Nur die organisierte Arbeiterklasse kann ein öffentliches Gesundheitswesen in unserem Interesse erkämpfen!

Seit Ende vergangenen Jahres sind die Infektionszahlen der Coronapandemie in Deutschland spürbar angestiegen; Deutschland hat anteilig sogar die Quote der Coronatoten der USA überholt. Vergangenen Mittwoch, dem 13.01, lag die Zahl der Coronatoten in Deutschland bei knapp 11 pro eine Million Einwohner (ein Einwohner mehr als in den USA und weit mehr als die 7,5 im EU-weiten Durchschnitt). 50.000 Menschen sind in Deutschland bisher an Covid-19 gestorben.

Vor dem Hintergrund des offensichtlichen Scheiterns von #flattenthecurve verwundert es nicht, dass der #ZeroCovid-Aufruf, der in erster Linie die europäischen Regierungen zu einem Umlenken auf eine Ausrottungsstrategie mit dem Ziel der Senkung der Neuinfektionen auf 0 aufruft, heute mehr als 80.000 Unterzeichner mit unterschiedlichem beruflichen Hintergrund und sehr verschiedener politischer Couleur gefunden hat.1

Wir sind der Meinung: die allgemeine Ausrichtung des Aufrufs – nämlich die Forderung nach einem radikalen Umlenken weg von der Abflachungs- auf eine Ausrottungsstrategie mit dem Ziel von null Neuinfektionen – ist im Kern richtig und sollte von der Arbeiterbewegung offensiv verteidigt werden! Doch kein Aufruf von oben, sondern nur die organisierte Arbeiterbewegung wird eine Gesundheits- und Sozialpolitik in ihrem Interesse erkämpfen können.

Weiter unten in unserer Stellungnahme wollen wir zu Unklarheiten, die im Zuge der Debatte über #ZeroCovid innerhalb der politischen Linken aufgekommen sind, Position beziehen.

Gesundheitspolitik ist Klassenpolitik: Ausrottung statt #flattenthecurve!

Um zu erklären, welche Haltung Sozialistinnen und Sozialisten zum Umgang mit der Coronapandemie einnehmen sollten, müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, welche Klasseninteressen hinter den gesundheitspolitischen Strategien in der Pandemiebekämpfung stecken.

In unserer Stellungnahme vom März schrieben wir: „Eine Krise kann auf dem einen oder anderen Weg gelöst werden – im Interesse der einfachen Bevölkerung oder in dem der Bosse von Banken und Konzernen.“2 – die Bundesregierung wählte den Weg der Bosse. Nicht versorgungsrelevante Betriebe wurden vom Lockdown ausgenommen; grundlegende Gesundheitsschutzmaßnahmen an den Arbeitsplätzen werden nicht eingehalten (entgegen öffentlicher Lügenpropaganda wurden – trotz höchster Infektionsrate nach Berufen unter Erziehern mit 2.672 Corona-Erkrankten auf 100.000 Kollegen3 – bei weitem nicht alle Kindertagesstätten mit FFP2-Masken ausgestattet); etliche Kollegen bei Amazon sind wegen wiederholten Verstößen gegen den Gesundheitsschutz an Corona erkrankt,4 Lohnausfälle werden durch das Kurzarbeitssystem auf die Sozialkassen umgelegt und #flattenthecurve war der zur „wissenschaftlichen Strategie“ erklärte Propagandabegriff, der begründen sollte, warum selbst in einer Pandemie die bestehenden Ressourcen des Gesundheitssystems nicht ausgebaut werden sollten.

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„#flattenthecurve war der zur „wissenschaftlichen Strategie“ erklärte Propagandabegriff, der begründen sollte, warum selbst in einer Pandemie die bestehenden Ressourcen des Gesundheitssystems nicht ausgebaut werden sollten.“


„So liberal wie möglich, so viel Gesundheitsschutz wie nötig“ hätte der Slogan der Bundesregierung in der Coronapandemie lauten können. Und diese Politik wurde umhüllt durch ein ganzes Konstrukt von Lügen: über die Effektivität von „flattenthecurve“ (also die Verweigerung, das Virus durch konsequente staatliche und gesundheitspolitische Maßnahmen auszurotten), über angebliche „niedrige Ansteckungsraten“ in Kindergärten und Schulen und der Vertuschung eigens in Auftrag gegebener Studien5 und vieles mehr.

