Der Saturnmond „Mimas“ könnte einen riesigen, neu entstandenen Ozean verbergen

Die Entdeckung eines Ozeans auf dem Saturnmond Mimas, der erst vor kurzem entstanden ist (zwischen 100 und 25 Millionen Jahre alt), hat große Auswirkungen auf die Geschichte des Sonnensystems.

Wissenschaftliche Untersuchungen gehen davon aus, dass das Sonnensystem etwa 4,6 Milliarden Jahre alt ist. Bis vor wenigen Jahrzehnten war die Betrachtung der Geschichte des Sonnensystems, d.h. von der Entstehung der Planeten bis heute, von dem Vorurteil geprägt, dass seit seiner Entstehung keine größeren Veränderungen stattgefunden hätten. Nach der vorherrschenden Meinung sind die Planeten und Satelliten seit dieser fernen Epoche in ihren Bahnen verblieben, ohne dass es bis zum heutigen Tag zu nennenswerten Veränderungen gekommen wäre. Die Studien der letzten Jahre haben diese Vorstellung jedoch in Frage gestellt.

Statisches Konzept versus materialistische Dialektik. Der Ursprung des Sonnensystems

In Teilen der wissenschaftlichen Gemeinde herrscht die Auffassung, die die Natur und die Astronomie als feststehend und unveränderlich ansieht. Dieser im 19. Jahrhundert vorherrschende Ansatz wurde von Friedrich Engels in seinem Text Dialektik der Natur zu Recht kritisiert:

„So hoch die Naturwissenschaft der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts über dem griechischen Altertum stand an Kenntnis und selbst an Sichtung des Stoffs, so tief stand sie unter ihm in der ideellen Bewältigung desselben, in der allgemeinen Naturanschauung. Den griechischen Philosophen war die Welt wesentlich etwas aus dem Chaos Hervorgegangnes, etwas Entwickeltes, etwas Gewordenes. Den Naturforschern der Periode, die wir behandeln, war sie etwas Verknöchertes, etwas Unwandelbares, den meisten etwas mit einem Schlage Gemachtes.“[i]

Diese Kritik ist auch heute noch gültig, wo jeder wissenschaftliche Fortschritt und jede Entdeckung über das Universum statische und mechanische Vorstellungen erschüttert.

Ende der 1970er Jahre waren sich die Astrophysiker über den Ursprung des Sonnensystems nicht im Klaren, und es wurden zwei grundlegende Hypothesen aufgestellt. Die erste war die des Laplace-Kant'schen planetarischen Nebels, die besagte, dass die Planeten aus einer Gas- und Staubwolke entstanden seien. Engels war von dieser Erklärung sehr begeistert, da sie die Idee vermittelte, dass die Entstehung des Sonnensystems ein Prozess war und nicht das Ergebnis eines einzigen Knalls oder eines einzigen Impulses:

„Die erste Bresche in diese versteinerte Naturanschauung wurde geschossen nicht durch einen Naturforscher, sondern durch einen Philosophen. 1755 erschien Kants »Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels«. Die Frage nach dem ersten Anstoß war beseitigt; die Erde und das ganze Sonnensystem erschienen als etwas im Verlauf der Zeit Gewordenes. Hätte die große Mehrzahl der Naturforscher weniger von dem Abscheu vor dem Denken gehabt, den Newton mit der Warnung ausspricht: Physik, hüte dich vor der Metaphysik! - sie hätten aus dieser einen genialen Entdeckung Kants Folgerungen ziehn müssen, die ihnen endlose Abwege, unermeßliche Mengen in falschen Richtungen vergeudeter Zeit und Arbeit ersparte. Denn in Kants Entdeckung lag der Springpunkt alles ferneren Fortschritts. War die Erde etwas Gewordenes, so mußte ihr gegenwärtiger geologischer, geographischer, klimatischer Zustand, mußten ihre Pflanzen und Tiere ebenfalls etwas Gewordenes sein, mußte sie eine Geschichte haben nicht nur im Raum nebeneinander, sondern auch in der Zeit nacheinander. Wäre sofort in dieser Richtung entschlossen fortuntersucht worden, die Naturwissenschaft wäre jetzt bedeutend weiter, als sie ist. Aber was konnte von der Philosophie Gutes kommen? Kants Schrift blieb ohne unmittelbares Resultat, bis lange Jahre später Laplace und Herschel ihren Inhalt ausführten und näher begründeten und damit die »Nebularhypothese« allmählich zu Ehren brachten. Fernere Entdeckungen verschafften ihr endlich den Sieg; die wichtigsten darunter waren: die Eigenbewegung der Fixsterne, der Nachweis eines widerstehenden Mittels im Weltraum, der durch die Spektralanalyse geführte Beweis der chemischen Identität der Weltmaterie und des Bestehens solcher glühenden Nebelmassen, wie Kant sie vorausgesetzt.“[ii]

Trotz der Ergebnisse, die zu Engels' Zeiten der Hypothese des planetarischen Nebels zum Sieg verhalfen, stieß diese Hypothese in den folgenden Jahren auf enorme Schwierigkeiten, als die Physiker versuchten herauszufinden, wie sich der Nebel in eine flache Scheibe verwandelte, aus der Protoplaneten entstanden wären.

