisierte er eine polizeiliche und gerichtliche Farce, die in einer neuen Welle von Vertreibungen und Verhaftungen von Parteimitgliedern und -führern endete. Victor Serges großer Roman „Der Fall Tulajew“ beschreibt diese Ereignisse und die Atmosphäre des Terrors welche auf allen Ebenen der Partei herrschte.
 
Bis Anfang 1939 waren von den 1.996 Delegierten, die an diesem 17. Kongress – auch Kongress der „Verdammten“ genannt – teilgenommen hatten, 1.108 verhaftet und zwei Drittel von ihnen hingerichtet worden. Von den 139 Mitgliedern des Zentralkomitees, die gewählt wurden, waren 110 verhaftet worden. Bis Ende 1940 hatten nur zwei Mitglieder des Zentralkomitees der bolschewistischen Partei vom Oktober 1917 überlebt: Stalin und Alexandra Kollontai.
 
Roy Medvedev sagt in seinen Dokumenten über die Säuberungen:
 
„Die Zahl der ehemaligen Mitglieder der verschiedenen Gruppen der späten Opposition betrug nicht mehr als etwa zwanzig- oder dreißigtausend Personen, von denen viele Anfang 1937 inhaftiert oder erschossen wurden. Das war ein schmerzlicher Verlust für die Partei; aber sie befand sich noch in einem frühen Stadium. In den Jahren 1937 und 1938 nahm die Welle der Repressionen zu und zog den Kern der Parteiführung in Mitleidenschaft. Dieses unerbittliche und gut geplante Blutvergießen all jener, die seit den Tagen des heimlichen Kampfes und dann durch den Aufstand und den Bürgerkrieg die Hauptarbeit der Revolution geleistet hatten, um die Wiederherstellung der kaputten Wirtschaft und die große Blüte der frühen 1930er Jahre zu erreichen, war der dunkelste Akt und die größte Tragödie dieses Jahrzehnts.“ [21]
 
Auch die Reihen der Roten Armee entgingen diesem Gemetzel nicht. Kurz vor dem Ausbruch des Zwei-ten Weltkriegs wurde der gesamte Generalstab verhaftet, und brillante Militärstrategen wie Tuchatschewski, Iakir und Gamarnik wurden auf Befehl Stalins hingerichtet. Zwischen 1937 und 1938 wurden zwischen 20.000 und 35.000 Offiziere der Roten Armee ermordet. Neunzig Prozent der Generäle und 80 Prozent aller Oberste wurden vom NKWD (später umbenannt in GPU), der gefürchteten Geheimpolizei unter Stalin, getötet. Drei Marschälle, 13 Kommandeure, 57 Korpskommandeure, 111 Divisionskommandeure, 220 Brigadekommandeure und alle Militärbezirkskommandeure wurden erschossen. [22]
 
Mit dem Ausmaß dieses Gemetzels tat man Hitler einen großen Gefallen, der dies offensichtlich voll ausnutzte.
Eine große Zahl sowjetischer Berater und Kommandeure der Internationalen Brigaden und einfache Kämpfer wurde verleumdet, verfolgt, vertrieben und kamen bei den großen Säuberungen ums Leben. Der Historiker Kowalsky weist in diesem Zusammenhang auf Folgendes hin:
 
„Keiner der Berater vor Ort wusste, was in Moskau vor sich ging. Die Schauprozesse, denen viele alte Bolschewisten und hochrangige Offiziere der Roten Armee unterzogen wurden, fanden ein breites Medienecho, und den sowjetischen Beratern standen in Spanien alle möglichen Zeitungen zur Verfügung. Die Zeitung „Mundo Obrero“, das weit verbreitete Organ der Kommunistischen Partei Spaniens, hatte eine eigene Korrespondentin in Moskau, Irene Falcón, die für die Berichterstattung über die Prozesse zuständig war. Darüber hinaus wandte das Kriegskommissariat eine andere Methode der Einschüchterung an und machte sich die Mühe, die nach Spanien entsandten Berater direkt über die in Moskau abgehaltenen Prozesse zu informieren (...) Das sowjetische Kontingent, das im Bürgerkrieg diente, erlitt in den Händen von Stalins Henkern in Moskau enorme Verluste, oft unmittelbar nach der Rückkehr aus Spanien.“ [23]
 
Nachdem sie im spanischen Bürgerkrieg heldenhaft gekämpft und eine führende Rolle im Partisanenwiderstand in Frankreich, Italien, Jugoslawien, Ungarn und sogar in den Reihen der Roten Armee übernommen hatten, erhielten tausende von Kämpfer eine unerwartete Belohnung: Gefängnis, oder sogar Erhängungen und Exekutionskommandos. Rémi Skoutelsky schreibt:
 
