Dieser Artikel wurde am 20. Februar von unserer Schwestersektion Izquierda Revolucionaria (spanischer Staat) veröffentlicht.

Die Mobilisierungen von Zehntausenden von Jugendlichen, die die Freilassung von Pablo Hasél fordern, haben ein politisches Erdbeben ausgelöst. Die Szenen extremer Polizeigewalt in Barcelona, Madrid, Valencia und anderen Städten wurden hinter einer donnernden Kampagne der Kriminalisierung versteckt, die schon lange im Gange ist. Eine ausgegrenzte und verarmte Jugend, die von der Peitsche von Arbeitslosigkeit, Prekarität und Perspektivlosigkeit getroffen ist, wird nun von den bürgerlichen Parteien ins Fadenkreuz genommen. Repression ist die einzige Lösung, die Pedro Sánchez anbietet, indem er zum x-ten Mal einem Staatsapparat nachgibt, der nach woe vor von Faschisten durchdrungen ist.

Die bürgerlichen Medien haben eine ganze Wagenladung von Berichten über die Proteste veröffentlicht, die an die Bulletins der „Sozialpolitischen Brigade“ (Brigada Político-Social, Geheimpolizei unter Franco, Anm. d. Ü.) erinnern: sie sprechen von den Systemgegnern, den Unabhängigkeitsbefürwortern, den Terroristen, Gewalttätigen, Delinquenten,... die unsere Straßen in Brand setzen und die Demokratie angreifen. Täglich liefern Fernsehen, Radio und Zeitungen ein völlig verfälschtes Bild dessen was auf Barcelonas Straßen vor sich geht.

Parallel dazu hat dieselbe Medienmacht einstimmig Pedro Sánchez aufgefordert, in seiner Regierung für Ordnung zu sorgen und Pablo Iglesias ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen. Jeden Tag spekulieren sie mehr darüber, wie sie ihre kapitalistische Regierung wieder in sichere Bahnen lenken, zum Wiederaufbau der PP beitragen und die Überreste des orangenen Wracks (Ciudadanos, siehe unten, Anm. d. Ü.) retten können.

Es herrscht Klassenkampf

Der Klassenkampf ist mit überraschender Intensität auf die Bühne zurückgekehrt. Am 14. Februar erlitt die spanische Rechte in Katalonien einen unvergesslichen Schlag: Der Zusammenbruch von Ciudadanos und ihre politische Vernichtung (sie verloren bei der katalanischen Parlamentswahl 19,78 Prozent im Vergleich zu 2017, Anm. d. Ü.) sowie die sehr schlechten Ergebnisse einer PP (mit 3,85%, Anm. d. Ü.) die verblüfft den Vorbeizug von VOX beobachten musste (7,69%, Anm. d. Ü.), sind keine unbedeutenden Nachrichten. Für den IBEX 35 (spanischer Aktienindex der die 35 größten Unternehmen listet, Anm. d. Ü.) geht eine seiner wichtigsten politischen Operationen den Bach hinunter, wo die traditionellen Parteien der Rechten gerade wenn Stabilität für sie am nötigsten wäre, um die Agenda sozialer Kürzungen durchzusetzen, von einer monumentalen Unruhe erfasst wird.

Der Linksruck wird auch in den Demonstrationen und Kundgebungen deutlich, die diese Woche die Straßen gefüllt haben. Die Medien der Banken und die Machthaber sehen darin die perfide Hand von professionellen „Randalierern“ der extremen Linken und sind empört, dass gegen Ordnung und Recht verstoßen wurde. Wie zynisch! Sie wissen sehr wohl, dass die Gewalt von der Polizei provoziert wurde, die mit ihrer aggressiven und missbräuchlichen Haltung keine Mittel scheute, um die friedlich protestierenden jungen Leute anzugreifen.

