Mit einer fast dreistündigen Netflixdoku haben sich die Filmmacher Jan Peter, Georg Tschurtschenthaler und Christian Beetz einem der spekulärsten Kriminalfälle der BRD angenommen. Die Ermordung des Chefs der Treuhandanstalt - Hauptorgan des westdeutschen Kapitalismus bei der Zerschlagung des DDR-Erbes – am 1. April ist bis heute unaufgeklärt. Der Fall ist tief eingebettet in die sozialen und politischen Verwerfungen der Wendezeit, Grund genug, diese Dokumentation auch einmal aus marxistischer Sicht zu bewerten.

Das Opfer, Detlef Karsten Rohwedder, war ein typisches Produkt der Verstrickung zwischen westdeutscher Politik und Unternehmertum. Er begann seine Laufbahn zwischen Vorstandsetage und Regierungspöstchen 1969 als Staatssekretär im damals SPD-geführten Wirtschaftsministerium, 1983 wurde er, seit 1971 selbst SPD-Mitglied, als „Manager des Jahres“ ausgezeichnet, nachdem er den Dortmunder Stahlkonzern Hoesch durch Massenentlassungen wieder profitabel gemacht hatte. Der Höhepunkt seiner Karriere sollte dann der Vorsitz der Treuhand sein, die stattdessen ein jähes Ende fand. In der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung um die Auflösung der DDR gehörte er allerdings Moderaten, der die Weiterführung eines Teils der Betriebe zumindest mittelfristig mit Staatsbeteiligung dem sofortigen Kahlschlag, den die Wirtschafts- und Finanzministerien der Kohlregierung forderten, bevorzugte.

RAF, Stasi, BND

Ein großer Teil der Dokumentation beschäftigt sich mit der Frage nach den Schützen. Laut offizieller Version ist die 3. Generation der RAF für das Attentat verantwortlich. Das wichtigste Beweisstück dafür ist das am Tatort aufgefundene Bekennerschreiben, sowie ein Haar des RAF-Mitglieds Wolfgang Grams, der unter ähnlich mysteriösen Umständen nach einer Schießerei mit der Sondereinheit GSG 9 1993 starb. Die präsentierten Alternativtheorien machen entweder übergebliebene Netzwerke der Staatssicherheit verantwortlich, oder westdeutsche Geheimdienste, die die politischen Auswirkungen der Ermordung für ihre Zwecke nutzen wollten. Zweifel an der offiziellen Geschichte kommen vor allem durch das abwehrende Verhalten der zuständigen Polizeibehörden, die scheinbar erstaunlich wenig an einer vollständigen Aufarbeitung interessiert waren und die mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen im Haus des Treuhandchefs. So kritisieren in der Dokumentation sowohl zwei ehemalige Mitglieder der staatlichen Organe, Bernd Wagner, ehemals in der Abteilung „Staatsschutz“, und der Ex-BND-Mitarbeiter Klaus-Dieter Matschke, sowie der Kriminalreporter Günther Classen in ihren Interviews die Informationspolitik des BKA, die den Verdacht von Vertuschungen im Zusammenhang mit dem Mord vermuten lassen.

Letzten Endes ist für eine politische Einordnung die Frage nach der direkten Täterschaft nicht unbedingt ausschlaggebend. Mindestens so interessant sind die Atmosphäre und Stimmung der Wendejahre, in denen, egal welcher Argumentation man folgen will, Motiv und Hintergrund der Tat liegen, die der Film durchaus ausdrucksstark wiedergibt.

Geschlossene Fabriken in „blühenden Landschaften“

Interessant ist, dass die Filmemacher sich nicht so staatstragend in das offizielle Bild von 30 Jahren Mauerfall als Erfolgsstory einfügen wie viele andere Kommentatoren. Die schnelle Ernüchterung, die bei den Arbeitenden in Ostdeutschland aufkam, als nach wenigen Monaten klar wurde, dass die Wiedervereinigung keineswegs die von Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ bringen würde, sondern mit der Übernahme der ehemaligen volkseigenen Betriebe durch westdeutsche Spekulanten immer mehr den Charakter einer feindlichen Übernahme annahm, wird in zahlreichen Ausschnitten aus Interviews mit ehemaligen DDR-Bürgern deutlich. Wenig überraschend bleibt diese Darstellung allerdings auf einer emotionalen Ebene stehen, ohne die zerstörerische Natur des Kapitalismus zu analysieren. Als Hauptapologeten der kapitalistischen Restauration fungiert vor allem Theo Waigel, Finanzminister unter Helmut Kohl. Vor allem Waigel übernimmt die ideologische Verteidigung des Kapitalismus, für den das soziale Elend und die Massenarbeitslosigkeit in den „neuen Bundesländern“ ein notwendiges Übel zur Erziehung der Neubürger zu guten, kapitalistischen Untertanen zu sein scheint.

Dass sich gegen Verelendung, massenhafte Betriebsschließungen und die Arroganz der westdeutschen Kapitalistenklasse durchaus eine Massenbewegung unter den bedrohten Arbeiterinnen und Arbeitern der Ex-DDR bildete, vergisst der Film glücklicherweise nicht. Für die Dokumentarfilmer war die Ermordung Rohwedders Wendepunkt auch dieser Bewegung, da sie, vom Schock des Attentats, gespalten und geschwächt wurde. Auch wenn die politische Führungslosigkeit nach der Diskreditierung der stalinistischen Massenparteien auf der einen und der angepassten Sozialdemokraten auf der anderen Seite sicherlich einen größeren Anteil daran hatten, zeigt die Reaktion auf das Attentat deutlich, dass individueller Terrorismus kein Ersatz für geduldige Aufbauarbeit in der Arbeiterklasse sein kann. Die RAF, deren Entstehen ja Reaktion auf den fehlenden Erfolg beim Aufbau einer Massenorganisation nach der 68er-Bewegung war, hat mit der Wahl ihrer Mittel den Arbeiterinnen und Arbeitern Deutschlands einen Bärendienst erwiesen.
Leider kommen diese Punkte in der Dokumentation eindeutig zu kurz. Grund dafür sind wohl die Limitierungen des „True Crime“-Genres. Den deutlich größeren Anteil haben die Spekulationen über die Täterschaft eingeräumt bekommen, wobei insbesondere für die Stasi-Theorie wenig spricht, als dass man den DDR-Sicherheitsbehörden sowieso jede Schlechtigkeit zutraut. Schließlich war weder davor noch danach noch einmal von irgendwelchen Racheakten durch Ex-Stasiagenten zu hören. Genutzt hat dieses Attentat auf jeden Fall keinem Ostdeutschen: Auf den „moderaten“ Privatisierer Rohwedder folgte die radikal-liberale Kahlschlägerin Birgit Breuel.

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