„Nach der Befreiung [Europas] kehrten viele bewährte Kader des Immigranten-Widerstandes in Frankreich in ihre jeweiligen Länder zurück, insbesondere dort, wo die Kommunisten an die Macht gekommen waren, um wichtige Aufgaben zu übernehmen. So ging Ljubomir Illitch, der 1944 von Tito als sein Vertreter vor Eisenhower ernannt worden war, nach Jugoslawien, Artur London in die Tschechoslowakei und Marino Mazzeti nach Italien. 1948 brach Tito mit der UdSSR (...) Ab 1949 wurde in allen östlichen Ländern, mit Ausnahme von Polen, eine Hexenjagd ähnlich der, die 1936 in Moskau stattgefunden hatte, mit erzwungenen Geständnissen und summarischen Hinrichtungen begonnen. So gestand Laszlo Rajk, ungarischer Außenminister und stellvertretender Sekretär der Kommunistischen Partei, der Kommissar im Rakosi-Bataillon gewesen war und in Spanien dreimal verwundet und später in Gurs inhaftiert worden war, dass er von der Geheimpolizei von Admiral Horti, Hitlers diktatorischem Verbündeten, geschickt worden war, mit den Absichten, die Namen des Rakosi-Bataillons aufzudecken und zu versuchen, den Erfolg des Bataillons auf militärischer Ebene zu torpedieren. Auch sagte er: „Ich muss hinzufügen, dass ich trotzkistische Propaganda betrieben habe“. Otto Katz, Willy Münzenbergs rechte Hand im Kampf für das republi-kanische Spanien, wurde mit ihm gehängt. Ziel dieser Prozesse, die außerdem eindeutig antisemitisch waren, war es, die Vormachtstellung der UdSSR durch die Beseitigung jeglicher potenziellen Unbeständigkeit durch Unabhängigkeit anderer Länder sicher zu stellen. Deshalb richteten sie sich vor allem gegen diejenigen, die internationalistisch kämpften, nämlich die ehemaligen Brigadisten.“ [24]
 
Doch gerade in der UdSSR erreichte der stalinistische Terror seine grausamsten Ausmaße und stürzte die Gesellschaft in Paranoia. Karl Schlögel beschreibt in seinem Werk „Terror und Traum“ wie 1937 fast zwei Millionen Menschen verhaftet, etwa siebenhunderttausend von ihnen getötet und fast 1,3 Millionen in Konzentrationslager und Zwangsarbeitskolonien geschickt wurden. [25]
 
All die Vertreibungen, die Säuberungen, die Prozesse, die summarischen Hinrichtungen, die Verurteilungen zur Haft in die sibirischen Lager waren mit dem Vorwurf des Trotzkismus verbunden. Ein Begriff, der im Munde des stalinistischen Apparates gleichbedeutend mit dem größten aller möglichen Verbrechen war. Aber warum diese beispiellose Feindseligkeit gegenüber Trotzki und dem Trotzkismus? Warum diese Verfolgung bis zu dem Punkt, an dem der gesamte sowjetische Staatsapparat beteiligt war?
 
Trotzki, Lenins engster Mitarbeiter bei den großen Ereignissen im Oktober 1917, Gründer der Roten Armee und Kommissar seiner Truppen während der schwierigen Jahre der imperialistischen Intervention und des Bürgerkriegs, hatte mutig die opportunistische Politik der neuen Bürokratie, ihre autoritäre Wende und ihren Verrat am proletarischen Internationalismus angeprangert. Seine Anhänger wurden in der UdSSR brutal verfolgt, in Vorkutá, Kolimá und anderswo inhaftiert und interniert und zu Tausenden hingerichtet.
 
Aber Trotzki hat nie kapituliert, obwohl er brutale Verleumdungen und Verfolgungen, seine Vertreibung aus der UdSSR, den Tod und die Ermordung all seiner Söhne und Töchter – einschließlich Leo Sedows, seinem engsten politischen Mitarbeiter – und die Hinrichtung seiner Genossen erlebte. Bis zu seinem letzten Atemzug widmete er seine ganze Energie dem Aufbau der Weltpartei der sozialistischen Revolu-tion, der Vierten Internationale, deren Gründungskonferenz Anfang September 1938 am Rande von Paris tagte.
 
Nachdem er Tausende von Kilometern von der Türkei aus durch Frankreich und Norwegen gereist war, kam er, dank der Bemühungen seiner Freunde und Genossen, darunter auch dem brillanten Wandmaler Diego Rivera, unter dem Regime von Lazaro Cardenas nach Mexiko. Es ist unmöglich zusammen zu fassen, was diese Jahre des Exils bedeuteten, welche von seinen wichtigsten Biographen mit Kraft und Tiefe wiedergegeben werden.
 
Obwohl Trotzki sich wie verurteilt fühlte, weil er sich sehr wohl bewusst war, dass die Flucht aus der mörderischen Maschinerie des stalinistischen Regimes unmöglich geworden war, wusste er, dass es unerlässlich war, künftigen Generationen von Revolutionären ein unbeschmutztes Erbe zu hinterlassen, eins, welches nicht durch die Verbrechen einer degenerierten Bürokratie verunreinigt wurde. In seinen verzweifelten Momenten, in denen seine Moral unter den Widrigkeiten, welche er erlebte, sank, hörte er nie auf, daran zu denken. In seinem Tagebuch, welches er 1935 während seines Exils schrieb, berichtete er das:
 
„Als Sinowjew und Kamenjew 1926, nach mehr als drei Jahren der Verschwörung mit Stalin gegen mich, in die Opposition eintraten, gaben sie mir eine Reihe an berechtigten Warnungen: „Glauben Sie, dass Stalin über die Argumente, welche ihm entgegengebracht werden, wirklich nachdenkt?“ Zum Beispiel erzählte mir Kamenev von meiner Kritik an der Politik von Stalin, Bucharin und Molotow in China, England und anderswo. „Sie liegen falsch. Denken Sie darüber nach, ihn moralisch oder sogar möglicherweise physisch zugrunde zu richten? Verleumdung, Anstiftung einer militärischen Verschwörung und dann, wenn der Boden bereitet ist, die Durchführung eines terroristischen Akts. Stalin führt Krieg auf ganz anderen Ebenen als Sie.“ (...) Der Kampf, den Stalin führte war der für die Machtkonzentration in den Händen der Bürokratie und für die Ausschaltung der Opposition, während wir den Kampf für die Interessen der internationalen Revolution führten. So stellten wir uns gegen den Konservatismus der Bürokratie, gegen ihr Streben nach Ruhe, Zufriedenheit und Bequemlichkeit. Angesichts des anhaltenden Niedergangs der Weltrevolution war der Sieg der Bürokratie und damit Stalins schon gesichert. Dieses Ergebnis, dass die Törichten Stalins persönlicher Stärke oder seiner außerordentlichen Fähigkeit zuschrieben, war in Wirklichkeit tief in der Dynamik der historischen Kräfte verwurzelt. (...)
 