Was wir sagen belegen Dutzende Videos, die in den sozialen Netzwerken angesehen werden können. In Madrid, wo die Genossen der Izquierda Revolucionaria und der Schülergewerkschaft eine sehr aktive Rolle bei der Kundgebung am Mittwoch, dem 17. an der Puerta del Sol spielten, erlebten wir das hautnah. Eine halbe Stunde vor Beginn der Mobilisierung war der Platz von einem Aufgebot an Einsatzwagen und Bereitschaftspolizei belagert, das dem eines Polizeistaates in nichts nachstand. Ihr feindseliges Vorgehen wurde vom ersten Moment an deutlich; sie verlangten in schlechtem Benehmen von Dutzenden von Menschen die Unterlagen und kontrollierten Rucksäcke in einer einschüchternden Haltung.

„In einer vollständigen Demokratie wie Spanien ist Gewalt unzulässig“

Pedro Sánchez beendete seine öffentliche Einschätzung dieser Ereignisse mit den Worten: „In einer vollständigen Demokratie wie Spanien ist Gewalt unzulässig“. Wichtige Worte, beladen mit Lügen. In einer kapitalistischen Demokratie wie der unsrigen, die im Dienste der großen Wirtschaftskonzerne steht und von einem vom Franquismus geerbten Staatsapparat bewacht wird, ist Gewalt natürlich erlaubt und wird systematisch praktiziert, um die Interessen der herrschenden Klasse zu verteidigen.

Als am 1. Oktober 2017 mehr als zwei Millionen Katalanen von ihrem Recht auf Entscheidung Gebrauch machten und für die Republik stimmten, setzte die PP-Regierung, sekundiert von PSOE, Cs (Ciudadanos, Anm. d. Ü.) und Vox, Tausende von Zivilpolizisten und Polizisten ein, um mit maximaler Gewalt gegen friedliche Bürger vorzugehen, die ihren Stimmzettel in eine Wahlurne werfen wollten. Sie sind in die Wahllokale eingedrungen und haben alles kaputt gemacht, sie haben Tränengas versprüht und Gummiprojektile verschossen, sie sind gegen Familien, alte Menschen, Männer, Frauen und Jugendliche vorgegangen. Diese Gewalt führte zwei Tage später, am 3. Oktober, zu einem Generalstreik. Am selben Tag trat Felipe VI. öffentlich auf, um deutlich zu machen, dass man nicht dulden werde, dass sich die Menschen in Katalonien demokratisch und frei äußern.

Unmittelbar darauf folgten die Prozesse und die Inhaftierung der Unabhängigkeitsführer. In diesen Jahren hat die Gewalt von Polizei und Justiz keine Atempause gemacht. Die acht jungen Leute aus Altsasu, die wegen einer Kneipenschlägerei, die von zwei Angehörigen der Guardia Civil in Zivil angezettelt wurde, zu monströsen Haftstrafen verurteilt wurden, machten mehr als deutlich, wie der Staatsapparat funktioniert. Auch die skandalösen Urteile für die Gruppenvergewaltigung von La Manada, die massive Mobilisierungen auslösten, und die Spur der Prozesse und Verurteilungen gegen Rapper, Twitterer, Sänger und Künstler, die den spanischen Staat zum Land mit den meisten Verurteilungen wegen Meinungsdelikten der „westlichen Demokratien“ gemacht haben. Die Verfolgung von Gewerkschaftern und linken Aktivisten wie Alfon, die zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt wurden, weil sie ihr Recht auf Meinungsäußerung und Demonstration wahrgenommen haben, hat nicht aufgehört.

