I. WELTPERSPEKTIVEN
1. Der Krieg in der Ukraine zeigt, wie tief der Konflikt zwischen den imperialistischen Blöcken, mit den USA und China an der Spitze, geworden ist. Der Kampf um die Weltherrschaft hat mit der Großen Rezession 2007-2008 einen qualitativen Sprung gemacht; eine Krise, die das Fundament für eine historische Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen den kapitalistischen Mächten legte. Die von Washington nach dem Zusammenbruch der Planwirtschaften auferlegte Weltordnung ist zusammengebrochen
2. Als die Subprime-Krise ausbrach und die Insolvenz von Lehman Brothers das gesamte US-amerikanische Finanzsystem und die Wirtschaft erschütterte und den Westen in die tiefste Abwärtsspirale seit dem Crash von 1929 stürzte, haben zahllose bürgerliche Ökonomen und die wichtigsten Institutionen des internationalen Kapitalismus – wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank – auf Chinas Wachstum als das Gegenmittel gegen die Krise hingewiesen, das den Weltkapitalismus vor dem Untergang retten würde.
3. Es ist bittere Ironie, dass der Lauf der Geschichte und genau dieser historische Prozess China heute in eine wirtschaftliche, technologische und militärische Supermacht verwandelt haben. Dieser Aufstieg führt zu neuen und schwerwiegenden Widersprüchen, die die zwischenimperialistischen Spannungen auf ein Niveau heben, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr erreicht worden ist. Unsere Organisation und Internationale hat die Merkmale des Aufstiegs Chinas und die Besonderheiten seines staatskapitalistischen Regimes bereits ausführlich analysiert, sowohl im Dokument des letzten Weltkongresses[1] als auch in den verschiedenen Erklärungen, die seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges veröffentlicht wurden.
Der Niedergang des US-Imperialismus und der Aufstieg China
4. Die Gesundheitskrise während der Corona-Pandemie sowie die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen haben die enormen Schwächen des US-amerikanischen und europäischen Imperialismus angesichts der starken Entwicklung des chinesischen Kapitalismus deutlich gemacht. Die Daten und Fakten lassen keinerlei Raum für Zweifel: Von den 6,6 Millionen Todesfällen, die die offizielle WHO-Statistik bis zum 26. November 2022 registriert hat (die tatsächlichen Zahlen könnten anderen Quellen zufolge bereits 17 Millionen übersteigen),[3] entfallen lediglich 5.232 auf China, verglichen mit mehr als einer Million Todesfällen in den USA, 196.821 in Großbritannien, 157.388 in Deutschland und 115.641 Todesfällen in Spanien oder sogar 25.345 in Portugal. Die beeindruckendsten Zahlen sind die der Todesfälle auf 100.000 Einwohner. Anfang Oktober gab es in China 1,81 Todesfälle pro 100.000 Einwohner, während die Rate in den USA 316,43, im Vereinigten Königreich 280,35, in Deutschland 180,44, in Spanien 241,23 und in Portugal 242,89 betrug!
5. Die erfolgreiche Zero-Covid-Strategie hat es China ermöglicht, die Wirtschaft fast normal aufrecht zu erhalten. Im Jahr 2020 hat sie ein Wachstum von 2,3 % erreicht, während die US-Wirtschaft um 3,8 % schrumpfte und die Weltwirtschaft um 4,3 % zurückging. 2021 war der Aufschwung in China schwindelerregend und erreichte 8,1 % gegenüber 5,7 % in den USA. Trotz der intensiven Anti-China-Propaganda im Westen werden die Wettbewerbsvorteile der asiatischen Macht immer stärker und provozieren auf Seiten des US-Imperialismus Verzweiflung und Aggressivität. Dies ist der Schlüssel zum Verständnis der Ereignisse, die zum Krieg in der Ukraine geführt haben.
6. Die Propaganda des Westens versucht, die Veränderung des Kräfteverhältnisses zu verschleiern, die längst stattgefunden hat. China ist heute der wichtigste Handelspartner von 130 Ländern, von denen zwei Drittel doppelt oder gar mehr als doppelt so viel Handelsvolumen mit China haben wie mit den USA. Wenn wir die beiden Mächte anhand der Kaufkraftparität (KKP) vergleichen, die sowohl von dem IWF als auch von der CIA als das beste internationale Vergleichskriterium betrachtet wird, stellen wir fest, dass die chinesische Wirtschaft die US-amerikanische bereits überholt und nach den Berechnungen des IWF 115 % ihrer Größe erreicht hat.[5] Es handelt sich um Daten und Zahlen, die wir bereits in früheren Papieren und Erklärungen aufgenommen haben.
7. Für die „Neue Seidenstraße“ und das imperialistische Großprojekt „Belt and Road Initiative“ (BRI) hat China laut dem vom Green Finance & Development Center der Fudan Universität in Shanghai veröffentlichten Bericht seit dem Start des Projekts im Jahr 2013 bereits 932 Mrd. USD mobilisiert. Zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2022 haben 42 Länder Projekte und Investitionen im Zusammenhang mit den Handelsrouten und dem Infrastrukturausbau der Neuen Seidenstraße durchgeführt. Was die direkten Investitionen betrifft, so war Saudi-Arabien mit rund 5,5 Mrd. USD der größte Empfänger, gefolgt von der Demokratischen Republik Kongo (600 Mio. USD) und Indonesien (560 Mio. USD).
8. Chinas Dominanz auf dem Weltmarkt ist gewaltig. Das Land steht an der Spitze des größten Wirtschaftsblocks der Welt; das Abkommen der „Regional Comprehensive Economic Partnership“ (RCEP), das von 15 Ländern des asiatisch-pazifischen Raums und der ASEAN-Staaten mit mehr als 2 Milliarden Einwohnern, etwa einem Drittel der Weltwirtschaft und einem gemeinsamen BIP von etwa 26,2 Billionen Dollar unterzeichnet wurde. Darüber hinaus ist der Handel Chinas mit traditionellen Verbündeten Washingtons wie Japan und Südkorea fast doppelt so hoch wie der der Vereinigten Staaten selbst, im Falle Australiens sogar mehr als doppelt so hoch! Während der Pandemie wurde die Welt sogar noch abhängiger von China, dessen Handelsüberschuss im Jahr 2021 einen Rekordwert von 675 Milliarden Dollar erreicht hat, was einem Anstieg von 60 % gegenüber dem Niveau vor der Pandemie entspricht.[8] China ist auch der größte Gläubiger von Staatsschulden der Welt.
9. All das ändert natürlich nichts an der Anhäufung erheblicher Ungleichgewichte in der chinesischen Wirtschaft, wie z. B. die wachsende eigene Verschuldung, die sich von 143 % des BIP im ersten Quartal des Jahres 2006 auf 290 % des BIP im letzten Quartal des Jahres 2020 erhöht hat. Hinzu kommen gefährliche Spekulationsblasen wie zum Beispiel im Immobiliensektor. Für uns ist aber wichtig zu sehen: In den USA und Europa sind diese Probleme gleich groß oder sogar noch größer! Natürlich können alle Fortschritte Chinas und die unbestreitbare Entwicklung der chinesischen Produktivkräfte nicht über die extreme Ausbeutung der Arbeiterklasse unter dem Regime des Staatskapitalismus, das Fehlen demokratischer und gewerkschaftlicher Freiheiten sowie die daraus resultierende und sich ständig vergrößernde Ungleichheit hinwegtäuschen (die reichsten 1 % der chinesischen Bevölkerung besaßen 2020 bereits 30,6 % des Reichtums des Landes).