Damit es klar ist, möchte ich folgendes sagen. Wäre ich 1917 nicht in Petersburg gewesen, hätte die Oktoberrevolution – bedingt durch die Anwesenheit und Führung Lenins – stattgefunden. Wenn weder Lenin noch ich in Petersburg gewesen wären, hätte es auch keine Oktoberrevolution gegeben. (...) Daher kann ich nicht behaupten, dass meine Arbeit im Zeitraum 1917-1921 „unersetzlich“ war. Im Gegensatz ist das, was ich jetzt tue, unersetzlich, im vollen Sinne des Wortes. In dieser Erklärung steckt nicht die geringste Eitelkeit. Der Zusammenbruch der beiden Internationalen hat ein Problem aufgeworfen, mit dem keiner der beiden Leiter dieser Internationalen in irgendeiner Weise umgehen könnten. Die Umstände meines persönlichen Schicksals haben mich vor dieses Problem gestellt und mich mit einer ernsten Erfahrung beschert…“ [26]
 
Als er in seinem mexikanischen Wohnsitz in Coyoacán von Ramon Mercader, einem von der GPU ausgebildeten Killer, feige ermordet wurde, konnte dieses Erbe weitergetragen werden, und heute wird die Fahne dieses Erbes von Tausenden Revolutionären in aller Welt mit aller Kraft gehisst. Er schrieb: „Die Gesetze der Geschichte sind stärker als der bürokratische Apparat.“ 
 
Zu viele glaubten die Lügen und Verleumdungen des Stalinismus, rechtfertigten seine Verbrechen oder schauten weg. Viele erkannten jedoch die Täuschungen, obwohl sie mit den Repressionen leben mussten.
Die Zeugenaussagen dieser Kämpfer, die sich trotz allem nicht vom Sozialismus losgesagt haben, werden dieser Generation vernichteter und verleumdeter Kommunisten gerecht. Artur London, ein Brigadist, der in den spanischen Schützengräben kämpfte, Mitglied der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei und Genosse von Lise London, schrieb eine Bilanz, die es verdient, erinnert zu werden:
 
„Es ist nicht überraschend, dass wir 1934 die Behauptungen Stalins glaubten, dass Kirovs Ermordung ein Resultat der Aggression Hitlers war, ein antisowjetischer Komplott, der eine umgehende Reaktion erfor-derte. Wir glaubten auch die Anschuldigungen, die Stalin und die Führung der Bolschewistischen Partei gegen Trotzki und später gegen die anderen Genossen Lenins erhoben. Unser Glaube an Stalin machte uns blind, wir verstanden nicht, dass seine Meinungsverschiedenheiten mit anderen Parteiführern in eine einfache Abrechnung ausgeartet waren, dass an die Stelle von Diskussionen repressive Maßnahmen getreten waren und dass Verleumdungen und Lügen angewandt wurden, um echte Revolutionäre zu diskreditieren. Alles, was wie ein Angriff auf die UdSSR erschien, wurde als „objektive“ Hilfe für unsere Gegner angesehen. Deswegen war die Erzählung eines Trotzkis, der sich in einen Agenten des Nationalsozialismus verwandelte, für uns möglich. Dies ist eine dunkle Seite der internationalen kommunistischen Bewegung, die Stalin zur Hilfe kam.“ [27]
 
Artur London war nicht der Einzige, der diese Verbrechen, welche mit der Sache der Arbeiter unvereinbar waren, akzeptiert hat. Unter den zahllosen Zeugenaussagen von Kommunisten, die mit Stalin brachen, sei abschließend Ignacio Reiss erwähnt, ein Veteran des Informationsdienstes der Kommunistischen Internationale und Leiter der NKWD-Operationen in Frankreich, der im September 1937 von seinen ehemaligen Kameraden ermordet wurde.
 
Reiss, bekannt als Ludwig, schrieb am 17. Juli 1937 diesen Brief an das Zentralkomitee der KPdSU, in dem er nicht nur den Opfern der stalinistischen Verbrechermaschinerie, sondern auch demjenigen, der sich ihr am hartnäckigsten widersetzte, indem er den Sozialismus verteidigte, Leo Trotzki, großen Tribut zollte:
 
