Die diesjährige Bundestagswahl verdeutlicht einen historischen Umbruch: Das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik scheint es wahrscheinlich, dass die beiden großen Volksparteien – die zwischen 1953 und Anfang der 2000er-Jahre gemeinsam nie weniger als 70% in den Wahlen errangen – die 50%-Marke unterschreiten könnten.

Damit liegen SPD und CDU auf einem historischen Tief. Das ist das Ergebnis der Entfremdung von der ewig gleichen neoliberalen Politik der großen bürgerlichen Parteien, die soziale Zugeständnisse an Teile der Mittelschicht und bessergestellten Arbeiterklasse über viele Jahre hinweg unterhöhlt, und die Polarisierung vorangetrieben hat.

Als Folge davon erleben wir eine Beschleunigung politischer Umbrüche, sowie eine zunehmende Instabilität der Parteienlandschaft. Die politische Linke muss mit einem kämpferischen Kurs in den Nachbarschaften und Betrieben auf diese Ereignisse reagieren, oder sie wird das Spielfeld den Arbeitgebern und der Sozialdemagogie der politischen Rechten überlassen.

Krise des Kapitalismus

Hinter all diesen Ereignissen steht die tiefe Krise des Kapitalismus. Ökonomische Berichte haben in den vergangenen Wochen eindrucksvoll gezeigt, dass sich das Produktivitätswachstum der EU-Staaten seit der Krise von 2008 um die Nulllinie bewegt. Und obwohl der DAX am 4. Juni mit über 15.700 Punkten einen absoluten Rekordwert erklomm, drohen allein der Autoindustrie Stellenstreichungen im sechsstelligen Bereich und die Erweiterungsinvestitionen in mittelständischen Betrieben stagnieren.

Da es kaum realen Wachstum gibt, werden Reallohnsenkungen und Kürzungen durchgesetzt, um Profite und Dividenden zu ermöglichen. Diese Politik – der Neoliberalismus – ist eine Folge der Krisen der 70er- und 80er-Jahre, und kann im Rahmen des Kapitalismus nicht einfach nach Belieben zurückgenommen werden.

Dazu kommen düstere Aussichten für die deutsche Wirtschaft. Die Überproduktionskrise der weltweiten Auto- und Stahlindustrie setzt deutsche Hersteller unter Druck. Fortschreitende Tendenzen der Deindustrialisierung und die Zerschlagung und Zerstückelung großer Konzerne wie ThyssenKrupp werden die Perspektiven der deutschen Wirtschaft weiter trüben. Und auch die Chipkrise, die dadurch ausgelöst wurde, dass die Produktion im Kapitalismus aufs höchste Maß internationalisiert wurde, aber gleichzeitig nicht vernünftig geplant sondern der Anarchie des Marktes überlassen wird, hat die Anfälligkeit der deutschen Wirtschaft verdeutlicht. Dieser Kapitalismus lässt den herrschenden kapitalistischen Parteien keinen Spielraum für substanzielle soziale Reformen.

Unmut mit Politik der nationalen Einheit: Grüne erstarken, SPD geschwächt

Derzeit sind es die Grünen, die am stärksten vom Umfragetief von SPD und CDU profitieren. Gerade weil das Wählerpotenzial der SPD seit Jahren einbricht und die LINKE bei 6-7% stagniert, wenden sich von der Groko enttäuschte Wählerstimmen den Grünen zu.

Davon gibt es mehr als genug, denn die derzeitigen Umfragewerte der ehemaligen 40%-Partei SPD sind die Rechnung von Jahrzehnten leerer Versprechungen und Kürzungspolitik. Hartz IV, Riester, 100.000 gefährdete Stellen in der Autoindustrie, Millionen Kurzarbeiter 2020, Milliardenpakete an Großkonzerne und 20 Klinikschließungen allein im vergangenen Jahr, darüber hinaus 34 Kliniken, die von Schließungen bedroht sind: All das geht auf das Konto der SPD in Regierungsverantwortung.

Viele, die von der Sozialdemokratie enttäuscht sind und eine Veränderung wollen, sehen nun die Grünen als Alternative zum „Weiter so“ der Groko-Politik. In Zahlen hat das bedeutet, dass sie bei der Bundestagswahl 2017 760.000 Stimmen der SPD hinzugewinnen konnten; bei der Europawahl 2019 1.500.000 (auch von der CDU gewannen sie damals satte 1.240.000 Stimmen hinzu). Doch der aktuelle Trend geht noch darüber hinaus. In aktuellen Umfragen liegen die Grünen bei beständig 20-25% – mehr als eine Verdopplung verglichen mit der letzten Bundestagswahl.