Parallel dazu steht die völlige Straffreiheit, die die Faschisten genießen. Pedro Sánchez sagt uns, dass in einer vollständigen Demokratie wie Spanien Gewalt unzulässig ist. Aber er verschweigt sorgfältig die Tatsache, dass mehr als 200 Militärs, darunter Generäle und hohe Offiziere, ein Manifest unterzeichnet haben, in dem sie zu einem Staatsstreich aufrufen, um die Monarchie zu verteidigen, dass viele dieser Militärs sich öffentlich dafür aussprechen, 24 oder 26 Millionen Spanier zu erschießen, um „das Problem zu lösen“, dass sich bei der Polizei Äußerungen faschistischer Natur häufen, die von der wichtigsten Polizeigewerkschaft Jupol, die Vox nahe steht, gefördert werden, und dass der Regierungsbeauftragte der PSOE in Madrid, ohne weiter darauf einzugehen, eine Demonstration von Nazis zur Verherrlichung des Holocausts legalisiert hat.

Die Krise des spanischen Kapitalismus drückt sich mit aller Härte aus. Die systemische Gewalt, die gegen Millionen von Menschen ausgeübt wird, stört Pedro Sánchez und die Führer der PSOE nicht. Dass die Arbeitslosigkeit fünf Millionen übersteigt, dass Hungerschlangen unsere Städte füllen, dass Einwanderer bei dem Versuch, die Grenze zu überwinden, sterben, dass die spanische Jugend die höchste Arbeitslosen- und Schulabbrecherquote in Europa hat, dass ihr die Möglichkeit der Unabhängigkeit, der Zugang zu einem Arbeitsplatz und einer angemessenen Wohnung verwehrt wird, all das sind Kleinigkeiten. Das ist keine Gewalt, das nennt man Demokratie.

Und all diese Tatsachen, zusammen mit anderen Skandalen wie der Flucht des emeritierten Königs, jenes korrupten Bourbonen, der mit seiner Beute einen goldenen Ruhestand genießt, lassen die Spannungen zwischen den Regierungspartnern zu einer offenen Krise werden. Dass Pablo Iglesias anprangert, dass wir keine demokratische Normalität leben, was nicht nur wahr ist, sondern in jedem Fall weit darunter liegt, wird als unerträglicher Affront empfunden. Wenn Pablo Echenique (Podemos, Anm. d. Ü.) einen Tweet in Solidarität mit der antifaschistischen Jugend postet oder Rafa Mayoral (ebenfalls Podemos, Anm. d. Ü.) die Version der Medien über die Gewalt in Frage stellt, ist das das Signal, wieder das Messer zu zücken und zu fordern, dass Pedro Sánchez den Kopf von Pablo Iglesias abschlägt und ihn auf einem Silbertablett serviert.

Wie wir in zahlreichen Materialien dargelegt haben, wollte die Bourgeoisie keine PSOE-Unidas-Podemos-Koalitionsregierung. Es war nicht ihre Option. Aber nachdem ihre Manöver, ein Bündnis zwischen der PSOE und der Cs auszuhecken, gescheitert waren, und man sollte nicht vergessen, dass Pedro Sánchez sie unterstützte, machten sie das Beste aus den schlechten Zeiten. In der Regierung, die im Januar 2020 gebildet wurde, platzierte das Großkapital seine Bauern in strategischen Positionen, beginnend mit dem Wirtschaftsministerium unter der Leitung von Nadia Calviño (zuvor Leiterin der Generaldirektion Haushaltsplanung als Beamtin der Europäischen Union, Anm. d. Ü.), und sie verpflichteten sich erneut zur Zusammenarbeit mit der Partei, die ihnen immer gute Dienste geleistet hat.
Nach dem Ausbruch der Pandemie wurden die strategischen Entscheidungen dieser Regierung vom IBEX 35, dem CEOE (spanischer Arbeitgeberverband, Anm. d. Ü.), den großen Banken und der EU beklatscht. Kein Wunder. Mehr als 200.000 Millionen Euro wurden mobilisiert, um spanische Monopole und multinationale Konzerne abzuschirmen, während lächerliche Brosamen, die nichts lösen, für soziale Sicherungen aufgewendet wurden. Die Konterreform am Arbeitsmarkt bleibt bestehen und wird nicht aufgehoben. Das Knebelgesetz (Ley Mordaza; Gesetz zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit im spanischen Staat, das im Zuge der Klassenkämpfe nach der Krise 2015 erlassen wurde, Anm. d. Ü.) ist immer noch lebendig und schlägt um sich. Und neue Gegenreformen, zum Beispiel bei den Renten, stehen auf der Tagesordnung.