„Der Brief, den ich Ihnen heute schreibe, war schon längst fällig; er war fällig an dem Tag, an dem „der Vater der Völker“ die „Sechzehn“ in den Kellern der Ljubjanka ermorden ließ. Damals habe ich geschwiegen, auch bei den folgenden Morden habe ich meine Stimme nicht erhoben, ich habe damit eine große Schuld auf mich geladen. Groß ist die Schuld, ich werde sie aber gutmachen, schnell gutmachen und mein Gewissen erleichtern. Bis hierher und nicht weiter. Hier gehen unsere Wege auseinander! Wer jetzt noch schweigt, macht sich mitschuldig, wird zum Komplizen Stalins, zum Verräter an der Sache der Arbeiterklasse und des Sozialismus. Ich bin mit 20 Jahren ausgezogen, um für den Sozialismus zu kämpfen. Und ich will nicht an der Schwelle des 40-jährigen Jeschows Gnadenbrot essen. Ich habe 16 Jahre illegaler Arbeit hinter mir, das ist nicht wenig, ich habe aber noch Kraft genug, um nochmals von neuem zu beginnen. Denn um ein „von neuem beginnen“ handelt es sich; es geht um die Rettung des Sozialismus! Der Kampf hat längst begonnen und ich will dabei sein. 
Der Lärm um die Nordpolflieger soll die Schreie der Gemarterten in den Kellern von Swobodnaja, Minsk, Kiew, Leningrad und Tiflis übertönen. Das wird nicht gelingen! Das Wort, das wahre Wort ist noch immer stärker als der stärkste Motor mit noch so viel PS. Es ist wahr, die Rekordflieger können leichter die Gunst der amerikanischen Ladies und der sportverblödeten Jugend beider Kontinente erobern, als wir die Weltöffentlichkeit gewinnen und das Weltgewissen aufrütteln! Man täusche sich nicht, die Wahrheit wird das Rennen gewinnen, der Tag des Gerichts ist näher, viel näher als die Herren im Kreml es glauben. Der internationale Sozialismus wird dann Gericht halten über all die Verbrechen der letzten 10 Jahre. Nichts wird vergessen und nichts wird geschenkt. Geschichte ist eine strenge Dame und der „geniale Führer, Vater der Völker, die Sonne des Sozialismus“ wird Rede und Antwort stehen müssen für alle seine Taten. Die verlorene chinesische Revolution, den roten Volksentscheid und die Niederlage des deutschen Prole-tariats, den Sozialfaschismus und die Volksfront, die Bekenntnisse an Howard und das Liebesgurren um Laval; eine Tat genialer als die andere!
Dieser Prozess wird öffentlich geführt werden mit Zeugen, vielen Zeugen, toten und lebenden, und sie werden alle sprechen, noch einmal sprechen, aber dann die Wahrheit, die einzige Wahrheit. Sie werden alle erscheinen, die unschuldig Gemordeten und Verleumdeten und die internationale Arbeiterbewegung wird sie rehabilitieren, alle die Kamenjews und Mratschkowskis, Smirnows und Muralows, die Drobnis und Serebrjakows, Mdiwanis und Okudschawas, Rakowskis und Nins. All die „Spione und Deserteure, Gestapoagenten und Saboteure“.
Soll die Sowjetunion und mit ihr die internationale Arbeiterbewegung nicht endgültig ein Opfer der offenen Konterrevolution und des Faschismus werden, so muss die Arbeiterbewegung ihre Stalins und den Stalinismus überwinden. Dieser Mischmasch, aus schlimmstem, weil prinzipienlosem Opportunismus, mit Blut und Lügen droht die Welt zu verpesten und die Reste der Arbeiterbewegung zu vernichten. Dem Stalinismus gilt der schärfste Kampf. Nicht Volksfront, sondern Klassenkampf; keine Diplomatenränke, sondern Intervention der Arbeiterschaft zur Rettung der spanischen Revolution, das ist das Gebot der Stunde!
Weg mit der Lüge des Sozialismus in einem Lande und zurück zum Internationalismus Lenins!
Aber für diese historische Aufgabe ist weder die 2. noch die 3. Internationale fähig; zersetzt und korrumpiert, können sie nur die Arbeiterschaft vom Kampfe abhalten; sie sind nur noch gut genug, um den Hilfspolizisten für die Bourgeoisie zu spielen. Welche Tragik der Entwicklung; früher stellte die Bourgeoisie die Cavaignacs und Gallifetts, Trepows und Wrangels aus eigenen Reihen und jetzt, unter glorreicher Führung beider Internationalen, besorgen Proletarier die Henkerarbeit an ihren Kameraden. Die Bourgeoisie kann ruhig ihren Geschäften nachgehen; es herrscht wieder „Ruhe und Ordnung“; es gibt noch Noskes und Jeschows, Negrins und Diaz’. Stalin ist ihr Führer und Feuchtwanger sein Homer.
Nein, ich mache nicht mehr mit. Ich nehme mir meine Freiheit wieder. Ich will zurück zu Lenin, zu seiner Lehre und Tat. Ich will meine bescheidene Kraft in den Dienst seiner Lehre stellen; ich will kämpfen und nur unser Sieg – die proletarische Revolution – wird die Menschheit vom Kapitalismus und die Sowjetunion vom Stalinismus befreien.
 
Vorwärts zu neuen Kämpfen für den Sozialismus und die proletarische Revolution! Auf zur Gründung der 4. Internationale.
 
Ludwig
 
P. S.: Im Jahre 1928 wurde mir für die Verdienste um die proletarische Revolution der Orden der „Roten Fahne“ verliehen. Hiermit stelle ich Ihnen den Orden zur Verfügung. Es ist unter meiner Würde, ihn gleichzeitig mit Henkern der Besten der russischen Arbeiterklasse zu tragen. (In der „Iswestija“ der letzten 14 Tage wurden Dekorierte namentlich angeführt, unter schamhaftem Verschweigen ihrer Funktion, die nichts anderes tun, als Urteile vollstrecken.)“
 
 
Leo Trotzki
Politische Chronologie
 
1879
Lev Dawidowitsch Bronstein, besser bekannt als Leo Trotzki, wurde am 26. Oktober in der Stadt Jánowka (heute Bereslawka, Oblast Kirowograd) in der Ukraine geboren (nach dem neuen Kalender am 7. November).
 
