Ob Alkohol und Nikotin im Alltag, Crystal Meth in Unterschichtsvierteln oder „Partydrogen“ wie MDMA in Berliner Hipster-Ghettos: in dieser Gesellschaft sind Drogen Teil des Alltags. Jeder von uns kommt mit dieser Realität in Berührung. Fast 2 Millionen Menschen in Deutschland sind alkoholkrank.1 Über 20 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Raucher2 und geschätzt bis zu 180.000 Menschen abhängig von Opiaten.3 Laut dem „European Centre For Drugs And Drug Addiction“ sind Chemnitz, Erfurt und Dresden heute die Top Drei der „Crystal-Hauptstädte“ Europas4 und der deutsche Markt der wichtigste Abnehmer des osteuropäischen Metamphetamins.5

In den Gegenden, wo der Drogenkonsum zunimmt, hat das soziale Gründe. Beispiel Ostdeutschland: dort hängt es zusammen mit der Deindustrialisierung und damit, dass heute nur noch ein kleiner Teil der Industriejobs existieren, die es dort vor der Restauration des Kapitalismus gab. Mit den sozialen Angriffen der 90er- und 2000-Jahre und damit, dass ganze Familien in der Region in Armut abgerutscht sind.

Sieht man sich die Lebensverhältnisse international an, so wird in Bezug auf härtere Drogen noch deutlicher, dass die Ideologie vom hippen „Work hard play hard“-Lifestyle, vom sauberen Koksen und der „Partydroge“ zur Freizeitgestaltung nur eine dünne und meist wohlhabendere Schicht dessen repräsentiert, was der Drogenkonsum für die einfache Bevölkerung bedeutet. Die Crack- und Kokainepidemien in Nicaragua, Brasiliens Cracolândia (Crackland), Jugendliche auf Perus Straßen mit zerfressenen Zähnen, kaputter Haut und vor allem einem zerstörten Leben. Und auch wenn das in Deutschland deutlich seltener vorkommt – es ist nicht so, als würde es eine solche Lebensrealität in deutschen Armenvierteln nicht geben!

Trotzdem: ob Drogen nun Fluch oder Segen sind, ob wir für Kriminalisierung oder Liberalisierung eintreten und wie eine „fortschrittliche“ Kultur an der Drogenfrage aussieht; all das ist unter vielen Linken umstritten. In einigen Gruppen scheint die Haltung verbreitet zu sein, all das, was sich im illegalen Rahmen bewegt, sei subversiv und fortschrittlich. „Hauptsache es knallt“ titelte ein Sticker der Linksjugend Thüringen im Jahr 2017, der sich für „progressive Drogenpolitik“ einsetzen soll und ein junges Mädchen zeigt, das mit Röhrchen in der Nase eine Line zieht.

Andere – vernünftigere – Teile der politischen Linken argumentieren, eine liberale Drogenpolitik sei nötig, um die repressive Verfolgung Süchtiger durch den Staat zu bekämpfen und eine Aufrüstung des Polizeiapparats unter dem Vorwand der „Drogenbekämpfung“ zu verhindern. Doch ist es richtig, sich deshalb das „Recht auf Rausch“ auf die Fahnen zu schreiben, jede Warnung vor einer bürgerlich-liberalen Drogenpolitik über Bord zu werfen und Hanfblätter auf politischen Plakaten zu glorifizieren?

Der „Sinn“ des Drogenkonsums in der Klassengesellschaft

Schon früh in der Arbeiterbewegung spielte die Frage von Alkohol und Rausch eine wichtige Rolle, weil sie auch in der Lebensrealität der Arbeiter und Bauern einen hohen Stellenwert einnahm. Die beengte Realität des bäuerlichen Lebens und die Umstände der Arbeiterklasse in der frühen Industrialisierung ließen wenig Raum für Freizeit und Erholung. Entsprechende Möglichkeiten mussten überhaupt erst durch Teile der Arbeiterbewegung erkämpft werden. Um diese Realität ertragbar zu machen und so den Kampf für eine Verbesserung dieser Umstände zu schwächen, ließen einige Unternehmer in der Frühzeit der Industrialisierung in den eigenen Fabriken Schnaps an die Arbeiter ausschenken, der Kneipenbesuch zu Feierabend gehörte für die meisten vor allem männlichen Arbeiter zum Alltag.