Dabei sind sich die Grünen bewusst, dass sie enttäuschte Wähler der SPD und teilweise auch der LINKEN für sich gewinnen, und ihr Wählerpotenzial – das vor wenigen Jahren noch gemeinsam mit der FDP das höchste Einkommen überhaupt hatte – auch in ärmeren- und Arbeiterschichten verbreitern wollen.

Sie spüren den Druck, dass es in diesen Gruppen keine Zustimmung für „ökologische“ Politik gibt, die das Leben für die Ärmsten der Bevölkerung immer teurer macht und die Deindustrialisierung vorantreibt.

So sprach Annalena Baerbock nach ihrer Wahl als Kanzlerkandidatin auf dem Parteitag der Grünen gleichzeitig die Arbeitgeber an, denen sie einen „Pakt [der Grünen] mit der deutschen Industrie“ vorschlägt, sprach aber auch von der „Wertschätzung unseres Landes“, das auf der „harten Arbeit der Kohlekumpel und ihrer Familien aufgebaut ist“ und davon, dass eine „ökologische Transformation“ bis zu 800.000 Arbeitsplätze schaffen könne.

Hetze der Arbeitgeber – doch der grüne Kapitalismus ist kein Ausweg!

Auch die Wirtschaftslobby versteht den Zugewinn der Grünen als Misstrauensvotum an die zwei großen Parteien der deutschen Bourgeoisie. Die Initiative Soziale Marktwirtschaft (INSM) statuiert deshalb mit einer eigenen Hetzkampagne gegen Annalena Baerbock in mehreren großen Zeitungen ein Exempel, das eines ganz besonders klarmachen soll: Der Kurs sozialer Kürzungen, der Steuergeschenke für Reiche, die Deregulierung der Arbeit und ein Nein zur Mietobergrenze ist nicht verhandelbar.

Sie nutzen die Hetze gegen Baerbock zum Rundumschlag gegen die Rechte der Arbeiter und Armen und soziale Bewegungen. CETA solle ratifiziert, die Steuer für Vielverdiener niedrig gehalten, das Renteneintrittsalter erhöht, das Lohnniveau gedrückt und die „Freiheit der Wirtschaft“ garantiert werden. Ähnlich gelagert ist auch die Parteispende des Medienmoguls Georg Kofler, der die FDP mit 750.000 Euro unterstützte um den „antiquierten planwirtschaftlichen Sozialismus“ der Grünen zu verhindern.

Doch auch die Grünen waren mit Rekordspenden in den bürgerlichen Zeitungen: 1,67 Millionen Euro allein von vier reichen Spendern; darunter eine glatte Million von Moritz Schmidt, der sein Vermögen unter anderem mit Bitcoin-Spekulationen gemacht hat, 500.000 von einem Giganten der privaten Pharmaindustrie und insgesamt 120.000 von einem Großerbe eines schwäbischen Kunststoffverpackungs-Konzerns. Würden sie alle so tief in ihre Tasche greifen, wenn von den Grünen die Enteignung der Unternehmen, oder auch nur die Abschaffung der Plastikverpackungen zu erwarten wären? Sicherlich nicht. Und so beweisen die Grünen einmal mehr, dass der „grüne Kapitalismus“, den sie den Wählern anbieten, weder die Krise der Arbeiter und Armen, noch die der Umwelt lösen wird.

Wahlen in Sachsen-Anhalt – Rechte aus dem Parlament!

Dass sich der Klassenkonflikt verschärft, wurde auch am Ton deutlich, in dem die Wahlen in Sachsen-Anhalt kommentiert wurden. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), nutzte den Moment um ins Horn des Antikommunismus zu blasen: 20,8% für die AfD, so Wanderwitz, seien das Ergebnis einer „diktatursozialisierten“ Bevölkerung – bei einer Partei, die bei den unter 30-Jährigen, die die DDR gar nicht erlebt hatten, als stärkste Kraft überhaupt abschnitt!

Die abgehobene Sprache der bürgerlichen Politik wird nichts dazu beitragen, demoralisierte Schichten von einer Unterstützung der AfD abzubringen. Durch soziale Kürzungen und ihre hässliche Arroganz werden sie auch weiter der AfD einen Nährboden für ihre Sozialdemagogie liefern.