1897-1899
Er beginnt den Kampf gegen den Zarismus im Untergrund und beteiligt sich an der Gründung der Südrussischen Arbeitergewerkschaft. Ein Jahr später wird er zum ersten Mal wegen seiner revolutionären Tätigkeit verhaftet. Im Jahr 1899 verurteilten ihn die zaristischen Gerichte zu seiner ersten Verbannung nach Sibirien.
 
1902
Dank der Hilfe seiner Genossen und mit einem falschen Pass gelingt es ihm, aus seiner Gefangenschaft zu entkommen, um sich voll und ganz der Organisation der russischen sozialdemokratischen Bewegung zu widmen. Zu dieser Zeit nimmt er das Pseudonym Leo Trotzki an. Er geht nach London, wo er Lenin trifft. Sofort beginnt er, mit der Redaktion von Iskra zusammenzuarbeiten. Lenin gibt ihm den Spitznamen „Feder“ wegen seines offensichtlichen Talents als revolutionärer Schriftsteller.
 
1903
Er nimmt als Delegierter am zweiten Kongress der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands teil, der die historische Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki herbeiführt. Während dieser Zeit hat er organisatorische Differenzen mit Lenin und arbeitet mit der menschewistischen Führungsgruppe zusammen. Ein Jahr später bricht er politisch mit den Menschewiki und wendet sich entschieden gegen das politische Bündnis mit den von ihnen vertretenen Liberalen.
 
1905
Er spielt eine führende Rolle in der ersten russischen Revolution; er treibt den Petrograder Sowjet an und wird sein Präsident. Nach der Niederlage der Revolution wird er verhaftet und in der Peter-und-Paul-Festung eingesperrt. Ein Jahr später wird er von den zaristischen Gerichten zu lebenslanger Verbannung verurteilt. Im Jahr 1906 schreibt er das grundlegende Werk dieser Revolution „Ergebnisse und Perspektiven“ in dem er die Theorie der permanenten Revolution aufstellt.
 
1907
Nach einigen Monaten der Verbannung in Sibirien entkommt er erneut. Nach der Durchreise durch Finnland, London und Berlin ließ er sich in Wien nieder, wo er bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 blei-ben sollte.
 
1912
Nachdem die Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki endgültig war, versuchte er erfolglos, alle sozialdemokratischen Tendenzen in eine Konferenz (dem so genannten Augustblock) zusammenzufüh-ren. Lenin kritisiert ihn für seine versöhnliche Haltung heftig, ein Fehler, den er in seinen späteren Schriften voll und ganz anerkennt.
 
1914
Trotzki beschließt, in die Schweiz zu flüchten, wo er „Der Krieg und die Internationale“ schreibt. Im November zieht er nach Frankreich, wo er eine intensive internationalistische Agitation gegen den imperialistischen Krieg vorantreibt. Ein Jahr später beginnt er seine Mitarbeit in der Tageszeitung „Nashe Slovo“, auf die er dann einen großen Einfluss haben wird. Er bricht endgültig mit den versöhnlichen Positionen vom Augustblock 1912. Im September 1915 ist er einer der Agitatoren der Internationalen Zimmerwalder Konferenz in der Schweiz.
 
1917
Die kapitalistische Regierung Frankreichs, ein Verbündeter Russlands im 1. Weltkrieg, billigt seine Vertreibung aus dem Land aufgrund seiner revolutionären Aktivitäten. Nach dem Ausbruch der Februarrevolution in Petrograd erhält er von der provisorischen Regierung die Erlaubnis, nach Russland einzureisen. Auf dem Weg zurück nach Europa wird er von den britischen Behörden in Halifax, Kanada, verhaftet und in einem deutschen Kriegsgefangenenlager interniert. Er wird am 29. April freigelassen und kommt am 17. Mai in Russland an.
 
Nach seiner Rückkehr nach Petrograd wird er auf Vorschlag der Bolschewiki in das Exekutivkomitee des Petrograder Sowjets aufgenommen. Er leitet eine Organisation revolutionärer internationalistischer Veteranen, die als Mezhraiontsy (Interdistrikt) bekannt ist. Auf taktischem und strategischem Terrain vertritt er im Bezug auf die russische Revolution die gleichen Positionen wie Lenin. Er wird zusammen mit Hunderten anderen militanten Bolschewiki in einer Welle von Repression nach den Julitagen verhaftet. Im Gefängnis tritt er zusammen mit seinen Genossen der Interdistriktgruppe formell in die bolschewistische Partei ein und wird zum Mitglied des bolschewistischen Zentralkomitees gewählt.
 
Im September wird Trotzki auf Vorschlag der Bolschewistischen Partei, die bereits eine Mehrheit im Petrograder Sowjet gewonnen hat, zum Präsidenten gewählt. Lenins rechte Hand übernimmt sofort die Führung des Militärischen Revolutionskomitees und wird von der bolschewistischen Partei ernannt, um die Vorbereitung des Oktoberaufstands anzuführen. Nach dem Sieg wird er in der ersten Revolutionsregierung zum Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten gewählt. Er führt die sowjetische Delegation zu den Brest-Litowsker Verhandlungen mit den deutschen Imperialisten.
 
