Am verganenen 11. Bundesparteitag der AfD am 28. und 29. November wurde deutlich, dass sich im Flügelkampf innerhalb der Partei die Fronten verhärtet haben. Die Ursache für die zunehmende Dynamik innerhalb der Partei sind die Veränderungen der objektiven politischen Verhältnisse und der Druck, der vom momentanen Erstarken von CDU und Grünen ausging.

Erinnert man sich an das Jahr 2015, als eine sich verschärfende Polarisierung der politischen Landschaft (unter anderem um die Frage der Migration) dem sozialdemagogischen Flügel um Höcke Aufwind gab – eine Entwicklung, die im Austritt des EU-Kritikers Lucke gipfelte – so bewegt sich die AfD heute zwischen einem Lager reaktionär-wirtschaftsliberaler Kräfte wie Jörg Meuthen und rechtsradikaler Sozialdemagogen wie Höcke.

Gemeinsam erfuhren sie in den vergangenen Monaten eine zeitweilige Schwächung. Durchschnittlich lag die Partei in Ostdeutschland Ende 2019 noch bei 24%, Ende 2020 ist sie in Umfragen auf 18% gesunken. Im Bundesdurchschnitt ist sie laut aktueller Wahlumfragen nur noch geringfügig stärker als DIE LINKE, die sie von Anfang 2018 bis Januar 2020 mit Umfragewerten von anhaltend 12 bis 15 Prozentpunkten deutlich überholt hatte. 

Objektive Lage

Als Marxisten sehen wir die wichtigsten Ursachen für das Aufkommen und den Entwicklungsgang politischer Formationen nicht im Willen und Wirken einzelner Akteure, sondern in der materiellen Lage und den gesellschaftlichen Bedingungen.

Anfang 2020 veränderte das auch in Deutschland spürbar gewordene Aufkommen des Coronavirus die politische Landschaft. Nachdem Jens Spahn noch im Februar zur Gelassenheit aufrief, reagierte man dann hektisch auf den Verlauf der Ereignisse und rief kurze Zeit später den ersten Lockdown aus – ohne flächendeckende Testungen oder einen qualitativen Ausbau der Gesundheitsversorgung voranzutreiben.

Um für die Folgen dieser Politik des reaktiven Eindämmens statt einer Ausrottung nicht die Verantwortung zu übernehmen, stellte man sich in Talkshows hinter ausgewählte Wissenschaftler, die zumeist nichts weiter taten, als das Für und Wider der von der Bundesregierung sowieso in Erwägung gezogenen Konzepte zu beleuchten – etwa eine Verlängerung des Lockdowns, weitere Liberalisierung, die Maskenpflicht,... Grundsätzliche Kursänderungen wie flächendeckende Testungen wurden auch von ihnen verworfen.

Die Phase der Coronapandemie ist die Phase der Technokraten, und keine der großen Parteien (einschließlich der Partei DIE LINKE) stellt sich der Politik der Bundesregierung grundsätzlich entgegen.

Druck der Nationalen Einheit

Diese Politik der Nationalen Einheit führte, gemeinsam mit der allgemeinen Verunsicherung angesichts des Pandemiegeschehens, zu einer zeitweise wachsenden Zustimmung insbesondere für die CDU mit Zustimmungswerten von bis zu 40% (forsa). Der Umgang mit Corona wurde – verlogenerweise! – nicht als soziale Auseinandersetzung (wie etwa um die allgemeine Gesundheitsversorgung und das Kurzarbeitergeld), sondern primär als von der Bundesregierung zu lösendes technisches Problem präsentiert.

Corona-Exit?

Die politischen Veränderungen im Zuge der Pandemie erforderten von der AfD einen Stellungswechsel: Schufen noch 2015 die Migrationsdebatte und die rassistischen Demonstrationen ein vorteilhaftes Terrain für die Partei und hatte die Umweltfrage kaum eine demobilisierende Wirkung auf ihre Kernwählerschaft, war und ist in der Partei bis heute ungeklärt, wie genau sie sich zum Pandemiegeschehen positionieren soll.