Auch die Grünen sind nicht in der Lage, das zu kontern: Während Habeck davon sprach, dass „Veränderungsprozesse objektiv notwendig“ sind (er meint die Besteuerung von CO2 und den Arbeitsplatzabbau) und dass „alle Parteien diese Zahlen beschlossen haben“, trieb Chrupalla ihn für die sozialen Angriffe im Gewand der „ökologischen Tranformation“ in die Ecke, ohne dass Habeck glaubhafte Antworten liefern konnte, wie diese abzuwenden seien.

Das Auftreten der AfD ist reine Demagogie: Ihre „Sonderwirtschaftszone Ost“ ist eine Forderung nach einem Steuerparadies Ostdeutschland für Konzerne „auf gleichem Niveau wie im benachbarten Polen“. Chrupalla, der dem Höcke-Flügel angehört, adressiert auch nicht in erster Linie einfache Arbeiter, sondern die Vorurteile der deklassierten Mittelschichten, von „Mittelstand und Handwerk“.
Diese arbeiterfeindlichen Tendenzen sprechen auch aus den Angriffen von Meuthen gegen die Grünen, deren stark beschränktes reformistisches Programm er dafür angreift „ökosozialistisch“ zu sein. Wie soll eine solche Partei, die den Sozialismus schon in einem beschränkten Programm für Mindestlöhne, gegen Rentenkürzungen und für minimale Reformen auf dem Wohnungsmarkt entdeckt, die Situation der Arbeiterklasse verbessern?

Kurswechsel nötig: DIE LINKE muss aus den Fehlern des neuen Reformismus lernen!

Die soziale Spaltung ist die Triebkraft der politischen Kräfteverschiebungen – und nur an der Front kann der Kampf gegen die Angriffe der Arbeitgeber und die AfD gewonnen werden! Es ist allein die politische Linke, die sich auf die Kämpfe der Arbeiterklasse stützen und den Kampf in den Nachbarschaften und Betrieben vorantreiben kann. Das wird sich positiv auf ihr Wahlergebnis auswirken, vor allem aber – und das ist viel wichtiger! – eine Grundlage für einen Kampf um die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse legen! Denn, frei nach Rosa Luxemburg, liegt die Macht der politischen Linken nicht in der Zahl ihrer Parlamentsmandate, sondern in der Zahl ihrer Anhänger in der Bevölkerung und ihrer Kraft auf der Straße.

In diesem Sinne ist die Wahl in Sachsen-Anhalt eine Warnung an die LINKE: Die Ansichten der Wählerbasis von CDU und AfD dokumentieren die tiefe Polarisierung auch in dieser Wahl. Unter der Wählerschaft der AfD stimmten 91% zu, dass die CDU eine Koalition mit der AfD bilden sollte – gleichzeitig waren es unter den Wählern der CDU nur 11%. Damit hatte ein beträchtlicher Teil der CDU-Wähler auch zum Ziel, eine Regierung mit AfD-Beteiligung zu verhindern.

Wie wir wissen, ist die Politik der CDU – die selbst den Rechtsradikalen Maaßen als Direktkandidaten für die Bundestagswahl aufgestellt hat – völlig impotent im Kampf gegen die Rechte. Doch während selbst die CDU sich als Kraft gegen Rechts inszeniert, setzt sich der Niedergang der LINKEN in Sachsen-Anhalt fort. Gerade dass sich bei den unter 30-Jährigen, nimmt man die Nichtwähler mit in den Blick, weniger als 10% für eine Fürstimme der LINKEN entschieden haben, beweist, dass die Partei der ostdeutschen Jugend keinen kämpferischen Kurs gegen die maroden Lebensumstände anbietet.
Auch waren die Grünen nicht immer der Gewinner des Niedergangs der Sozialdemokratie. Bei der Bundestagswahl 2009 – der ersten nach Einführung von Hartz IV – gewann DIE LINKE 1.100.000 Stimmen der SPD hinzu, mehr als jede andere Partei! Damals wurde die Partei primär als kämpferische Kraft gegen Hartz IV, soziale Kürzungen und Auslandseinsätze der Bundeswehr wahrgenommen.
Doch gerade die Wahl in Sachsen-Anhalt, wo der inhaltsleere Kurs von „Wirtschaftskenner“ Wulf Gallert jetzt vom apolitischen Slogan „Besser. DIE LINKE“ abgelöst wurde hat bewiesen, dass eine „Regierungspolitik auf dem Wartegleis“ nur das richtige Rezept ist, wenn man die Stagnation der Partei zum Ziel hat.