Damals wie heute hatten Drogen den Zweck, die eigene Lebensrealität mithilfe des Rauschs vergessen zu machen. Es gibt einen Grund, warum sich für so viele der Rausch besser anfühlt als die nackte Realität: Drogen täuschen uns über das Übel der Welt hinweg und vernebeln unsere Sinne. Genau mit diesem Zweck wurden und werden sie gestern wie heute von den Vertretern der herrschenden Klasse eingesetzt, die den Drogenhandel und –konsum entsprechend den eigenen Interessen ausgestalten. Im südamerikanischen Bergbau wie in der Silbermine von Potosí gehört der Drogenkonsum zum Tagesritual der Kumpel, die den ganzen Tag kaum Tageslicht sehen, von klein auf in der Miene arbeiten und oft mit rund 30 Jahren an den Folgen ihrer Arbeit sterben. Arbeiter in Bangladeschs Textilfabriken konsumieren Yaba, um den Alltag zu ertragen. Im Kampf der US-Regierung gegen die Schwarzenbewegung wurden Drogen in schwarzen Ghettos verbreitet, um den Widerstand zu brechen. Der militärische Kampf, den die US-Regierung mithilfe der Contra-Milizen gegen die nicaraguanische Sandinisten-Regierung führte wurde nicht zuletzt finanziert durch den Handel von Crack in die Vereinigten Staaten, was dort zu einer massiven Crack-Epidemie führte.

Aber auch weniger drastische Beispiele machen den „Zweck“ des Drogenkonsums im kapitalistischen Alltag deutlich. Auch der regelmäßige Konsum von Cannabis nach einer anstrengenden Schicht oder die weite Verbreitung aufputschender Drogen im Gastronomiebereich sagt viel darüber aus, dass Drogen nicht nur zum Vergnügen genommen werden, sondern ganz bewusst, um den eigenen Lebens- und Arbeitsalltag erträglicher zu machen oder ihn überhaupt bewältigen zu können.

Kriminalisierung vs. Liberalisierung

Um also beantworten zu können, was eine wirklich fortschrittliche Position zur Frage der Drogen ist, muss zuerst die Frage gestellt werden, wessen Interesse sowohl die Verbreitung als auch die Kriminalisierung von Drogen in der bürgerlichen Gesellschaft dienen. Dabei muss erst einmal festgestellt werden: weder Kriminalisierung noch Liberalisierung allein werden die Frage der Drogen im Interesse der lohnabhängigen Bevölkerung lösen. Es gehört zum Wesen des bürgerlichen Staates, seine Gesetze (seien sie nun „liberal“ oder repressiv) im Interesse der herrschenden Klasse auszugestalten. Mit der Frage der richtigen Maßnahme in der Drogenpolitik muss also immer die Frage einhergehen, in wessen Interesse eine solche Maßnahme durchgeführt wird. Und das ist in allen Fällen eine Frage vom Machtverhältnis zwischen den Klassen.6

Wie die „Drogenbekämpfung“ durch die Organe des bürgerlichen Staates ausgeführt wird, ist mehr als offensichtlich. Der „Kampf gegen die Drogen“ wird gewöhnlich als Vorwand genutzt, die staatlichen Repressionsorgane auszubauen. Kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburg wurden durch den Polizeichef Andy Grote völlig unverhältnismäßig militarisierte Polizeieinsätze gegen kleinere Dealerstrukturen in der Hamburger Hafenstraße veranlasst, um eine weitere Aufrüstung zu rechtfertigen und die vorhandenen Sonderkommandos zu testen. Ähnliche Beispiele in anderen Ländern und Städten gibt es wie Sand am Meer. Und natürlich bedeutet „Drogenbekämpfung“ im bürgerlichen Staat auch, dass es wie immer die Armen und Süchtigen sind, die am Ende in den Knästen landen, während in vielen Ländern die großen Drogenbosse und Narcos eng verbunden sind mit den Organen des bürgerlichen Staats und der herrschenden Klasse.

Aus all diesen Gründen kommen Teile der politischen Linken auf die Idee, eine liberale Drogenpolitik sei ein erstrebenswerter Fortschritt und würde die Probleme lösen, die die Kriminalisierungspolitik im bürgerlichen Staat bereitet. Aber das ist gerade deswegen eine gefährliche Illusion, weil das kapitalistische System es ohne Probleme schafft, derartige liberale Träume der kleinbürgerlichen Linken zu integrieren und im Interesse der herrschenden Klasse auszugestalten. Und je verbreiteter die Vorstellung ist, Drogenkonsum würde sich „gegen das System“ richten und das Hanfblatt oder sogar die Line Koks wären Symbole einer „subversiven Kultur“, desto weniger Bewusstsein wird es auch für Maßnahmen geben, die der Arbeiterklasse schaden.