Podemos in der Regierung zu halten, ist für die Bourgeoisie nützlich, solange es dazu dient, den sozialen Frieden zu erzwingen und der kapitalistischen Politik der PSOE einen Anstrich von „Progressivität“ zu geben. Die herrschende Klasse möchte, dass Pablo Iglesias eine unterstützende Rolle spielt, die die linke Flanke der traditionellen Sozialdemokratie deckt, auch um Podemos gleichzeitig zu zermürben, zu diskreditieren und durch den Dreck zu ziehen.

Manche interpretieren die jüngsten Reden von Pablo Iglesias oder die Aussagen von Echenique oder Mayoral als Opportunismus. Aber es ist unbestreitbar, dass sie den Druck des Klassenkampfes widerspiegeln und die Gewissheit, die sich bei nicht wenigen Podemos-Führern breit macht, dass die Stunde der Wahrheit naht.

Wenn Podemos diese unsoziale, prokapitalistische und repressive Politik legitimiert, wenn sie die Anpassungen und Kürzungen unterstützt, die mit den europäischen Hilfen einhergehen, wenn sie die PSOE so machen lässt, wie sie es in diesen Monaten mit der berüchtigten Verwaltung der Pandemie getan hat, ohne die Reichen, die Banker, die private Gesundheitsfürsorge in die Finger zu bekommen... ist ihr Schicksal geschrieben. Es ist an der Zeit, dass Podemos und Pablo Iglesias nicht nur mit öffentlichen Reden reagieren, sondern einen Schritt nach vorne machen und mit dieser unhaltbaren Situation brechen, indem sie sich zu einer starken linken Opposition entwickeln.

Nicht wenige Führer der Partei werden diesen Vorschlag mit Entsetzen betrachten. Einige, die mit dem PCE- und IU-Apparat (Kommunistische Partei und Izquierda Unida, Anm. d. Ü.) verbunden sind, wie Enrique Santiago, haben diese Woche eine große Rolle gespielt, indem sie die Polizei verteidigten und die Jugendmobilisierung kritisierten. Sie fühlen sich auf ihren Parlamentssitzen und als Minister sehr wohl, aber sie irren sich, wenn sie glauben, dass sie für ihre Leistungen in dieser Exekutive in die Geschichte eingehen werden. Je länger sie brauchen, um zu brechen, je mehr sie nachgeben, desto mehr werden sie durch den Druck der PSOE nach rechts gezogen werden.

Die unkontrollierte Gesundheitskrise, die fast hunderttausend Toten, die der spanische Staat bereits angehäuft hat, die Arroganz, mit der sich die Rechten in zahlreichen autonomen Regionen wie in Madrid bewegen, die Repression und das Klima des Polizeistaats, das wir in den Arbeitervierteln und Städten erleben – was vor einigen Tagen in Linares deutlich zum Ausdruck kam –, die Wut, die tiefe Unzufriedenheit und die Unzufriedenheit gegenüber einem verrotteten System und Regime... bilden ein Gemisch, das eher früher als später explodieren wird.

Wir bereiten uns auf Ereignisse vor, die nur mit denen der 1930er Jahre vergleichbar sind, und es gibt keine Zeit zu verlieren. Wir müssen eine kämpfende Linke aufbauen, die dem Augenblick gewachsen ist, die aus den Lehren der Geschichte schöpft und die auf die Kraft des Programms des revolutionären Marxismus zur Umgestaltung der Gesellschaft zurückblickt.

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