10. Doch das ist in Europa nicht anders. Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass China in der Lage ist, Rohstoffquellen und Lieferketten zu kontrollieren, was die Industrie in den USA und Europa ernsthaft beeinträchtigt. Die Sanktionen gegen Russland, das über wichtige Energiequellen und Rohstoffe für die Industrie verfügt, könnten diese Situation zum Vorteil Chinas sogar noch weiter verschärfen. Während für fast alle westlichen Volkswirtschaften negative Daten zu verzeichnen sind, entfällt auf China weiterhin ein wachsender Anteil ausländischer Direktinvestitionen (Foreign Direct Investements, FDIs): im Zeitraum Januar bis April 2022 ist ein Anstieg von 26,1 % gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen gewesen (insgesamt fast 74,5 Mrd. USD).
11. Ein weiterer Wendepunkt im zwischenimperialistischen Kampf war die demütigende politische und militärische Niederlage Washingtons und der NATO in Afghanistan, die zu den Niederlagen im Irak, in Syrien und Libyen und dem Scheitern ihrer Putschstrategien in Venezuela, Bolivien und der Türkei hinzukommt[12], sowie der allmähliche Verlust ihres Einflusses in Afrika, Asien, dem Nahen und Mittleren Osten und einem Großteil Lateinamerikas gegenüber dem chinesischen Imperialismus. Dass sich selbst traditionelle Verbündete der USA wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (UAE), die Türkei oder Israel teilweise von der alten Supermacht in so grundlegenden Frage wie dem Ukrainekrieg und den Sanktionen gegen Russland abwenden und sogar aktiv mit Russland und China zusammenarbeiten, wie im Fall von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten über die OPEC[13], ist eine direkte Folge dieser entscheidenden Veränderung.
12. Die Außenpolitik eines Landes ist immer auch ein Spiegelbild seiner inneren Stärken und Schwächen. Die herrschende Klasse der USA versucht, den Anschein einer hegemonialen Supermacht zu wahren, aber sie kann den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang des Landes nicht verbergen. Die unaufhaltsame Ungleichheit und die akute politische Polarisierung, die sich einerseits im Rechtsruck der Republikanischen Partei und in Trumps Putschversuch, dem Sturm auf das Kapitol im Januar 2021, und andererseits in der Radikalisierung und dem Linksruck immer breiterer Schichten der Jugend, in den antirassistischen Massenmobilisierungen, in der Black-Lives-Matter-Bewegung oder in den aktuellen gewerkschaftlichen Kämpfen und in der Welle offensiver Streiks ausdrückt, bilden eine verzwickte Situation für die herrschende Klasse. Die Institutionen der bürgerlichen Demokratie, die für die herrschende Klasse in den USA jahrzehntelang so zuverlässig waren, sind diskreditiert.
13. Die mit faschistischen und rassistischen Elementen gespickte Rhetorik von Trump und den Teilen der herrschenden Klasse, die ihn unterstützen; die Beschneidung grundlegender demokratischer Rechte wie Abtreibung oder das Wahlrecht für die afroamerikanische Bevölkerung; die repressive Gesetzgebung gegen Einwanderung; die Stärkung der Polizeikräfte und die Straffreiheit für die ultrarechten Paramilitärs, die das Kapitol stürmten und das offensichtlich mit der Komplizenschaft eines Teils des Staatsapparates: All das weist auf die Tiefe der Krise hin, in der sich das derzeitige bürgerliche Herrschaftssystem befindet. Es ist kein Zufall, dass in den bürgerlichen Medien zunehmend von der Möglichkeit eines neuen Bürgerkriegs die Rede ist.
14. An diesen Tatsachen haben auch die US-amerikanischen Midterms nichts geändert. Zwar haben die Stimmen von Arbeitern und Jugend, trotz des völligen Ausverkaufs durch die Biden-Administration, einen trumpistischen Erdrutschsieg verhindert. Doch es ist absolut nicht wahr, wenn einige bürgerliche Medien es so darstellen, als würden die Kampagnen neuer Kandidaten der Rechten ein Ende des Rechtrucks der Republikaner einleiten. Ob nun von „Trumpismus“ oder „DeSantismus“ die Rede ist – der Rechtsruck der Republikanischen Partei wird weitergehen.
15. Wie die Republikaner gegen Biden in der Debatte zur Lage der Nation betonten: „Die USA können im Ausland keine Stärke zeigen, wenn sie zu Hause schwach sind.“ Angesichts der miserablen Zustimmungswerte der Regierung Biden und der Tatsache, dass nur 26 % der US-Bevölkerung der Meinung sind, dass das Land im Ukraine-Konflikt eine führende Rolle spielen sollte, sieht sich das von den Demokraten kontrollierte Weiße Haus ernsthaften Schwierigkeiten gegenüber, den Vormarsch Russlands und Chinas einzudämmen.
16. Der US-Imperialismus könnte niemals einen entscheidenden Verlust seines Einflusses auf dem europäischen Kontinent hinnehmen. 2020 ist China zum wichtigsten Handelspartner der EU aufgestiegen – seit 2015 ist es bereits der wichtigste Partner Deutschlands.[15] Der Handel zwischen China und den 17 Ländern Mittel- und Osteuropas ist seit 2012 jährlich um durchschnittlich 8 % gewachsen und hat im Jahr 2020 über 103 Milliarden US-Dollar erreicht. China hat enge Beziehungen zu Italien und Griechenland aufgebaut und ist in Bosnien, Kroatien, Montenegro und Serbien[16] stark involviert; alles strategische Schlüsselpunkte der Neuen Seidenstraße. Bemerkenswert ist auch das Vordringen chinesischen Kapitals in der Ukraine selbst: Kurz vor dem Krieg ist China zum wichtigsten Handelspartner des Landes geworden! Seit 2013 sind 9 % der ukrainischen Ackerflächen im Besitz chinesischer Unternehmen.
17. Der US-Imperialismus versucht gegen diesen internationalen Konkurrenten vorzugehen, aber alle Maßnahmen, die sie ergriffen haben, haben das Gegenteil bewirkt. Trump hat eine aggressive Politik der Sanktionen und Zölle eingeleitet, die ein durchschlagender Misserfolg war, und nun ist die Regierung Biden, die von der reformistischen Linken als große Hoffnung dargestellt wurde, zum kriegerischen und unkontrollierbaren Rammbock des US- Imperialismus geworden. Unter den Demokraten fördert die US-Außenpolitik die weltweite Instabilität: Sie stürzt die europäische Bourgeoisie in eine chaotische Situation, während die Inflation die Wirtschaft in eine schwere Rezession drängt.
18. Dabei ist sich die herrschende Klasse der USA der Widersprüche zwischen den EU-Mitgliedern bewusst und versucht, diese auszunutzen, indem sie eine Kerbe in den deutschen Machtblock schlägt. Sie hat sich vehement für den Brexit eingesetzt, auf die Blockierung der Beziehungen zwischen der EU und China gedrängt (die EU und China haben nach sieben Jahren der Verhandlungen keine Investitionen mehr getätigt), starken Druck auf Berlin ausgeübt, die deutschen Beziehungen zu China und Russland zu kappen (indem sie das Projekt Nord-Stream-II lahmgelegt haben) und aktiv alle Verhandlungen über den Ukraine-Krieg boykottiert, indem sie die beiden Minsker Abkommen auf den Müllhaufen geworfen hat – dieselben Abkommen, die Frankreich und Deutschland geschlossen hatten, um zu verhindern, dass der Konflikt zwischen den imperialistischen Blöcken in einen militärischen Konflikt mündet.