Nichts davon war im Interesse der arbeitenden Bevölkerung! Während die öffentlichen Kassen, gefüllt von reichlich Steuergeldern von Arbeiterinnen und Arbeitern, mit vollen Händen geleert wurden um Rettungspakete für die Konzerne zu schnüren, konnten die gleichen Konzerne noch ihre Beschäftigten entlassen. Deutschland ist das Land der Welt, das anteilig am Bruttoinlandsprodukt am meisten Geld für die letzten Rettungspakete ausgegeben hat – allein 2020 das Zehnfache der letzten Krise.6 Für wirksamen Gesundheitsschutz (Massentests, umfassende Ausstattung der Gesundheitsämter, Verstaatlichung und Ausbau der Krankenhäuser,...) war zu keinem Zeitpunkt zu wenig Geld da – es ist nur nicht für den Gesundheitsschutz ausgegeben worden.

Eine konsequent andere Gesundheitspolitik war möglich – aber nicht gewollt. Die deutsche Bundesregierung, die während der Coronapandemie den Handlanger der Bosse von Banken und Konzernen spielte, ist verantwortlich für tausende Tote, die vermeidbar gewesen wären. Zu Recht erklärt der Aufruf von #ZeroCovid die Strategie von #flattenthecurve für gescheitert!

Mehrbelastung durch den Shutdown?

Viele politische Kräfte äußern heute Bedenken über den Vorschlag eines harten und umfassenden Shutdowns, weil sie sehen, welche Belastung der anhaltende Teil-Lockdown für Arbeiterfamilien und Arme darstellt, und die Befürchtung äußern, ein noch härterer Shutdown könne diese Belastung weiter steigern.

Auf Ebene der Fakten ist diese Argumentation aber einfach nicht zu halten – und sie entspricht auch nicht dem Interesse der arbeitenden Bevölkerung in der heutigen Krise. Denn gerade die anhaltenden Teil-Lockdowns verlagern Eindämmungsmaßnahmen und die damit einhergehende Belastung ins Private, während etliche Betriebe geöffnet bleiben. Eben daraus entsteht für Arbeiterfamilien die Doppelbelastung in den Betrieb zu kommen und die Betreuung der Kinder nebenher zu organisieren, wenn sie um ihre Stelle fürchten, weil der Staat gegenüber den Arbeitgebern nicht durchgreift. Und gerade die anhaltenden Teil-Lockdowns sind verantwortlich für deren lange Dauer, da durch sie keine durchschlagenden Erfolge gegen die Pandemie bewirkt werden können. Sie sind der Grund für die nicht enden wollende psychosoziale Gefährdung von Arbeiterfamilien durch den Lockdown, und werden es auch in Zukunft sein, da zumindest für die kommende Zeit nicht zu erwarten ist, dass die unzureichenden Impfungen die Pandemie grundlegend aufhalten werden (von der Frage der Mutationen ganz abgesehen).