Die Wissenschaftler kamen zum Schluss, dass die Abflachung der Wolke zu einer Scheibe unmöglich war, da dies gegen ein physikalisches Gesetz verstieß, nämlich den Drehimpulserhaltungssatz. Aus diesem Grund herrschte fast 100 Jahre lang die zweite Hypothese vor, die so genannte Einfangtheorie, nach der ein Planet oder Stern nahe an der Sonne vorbeigezogen ist und durch die Anziehungskraft der Sonne Fragmente des Sterns abgelöst hat, die, von der Schwerkraft der Sonne eingefangen, die heutigen Planeten entstehen ließen.

Erst in den späten 1970er Jahren, mit dem Aufkommen der Computer und ihrer Fähigkeit, enorme Berechnungen durchzuführen, wurde die Nebeltheorie erneut bestätigt. Diese neuen Berechnungen, die die Bewegung des Staubes des frühen Nebels simulierten, ermöglichten die Feststellung, dass der Drehimpulserhaltungssatz nicht verletzt wurde.

Der endgültige Beweis für die Nebelhypothese wurde erst 2014 erbracht, als das Hubble-Weltraumteleskop ein sich bildendes Sonnensystem fotografieren konnte, das aus einer Staubscheibe bestand, in der sich Protoplaneten drehten, die bei ihrer Rotation Material einfingen. Seitdem wurden Dutzende ähnlicher Sonnensysteme, die sich aus Nebeln bilden, entdeckt.

Eine Frühzeit voller Katastrophen

Der Einsatz leistungsfähiger Computer, die in der Lage sind, Simulationen durchzuführen, hat große Sprünge im Verständnis des Sonnensystems ermöglicht, um herauszufinden, wie es in seiner Frühphase aussah. Eine der größten Überraschungen dieser Studien ist, dass die Planeten – Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun – nicht immer in der heutigen Form existiert, sondern sich auf unterschiedliche Weise entwickelt haben. Die Positionen der Planeten waren nicht immer dieselben.

Am Anfang gab es die inneren Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars nicht, sondern nur die vier Gasriesen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun, aber nicht einmal in dieser Reihenfolge: bis 300 Millionen Jahre nach ihrer Entstehung war die Reihenfolge anders, Saturn, Jupiter, Uranus und Neptun.  Genau zu dieser Zeit fand ein Kataklysmus (eine erdgeschichtliche Katastrophe, Anm.d.Ü.) statt, der die Planeten in ihre heutige Position versetzte, die inneren Planeten entstanden und der Asteroidengürtel bildete sich zwischen Mars und Jupiter. Aus dieser Zeit der großen Umwälzungen und des Bombardements des Sonnensystems durch Asteroiden sind die Krater des Mondes als Narbe oder Fossil erhalten geblieben.

Weit entfernt von einer mechanistischen oder statischen oder versteinerten Vorstellung des Sonnensystems, wie Engels sagen würde, haben wir eine dynamischere und dialektische Vorstellung, die aus einem Prozess von Veränderungen hervorgeht, statt auf einmal zu entstehen. Wie es auch Engels in seinen Schriften annahm, weist der Mathematiker Ian Steward in seinem Buch The Mathematics of the Cosmos darauf hin:

„Anfänglich führten seine (Newtons) Erfolge zu einer Auffassung vom Kosmos als einem Uhrwerk-Universum, in dem alles majestätisch den zu Beginn der Schöpfung festgelegten Bahnen folgte. So glaubte man zum Beispiel, dass das Sonnensystem in einem ähnlichen Zustand wie heute entstanden sei, mit denselben Planeten, die sich in fast kreisförmigen Bahnen bewegten. Es stimmt zwar, dass sich alles ein wenig bewegt hat: Die Fortschritte bei den astronomischen Langzeitbeobachtungen haben dies überdeutlich gemacht. Aber es herrschte der weit verbreitete Glaube, dass sich seit unzähligen Zeitaltern nichts verändert hatte, veränderte oder dramatisch verändern würde. In der europäischen Religion war es undenkbar, dass Gottes perfekte Schöpfung in der Vergangenheit anders gewesen sein könnte. Die mechanische Sichtweise eines regelmäßigen und vorhersehbaren Kosmos hielt sich 300 Jahre lang.

Aber das ist vorbei. Jüngste Innovationen in der Mathematik, wie die Chaostheorie, haben zusammen mit den heutigen leistungsstarken Computern, die in der Lage sind, relevante Zahlen in nie dagewesener Geschwindigkeit zu berechnen, unsere Sicht auf den Kosmos stark verändert. Das Uhrwerkmodell des Sonnensystems ist für kurze Zeiträume immer noch gültig, und in der Astronomie ist eine Million Jahre in der Regel kurz, aber unser kosmischer Hinterhof wird jetzt als ein Ort entdeckt, an dem Himmelskörper von einer Umlaufbahn zur anderen wandern. Ja, es gibt lange Zeiträume mit regelmäßigem Verhalten, aber von Zeit zu Zeit werden sie von wilden Ausbrüchen unterbrochen.