19. Es stimmt zwar, dass der Krieg zumindest vorübergehend zu einem stärkeren Zusammenhalt der NATO führte – das Bündnis vervielfachte seine militärische Präsenz in Europa[19] und konnte sich auf Länder erstrecken, die Russland sehr nahestehen und sogar direkt angrenzen, wie Schweden und Finnland. Trotzdem ist es der westlichen nationalistischen und chauvinistischen Propaganda nicht gelungen, eine Massenmobilisierung der Arbeiter und Massen in Europa und den USA zugunsten des Selenskyj-Regimes loszutreten. Alle bisherigen Umfragen deuten auf ein enormes Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem imperialistischen Krieg hin. Das bedeutet, dass die Unzufriedenheit der Bevölkerung und der Klassenkampf die Regierungen der EU und der USA in eine kritische Lage bringen und den Anschein der Einheit des westlichen imperialistischen Blocks erschüttern werden, wenn die Inflationsraten weiter steigen und weitere Kürzungen vorgenommen werden, oder – noch schlimmer – wenn Brennstoff- und Gasrationierungen nötig werden sollten.
20. Auch wenn sich Deutschland und die EU als Ganzes dem US-Imperialismus vorerst diszipliniert unterworfen haben, gibt es immer noch starke Differenzen, die die prekäre europäische Einheit zu spalten drohen, je länger der Krieg und seine wirtschaftlichen Folgen andauern und sich sogar noch weiter verschärfen. Ungarn beispielsweise, das in hohem Maße von russischem Gas und Öl abhängig ist und über einen Binnenhafen verfügt, lehnt drastische Sanktionen in diesem Bereich weiterhin entschieden ab.[20] Andere Länder, wie Deutschland, die Slowakei und die Tschechische Republik, bitten um mehr Zeit und verweisen auf die negativen Folgen, die einige der von Washington geforderten Sanktionen für die nationale Industrie und die Volkswirtschaft haben würden.
21. Die Widersprüche sind so zahlreich und der Spielraum für Zugeständnisse so klein, dass die europäischen Bourgeoisien selbst bei der Suche nach Lösungen, die den Forderungen des US-Imperialismus entsprechen, aneinandergeraten. Ein anschaulicher Fall ist der Konflikt um das Projekt einer Gaspipeline in Portugal, die die Iberische Halbinsel über die Pyrenäen mit Mitteleuropa verbinden würde. Die deutsche Bourgeoisie würde von einer neuen Erdgasquelle profitieren, um ihren Verbrauch an russischem Gas zu verringern und den staatlichen Bedarf zu decken. In den Vereinigten Staaten würden die portugiesische und die spanische Bourgeoisie als Vermittler zwischen Produzenten wie Nigeria oder Algerien und Deutschland als Verbraucher profitieren. Frankreich aber, ein wichtiger Produzent von Kernenergie, hätte durch die neuen iberischen Konkurrenten auf dem europäischen Energiemarkt viel zu verlieren!
22. Nachdem die EU in den Jahren 2008 bis 2014 durch die Finanz- und Eurokrise stark vom Zerfall bedroht war, ist sie jetzt in den Konflikt zwischen China und den USA verwickelt. Der Brexit, das Ergebnis der tiefen Krise, in der sich der britische Kapitalismus befindet, versetzt dem europäischen Projekt einen schweren und entscheidenden Schlag. Die nationale Frage in Nordirland und der Sieg von Sinn Féin, sowie die Situation in Schottland, haben die Krise der inzwischen gescheiterten Regierungen Boris Johnsons und Liz Truss‘ vertieft und stellt alles in Frage, was angesichts des endgültigen Austritts des Vereinigten Königreichs bisher mit der EU ausgehandelt wurde.
23. In diesem Kontext stellt der Krieg in der Ukraine eine Herausforderung von solchen Ausmaßen dar, dass sich die Schwäche der europäischen Wirtschaft und ihr Bedeutungsverlust auf dem Weltmarkt noch verstärken könnten, wenn sie die von Washington vorgegebene Strategie buchstabengetreu umsetzt. Wie in den großen politischen und militärischen Krisen des 20. Jahrhunderts erweist sich das Projekt der Einigung des alten Kontinents auf kapitalistischer Grundlage als reaktionäre Utopie.
24. Nach Ausbruch des Krieges hat sich ein Teil der europäischen Staats- und Regierungschefs, vor allem Deutschlands, Frankreichs und Italiens, wie auch die Türkei um einen Waffenstillstand bemüht. Die Friedensgespräche in Istanbul Ende März schienen auf die Möglichkeit eines baldigen Friedens hinzudeuten, wurden aber abgebrochen. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu selbst sagte: „Nach dem Treffen der Nato-Außenminister habe ich den Eindruck, dass es innerhalb der Nato-Mitgliedsstaaten Leute gibt, die wollen, dass der Krieg weitergeht und Russland geschwächt wird.“
25. Gezwungen, seine Eroberungen im Donbass zu verstärken – dem für den russischen Imperialismus aufgrund der riesigen Mineral- und Ölvorkommen wichtigsten Gebiet – unternahm Putin Ende September einen entscheidenden Schritt, indem er Referenden in Cherson, auf dem Gebiet der Provinzen Mykolaiv und Saporischschja sowie in den Republiken Lugansk und Donezk organisierte, deren Ergebnisse „mit überwältigender Mehrheit“ für eine Annexion durch Russland ausfielen.
26. Sofort wurden die Nord Stream-Pipelines sabotiert, kurioserweise in den Gewässern der NATO-Länder, d.h. Gewässer, die einer umfassenden Kontrolle durch westliche Geheimdienste unterliegen. Wer profitiert von diesen Angriffen? Offensichtlich sind es nur die USA, die jetzt ein Argument mehr haben, um Europa weiterhin in diese kriegstreiberische Eskalation hineinzuziehen und die Aufnahme von Friedensverhandlungen zu verhindern, die antirussische Kampagne in der Öffentlichkeit zu nähren und den Kampf um den europäischen Energiemarkt voranzutreiben.
27. Das ist die derzeitige Situation. Wichtige Sektoren der US-Regierung zeigen sich bereit, den Krieg mit verheerenden Folgen für den europäischen Kontinent fortzusetzen.[22] Dabei scheint sie die feste Unterstützung der EU-Bürokratie zu haben, trotz der Zurückhaltung von Scholz und Macron, die sich vor den schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen und den Auswirkungen auf den Klassenkampf in ihren eigenen Ländern fürchten. Auch innerhalb der NATO selbst gibt es Differenzen mit einem anderen wichtigen Mitglied: der Türkei. Die guten Beziehungen zwischen dem Erdogan-Regime und dem Putin-Regime wurden eben dadurch vertieft, dass sich die Türkei nicht an die westlichen Sanktionen gegen Russland gehalten und ihr Veto gegen die Anträge auf Aufnahme Finnlands und Schwedens in die NATO eingelegt hat.