Die Coronapolitik der Bundesregierung, gepaart mit den spürbaren Auswirkungen der kapitalistischen Krise, hat die objektive soziale Spaltung der Gesellschaft drastisch verdeutlicht. Dabei stehen auf der einen Seite etliche Arbeiter und Arme, für die der „Lockdown Light“ nichts anderes war als ein „Weiter so“ ihrer alltäglichen Arbeitsbedingungen, die sich oft nur schwer vor dem Virus schützen können und für die Probleme wie soziale Isolation, ein mangelhafter Zugang zum öffentlichen Nahverkehr und die öffentliche Versorgung noch stärker ins Gewicht gefallen sind. Auf der anderen die Unternehmensbesitzer und Finanzer, die zum allgemeinen Arbeitsleben und der öffentlichen Versorgung keinen Bezug haben.

Zwar wurde die Coronaleugner-Bewegung medial deutlich in den Fokus gerückt. Als radikal-kleinbürgerliche Bewegung war sie aber keine Massenbewegung der Arbeiter und Armen, deren Interessen sie diametral entgegensteht. Dieser Widerspruch ist in den Reihen der AfD durchaus bekannt: Umfragen unter ihren Wählern ergaben, dass eine Mehrheit unter ihnen die Maskenpflicht auf den Gängen des Bundestages befürwortet.

Entsprechend fiel auch das Positionspapier „Corona-Exit“ der thüringischen AfD-Fraktion aus. Darin ruft die AfD einerseits zu einem Ende des Lockdowns der Wirtschaft auf und beklagt ganz im Geist liberaler Unternehmer die „massiven Einschränkungen von Grundrechten“ – sie kritisiert aber auch, dass die Maßnahmen der Bundesregierung viel zu spät eingesetzt und keine Massentests stattgefunden haben und spricht von einer „Verharmlosung“ des Virus. Sie spricht weiter von der tiefen sozialen Kluft gegenüber dem ländlichen Raum besonders Ostdeutschlands und sozialer Vereinsamung – und orientiert sich dabei an der Demoralisierung rückständigerer Bevölkerungsschichten im ländlichen Raum, die eine ihrer Kernwählerschichten in Ostdeutschland bilden. Ihre Positionen liefern damit alles andere als ein stringentes Klassenprogramm – sie sind der Versuch, ein populistisches Programm anzubieten, das antagonistische Interessen vereinen soll.

Zweck-Ehe zwischen den Flügeln

Die Unterschiede, die im Zuge der Coronapandemie in der Partei auftraten, verdeutlichen auf welche sozialen Kräfte die Parteiflügel sich stützen. Der Flügel um Höcke speist sich aus der Bewegung und Radikalisierung auf der Straße und der fortschreitenden Demoralisierung abgehängter Schichten sowie des Kleinbürgertums, und konnte in den vergangenen Monaten einzelne Teilsiege einfahren, wie die Rechtsverschiebung der AfD in Berlin und die Ablehnung von Meuthens Vorstößen zur Rente.

Meuthen wiederum, der für ein nach außen weniger radikales Parteiprofil und inhaltlich ein wirtschaftsliberaleres Programm der Partei eintritt, griff das Auftreten mancher Parteimitglieder im Zuge der Coronaleugner-Bewegung auf dem Parteitag hart an und konnte sich mit dem Ausschluss von Kalbitz durchsetzen. Seine scharfe Rhetorik auf dem Bundesparteitag darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sich mit seinen hardcore-liberalen Vorschlägen zum Rentenprogramm im Vorfeld des Parteitags nicht durchsetzen konnte.

Sozialdemagogisches Rentenprogramm?

Als Kernthema des Parteitags war das Rentenprogramm der Partei angesetzt. Mit ihm sind Meuthens Vorstöße zur weitreichenden Kapitaldeckung der Rente erstmal vom Tisch, trotzdem ist das Rentenprogramm von Kalkar kein weitreichender sozialpolitischer Vorstoß, so soll beispielsweise das Renteneintrittsalter flexibilisiert werden. Zwar fordert die AfD die Abschaffung der Politikerpensionen und die Eingliederung von Politikern und Beamten in die allgemeine gesetzliche Rente – ohne aber beispielsweise die Ausweitung der Berechnungsgrundlage auf Kapitalerträge zu fordern. Von sozialpolitischer Fundamentalopposition oder gar „Arbeiterpolitik“ kann nicht die Rede sein!