Sehen wir uns die Erfahrung im spanischen Staat an: Hier hat die Linkspartei Podemos sich über Jahre in der Regierung dem Kurs der Sozialdemokratie von Pedro Sánchez gebeugt, und ist nicht gegen die neoliberale Politik von Isabel Ayuso (Konservative) in Madrid vorgegangen. Im Gegenteil: Die nationale Regierung verfolgte eine Politik des gegenseitigen Respekts und der Nichteinmischung. Als Ayuso nun einen weiteren Rechtsschwenk vollzog, und in den Madrider Regionalwahlen eine offene Zusammenarbeit mit der rechtsradikalen Vox verfolgte, trat der bekannteste Podemos-Führer Pablo Iglesias aus seinen Regierungsposten zurück, um in Madrid gegen Ayuso anzutreten. Das Ergebnis: eine deutliche Niederlage, mit 7,21% und gerade mal einem Zugewinn von 1,61% für Podemos, die in der Madrider Politik weitgehend diskreditiert sind; gleichzeitig 9,13% für Vox.

Arbeiterbewegung stärken!

Es ist ein Fortschritt, dass in der kommenden Bundestagswahl die Groko abgewählt werden wird und die Grünen sich gezwungen fühlen, kleinere soziale Reformen in ihr Programm aufzunehmen. Wir dürfen uns nicht mit fadenscheinigen Versprechen abspeisen lassen. Wir unterstützen die ökologische Konversion von Betrieben, wenn sie geplant und im Interesse der einfachen Arbeitenden und Armen geschieht. Doch Linkspartei und Gewerkschaftslinke müssen die Propagandaphrasen der „ökologischen Transformation“ angreifen, wenn es darum geht, ganze Regionen zu deindustrialisieren; zweitklassige Abfindungen und schlechte Umschulungsprogramme anzubieten.

Während Baerbock davon spricht, dass der Umschwung zur Nachhaltigkeit hunderttausende neue Stellen schaffen könne, sehen wir, wie in der Stahl- und Autoindustrie hunderttausende Stellen gekürzt und Löhne gesenkt werden – trotz vermehrter Investitionen in neue Technologien! Eine solche Politik wird weitere Regionen Deutschlands in eine Lausitz verwandeln, die Zukunftsaussichten deutscher Arbeiter und ihrer Familien zerstören und die Spanne zwischen Preisen und Löhnen immer weiter aufklaffen lassen.

Es nützt der LINKEN nicht, sich gerade in einer solchen Situation SPD und Grünen anzubiedern. Die Interessen einfacher Arbeiter und Armen sind mehr als deutlich: Schluss mit der kapitalistischen Gesundheitspolitik, Schluss mit dem Kuschelkurs der Gewerkschaften, Ja zu Mietendeckel und der Enteignung von Wohnraum und Immobilienriesen, Schluss mit „Flexibilisierung“, Ausgliederungen, Privatisierungen, Lohndrückerei und Arbeitsplatzabbau.

Kaum etwas, das im vergangenen Jahr von Seiten der Regierung und der Chefetagen beschlossen wurde, hat Arbeiterfamilien genützt. Während nach den öffentlichen Rettungspaketen für die Großkonzerne in denselben Konzernen Kurzarbeit angemeldet und Stellenstreichungen durchgesetzt wurden, haben private Profiteure an der Börse Milliardendividenden eingestrichen. Allein der Eigentümer von Lidl hat über die Pandemie hinweg im Schnitt 1 Mrd. im Monat an Vermögen hinzugewonnen!

Gewerkschaften und LINKEN müssen eine kämpferische Politik anbieten, die an diesen grundliegenden Problemen einen Kampf für eine fundamentale Veränderung anbietet. Statt einer Zerschlagung von Thyssen und Co. für die Reindustrialisierung, eine ökologische Konversion unter Kontrolle der Beschäftigten und entlang ihrer Interessen, und eine Produktion nach den Bedürfnissen der einfachen Bevölkerung. Die Profiteure an der Börse müssen enteignet, und ihre Gewinne der Vorsorge für die einfachen Menschen und Armen zugutekommen. Eine solche Politik ist nicht mit, sondern nur im Kampf gegen das kapitalistische Establishment zu erreichen.

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