28. US-Strategen waren überzeugte Brexit-Befürworter und Boris Johnson war ein fanatischer Verbündeter von Selenskyjs Ukraine. Aber der Vorsitzende der Konservativen musste zurücktreten, genau wie seine Nachfolgerin, die britische Wirtschaft befindet sich in einer Spirale aus Inflation und Stagnation, die Streikbewegung breitet sich aus und ein Winter der Unzufriedenheit wird immer wahrscheinlicher das Ende der konservativen Tories an der Macht überhaupt sein. Das Gleiche haben wir in Italien erlebt, wo die technokratische Regierung der „Nationalen Einheit“ von Mario Draghi, dem ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, mit dem Wahlsieg der extremrechten Partei Fratelli d'Italia – eine enge Verbündete Salvinis und Berlusconis, die enge Verbindungen zu Putin pflegen – gestürzt wurde. Das könnte die Pläne der USA in Italien durchkreuzen, wo wichtige Teile der Bourgeoisie gute Geschäftsbeziehungen mit Putins Regime unterhalten.
29. Nach sieben Monaten Krieg hat die Haltung der europäischen herrschenden Klasse und der Bürokraten in Brüssel also zu einer absoluten Katastrophe geführt. Ursula von der Leyens Drohungen einer Aussetzung der russischen Gaslieferungen wurde erhört: Putin hat auf den Tisch geschlagen und die Lieferungen unterbrochen, mit der Forderung nach Aufhebung der Wirtschaftssanktionen. Die EU, die demgegenüber komplett machtlos ist, beschuldigt Moskau jetzt der „Erpressung“ und des Einsatzes von Energie als „Kriegswaffe“. Das Gelächter aus Moskau und Peking hallt durch die Büros in Brüssel und Washington!
30. Darüber hinaus vertieft Bidens Strategie die Spaltung der herrschenden Klasse in den USA selbst. Die Verlängerung des Krieges und eine mögliche Rezession in den USA könnten sich massiv auf die Wahlergebnisse der Demokraten auswirken. Ein Leitartikel in der New York Times vom 19. Mai, weniger als 4 Monate nach Beginn des Krieges in der Ukraine, warnte bereits vor den Folgen dieser Strategie aus der Sicht der US-amerikanischen herrschenden Klasse in so passenden Worten, dass wir hier einen längeren Ausschnitt zitieren:
„Der [US-]Senat hat am Donnerstag ein 40-Milliarden-Dollar-Sofortpaket für die Ukraine gebilligt, aber da eine kleine Gruppe isolationistischer Republikaner die Ausgaben scharf kritisiert und der Krieg in eine neue, komplizierte Phase eintritt, ist eine anhaltende parteiübergreifende Unterstützung nicht garantiert. Avril Haines, die Direktorin des nationalen Nachrichtendienstes, warnte den Senat kürzlich vor der Entwicklung der kommenden Monate. Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland könnte eine ‚unvorhersehbarere und potenziell eskalierende Entwicklung nehmen‘, sagte sie, ‚wobei Russland auch mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen könnte.‘ Dies sind außerordentliche Kosten und ernste Gefahren, und es gibt noch viele Fragen zur weiteren Beteiligung der Vereinigten Staaten an diesem Konflikt, die Präsident Biden vor der amerikanischen Öffentlichkeit beantworten muss. Im März vertrat ein Leitartikel [der New York Times] die Ansicht, dass die Botschaft der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten an die Ukrainer und Russen gleichermaßen lauten sollte: Egal wie lange es auch dauern mag, die Ukraine werde frei sein. Die Ukraine verdiene unsere volle Unterstützung gegen die unprovozierte Aggression Russlands, und die Vereinigten Staaten sollen ihre NATO-Verbündeten anführen, um Wladimir Putin zu zeigen, dass das atlantische Bündnis bereit und in der Lage sei, seinen Ambitionen zu widerstehen.
Dieses Ziel kann sich nicht ändern, aber letztlich liegt es nicht im Interesse der USA, sich in einen totalen Krieg mit Russland zu stürzen, selbst wenn ein ausgehandelter Frieden bedeuten würde, dass die Ukraine einige schwierige Entscheidungen treffen müsste. Die Ziele und die Strategie der USA in diesem Krieg sind schwieriger zu erkennen, da sich die Parameter und Bedingungen geändert zu haben scheinen. Versuchen die Vereinigten Staaten beispielsweise, zur Beendigung dieses Konflikts beizutragen, indem sie ein Abkommen schließen, das eine souveräne Ukraine und eine Art von Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Russland ermöglicht? [...]
Das Leid in der Ukraine hat die Amerikaner aufgerüttelt, aber die Unterstützung der Bevölkerung für einen Krieg fernab der US-Küsten wird nicht ewig anhalten. Die Inflation ist für die US-Wähler ein viel größeres Problem als die Ukraine und die Probleme auf den Lebensmittel- und Energiemärkten werden sich wahrscheinlich noch verstärken. Ein entscheidender militärischer Sieg der Ukraine über Russland, bei dem die Ukraine das gesamte von Russland seit 2014 besetzte Gebiet zurückerobert, ist kein realistisches Ziel. Auch wenn Russlands Planung und Kampfhandlungen überraschend schlampig waren, bleibt Russland zu stark und Putin hat zu viel persönliches Prestige in diese Invasion investiert, als dass er sich zurückziehen könnte.
Die Vereinigten Staaten und die NATO sind bereits militärisch und wirtschaftlich stark engagiert. Unrealistische Erwartungen könnten sie in einen teuren und langwierigen Krieg führen. Russland, so plump und ungeschickt es auch sein mag, ist immer noch in der Lage, der Ukraine unsägliche Zerstörungen zuzufügen, und es ist nach wie vor eine Atommacht [...] Aber während der Krieg weitergeht, sollte Herr Biden Selenskyj und seinen Leuten klarmachen, dass es eine Grenze gibt, die die Vereinigten Staaten und die NATO bei der Konfrontation mit Russland nicht überschreiten werden, dass es Grenzen für die Waffen, Geld und die politische Unterstützung gibt, die sie anbieten. Die Entscheidungen der ukrainischen Regierung müssen unbedingt auf einer realistischen Einschätzung ihrer Mittel und der Frage beruhen, wie viel Zerstörung die Ukraine verkraften kann. Die Konfrontation mit dieser Realität mag schmerzhaft sein, aber sie ist wichtig. Dies ist die Pflicht der Regierungen, nicht das Streben nach einem illusorischen ‚Sieg‘. Russland wird in den nächsten Jahren den Schmerz der Isolation und der lähmenden Wirtschaftssanktionen zu spüren bekommen, und Putin wird als Schlächter in die Geschichte eingehen. Die Herausforderung besteht nun darin, die kriegerische Euphorie abzuschütteln, die Provokationen einzustellen und sich auf die genaue Definition und Erfüllung der Mission zu konzentrieren.“[23]
Die Unwirksamkeit der Sanktionen gegen Russland
31. Die Warnungen der NYT sind ernst zu nehmen. Die Sanktionspolitik der Regierung Biden, ihrer britischen Vasallen und der EU stößt an Grenzen, die im Wesentlichen die Veränderung des Kräfteverhältnisses im Weltmaßstab widerspiegeln. Die propagierte „Isolation“ Putins ist das reinste Hirngespinst. China unterstützt Russland nachdrücklich und diese Unterstützung wird bei jedem Schritt Russlands im Krieg bekräftigt. Die Arroganz der Biden-Administration, die China mit harten Sanktionen und Vergeltungsmaßnahmen für seine Haltung zur Invasion in der Ukraine droht, hat keinerlei Wirkung. Die enormen Schwierigkeiten, mit denen die US-Bourgeoisie innerhalb ihrer eigenen Grenzen konfrontiert ist – mit einer Inflation von über 8 %, der höchsten seit vier Jahrzehnten – veranlassen Biden bereits, darüber nachzudenken, die von Trump gegen China erhobenen Zölle wieder aufzuheben.