„Liberale“ Drogenpolitik: Ein Geschenk für die herrschende Klasse

Geht man durch einen deutschen Knast, wird man viele Menschen treffen, die aus armen Schichten kommen und sehr häufig auch im Gefängnis noch Drogen nehmen. Es gehört zum Wesen des bürgerlichen Staats, dass reiche Verbrecher in Freiheit leben, während die Gruppe der Knastbewohner sich aus den ärmsten Schichten der Gesellschaft rekrutiert. Drogen werden in diesem System genutzt, um die Ärmsten der Gesellschaft abhängig zu machen, ruhig zu halten und hin und wieder zu kriminalisieren.

Aber wenn Repräsentanten der herrschenden Klasse von „Liberalisierung“ sprechen, dann ist damit nicht gemeint, Arme und Ausgestoßene von den Ketten der Kriminalisierung zu befreien. Gemeint ist, dass bürgerliche Großkonzerne auf der Jagd nach Investitionsfeldern in das Drogengeschäft einsteigen. Seit der Legalisierung von Cannabis in Kanada ist dort ein Markt von tausenden Millionen Dollar entstanden, den sich multinationale Großkonzerne untereinander aufteilen. Auch Coca Cola hat angekündigt in den Cannabismarkt einzusteigen. Und gerade in Zeiten von Rezession und Stagnation, wie wir sie erleben werden, bezeichnen einige Marktanalysten den Cannabishandel auf einem liberalisierten Markt heute als das „grüne Gold“ das den Aktienkursen auf die Sprünge helfen wird.7

Doch leider ist selbstverständlich, dass eine solche Politik der Liberalisierung nicht für, sondern gegen unsere Interessen durchgesetzt werden wird. Wenn multinationale Großkonzerne in den Markt mit den Drogen8 einsteigen, bedeutet das, dass sie systematisch die Folgeschäden von Drogen herunterspielen und dahingehend auch auf die Medienwelt Einfluss nehmen werden. Dass ein öffentliches Bewusstsein zu den Folgeschäden des Rauchens entstanden ist, war das Ergebnis jahrzehntelanger Kämpfe mit einer korrupten und milliardenschweren Tabakindustrie, die in den 90er-Jahren den vertriebenen Tabak noch mit Cumarin und Ammoniak gemischt hat, um seine suchterzeugende Wirkung zu erhöhen. Und auch heute schon mangelt es, was die sogenannten „weichen“ Drogen wie Cannabis angeht, an Bewusstsein für mögliche Folgeschäden, gerade bei regelmäßigem Konsum. Immer wieder treten bei regelmäßigen Konsumenten von Cannabis vor allem psychische Folgeschäden auf, wie Psychosen, paranoide Schübe und Angstgefühle. Doch in diesem Gebiet gibt es kaum Aufklärung, weil Cannabis allgemein für eine „weiche“ und unschädliche Droge gehalten wird.

Dazu ist auch zu sagen, dass es nicht nur beim Weg „in den Drogensumpf“ sondern vor allem auch auf dem Weg hinaus erhebliche Unterschiede gibt, je nachdem, aus welcher sozialen Schicht man kommt. Reichen mag es möglich sein, sich für ein halbes Jahr in eine private Entzugsklinik zu begeben, psychische Probleme behandeln zu lassen und eine zeitlang aus dem Arbeitsleben auszuscheiden. In ärmeren Schichten geht der soziale Abstieg viel schneller und ist viel endgültiger. Und gerade für diese Schichten hält die bürgerliche „Liberalisierungspolitik“ keine Lösung bereit, und das aus verschiedenen Gründen.