1918
Auf Lenins Vorschlag hin wird er zum Volkskommissar für Krieg ernannt und widmete sich der Aufgabe, die Rote Armee aufzubauen. Als militärischer Führer der Roten Armee befehligte er erfolgreich die revolutionären Truppen der Arbeiter und Bauern gegen die Weißgardisten und die imperialistischen Invasoren. Sein Beitrag zur revolutionären Militärstrategie ist in den fünf Bänden seiner vom sowjetischen Staat herausgegebenen Militärischen Schriften festgehalten. Während seiner Fahrten im Panzerzug, mit dem er die gesamte Kriegsfront durchquert, schreibt er eine meisterhafte Antwort auf Kautskys revisionistische Positionen und seine Anschuldigungen gegen die Bolschewiki: Terrorismus und Kommunismus.
 
1919-1922
Während des Gründungskongresses der Kommunistischen Internationale (KI) im März entwirft Trotzki das endgültige Manifest. Ein Jahr später, auf dem Zweiten Kongress der KI, schreibt er die Thesen zur globalen Lage. Er übernimmt die Führung der Mobilisierung der Roten Armee in der entscheidenden Schlacht gegen Wrangels Flotte, deren Niederlage das Ende des Bürgerkriegs markiert. Im Jahr 1921 nimmt er am Dritten Kongress der Kommunistischen Internationale teil und übernimmt erneut die Aufgabe, die Thesen zur globalen Lage zu verfassen. Gemeinsam mit Lenin verteidigte er die Taktik der Ein-heitsfront gegen die in der KI entstehenden ultralinken Positionen.
 
1923
Der Kampf gegen die bürokratische Geißel in den Reihen der Partei und des Sowjetstaates beginnt. Trotzki schreibt eine Reihe von Artikeln, die in „Der neue Kurs“ gesammelt wurden. Er übt scharfe Kritik an der Haltung der Kommunistischen Partei Deutschlands und der Internationale wegen der in der revo-lutionären Krise verlorenen Chance. Die Linken Opposition, die einen grundlegenden Teil der leninistischen Kader und Militanten zusammenbringt, die sich der Macht der Bürokratie und den Angriffen auf die Arbeiterdemokratie widersetzen, wird initiiert.
 
1924
Im Januar stirbt Lenin nach zwei Jahren krankheitsbedingter Beschwerden. Der bürokratische Apparat hat alarmierende Ausmaße angenommen; um seine Meinungen festzuhalten, veröffentlicht Trotzki „Die Lektionen des Oktobers“. Trotzkis Positionen konzentrieren das gesamte Feuer auf die Stalin-Sinowjew-Kamenjew-Troika, was die Auseinandersetzungen auf dem V. Kongress der Kommunistischen Internationale im Juni und Juli verstärkt. Stalin formuliert zum ersten Mal seine Theorie des „Sozialismus in einem Land“, die einen entscheidenden Bruch mit dem leninistischen Programm darstellt.
 
1925
Trotzki wird im Januar von der neuen bürokratischen Führung von seinen Pflichten als Volkskommissar für Krieg und als Präsident des Hohen Kriegsrats entlassen.
 
1926
Es wird eine Gemeinsame Opposition gebildet, die die Anhänger der Linken Opposition und die Anhänger von Sinowjew und Kamenjew, die bereits den stalinistischen Apparat konfrontierten, vereint.
 
1927
Trotzki entwickelte während der zweiten chinesischen Revolution (1925-1927) eine scharfe Kritik an der opportunistischen Linie der Kommunistischen Internationale, die den chinesischen Kommunisten die Unterordnung unter die bürgerliche Kuomintang-Partei aufzwingt. Das Massaker an Kommunisten in Kan-ton und Schanghai durch die Truppen von Chiang Kai-shek bestätigt die schlimmsten Befürchtungen Trotzkis und der Opposition. Im September dieses Jahres wird er aus dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale ausgeschlossen. Im November wird er aus dem Zentralkomitee der Kommunis-tischen Partei der UdSSR ausgeschlossen. Am 14. November wird er zusammen mit Sinowjew aus der Partei ausgeschlossen.
 
1928
Nach dem Überlaufen Sinowjews und seiner Anhänger führt Trotzki weiterhin die Linke Opposition und ihren kompromisslosen Kampf gegen die bürokratische Degeneration an. Mit verbrecherischen Methoden entscheidet Stalin die Verbannung Trotzkis nach Alma-Ata, dem Verwaltungszentrum Kasachstans. In dieser Stadt schreibt Trotzki die Kritik des Programmentwurfs für den Sechsten Kongress der Kommunistischen Internationale, der in zahlreichen Ausgaben unter dem Namen „Die Dritte Internationale nach Lenin“ veröffentlicht wird. Er beginnt auch mit dem Manuskript seines Werkes „Die permanente Revolution“, welches im folgenden Jahr vollendet wird.
 
1929-1932
Stalin lässt Trotzki aus der Sowjetunion vertreiben und auf die Insel Prinkipo in der Türkei deportieren. Im Juli veröffentlicht dieser die erste Ausgabe des Oppositionsbulletins, das in der UdSSR heimlich verteilt wird. 1930 schreibt er eine Reihe von Artikeln über revolutionäre Ereignisse in Spanien und Deutschland. 1931 gibt er den ersten Band der „Geschichte der Russischen Revolution“ heraus.
 
1933
Die Deportationen und Verhaftungen von Angehörigen der linken Opposition in der UdSSR durch die Poli-zei Stalins sind in vollem Gange. Seine Tochter Zina begeht Selbstmord, was ihn zutiefst erschüttert. Die Katastrophe, die Hitlers Triumph in Deutschland für die internationale Arbeiterbewegung darstellte, und die falsche Politik der stalinistischen Internationale, die nicht in der Lage war, den Vormarsch des Fa-schismus aufzuhalten, überzeugten Trotzki, dass es notwendig war neue kommunistische Parteien und eine neue Internationale aufzubauen. Im Oktober erklärt er, dass nur eine politische Revolution und der Sturz der Bürokratie die proletarische Demokratie in der UdSSR wiederherstellen können. Im Juli dieses Jahres lässt er sich zusammen mit seiner unermüdlichen Genossin Natalia in Frankreich nieder. Im Herbst 1934 beginnt er mit dem Schreiben von „Wohin geht Frankreich?“.
 