Die unveränderlichen Gesetze, die zur Vorstellung eines Uhrwerk-Universums geführt haben, können auch plötzliche Veränderungen und ein sehr sprunghaftes Verhalten hervorrufen. Die Szenarien, die sich die Astronomen heute ausmalen, sind oft dramatisch. Bei der Entstehung des Sonnensystems zum Beispiel kollidierten ganze Himmelskörper mit apokalyptischen Folgen. Eines Tages in ferner Zukunft werden sie dies wahrscheinlich wieder tun. Es besteht eine kleine Chance, dass entweder Merkur oder Venus dem Untergang geweiht ist, aber wir wissen nicht, welcher von beiden. Es könnten beide sein, und sie könnten uns mit sich reißen. Eine solche Kollision hat wahrscheinlich zur Entstehung des Mondes geführt. […] Das Uhrwerk hat ein Feuerwerk hervorgebracht.“[iii]

Der Satellit Mimas und sein Ozean

Vor Jahrzehnten war es unvorstellbar, dass es unter der Kruste der Satelliten von Jupiter und Saturn Ozeane geben könnte. Kürzlich wurde jedoch festgestellt, dass Mimas, der Satellit des Planeten Saturn (375 km Durchmesser), einen Ozean aus flüssigem Wasser unter einer etwa 30 km dicken Kruste haben müsste. Diese Schlussfolgerung ist nicht das Ergebnis einer Beobachtung, sondern die Existenz eines solchen flüssigen Ozeans ist die beste Hypothese, die derzeit die Umlaufbahn des Satelliten beschreiben kann, der eine besondere Bewegung um den Saturn aufweist, die nur erklärt werden kann, wenn die Hypothese eines inneren Ozeans angenommen wird.

Wie ist es möglich, dass Mimas bei den niedrigen Temperaturen auf dem Saturn, wo das Sonnenlicht ihn kaum erwärmt, einen Ozean aus flüssigem Wasser besitzt? Die Erklärung liegt in einem Phänomen, das als Gezeitenerwärmung bezeichnet wird: Die Anziehungskraft des Saturns und seine Gezeitenreibung mit der äußeren Kruste des Satelliten erzeugen genügend Reibungswärme, um das Eis zu schmelzen und es im Inneren des Satelliten flüssig zu machen.

Eine weitere spektakuläre Tatsache ist, dass das Alter des Ozeans auf 25 bis 100 Millionen Jahre geschätzt wird, was auf der menschlichen Skala zwar eine lange Zeit ist, auf der Zeitskala des Sonnensystems jedoch die Gegenwart darstellt. Hinzu kommt, dass der Mimas-Satellit selbst kaum 100 Millionen Jahre alt sein dürfte, so dass die Entstehung von Planetensatelliten und damit die Geschichte und Entwicklung des Sonnensystems weitergeht und nicht starr und unveränderlich bleibt.

Die Autoren der Forschungsarbeiten, die zu diesen Schlussfolgerungen geführt haben, weisen darauf hin:

„Für Lainey ist das merkwürdige Gleichgewicht des Saturnsystems zwischen Ordnung und Chaos sinnbildlich für diese größere Wahrheit: ‚Das System entwickelt sich ständig‘, behauptet er, von der fernen Vergangenheit bis zur Gegenwart. Auf diese Weise sind alle diese astronomischen Entdeckungen nicht nur eine Angelegenheit der Vergangenheit, sondern der Gegenwart.“[iv]

So bestätigen all diese astronomischen Entdeckungen die These von Engels gegen diese „versteinerte Naturanschauung“ und bieten uns das Bild eines Sonnensystems, das sich in ständiger Veränderung befand und befindet, mit sonnenfernen Wasserwelten, die (im Hinblick auf die Geschichte des Kosmos) erst vor kurzem entstanden sind, das auch Perioden katastrophaler Veränderungen durchlaufen hat und durchlaufen wird, die nicht allein das Ergebnis äußerer Faktoren des Sonnensystems waren, sondern eine Folge seiner eigenen allmählichen und ungleichmäßigen inneren Entwicklung. Was für eine großartige Bestätigung des dialektischen Materialismus!

 

[i] Friedrich Engels: „Dialektik der Natur“, In: MEW, Bd. 20, S. 315

[ii] Friedrich Engels: „Dialektik der Natur“, In: MEW, Bd. 20, S. 316 f.

[iii] Ian Stewart, Die Berechnung des Kosmos

[iv] Scientific American, Saturn’s ‘Death Star’ Moon May Hide a Massive, Shockingly Young Ocean. https://www.scientificamerican.com/article/saturns-death-star-moon-may-hide-a-massive-shockingly-young-ocean/

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