Die von den vernünftigeren Vertretern einer liberalen Drogenpolitik oft vertretene Position der „sicheren Injektionsräume“ ist an und für sich – wenn es rein um die gesundheitliche Betreuung und eine sichere Umgebung zur Drogeneinnahme geht und um eine erste Kontaktstelle zu wirklichen Entzugs- und Hilfsangeboten – nicht falsch. Gleichzeitig muss man auch die sicheren Injektionsräume im Gesamtkontext sehen, und dazu gehört auch der anhaltende Mangel ernsthafter Entzugsprogramme, einer langfristigen psychosozialen und gesundheitlichen Betreuung von Süchtigen, ernsthaften Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, ausreichenden Sozialleistungen und mangelnder Wohnraum. In Verbindung mit all diesen Problemen stellt der „sichere Injektionsraum“ nicht eine „Lösung“ des Drogenproblems dar, sondern eine Sparmaßnahme. Er ist das günstigste Angebot, um das Drogenproblem mit geringem Kostenaufwand scheinbar zu bekämpfen und auf den Straßen möglichst unsichtbar zu machen. Die meisten von harten Stoffen Abhängigen befinden sich so in einem ständigen Hin und Her zwischen den Straßen um den Frankfurter Hauptbahnhof oder den Münchner Katakomben und ab und an geöffneten sicheren Injektionsräumen. Dieses Konzept der „sozialen Arbeit“ soll eigentlich den Zustand des Elends aufrechterhalten und ähnelt dem der „akzeptierenden Arbeit“ in der Prostitution, die ebenfalls ein soziales Problem erträglich gestalten soll, anstatt Perspektiven für das Leben der betroffenen Menschen und soziale Absicherung zu bieten.

Dazu kommt, dass gerade Abhängige aus ärmeren Schichten auch nach Einführung eines liberalen und legalen Drogenmarktes oft gar nicht die ökonomischen Mittel haben, das Feld der Illegalität zu verlassen. Sie rutschen in die Beschaffungskriminalität – und das Problem der Kriminalisierung ist auch hier wieder nicht gelöst.

Auch „teure“ reine Drogen in der Apotheke würden das Problem der Drogenabhängigkeit in Armut nicht lösen. Gerade Zeiten großer sozialer Krisen, wie im Griechenland der Wirtschaftskrise, die breite Massen der Arbeiterklasse ins Elend stoßen, führen oft zu Drogenepidemien auf den Straßen. Und es ist relativ sicher, dass im Griechenland der Krise, als sich griechische Frauen am Straßenrand für einen BigMac prostituiert haben und Abhängige auf den Straßen Sisa aus Autobatterien konsumieren, saubere Drogen aus den Apotheken für die Masse der Abhängigen kaum leistbar gewesen wären.

Natürlich könnte man fordern, den sauberen Konsum bestimmter Wirkstoffe auf staatlichem Weg zu ermöglichen. In manchen Fällen – bei bestimmten Schmerzkrankheiten oder Ähnlichem – mag das auch nicht verkehrt sein. Aber ist das der richtige Weg für die „breite Masse“ der Abhängigen? Dazu müsste man die Frage beantworten, ob der Drogenkonsum überhaupt gesellschaftlich nützlich und gewollt ist, oder ob wir nicht doch für Alternativen wie Entzug, psychische und gesundheitliche Unterstützung, gute Arbeit und eine Erhöhung der Sozialleistungen eintreten sollten.

Für unsere Interessen kämpfen! Nein zur Kultur des bürgerlichen Verfalls!

Das führt uns zum letzten Punkt: unsere Haltung zu den Drogen bemisst sich nicht nach der Frage von Liberalisierung und Kriminalisierung, und auch nicht nach der Frage von Asketismus und abstraktem Moralismus. Wir müssen die Frage beantworten, was der Arbeiterbewegung subjektiv nützt und was uns schadet; in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Ähnlich wie bei der Frage der Prostitution ist auch das eine normative Frage, abhängig vom subjektiven Klasseninteresse.

Wir lehnen Abhängige nicht ab, aber wir hassen ein System, das gerade Menschen aus verarmten Schichten in die Abhängigkeit stößt, ohne einen Weg aus Sucht und Beschaffungskriminalität zu bieten. Der Drogenkonsum ist kein Ausweg aus dem Elend dieser Gesellschaft, sondern ein Teil davon und ein Mittel das Elend aufrecht zu erhalten. Auch deshalb hat ihn eine Reihe von Organisationen der Arbeiterbewegung bekämpft. Der Arbeiterabstinentenbund der deutschen Sozialdemokratie veröffentlichte Schriften, um das Bewusstsein über Alkoholkonsum und Alkoholkrankheit unter Arbeiterinnen und Arbeitern zu fördern. Konfrontiert mit der von der CIA organisierten Drogenepidemie in den Schwarzenghettos entwickelte die Black Panther Party ein Regelwerk, das die Mitführung von Cannabis und Narkotika bei der Parteiarbeit strikt untersagte. Auch in der russischen Oktoberrevolution vertrat die bolschewistische Partei ein Programm zur Eindämmung von Alkoholexzessen. 1917 gab Leo Trotzki den Befehl, den Weinvorrat in ganz Petrograd zu vernichten um zu verhindern, dass der Alkoholkonsum Desorganisation in die sowjetischen Truppen trägt. Erst 1922 wurde der Alkoholhandel in Sowjetrussland – aufgrund massiver ökonomischer Engpässe – wieder legalisiert.