1935-1936
Unter dem Druck Stalins und der Führung der Kommunistischen Partei Frankreichs wird Trotzki erneut aus Frankreich ausgewiesen und lässt sich in Norwegen nieder. Er beginnt mit dem Schreiben seines großen Werks über die stalinistische Degeneration, „Die verratene Revolution“, welches die proletarische Welt-bewegung theoretisch bewaffnen wird. Alle kapitalistischen Regierungen der Welt verweigern Trotzki Asyl, bis die Bemühungen seiner Genossen endlich Früchte tragen und er 1936 in Mexiko von General Lázaro Cárdenas aufgenommen wird. In Moskau beginnen die Prozesse, welche sich wie eine Farce abspielen und in der Erschießung der alten bolschewistischen Garde und der Internierung von Zehntausenden von bolschewistischen Leninisten in Konzentrationslagern enden. Im Laufe von fünf Jahren zerschla-gen die von Stalin und seinem Apparat organisierten großen Säuberungen die bolschewistische Partei. Er schreibt aufschlussreiche Artikel über die spanische Revolution und den Bürgerkrieg.
 
1937-1938
Sein Sohn Sergei wird in der UdSSR verhaftet und stirbt in einem Konzentrationslager. Im Februar 1938 wird sein Sohn Leo Sedow, ein enger politischer Mitarbeiter Trotzkis, von stalinistischen Agenten in Paris ermordet.
 
Trotzki schreibt „Ihre Moral und Unsere“ und bereitet im selben Jahr die Dokumente für die Gründungs-konferenz der Vierten Internationale vor, die im September in Paris stattfindet. Er bereitet das program-matische Dokument der neuen internationalen Organisation, „Das Übergangsprogramm“, vor.
 
1940
Im Mai versuchen stalinistische Agenten Trotzki in seinem Haus in Coyoacán zu ermorden, schaffen es aber nicht. Schließlich wird Trotzki in einem zweiten Versuch am 20. August vom spanischen GPU-Agenten Ramon Mercader zu Tode geprügelt. Er hatte sein biographisches Werk über Stalin fast abge-schlossen.
 
 
 
Anmerkungen:
 