Im Zusammenhang mit den Impfungen führen Gegner des „0-Neuinfektionsziels“ an, dass man nun nur noch auf die Impfungen warten müsse, um der Coronapandemie Herr zu werden. Aber genau mit diesem Argument des „Wartens auf die Impfungen“ hat die Bundesregierung ja den vergangenen  völlig ineffektiven „Lockdown Light“ begründet. Wir begrüßen, dass es möglich war, einen Impfstoff gegen die derzeitige Variante des Coronavirus zu entwickeln – was nur aufs Neue beweist, welche Ressourcen vorhanden sind, dass der Sieg gegen Corona keine technische Unmöglichkeit, sondern politischer Unwille war, und „Lösungen“ in diesem System nur dann vorangetrieben werden, wenn Private von ihnen profitieren. Aber in der Gleichung „Lösung durch Impfung“ stecken auch etliche Unbekannte: Wie viele Kolleginnen und Kollegen sollen sich noch anstecken, und in mühsamer Reha ihre Lungenfunktion wiedererlangen, bis jeder von uns geimpft wurde? Wie werden weitere Mensch-Tier-Übertragungen das Virus beeinflussen? Wie können sich weitere Mutationen auf die Wirksamkeit des Impfschutzes auswirken? Wie genau sind die Langzeitschäden von Covid19 einzuschätzen? Wie lange hält der Impfschutz an? Mit so vielen Unbekannten finden wir die Strategie falsch, von Anfang an auf einen Impfstoff  als Lösung zu setzen. Klar ist: Corona ist keine einfache Grippe, sondern eine ernsthafte Atemwegserkrankung, die mehrere Organe befällt und schädigt. Es ist falsch eine solche Krankheit als „zweite Grippe“ zu behandeln, gegen deren Mutationen es dann jährlich neue Impfstoffe geben soll.

Diese Situation erhält die psychosoziale Unterversorgung aufrecht: So sind während der Lockdowns überdurchschnittlich viele Alkoholiker unter dem Druck der Einsamkeit und Jobunsicherheit rückfällig geworden, während gleichzeitig Entgiftungsstationen aufgrund der hohen Infektionsraten geschlossen werden.7 Wenn Gegner eines harten, umfassenden Shutdowns argumentieren, die Nachverfolgung von Infektionsketten sei „unmöglich“ wegen Personaldefiziten in den Gesundheitsämtern – wie wollen sie an solchen Problemen bei anhaltend hohen Infektionszahlen dann überhaupt etwas ändern?

Auch ist nur aus der Belastung durch den Shutdown nicht abzulesen, dass Kolleginnen und Kollegen härtere Maßnahmen unabhängig von ihrem Inhalt ablehnen würden. Entscheidend ist die Frage ihrer Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit. Nahezu 70% der deutschen Bevölkerung befürworten heute die getroffenen Maßnahmen und 16% sind darüber hinaus der Meinung, sie seien nicht weitreichend genug.8

Staatlicher Autoritarismus?

Andere wiederum äußern die Befürchtung, ein harter Shutdown würde einen „staatlichen Autoritarismus“ fördern. Sie sprechen davon, dass eine Senkung der Neuinfektionen auf 0 nur durch „massive Repression“ von Seiten des Staates möglich sei und ein kompletter Shutdown „die demokratischen Rechte“ gefährden würde.

Dabei wird meist eine grundlegende Klärung übersprungen, von welchen staatlichen Maßnahmen genau die Rede ist – denn nicht jeder staatliche Eingriff, mag er auch hart sein, ist gleich reaktionärer Autoritarismus. Unser Problem besteht nicht in erster Linie in staatlichen Eingriffen, sondern darin, dass dieser Staat die Interessen der Reichen und Bourgeoisie gegen uns durchsetzt.

Und überhaupt: wenn von „demokratischen Rechten“ die Rede ist – wessen demokratische Rechte sind dann gemeint? Doch nicht etwa die der Kolleginnen und Kollegen, die am Arbeitsplatz weiter an Corona erkranken? Die der 60-Jährigen Erzieherin, die sich täglich schutzlos in den Betrieb begibt? Sicherlich nicht! Wir sind der Meinung: wenn in der Arbeiterbewegung von „demokratischen Rechten“ die Sprache ist, sollten auch ökonomische Rechte gemeint sein – und uns steht keine Möglichkeit offen, während Pandemien spontan den Beruf zu wechseln, in die private Krankenkasse zu gehen oder unbegrenzt bezahlten Urlaub zu nehmen!

Härteren staatlichen Eingriffen in die „unternehmerische Freiheit“, in die „private Entscheidung“ des Einzelnen, seinen Betrieb offenzuhalten und auf Gesundheitsschutz zu verzichten, sind wir nicht abgeneigt – im Gegenteil! Und auch eine rationale Grenzpolitik – bezieht sie sich auf für jeden verpflichtende Massentests und übergangsweise Quarantänestationen an Grenzen oder auf die zeitweise Schließung von Hochrisikogebieten – ist nicht dasselbe wie ausländerfeindliche Abschottung und sollte auch nicht mit ihr gleichgesetzt werden.