32. Der strategische Charakter der Allianz zwischen Peking und Moskau lässt sich in Joule, Yuan und Rubel messen. Kurz vor der Invasion unterzeichnete Putin Abkommen mit Xi Jinping, die den Kauf von russischer Kohle, Öl und Gas im Wert von 130 Milliarden Dollar sowie den Bau einer neuen Gaspipeline, der Power of Siberia 2, vorsahen, die China 50 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr garantieren wird.[25] Bei diesen Verhandlungen wurde auch angekündigt, dass der bilaterale Handel zwischen den beiden Ländern bis 2024 auf ein Volumen von 250 Milliarden Dollar pro Jahr steigen wird. Seit 2020 ist Russland der wichtigste Kohlelieferant, der der zweitwichtigste Lieferant von Erdöl und der drittwichtigste von Erdgas und landwirtschaftlichen Erzeugnissen für den chinesischen Markt. Allein im ersten Quartal 2022 ist der Handel zwischen den beiden Ländern um 28 % gestiegen. Dieses Bündnis versorgt den chinesischen Imperialismus mit für die heimische Industrie unerlässlichen Energieressourcen und Rohstoffen, zu sehr wettbewerbsfähigen Preisen. Es widerlegt all jene, die immer noch behaupten, dass Chinas Position gegenüber dem Ukrainekrieg die einer „kalkulierten Neutralität“ ist.
33. Aber es geht nicht nur um die starke und direkte Unterstützung Russlands durch das chinesische Regime. Die Unwirksamkeit der vom Westen gegen Russland verhängten Sanktionen erklärt sich im Wesentlichen allein durch das pure Gewicht und den Einfluss der globalen Supermacht China! „Seit der Verhängung der Sanktionen gegen Russland vor acht Jahren wegen der Annexion der Krim“, erklärt Rafael Poch, „ist der Anteil des Dollars am internationalen Zahlungsverkehr insgesamt um 13,5 Punkte zurückgegangen: von 60,2 % im Jahr 2014 auf 46,7 % im Jahr 2020 [...] Keiner der BRICS- Staaten [BRICS steht für die „aufstrebenden Volkswirtschaften“ Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika] beteiligte sich an den Sanktionen gegen Russland: weder Indien, noch Bolsonaros Brasilien, noch Südafrika, noch die atlantisch geprägte Türkei, noch die Golfstaaten, noch natürlich China [...] Die Minister der Islamischen Konferenz (57 Mitgliedsländer) weigerten sich, sich den Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Kein Land in Afrika oder West- und Zentralasien hat Sanktionen gegen Russland verhängt, und in Ostasien haben dies nur Singapur und Japan getan, wobei China und Indien die allgemeine Linie vorgeben. Noch wichtiger ist, dass Saudi-Arabien mit China über den Verkauf von Öl in Yuan verhandelt. 25 % des saudischen Öls gehen nach China. Würde die Tatsache, dass Öl nicht mehr in Dollar verkauft wird, nicht den Bankrott der US- Wirtschaft bedeuten?“
34. Für diejenigen, die an diesem Punkt noch Zweifel hatten, brachte die letzte Konferenz der „Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit“ in Samarkand (Usbekistan) Klarheit in diese Frage. Trotz der verdrehten Manipulationsversuche der westlichen Presse war die Rede des chinesischen Präsidenten Xi Jinping unverblümt: „Angesichts der gewaltigen globalen Veränderungen, die im Gange sind und die es in der Geschichte so noch nie gegeben hat, sind wir bereit, mit unseren russischen Kollegen zusammenzuarbeiten, um ein Beispiel dafür zu geben, wie man eine verantwortungsvolle Weltmacht ist, und die Führung dabei zu übernehmen, eine sich schnell verändernde Welt auf einen Weg der positiven und nachhaltigen Entwicklung zu bringen.“ Der indische Präsident, der ebenfalls auf dem Gipfel anwesend war, stand dem in nichts nach: „Die Beziehungen zwischen Indien und Russland haben sich sehr vertieft. Wir schätzen diese Beziehung auch deshalb, weil wir in den vergangenen Jahrzehnten immer zusammen waren, und die ganze Welt weiß, wie die Beziehungen von Russland zu Indien und wie die Beziehungen von Indien zu Russland und damit der Welt waren. Eine unzerbrechliche Freundschaft.“
35. Wie wir bereits in verschiedenen Materialien erläutert haben, ist die von Russland nach Europa gelieferte Energie für das Funktionieren der europäischen und insbesondere der deutschen Industrie von wesentlicher Bedeutung, da sie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrieprodukte auf dem Weltmarkt gewährleistet. Russisches Gas ist kurzfristig einfach nicht zu ersetzen. Der Versuch, es durch LNG (verflüssigtes Erdgas) zu ersetzen, bedeutet einen Anstieg der Energiekosten um 30 bis 40 %. Dasselbe gilt für Öl.
36. Russland ist außerdem weiterhin ein Produzent von wichtigen Rohstoffen wie Stahl, Kupfer oder Aluminium, und das ebenfalls zu sehr wettbewerbsfähigen Preisen. Hinzu kommt angereichertes Uran, das für französische und sogar US-amerikanische Atomkraftwerke benötigt wird – weshalb angereichertes Uran bei den Sanktionen sorgfältig ausgespart wurde. Und dann gibt es noch Palladium und Neon, die für die neue Elektroautoindustrie unerlässlich sind. Eine Unterbrechung der Versorgung mit diesen Rohstoffen würde Europa in eine schwere industrielle Krise stürzen und sein Gewicht in der Weltwirtschaft weiter verringern, d.h. China und anderen Konkurrenten einen noch größeren Vorteil verschaffen als bisher.
37. All das bedeutet, dass ein wichtiger Teil des russischen Außenhandels untrennbar mit den Interessen des EU-Kapitals verbunden ist – diesen jetzt anzugreifen, wäre ein Akt der Selbstverstümmelung. Aber das ist noch nicht alles. Russland hat nicht nur diesen Handel vorerst gesichert, sondern auch seine direkten Einnahmen durch den von der OPEC bewusst provozierten Anstieg der Preise weiter erhöht.[29] Die russischen Einnahmen aus dem Ölverkauf sind bis August dieses Jahres um 38 % gestiegen, und das sogar unter Umgehung der anglo-amerikanischen Sanktionen.[30] Es ist pure Ironie, dass die USA und Europa nun die monopolistische Rolle der OPEC beklagen – als ob ihre Macht nicht seit Jahrzehnten auf der Rolle des Monopolkapitalismus beruht! Die US-Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet: „Russlands Leistungsbilanzüberschuss hat sich in den ersten vier Monaten des Jahres 2022 auf 95,8 Milliarden Dollar mehr als verdreifacht, so die Zentralbank […] Der Leistungsbilanzüberschuss, das breiteste Maß für den Handel mit Waren und Dienstleistungen, war der höchste seit mindestens 1994. In den ersten vier Monaten des vergangenen Jahres waren es 27,5 Milliarden Dollar.“ Diese Daten stehen in eklatantem Widerspruch zur gesamten Kriegspropaganda des westlichen Kapitalismus.