[1] frei übersetzt nach: Pierre Broue, Le Parti bolchevique.
[2] frei übersetzt nacht: „Trotsky, Revolucionario Sin Fronteras“, Fondo de Cultura económica, México 204, p. 291.
[3] frei übersetzt nach: Isaac Deutscher, „The prophet unarmed“. 
[4] frei übersetzt nach: Giuliano Procacci, „Die umstrittenen Positionen“, in Die Große Debatte. II. Der Sozialismus in einem Lande (Texte von Stalin und Sinowjew).
[5] Leo Trotzki, Brief vom 8. Oktober 1923 an das ZK.
[6] frei übersetzt nach: „Revolucionario Sin Fronteras“.
[7] Kuomintang (KMT): Eine 1911 von Sun Yat-sen gegründete bürgerlich-nationalistische Partei, die seit 1926 von Chiang Kai-shek geführt wurde. Sie führte die Mobilisierungen an, die die Kaiserdynastie stürzten. Trotz ihres Charakters schlossen sich ihr 1923 die chinesischen Kommunisten unter der Führung der KP an. 1927 ernannten die Stalinisten Chiang zum Ehrenmitglied des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale. Einige Monate später organisierte die KMT das Massaker von Shanghai, bei dem Zehntausende Kommunisten und Arbeiter getötet und die Kommunistische Partei Chinas, ihr ehemaliger Verbündeter, zerschlagen wurden. Chiang Kai-shek errichtete eine bürgerliche bonapartistische Diktatur, bis er 1949 von Maos Roter Armee gestürzt wurde.
[8] In seinem gut dokumentierten Buch über die Kommunistische Internationale weist Fernando Claudín darauf hin: „In seiner These [des Fünften Kongresses] heißt es: 'Je mehr sich die bürgerliche Gesellschaft zersetzt, desto mehr nehmen alle bürgerlichen Parteien, insbesondere die sozialdemokratischen, einen mehr oder weniger faschistischen Charakter an. Faschismus und Sozialdemokratie sind zwei Seiten ein und desselben Instruments der Diktatur des Großkapitalismus. Deshalb kann die Sozialdemokratie niemals ein sicherer Verbündeter des Proletariats in seinem Kampf gegen den Faschismus sein. Die Faschisten‘, so Sinowjew, ‚sind die rechte Hand der Bourgeoisie und die Sozialdemokraten die linke Hand“ (...) Kurz nach dem Fünften Kongress vertieft Stalin Sinowjews Formulierungen zur Sozialdemokratie und zum Faschismus: ‚Der Faschismus ist eine Stoßrichtung der Bourgeoisie, die die aktive Unterstützung der Sozialdemokratie hat. Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus (...) diese Organisationen schließen einander nicht aus, sondern ergänzen einander. Sie sind keine Gegensätze, sondern Zwillinge. Der Faschismus ist der politisch-taktische Block dieser beiden grundlegenden Organisationen, die in der vom Imperialismus in der Nachkriegszeit geschaffenen Situation entstanden sind, um gegen die proletarische Revolution zu kämpfen...“ (frei übersetzt nach: Fernando Claudín, La crisis del movimiento comunista, Ibérica de Ediciones y Publicaciones, Barcelona 1978, S. 118-119).
[9] ebd. (S. 118-119). „Die taktische Politik dieser beiden Hauptorganisationen, die in der vom Imperialismus in der Nachkriegszeit geschaffenen Situation entstanden ist, um die proletarische Revolution zu bekämpfen…“
[10] Die drei Werke sind von der „Fundacion Frederico Engels“ veröffentlicht worden.
[11] Trotzki, „Was nun?“, In: Der Kampf gegen den Faschismus, S. 131.
[12] Fernando Claudín, „La crisis del movimento comunista“.
[13] Leo Trotzki, Für neue kommunistische Parteien und eine neue Internationale, 27. Juli 1933.
[14] Stalins Bericht an den XVII. Kongress der KPdSU vom 26. Januar 1934 (zitiert nach Claudin, S. 139).
[15] Siehe W. I. Lenin, „Staat und Revolution“, Werke Band 25.
[16] W. I. Lenin, „Thesen zur bürgerlichen Demokratie und zur Diktatur des Proletariats“, Werke Band 30.
[17] W. I. Lenin, „Die Dritte Internationale und ihr Platz in der Geschichte“, Werke Band 29, S. 294-302.
[18] „Sicherlich keiner der Delegierten des Siebten Kongresses“, schrieb Trotzki, „lehnte weder die proletarische Revolution noch die Diktatur des Proletariats noch irgendeines dieser schrecklichen Dinge direkt ab. Im Gegenteil, die offiziellen Redner schworen, dass sich tief in ihren Herzen nichts geändert habe und dass Änderungen in der Taktik nur für eine bestimmte historische Phase gelten, in der sie, so-wohl die Sowjetunion als auch die Reste der westlichen Demokratie gegen Hitler verteidigen müssen. Es ist jedoch nicht ratsam, diese feierlichen Schwüre zu glauben. Wenn sich die Methoden des revolutionä-ren Klassenkampfes unter schwierigen historischen Umständen als nutzlos erachten, bedeutet das, dass sie völlig mittellos sind, vor allem wenn man bedenkt, dass die kommende Epoche zunehmende Schwie-rigkeiten bringen wird.“ (L. Trotzki, „Der Kongress zur Auflösung der Komintern“, 23. August 1935).
[19] frei übersetzt nach: Pierre Broué, „Kommunisten gegen Stalin“, Editroial Sepha, Málaga 2008, S. 32.
[20] frei übersetzt nach: Pierre Broué, „die Moskauer Prozesse“, Editorial Anagrama, Barcelona, 1988, S. 9.
[21] frei übersetzt nach: Roy A. Medvedev, „Lasst die Geschichte über Russlands Revolution urteilen“, Editorial Destino, Barcelona 1977, S. 220.
[22] nach Ted Grant, „Russland: Von der Revolution zur Konterrevolution“, S. 175.
Auch Roy Medvedev kommentiert die große Säuberung in seinem Buch: „Die Wahrheit, obwohl sie uns schockierte, war sehr einfach. Noch nie haben die Befehlshaber einer Armee in Kriegszeiten so viel gelit-ten wie die Rote Armee in Friedenszeiten. Ganze Jahre, die der Bildung des Militärkaders gewidmet wa-ren, wurden vernichtet. Die Basis der Partei in den Streitkräften wurde drastisch reduziert. Aus dem Herbstbericht des Generalinspekteurs der Infanterie von 1940 ging hervor, dass von den 225 Regiments-kommandeuren, die im Sommer desselben Jahres aktiv waren, keiner eine Militärakademie verlassen hatte, 25 ihre Ausbildung an einer Militärschule abgeschlossen hatten und die restlichen 200 Kurse für junge Leutnants besucht hatten. Zu Beginn des Jahres 1940 waren mehr als 70 Prozent der Divisions-kommandeure, fast 70 Prozent der Regimentschefs und 60 Prozent der Militärkommissare und Leiter der politischen Divisionen erst seit einem Jahr im Amt. Und all dies geschah genau vor dem grausamsten Krieg der Geschichte“ (Medwedew, S. 242).
[23] frei übersetzt nach: Daniel Kowalsky, „Die Sowjetunion und der spanische Bürgerkrieg. Eine kriti-sche Überprüfung“. Crítica, Barcelona, 2004, S. 335.
[24] frei übersetzt nach: Rèmi Skoutelsky, „Neuheit an der Front. Internationale Brigaden im Bürger-krieg“. Ediciones Temas de Hoy, Madrid 2006, S. 439.
[25] Um mehr über die Unterdrückung und Vernichtung der linken Opposition in der UdSSR zu erfah-ren, empfiehlt sich das grundlegende Buch von Pierre Broué: „Kommunisten gegen Stalin. Massaker einer Generation“.
[26] Leo Trotzki, „Tagebuch im Exil“.
[27] Frei übersetzt nach: Artur London, „Sie stehen vor Tagesanbruch auf“, Ediciones Peninsula, Barcelona, 1978, S. 13. 
Auch in seinem großen Werk „Ich gestehe“ schreibt er einen groben Bericht über die Folter, die er in sta-linistischer Gefangenschaft erfuhr. Seine Frau, Lise London, die an der Organisation der Internationalen Brigaden am Stützpunkt Albacete teilnahm und später wie Artur aktiv den Stalinismus anprangerte, schrieb zwei Bücher über seine Tätigkeit.

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