Autoritär und arbeiterfeindlich ist dieser Staat, wenn er durch seinen Liberalismus gegenüber den Unternehmern für hohe Infektionsraten sorgt, während er die Liebknecht-Luxemburg-Lenin-Demonstration unter dem Vorwand des „Infektionsschutzes“ niederprügelt – und dabei rechte Querdenker laufen lässt. Wir verteidigen nicht die liberale Vorstellung, die private (und unternehmerische) Freiheit des Einzelnen stünde über allem anderen, sondern fragen uns, in wessen Interesse der Staat seine Maßnahmen gegen wen durchsetzt – und kämpfen für eine Gesundheitspolitik im Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter.

Die Opposition der Kleinbürger

Die lauteste Opposition gegen „undemokratische“ gesundheitspolitische Eingriffe im Interesse einer konsequenten Ausrottungsstrategie des Covid19-Virus bilden die radikal-ultraliberalen Kleinbürger von „Querdenken“ – kleine Ladenbesitzer, Fitnessstudiobetreiber und andere, die den ökonomischen Druck der Krise am deutlichsten spürten und ihn auf ihre Beschäftigten abwälzen wollten. Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz könne man sich nicht leisten, so hieß es, weitere Schließungen seien „unmöglich“ und die Maskenpflicht Faschismus (schon vergangenen Juni haben wir uns ausführlich zu dieser „Bewegung“ geäußert9). Sie fanden allerlei Argumente gegen den Lockdown – dahinter steckten ihre wirtschaftlichen Interessen. Und weil ihre Positionen aus Sicht der Interessen der Mehrheit der arbeitenden und armen Bevölkerung rational keinen Sinn macht, und sie die wahren Schuldigen der Krise nicht benennen wollen, müssen sie Irrationalismus sähen und eine Diktatur und geheime Strippenzieher auch da dazuerfinden, wo keine sind (so zum Beispiel auf Lady Gagas Dinnerparties).

Auch heute sind es die Vertreter des Kleinbürgertums, die in einem konsequenten Shutdown und einer drastischen Absenkung der Neuinfektionen den „Totalitarismus“ erblicken. Thomas Gerlach schreibt zu #ZeroCovid in der taz: „Es hat immer etwas Religiöses, für ein hehres Ziel in der Ferne Entbehrungen im Heute in Kauf zu nehmen. ChristInnen warten auf die Wiederkunft des Herrn, und in den Schulen der DDR wurden Generationen von Kindern vertröstet, dass sie einmal in der schönsten aller Welten leben werden – wenn alle mitmachen.

Es ist eben auch der Traum von einer radikal anderen Gesellschaft, die im „Zero Covid“-Appell aufleuchtet: eine Welt ohne Kapitalismus, ohne Profitlogik, dafür solidarisch. In der Corona­zeit heißt das: Fabriken und Baustellen schließen, Krankenhäuser verstaatlichen und die Rechnung den Reichen schicken. Kurzum – mehr Staat, weniger Profit, dazu den Impfstoff in öffentliche Hände. Dabei ist Biontech ein Beispiel dafür, dass Profitinteresse extrem schnell die passende Antwort liefert.

Kritik an der Regierung? Natürlich! Kritik an der Verteilung des Reichtums? Nur zu! Linke Ideen, wie Corona überwunden werden kann? Her damit! Aber bitte nicht mit einer halbtotalitären Fantasie. Mit dem Virus werden wir leben lernen, es zähmen. Immer wieder. Eigentlich so – wie beim Kapitalismus.“10

Er trifft den Nagel auf den Kopf: eine radikal andere Gesundheitspolitik im Interesse der Arbeiterklasse ist möglich – aber nicht in den Grenzen der kapitalistischen Marktwirtschaft. Denn der Kampf um eine Pandemiebekämpfung im Interesse der arbeitenden Bevölkerung ist eine Schlacht um Ressourcen – und in diesem Sinne betreibt auch die Bundesregierung ihre Gesundheitspolitik.