Imperialismus und wirtschaftlicher Nationalismus
38. Verschiedene bürgerliche Ökonomen versuchen, uns von der Möglichkeit zu überzeugen, die Weltwirtschaft zu entkoppeln und sie in zwei unterschiedliche Blöcke aufzuteilen. Das ist vor allem eines: ein Zeichen der Verzweiflung der Bourgeoisie! Die Aufteilung der Weltwirtschaft in zwei unabhängige Volkswirtschaften ist eine reaktionäre Utopie, die dem grundlegendsten Merkmal des Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase widerspricht. Es stimmt zwar, dass durch das Wachstum Chinas die schlimmsten Folgen der Überproduktionskrise von 2008 vermieden werden konnten, aber dies geschah eben nur durch die Anhäufung neuer und tiefgreifenderer Widersprüche, die genau in die Situation geführt haben, in der wir uns jetzt befinden. Es ist eben gerade die Unmöglichkeit, eine Alternative zur globalen und maximal vernetzten kapitalistischen Wirtschaft zu finden, die die mächtigsten Bourgeoisien immer wieder zu imperialistischen Kriegen treibt.
39. Leo Trotzki hat sich dieser Frage in den 1930er-Jahren in einem Artikel mit dem Titel „Nation und Weltwirtschaft“ gewidmet: „Jedoch machte die wirtschaftliche Entwicklung der Menschheit, nachdem sie den mittelalterlichen Partikularismus zu Fall gebracht hatte, auch vor dem nationalen Rahmen nicht Halt. Parallel mit der Formung der Nationalwirtschaft wuchs der Welthandel. Die Entwicklungstendenz äußerte sich – wenigstens für die fortgeschritteneren Länder – in der Verlagerung des Schwerpunkts vom inneren auf den äußeren Markt. [...] Ergebnis des Konflikts dieser Tendenzen war eben der Krieg. […] Mit barbarischen Ausrottungs- und Zerstörungsmethoden versuchte er eine fortschrittliche geschichtliche Aufgabe zu lösen: die Organisierung der Wirtschaft in der neuen Einheit, die durch die Weltarbeitsteilung vorbereitet worden war […] Die heutige Krise – Synthese aller kapitalistischen Krisen der Vergangenheit – bedeutet vor allem die Krise der Nationalwirtschaft.“
40. Die Krise, die alle Volkswirtschaften verwüstet, drückt sich auf dem Weltmarkt durch einen Todeskampf aus, der nicht nur mit wirtschaftlicher, sondern auch mit militärischer Gewalt geführt wird, wobei letztere immer ein Spiegelbild der ersten ist. Deshalb ist der Krieg „eine unvermeidliche Etappe des Kapitalismus, eine ebenso gesetzmäßige Form des kapitalistischen Lebens, wie der Friede“.[32] Das war 1914 und 1939 der Fall. Das ist es, was heute in der Ukraine geschieht, mit einem reaktionären imperialistischen Krieg auf beiden Seiten, als „‚bloße Fortsetzung der Politik mit andern‘ (nämlich: gewaltsamen) ‚Mitteln‘“[33] In dieser Epoche der Dekadenz und des Niedergangs des Imperialismus kann es auch nicht anders sein; die harmonische, friedliche und schrittweise Entwicklung, von der die reformistischen Führer mit ihren leeren Appellen an Diplomatie und Frieden schwadronieren, ist unmöglich.
41. In seinem Werk „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ erklärt Wladimir Lenin, wie diese Dynamik funktioniert: „Das Finanzkapital und die Trusts schwächen die Unterschiede im Tempo des Wachstums der verschiedenen Teile der Weltwirtschaft nicht ab, sondern verstärken sie. Sobald sich aber die Kräfteverhältnisse geändert haben, wie können dann unter dem Kapitalismus die Gegensätze anders ausgetragen werden als durch Gewalt? [...] Es fragt sich, welches andere Mittel konnte es auf dem Boden des Kapitalismus geben außer dem Krieg, um das Mißverhältnis zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Akkumulation des Kapitals einerseits und der Verteilung der Kolonien und der ‚Einflußsphären‘ des Finanzkapitals anderseits zu beseitigen?“
42. So haben die Regierungen der USA, der NATO und Europas jahrzehntelang gehandelt, vor allem nach dem Sturz des Stalinismus und dem Zerfall der UdSSR, als der US-Imperialismus zum Weltpolizisten aufstieg und überall dort militärisch intervenierte, wo seine geostrategischen und kommerziellen Interessen auch nur im Geringsten gestört wurden. Das ist sogar im Herzen Europas mit der brutalen Bombardierung Serbiens geschehen, bei der etwa 5.000 Menschen starben. Später taten sie es mit den abscheulichen Kriegen in Afghanistan und im Irak. Einer Studie der Brown University zufolge hat der Imperialismus der USA und der NATO allein seit dem 11. September 2001 mindestens 900.000 Todesopfer und 38 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge gefordert.
Der Weg in den Krieg
43. Der Krieg in der Ukraine hat, wie wir bereits erklärt haben, nicht einfach so begonnen. Trotz aller Versprechungen, die Michail Gorbatschow 1990 gemacht wurden, dass die NATO nicht nach Osten expandieren würde, hat das transatlantische Bündnis genau das getan: es hat sich immer wieder nach Osten erweitert. Zwischen 1999 und 2004 sind der NATO Ungarn, Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Bulgarien, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen und Rumänien beigetreten. In diesen Ländern wurden Militärbasen stationiert und Waffensysteme (vor allem Raketen) errichtet. Die Verteidigungsfähigkeit des russischen Staates wurde so weit wie möglich geschwächt. Schließlich akzeptierte die NATO 2008 den Antrag auf Aufnahme von Georgien und der Ukraine, die 70 Jahre lang zur Sowjetunion gehört hatten.
44. Doch der allmähliche Niedergang des US-Imperialismus und der Aufstieg Chinas veränderten die internationale Szene Stück für Stück. Putin, der sich auf ein starkes Wirtschaftswachstum und eine enorme militärische Macht – einschließlich eines mächtigen Atomwaffenarsenals – stützt, hat die Rolle Russlands in der Welt wesentlich verändert. Seit 2008, nachdem seine Truppen in Georgien einmarschiert waren, um den NATO-Beitritt des Landes zu verhindern, befehligte Putin erfolgreich die Intervention in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion oder in Ländern, mit denen er Beziehungen von besonderem strategischem Interesse unterhält, wie z. B. Syrien. Sein Bündnis mit China hat sich bereits seit 2014 deutlich gefestigt und das imperialistische Russland fungiert in den Ländern Afrikas, des Nahen Ostens und Lateinamerikas als wichtigster Alliierter Pekings.
45. Der neue Versuch des US-Imperialismus, die NATO auf die Ukraine auszudehnen, ist in diesem Kontext zu sehen. Die USA sind zwar von dem Wunsch getragen ist, sich von der Niederlage in Afghanistan zu erholen, aber vor allem werden sie von der Notwendigkeit vorangepeitscht, die Kontrolle über Europa zu behalten und Deutschland zu disziplinieren, das sich anschickte, seine Abhängigkeit von Russland mit der Eröffnung von Nord Stream 2 zu erhöhen. Das ist der Auslöser für den imperialistischen Konflikt in der Ukraine, ein Krieg, dem seit Jahren der Weg geebnet wurde und dessen grundlegendster Faktor der Interessenskonflikt zwischen den herrschenden Klassen auf beiden Seiten ist; unabhängig davon, wer den ersten Schuss abgegeben hat.