Drogenkonsum in der Arbeiterbewegung zurückzudrängen bedeutet nicht, einzelne Süchtige zu kriminalisieren. Es bedeutet, den gemeinsamen Kampf aufzunehmen für ein lebenswertes Leben mit sozialer Sicherheit und guter Arbeit für Alle, für die volle Ausfinanzierung von Entzugsprogrammen, psychosozialen Versorgungsstätten und Gesundheitszentren in den Stadtteilen, massiven Beschäftigungs- und Wohnbauprogrammen und für ein Leben, das auch ohne Drogen lebenswert ist. Denn das, und nicht der Mangel an legalen Partydrogen, ist das soziale Problem in deutschen sog. „Problemvierteln“.

Gleichzeitig sind weder die Dealerei noch der Drogenanbau Beschäftigungsformen, die von der proletarischen Bewegung unterstützt werden sollten. Wenn es darum geht, Dealerstrukturen in den Wohnvierteln zurückzudrängen, bedeutet das nicht automatisch, eine Aufrüstung des Polizeiapparats zu fordern. Als in den 80er-Jahren das Kokain die Viertel Galiziens in Spanien überschwemmt hat, kam es zu einer Bewegung einfacher lohnabhängiger Mütter, die die Dealerstrukturen ihrer Viertel aufgesucht haben, die Dealer geoutet und Widerstand dagegen geleistet haben, dass ihre Drogen die Zukunft ihrer Söhne und Töchter zerstörten.

Mit der Frage der Dealerei hängt auch die Frage zusammen, was aus unserer subjektiven Sicht gesellschaftlich nützliche und wünschenswerte Arbeit ist. Das beantwortet auch den Vorwurf einiger Linker, die sagen, die Legalisierung von Drogen sei nötig, um „die Gründung von Betriebsräten im Drogenanbau“ zu ermöglichen. Aber man kann nicht bei jeder Form der Arbeit argumentieren sie sei richtig, denn die würde die Gründung von Betriebsräten und die Schaffung von Jobs ermöglichen. Wir sind für Arbeitermacht in den Betrieben, und dafür, dass die Arbeiterklasse selbst entscheidet welche Art der Arbeit gesellschaftlich nützlich ist. Wir sind nicht für Kriegseinsätze, nur weil sie Arbeitsplätze im Bereich der Waffenindustrie fördern könnten. Wir sind für die Abschaffung der Prostitution, auch wenn es natürlich unterstützenswert ist, wenn Prostituierte sich gegen ihre Unterdrücker wehren. Für ärmere Viertel, in denen Drogen und Prostitution für manche der einzige Weg sind um an Geld zu kommen, braucht es alternative Arbeitsbeschaffungsprogramme und ein dichtes soziales Netz. Dazu gehört auch unsere Forderung nach einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, mit der auch sofort massenhaft neue Stellen geschaffen werden könnten.

Auch auf internationaler Ebene muss die Frage des Drogenanbaus beantwortet werden. So ist die imperialistische Ausbeutung der Länder des Nahen Ostens und Lateinamerikas der Grund, warum sich dort (aus Mangel an konkurrenzfähigen Alternativen) der Drogenanbau zu einem der profitabelsten Wirtschaftszweige entwickeln konnte. Dieses Problem kann nur auf internationaler Ebene beantwortet werden: mit einem entschlossenen Kampf gegen die imperialistische Ausbeutung auch in den imperialistischen Ländern selbst, genauso wie mit lokalen Kämpfen in Mexiko, Kolumbien und vielen anderen Ländern gegen die Korruption und Kriminalität der Narcos und für die Enteignung ihrer Ländereien. Das bedeutet aber auch, dass diese Ländereien nicht in die Hände von CocaCola und anderen Multinationalen fallen dürfen, sondern unter Kontrolle der lokalen lohnabhängigen Bevölkerung und Bauern gestellt werden müssen. Es braucht außerdem staatliche Aufbaupläne für eine regionale und vom Imperialismus unabhängige Wirtschaft.