Unsere Position zu #ZeroCovid: Für einen Kampf um Shutdown und 0 Neuinfektionen – mit klarem Klassenprogramm!

An diesem Punkt fallen die Stärken und Schwächen von #ZeroCovid-Aufrufs ins Gewicht. Wir begrüßen den Aufruf insofern, dass er in Bezug auf gesundheitspolitische Fragen im Ansatz die richtigen Interessen an die Oberfläche bringt. Der Aufruf greift den Irrationalismus der profitorientierten Gesundheitspolitik mit jedem Recht an – und das kleinbürgerliche Lamentieren über die – angeblich! – mangelnden Ressourcen für eine konsequente Gesundheitspolitik ist demgegenüber ein Rückschritt.

Wir unterstützen die Forderung nach einem drastischen Umlenken der Gesundheitspolitik mit dem Ziel der Ausrottung des Virus durch einen harten Shutdown auch im Wirtschaftsbereich und einer gezielten, konsequenten Kontrollstrategie, ebenso wie einige andere Forderungen der Kampagne (wie nach der sofortigen Anhebung der Löhne im Gesundheitsbereich).

Wir sind aber auch überzeugt davon, dass ein solches Ziel nur auf dem Rücken der organisierten Arbeiterbewegung durchgesetzt werden kann. Es waren italienische Metallarbeiter, die zu Beginn der Pandemie ihr Recht auf Betriebsschließungen durch Streiks erzwungen haben. Der Ansatz, durch Appelle (unter anderem getragen von einzelnen Aktivisten, Intellektuellen und Künstlern) an die nationalen Regierungen und die Europäische Union etwas an ihrer Klassenpolitik in Gesundheitsfragen zu ändern, ist aussichtslos und wird verpuffen.

Während der Coronapandemie sind in der Gesundheitspolitik deutliche Klassenunterschiede hervorgetreten – und der Aufruf bleibt in dieser Hinsicht an vielen Stellen spürbar vage. Zwar soll der Gesundheitsbereich nicht „dem Profitstreben“ unterworfen werden – aber von einer Verstaatlichung aller gesundheits- und versorgungsrelevanten Sektoren ist nicht die Rede. Impfstoffe sollten laut Aufruf „der privaten Profiterzielung“ entzogen werden, da sie „ein Ergebnis der kreativen Zusammenarbeit vieler Menschen“ seien – aber durch wen und für wen sie der Profiterzielung entzogen werden sollten, geht daraus nicht hervor. Auch der Charakter des im Aufruf geforderten „umfassenden Rettungspakets“ bleibt völlig unklar – zu den vergangenen „solidarischen Rettungspaketen“ der Bundesregierung und der „solidarischen Krisenlösung“ der Europäischen Union haben wir uns bereits geäußert. Auch ist davon die Rede, dass „die europäischen Gesellschaften“ viel Reichtum angehäuft hätten, der nun „solidarisch“ umverteilt werden soll – was die Klassenfrage ausklammert. Damit bewegt sich der Aufruf im Traumland des Idealismus – und anders wäre es auch sehr unwahrscheinlich, dass pro-kapitalistische Grüne wie Luisa Neubauer sich darunter finden würden.

Der Aufruf benennt keine Akteure. Er ruft nicht zu Streiks oder Arbeiterkämpfen auf, und benennt auch unsere Gegner nicht (zu denen auch die Europäische Union gehört, die auch im Moment maßgeblich für die Kürzungs- und Privatisierungspolitik verantwortlich ist!). Es bleibt beim Appell, unter dem sich Arbeiter ebenso finden wie namhafte Figuren der Kunst- und Kulturszene und Vertreter der herrschenden Parteien. Damit bleibt er vorerst eine Kopfgeburt, vergleichbar mit „Aufstehen“ und anderen Initiativen. Doch unsere Solidarität ist Klassensolidarität. Ein Kampf um Ressourcen und Gesundheitsschutz ist für uns ein Kampf gegen unsere Chefs und Bundesregierung. Er schließt den Kampf gegen die unterdrückerische Politik der EU und die neu aufbrandenden medialen Lügen über die prasserischen südeuropäischen Sozialsysteme zwingend mit ein. Ohne den Kampf der Arbeiterklasse wird es den Sieg über Pandemie und Krise nicht geben.