46. Wenn man hinter den Nebel der westlichen Propaganda schaut, ist die Wahrheit klar zu erkennen: Bereits 2021 haben die Regierung Selenskyj und ihre Sponsoren aus den USA entscheidende Schritte zur Verschärfung der Spannungen unternommen. Zu Beginn des Jahres hatte die ukrainische Regierung eine neue nationale Sicherheitsdoktrin entworfen und der Aufnahme des Landes in die NATO sowie der Teilnahme an deren Militärübungen zugestimmt. Die „Krim-Plattform“ wurde im August 2021 von den USA und der NATO mit dem ausdrücklichen Ziel gegründet, die Krim zurückzuerobern, die sie als russischen Militärstützpunkt bezeichneten, der die Sicherheit der NATO bedrohe.[35] Währenddessen hat die Regierung in Kiew ihre militärische Präsenz an der Donbass-Front mit der Stationierung von 120.000 Soldaten erhöht, insgesamt wurden von ukrainischer Seite 150.000 neue Soldaten in den Bürgerkrieg geworfen. Anfang 2022 hat die Regierung Selenskyj ein Gesetz verabschiedet, das es den NATO-Truppen erlaubt, auf ukrainischem Boden militärische Übungen durchzuführen. All das leugnet natürlich nicht den imperialistischen Charakter von Putins Invasion, aber es macht den ebenso reaktionären und imperialistischen Charakter der anderen Seite deutlich, verborgen hinter der ukrainischen Flagge.
47. Diejenigen in der politischen Linken, die versuchen, den imperialistischen Charakter des Krieges zu leugnen, geben letztendlich nur die Argumente des westlichen Imperialismus wieder, indem sie der „demokratischen“ Regierung von Selenskyj die „autokratische“ Regierung von Putin gegenüberstellen. Sie folgen einer Methode, die dem Marxismus völlig fremd ist und die im Wesentlichen die Propaganda wiederholt, die von den USA bei all ihren imperialistischen Interventionen eingesetzt wurde: die Propaganda des „Exports“ der amerikanischen bürgerlichen Demokratie – einer „Demokratie“, die nichts anderes ist als die Diktatur des Großkapitals in ihrer konterrevolutionärsten Form! Es ist ein Argument, das auch die englischen und französischen Imperialisten 1914 benutzten, als sie in ihren Kolonialreichen Hunderte von Millionen Menschen mit Feuer und Schwert beherrschten.
Der Charakter des ukrainischen „Widerstandes“ und der Antikommunismus von Putins kapitalistischem Regime
48. Die Selenskyj-Regierung ist wie alle ukrainischen Regierungen nach dem Euromaidan 2014 das Ergebnis eines konterrevolutionären Siegeszuges, der vom US-Imperialismus finanziert und von extremrechten und neonazistischen Gruppen unterstützt wird, die zum Rückgrat des ukrainischen Staatsapparates geworden sind und Armee und Polizei dominieren.
49. Der ukrainische Staat ist ein rechtes Regime, das brutale Sozialkürzungen durchführt, Massenprivatisierungen vornimmt und mit harten Gesetzen gegen Arbeiter und Gewerkschaften vorgeht[37] – getreu den Richtlinien des IWF[38] –, die gesamte ukrainische Linke verbietet, ethnische Minderheiten wie Sinti und Roma kriminalisiert und Transpersonen verfolgt, sich auf die chauvinistische Tradition des reaktionärsten ukrainischen Nationalismus beruft, die Nazi-Kollaborateure des Zweiten Weltkriegs verherrlicht und die rassistische Offensive gegen die russischsprachige Bevölkerung im Osten des Landes fortsetzt – dieselbe Offensive, die 2014 einen echten revolutionären Aufstand ausgelöst hat.
50. Dieser Volksaufstand 2014 in Odessa, in Charkow, in Mariupol und in der gesamten Donbass-Region hat nicht nur die Macht der vom US-Imperialismus nach dem Euromaidan in Kiew eingesetzten Reaktionäre bedroht. Tatsache ist, dass diese Massenbewegung im Donbass auch im Kreml Panik ausgelöst hat. Nur durch ihr schnelles und energisches Eingreifen gelang es der Regierung Putin, die Bewegung zu ersticken, sie von jedem klassenkämpferischem Inhalt zu befreien und sie fest unter die Kontrolle der lokalen, pro-russischen kapitalistischen Oligarchie zu bringen. So kamen die beiden „Volksrepubliken“ in der Region, Donezk und Lugansk, unter die Schirmherrschaft Russlands. Seitdem hat der Krieg im Donbass mehr als 15.000 Tote (darunter Tausende von Zivilisten) und 1,4 Millionen Vertriebene gefordert und die ukrainische Armee hat unzählige Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen aller Art begangen.[40] Dieser Hintergrund ist für den aktuellen Konflikts von größter Bedeutung.
51. Man muss sich nur die massiven finanziellen und militärischen Hilfen durch die USA, die EU und die NATO vor Augen führen, um zu erkennen, wie lächerlich die Forderungen nach Waffen für den ukrainischen „Widerstand“ sind, die derzeit von der Mehrheit der reformistischen Linken und von zahllosen Gruppierungen, die die Namen Lenins und Trotzkis durch den Dreck ziehen, erhoben werden. Die inbrünstigen Appelle von Joe Biden und Jens Stoltenberg im Namen der NATO oder von Ursula von der Leyen und Josep Borrell im Namen der EU, die versichern, dass sie die nötige militärische und wirtschaftliche Hilfe leisten werden, um die Ukraine durch einen Krieg zu bringen, der „Wochen, Monate oder Jahre“ dauern könnte, unterstreichen den imperialistischen Charakter dieses Konflikts und seine historische Bedeutung für die herrschenden Klassen.