Aus dem Grund wird das Programm garniert mit populistischen Versprechungen auf einen Ostfonds für Härtefälle, eine geringere Anrechnung der Altersrente auf die Grundsicherung und eine bessere Versorgung in ländlichen Gebieten Ostdeutschlands – ohne aber die grundliegenden Ursachen der Altersarmut ins Auge zu nehmen oder eine ernsthafte soziale Umverteilung zu fordern. Ganz im Sinne der herrschenden Klasse ist dieses Rentenprogramm ein Angebot mehr ans Kapital, mit der AfD ein weiteres verlässliches Standbein bürgerlicher Politik in diesem Land zu etablieren.

Partei am Scheideweg

Das Hin und Her des politischen Schlagabtauschs innerhalb der AfD zeigt in erster Linie eins: die AfD vollführt nach wie vor einen Spagat, da sich die in ihr versammelten Kräfte nicht auf die gleiche soziale Basis stützen. Ganz offen kam auch in der Aussprache zu Meuthens Rede zur Sprache, dass die Beamten, Polizisten oder Soldaten, die die Partei wählen, keine „Schmuddelpartei“ um Konsorten wie Attila Hildmann wollen. Frank-Christian Hansel, Unternehmensberater unter anderem deutscher Konzerne in Kuba, Anfang der 90er SPD-Mitglied und Mitarbeiter der Treuhand und von 2013 bis -15 Liquidator der spanischen Immobilien-AG Metrovacesa sowie Unterstützer des Meuthen-Flügels, sprach in seinem Redebeitrag aus, was die Kräfte der Partei um Meuthen vermutlich denken: dass sie heraus wollen aus der „unter-10-Prozent-Blase“ und eine etablierte Partei mit an die 20 Prozent werden wollen. Andere, wie Jürgen Pohl – in den 80ern Berufsausbildung zum Elektromonteur und kurzzeitig bei den DDR-Grenztruppen beschäftigt – AfD-Bundestagsmitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales wiederum lancierte einen harten Angriff auf Meuthen – er spräche von „Verprollung“, während die Kräfte des Flügels „die Proletarier erreichen“ wollen.

Allgemein lässt sich sagen, dass der rechte Flügel der Partei seit Parteigründung qualitativ erstarkt ist, und sich Meuthens und Höckes Einfluss heute etwa die Waage halten – für beide wird eine Durchsetzung ihrer Interessen (eine reaktionär-rechtskonservative 20-Prozent-Partei vs. eine sozialdemagogische „Oppositionspartei des Pöbels“) mit dem jeweils anderen zunehmend schwierig.

Wer von ihnen sich langfristig durchsetzen kann, hängt auch von den allgemeinen sozialen Bedingungen ab. Von einer Partei, die sich 2020 „fast selbst abgeschafft hätte“ , wie es Robert D. Meyer Anfang Oktober im Neuen Deutschland schrieb, kann aber sicherlich nicht die Rede sein. Genauso falsch sind die Hoffnungen von Meyer und anderen, der Verfassungsschutz hätte diese „Fast-Abschaffung“ herbeigeführt, oder gutgemeinte Bitten an die „demokratischen Parteien“, sich deutlicher von der AfD abzugrenzen. Derartige Aufrufe dienen als Vorwand, eine klassenübergreifende „demokratische Blockbildung“ in den Parlamenten zu bilden – mit eben den Parteien, die den Verfassungsschutz am Leben erhalten, der den Aufbau von Nazizellen aktiv befördert hat, die gegen Migranten hetzen und die sozialen Bedingungen für den Aufstieg der AfD geschaffen haben.

Die Ideologie eines „sauberen Staates“, dessen Vertreter an der Seite der Arbeiter die „Demokratie verteidigen“ werden, ist eine gefährliche Illusion, die letztlich nur im Schulterschluss der Parteien und der politischen Entwaffnung der Arbeiterklasse enden kann. Es gibt keinen einzigen kapitalistischen Staat, in dem durch den Auftrieb des Klassenkampfes seit der letzten Krise nicht mehr oder weniger stark in Richtung Autoritarismus und Bonapartismus abgleitet. Und es sind nur die unabhängigen und eigenständig kämpfenden Kräfte der Arbeiterklasse, die dem etwas entgegensetzen können.

 

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