LINKE, Betriebe und Gewerkschaften

Ein entschlossener Kampf der Arbeiterklasse wird ohne parteiliche und gewerkschaftliche Organisation nicht möglich sein. Welche Politik vertreten also Linkspartei-Führung und Gewerkschaftsspitzen im Zusammenhang mit Wirtschaftskrise und Coronapandemie?

Die Führung der LINKEN vertritt seit Beginn von Pandemie und Krise ein stringent kleinbürgerliches Programm: zuerst setzte sie sich besonders zwar nicht gegen die Rettungspakete für Banken und Großkonzerne, aber für die Rettung vorwiegend von Kleinunternehmern und Künstlern ein. Nun, an der Frage des Lockdowns, vertrat sie noch im Dezember (!) in ihrem „Fahrplan Corona-Winter“ die Haltung, eine Schließung der Gastronomie sei nicht zu verantworten, da die kleinen Gewerbetreibenden in dem Bereich einen solchen Einschnitt nicht verkraften könnten.

Immer wieder sprechen Linke derzeit von der Notwendigkeit, Arbeiterklasse und kleine Selbstständige müssten sich im Angesicht der Pandemie unter einem Programm vereinigen. Aber gerade die jetzige Krise macht deutlich: Das Programm der Arbeiterklasse und das der selbstständigen Kleinunternehmer ist nicht deckungsgleich – und genau darin liegt der Hund begraben!

DIE LINKE sitzt derzeit in drei Bundesländern in der Regierung, wo sie die herrschende Politik mitträgt. Sie kann gar nicht anders, als auch ideologisch ein Programm der Klassenversöhnung zu vertreten. Ebenso wie die anderen Neuen Linken Formationen stützt sie die Politik der Nationalen Einheit von links. Aber wie es an der Frage des Shutdowns der Wirtschaft deutlich wird, kann sich die Arbeiterklasse hinter diesem Programm der „solidarischen Arbeitgeber“ nicht einreihen!

Wir erleben eine tiefe Krise des Kapitalismus – auf Unternehmerseite ist es die Kleinbourgeoisie, die daran als erstes Schiffbruch erleidet. Einheit mit ihren Vertretern kann es nur geben, wenn sie sich dem Programm der kämpfenden Arbeiterklasse unterordnet. Auch DIE LINKE und weitere Organisationen der politischen Linken müssen mit dem kleinbürgerlichen Programm der Klassenversöhnung brechen, und eine konsequente, effektive und staatliche Gesundheitspolitik fordern.

Das trifft am allermeisten auf die Situation in den Betrieben zu. Wie unsinnig ist die Argumentation, ein harter Shutdown im Zuge einer Ausrottungsstrategie solle Kindertagesstätten nicht einschließen, wo doch gerade die katastrophale Situation in den Kindertagesstätten den drastischen Widerspruch zwischen der Realität (Kindertagesstätten sind blühende Infektionsherde) und bürgerlicher Fiktion entlarvt hat?

Ebenso fragwürdig ist die Forderung, dass Kollegen über die Öffnung ihrer Betriebe oder den Kita-Gang ihrer Kinder selbst entscheiden dürfen, wenn es keine zentrale, staatliche Beschlussebene, sondern nur die betriebliche gibt. Jede ökonomische Last kann der Arbeitgeber damit auf die Kollegen abwälzen („Komm, oder du bist den Job los!“). Jeder Kleinunternehmer wird sagen: geht arbeiten, sonst machen wir dicht. Täglich erleben wir, wie Kollegen in der Situation der „freien Entscheidung“ (mit ihrem Chef im Nacken) Infektionsrisiko, Doppelbelastung mit Familienbetreuung und den Gang zur Arbeit wählen.