All diese Ziele – das Ende imperialistischer Ausbeutung, Arbeitszeitverkürzung und Vollbeschäftigung, ein Ende gesellschaftlich zerstörerischer Arbeitszweige wie die Rüstungsindustrie, Drogenanbau oder Prostitution – wird der Kapitalismus nicht verwirklichen. Deshalb verbinden wir den Kampf um die soziale Dekadenz und Zerstörungswut des kapitalistischen Systems mit einem Kampf um das Ende kapitalistischer Ausbeutung, für Arbeitermacht und die Errichtung des Sozialismus im Weltmaßstab.

Drogenkultur und linke Organisationen

Auch innerhalb linker Organisationen ist die Frage der Drogen keine moralische Frage, sondern Klassenfrage. Selbstverständlich geht es dabei nicht darum, das Privatleben des Einzelnen zu durchleuchten oder zu leben wie ein Mönch. Dennoch ist eine kapitalistische Kultur, die eine Jugendkultur des „leeren Lebens“ in düsteren Clubs, in der nicht mehr miteinander gesprochen wird, Sex und Drogen nur noch Fragen des schnellen Lustgewinns untergeordnet werden und der soziale Zusammenhalt zerbricht, nicht die unsere. Deshalb geht es natürlich auch um einen gemeinsamen Kampf für echte Freizeit- und Erholungsangebote, für kostenfreie und gut ausgestattete öffentliche Jugend- und Nachbarschaftszentren und eine Kultur der Solidarität und des sozialen Zusammenhalts. Denn wie sollen wir Solidarität lernen, wenn wir uns statt über Probleme zu sprechen und gemeinsam zu kämpfen gemeinsam selbst zerstören und aufhören aufeinander zu achten?

Und eine gesunde und proletarische Bewegung aufzubauen bedeutet auch, unsere Organisationen gesund zu halten und zu besserem Bewusstsein zu verhelfen. Denn wir wollen starke Organisationen aufbauen, die unserem subjektiven Interesse als Klasse dienen. Und diese Ziele können wir nur durch unsere eigene Kraft erreichen.

„Die Revolution fordert Konzentration, Steigerung der Kräfte. Von den Massen, von den einzelnen. Sie duldet keine orgiastischen Zustände [...]. Das Proletariat ist eine aufsteigende Klasse. Es braucht nicht den Rausch zur Betäubung oder als Stimulus. So wenig den Rausch sexueller Übersteigerung als den Rausch durch Alkohol. Es darf und will sich nicht vergessen, nicht vergessen die Abscheulichkeit, den Schmutz, die Barbarei des Kapitalismus. Es empfängt die stärksten Antriebe zum Kampf aus seiner Klassenlage, aus dem kommunistischen Ideal. Es braucht Klarheit, Klarheit und nochmals Klarheit. Deshalb, ich wiederhole es, keine Schwächung, Vergeudung, Verwüstung von Kräften.“

Clara Zetkin, Erinnerungen an Lenin

 

 

[1] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/57160/1-8-Millionen-Alkoholabhaengige-in-Deutschland
[2] https://www.esa-survey.de/fileadmin/user_upload/Literatur/Berichte/ESA_2018_Tabellen_Tabak.pdf
[3] https://www.aerzteblatt.de/archiv/65461
[4] https://www.mdr.de/heute-im-osten/crystal-meth-hochburgen-dresden-erfurt-chemnitz-studie100.html
[5] https://www.thelocal.de/20180309/german-cities-dominate-european-ranking-on-drug-use
[6] Diese Frage ähnelt der der Prostitution. Auch das Elend der Prostitution wird nicht durch Legalisierung noch durch Kriminalisierung allein gelöst werden. „Legalisierung“ in der Hand der Kapitalisten bedeutet das Hotel Pascha in Berlin. Kriminalisierung bedeutet Kriminalisierung der Opfer. Beides bedeutet Menschenhandel und Ausbeutung. Lehnen wir die Profitemacherei mit der Prostitution ab, müssen wir einen Kampf um soziale Alternativen wie Arbeitsplätzen, Sozialleistungen, Arbeitsrecht für alle Migranten usw. führen und die, die wirklich dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft ziehen.
[7] http://www.siliconhillsnews.com/2019/03/16/green-gold-rush-is-building-around-the-cannabis-industry/
[8] anderen Drogen als Alkohol, da dieser bereits legalisiert ist

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