Es braucht einheitliche Regelungen, um einzelne Belegschaften nicht Repression der Arbeitgeber zu überlassen. Aus diesem Grund müssen die Spitzen der Gewerkschaften ihre Kollaboration mit den Chefs im „Krisenmanagement“ lösen, und die geballte Kraft von Millionen Werktätigen und unzähligen Belegschaften nutzen, die sie organisieren, um der Krisenlösung der Bosse geschlossen den Kampf ansagen!

Kampf um Sozialismus!

Die „Qual der Wahl“ unter gegebenen Bedingungen darf nicht auf den Rücken der Beschäftigten und einzelner Belegschaften abgewälzt werden. Statt einem „realistischen“ Programm innerhalb der engen Grenzen der kapitalistischen Marktwirtschaft fordern wir ein sozialistisches Gesundheitsprogramm und einen Shutdown im Interesse der Arbeiterklasse.

Welchen Sinn hat aus Sicht der Arbeiterklasse die Argumentation, das Ziel der Nullinfektionen sei „angesichts der bestehenden Ressourcen unrealistisch“ – ebenso wie es ein menschenwürdiges Wohnungsbauprogramm, die drastische Aufstockung des Gesundheitspersonals und eine rationale und bedarfsgerechte Produktion ist? Wir wollen keine Vermeidung härterer gesundheitspolitischer Maßnahmen, die alternativ zu Lohneinbußen diskutiert werden. Wir fordern auch nicht die Aufrechterhaltung der Zeitarbeit, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden! Eine solche Argumentation endet im gewerkschaftspolitischen Reformismus.

Unternehmen, die Lohnerhalt und Gesundheitsschutz zum Widerspruch machen und den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung damit direkt zuwider laufen, müssen verstaatlicht und nach den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung umgestaltet werden.

Der Grund, dass Corona nicht schon längst durch entschlossene staatliche Eingriffe ausgerottet wurde, ist die Profitemacherei in den privaten Unternehmen. Daran wird kein Aufruf von noch so vielen öffentlichen Personen etwas ändern. Nur die Arbeiterklasse kann – geschlossen und organisiert – ihre Macht im Produktionsprozess nutzen, um eine Gesundheits- und Sozialpolitik in unserem Interesse durchzusetzen. Und nur ein entschlossener Kampf um Sozialismus kann das Ende der kapitalistischen Verteilungslogik in allen Lebensbereichen bringen.

 

(1) https://zero-covid.org/ 

(2) https://offensiv.net/index.php/deutschland/wir-wollen-mehr-als-flattenthecurve-und-staythefuckhome-kein-schulterschluss-mit-den-liberalen-eliten

(3) https://www.rnd.de/wirtschaft/corona-studie-der-aok-erzieher-und-betreuer-am-haufigsten-an-covid-19-erkrankt-4VWAN6I5JFBUZK7L3IL7ALV5WI.html

(4) https://www.pfalz-express.de/ver-di-skandaloes-amazon-will-sich-die-gesundheit-der-mitarbeiter-erkaufen-amazon-weist-vorwuerfe-zurueck/

(5) https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/coronavirus/Studie-zu-Corona-an-Schule-Rabe-wehrt-sich-gegen-Vorwuerfe,schule2446.html#:~:text=Eine%20Studie%20belegt%3A%20Beim%20Corona,dass%20Schulen%20sichere%20Orte%20seien 

(6) https://www.mckinsey.com/featured-insights/coronavirus-leading-through-the-crisis/charting-the-path-to-the-next-normal/total-stimulus-for-the-covid-19-crisis-already-triple-that-for-the-entire-2008-09-recession

(7) https://www.pharmazeutische-zeitung.de/viele-suchtkranke-werden-rueckfaellig-121935/

(8) https://www.welt.de/politik/deutschland/article222761448/Corona-Deutschlandtrend-Extra-Harter-Lockdown-trifft-auf-breite-Zustimmung.html

(9) https://offensiv.net/index.php/deutschland/widerstand-2020-und-hygienedemos-diese-ausbeuter-die-fuer-freiheit-demonstrieren

(10) https://taz.de/Vorschlaege-der-Initiative-Zero-Covid/!5739231/ 

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