52. Die Hilfe, die die Regierung Selenskyj allein in den ersten beiden Monaten des Krieges erhielt, war kolossal. In einem Artikel vom 10. September auf der Website The Intercept mit dem Titel „U.S. Military Aid to Ukraine Grows to Historic Proportions – Along With Risks“ (Die US-Militärhilfe für die Ukraine wächst auf historische Ausmaße an – zusammen mit den Risiken) werden die Bemühungen der USA in diesem Krieg zusammengefasst:
„Die US-Regierung hat mehr Geld und Waffen in die Unterstützung des ukrainischen Militärs gepumpt als im Jahr 2020 an Afghanistan, Israel und Ägypten zusammen – und hat damit innerhalb von drei Monaten die größten Empfänger von US- Militärhilfe in der Geschichte übertroffen. Es ist eine Herausforderung, mit den Zahlen Schritt zu halten. Seit Beginn des Krieges haben US-Beamte eine Reihe von Initiativen zur Unterstützung der ukrainischen Verteidigung angekündigt, die bis zur Schwelle einer direkten Beteiligung an dem Konflikt reichen. Am Donnerstag kündigte US-Außenminister Antony Blinken bei einem Überraschungsbesuch in Kiew ein neues Paket mit US-Militärausrüstung im Wert von 675 Millionen Dollar sowie eine ‚langfristige‘ Investition von 2,2 Milliarden Dollar an, um die Sicherheit der Ukraine und ihrer Nachbarländer zu stärken. Nur Wochen zuvor hatte Präsident Joe Biden das bisher größte Hilfspaket in Höhe von 3 Mrd. USD vorgestellt, wobei er symbolisch den Unabhängigkeitstag der Ukraine für die Ankündigung wählte. Die Regierung wies bei dieser Gelegenheit darauf hin, dass die gesamte Militärhilfe für die Ukraine in diesem Jahr 12,9 Mrd. USD betragen würde bzw. über 15,5 Mrd. USD seit 2014, als Russland die Krim annektierte. Diesen Monat [September] forderte Biden den Kongress außerdem auf, weitere 13,7 Milliarden Dollar für die Ukraine zu bewilligen, einschließlich Geldes für Rüstung und den Geheimdienst. Da die Hilfe aus einer Vielzahl von Quellen stammt und es nicht immer einfach ist, zwischen genehmigter, versprochener und geleisteter Hilfe zu unterscheiden, schätzen einige Analysten den tatsächlichen Wert der US-Hilfen für die Ukraine auf weitaus mehr: bis zu 40 Milliarden Dollar an Sicherheitshilfen oder 110 Millionen Dollar pro Tag im vergangenen Jahr. Bevor die Taliban letztes Jahr die Kontrolle über Afghanistan zurückgewannen, gab die US-Regierung, zwei Jahrzehnte nach der Entmachtung des vorherigen Taliban Regimes, etwa 73 Milliarden Dollar für Militärhilfen an Afghanistan aus, zusätzlich zu weiteren Milliarden für den Wiederaufbau des Landes und den 837 Milliarden Dollar, die sie direkt für den Krieg ausgaben [für die US-Truppen selbst]. Israel ist der größte kumulierte Empfänger von US-Hilfen seit dem Zweiten Weltkrieg: 146 Milliarden Dollar an Militärhilfen und Raketenabwehrmitteln. Es gibt aber kaum einen Präzedenzfall für das schwindelerregende Tempo und den Umfang der US-Ausgaben in der Ukraine in so kurzer Zeit: ‚Es ist weit mehr als der höchste Betrag, der jemals an Afghanistan gezahlt wurde, und es ist ein Vielfaches der Hilfe für Israel‘, sagt William Hartung, Senior Research Fellow am Quincy Institute, gegenüber The Intercept.“[41]
53. Die Rückeroberung von mehr als 3.000 km² in der Region um Charkow durch ukrainische Truppen in der Woche vom 5. bis 11. September wurde von den westlichen Medien mit Jubel begrüßt. Die ukrainische Armee hat die Städte und Infrastruktur, die für die Versorgung der im Donbass kämpfenden russischen Einheiten notwendig waren, abgeschnitten. Die russische Armee beschloss daraufhin, nicht zu kämpfen und sich der Offensive nicht direkt zu stellen, aber ihr Rückzug war so überstürzt und unorganisiert, dass sie erhebliche Mengen an Kriegsmaterial zurückließ. Scott Ritter, ein ehemaliger Geheimdienstoffizier des United States Marine Corps, der an Operationen gegen die ehemalige UdSSR sowie im Persischen Golf während der Operationen Dessert Shield und Dessert Storm 1991 und im Irak teilgenommen hat, schreibt zu diesem Thema Folgendes:
„Während Russland damit beschäftigt war, das ukrainische Militär auf dem Schlachtfeld zu zerstören, war die Ukraine damit beschäftigt, diese Armee wieder aufzubauen und die zerstörten Einheiten durch neue Kräfte zu ersetzen, die extrem gut ausgerüstet, gut ausgebildet und gut geführt sind [...] Die Zusammensetzung der Streitkräfte wurde von der NATO bestimmt, ebenso wie der Zeitpunkt und die Richtungsachsen der Angriffe. Der Nachrichtendienst der NATO hat die Lücken in der russischen Verteidigung genau ausfindig gemacht und die kritischen Kommando- und Kontrollpunkte sowie die Logistikknotenpunkte identifiziert, die von der ukrainischen Artillerie nach einem von der NATO erstellten Feuerleitplan ins Visier genommen wurden. Kurz gesagt: die ukrainische Armee, mit der Russland in Cherson und um Charkow konfrontiert war, unterschied sich von allen ukrainischen Gegnern, mit denen es zuvor zu tun gehabt hatte. Russland kämpft nicht mehr gegen eine von der Nato ausgerüstete ukrainische Armee, sondern in Wirklichkeit gegen eine Nato-Armee, die aus Ukrainern besteht.“
54. Derselbe Autor schließt seinen Artikel mit einer Vorhersage ab:
„Die erfolgreiche ukrainische Gegenoffensive muss aus einem angemessenen Blickwinkel betrachtet werden. Die Verluste, die die Ukraine bei der Erringung dieses Sieges erlitten hat und immer noch erleidet, sind untragbar. […] Russland hat eine viel größere strategische Tiefe als die Ukraine. Das russische Militär beginnt, kritische Infrastrukturziele wie Kraftwerke anzugreifen, was nicht nur die ukrainische Wirtschaft lähmen wird, sondern auch die Fähigkeit des Landes, große Mengen an Truppen schnell per Bahn zu transportieren. Russland wird die Lehren aus der Niederlage von Charkow ziehen und die Verfolgung seiner erklärten Missionsziele intensivieren.“
55. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Russland seit September einige Niederlagen erlitten hat und die ukrainische Gegenoffensive, die um Charkow angefangen hat, inzwischen weitere Siege erreichen konnte, wie die Rückeroberung von Lyman und anderer Schlüsselpunkte im Osten und vor allem die vollständige Rückeroberung aller Gebiete westlich des Dnepr in der Region Cherson Anfang November, nachdem Russland sich aus diesen Gebieten zurückgezogen hatte. Ein durchschlagender Sieg Russlands mit Erfüllung aller militärischen Ziele ist heute definitiv unwahrscheinlicher als noch in den ersten Wochen der Invasion. Es ist eindeutig, dass die USA, trotz aller Schwierigkeiten, weiterhin eine gewaltige militärische Supermacht sind und NATO-Waffen, -Taktiken und -Führung der russischen Seite große Schwierigkeiten bereiten. Gleichzeitig sollten wir uns nicht täuschen lassen: Auch abgesehen von den offensichtlichen Übertreibungen der westlichen Propaganda ist der entscheidende Punkt, dass Waffen und Taktik eben nur ein Teil der Gleichung sind und die ernsthaften Probleme, vor denen der US-Block steht, nicht dauerhaft aufwiegen können. Der Preis, den die USA für jeden ukrainischen Sieg zahlen, – von den direkten finanziellen Mitteln bis hin zu den innen- und außenpolitischen Konsequenzen – ist hoch.
56. Der so genannte ukrainische „Widerstand“ mit seinem angeblichen „nationalen Befreiungskrieg“ ist nur ein weiteres Märchen der westlichen Propaganda. Die ukrainische Armee ist eine Kriegsmaschinerie, die aus Bataillonen voller Chauvinisten und Neonazis besteht, mit einer massiven Präsenz ultrarechter ausländischer Söldner[42], die seit 2014 von der CIA und dem Pentagon bewaffnet und ausgebildet werden. Man muss klar sagen: der Generalstab dieser Armee sitzt in Washington und nicht in Kiew. Sind das alles nicht die Schlüsselelemente zur Bestimmung des Charakters des Krieges und des ukrainischen „Widerstands“ selbst? Ist das nicht entscheidend, um einen imperialistischen und reaktionären Krieg von einem revolutionären Krieg oder einem gerechten Krieg der nationalen Befreiung, zu unterscheiden? Wie können Revolution und Konterrevolution auf so banale Weise verwechselt werden?
57. Umgekehrt verschleiern diejenigen Teile der stalinistischen Linken, die versuchen, die russische Invasion zu rechtfertigen indem sie ihr fortschrittliche Aspekte zuschreiben, den reaktionären, antikommunistischen und imperialistischen Charakter des Putin-Regimes. Man braucht nur die Augen zu öffnen, um die Verbindungen des Kremls zur europäischen extremen Rechten, seine Verherrlichung des großrussischen Nationalismus, seine grassierende Homophobie, den bonapartistischen Charakter des Regimes und dessen blutrünstige Unterdrückung zu erkennen. Angesichts dieser Tatsache fallen die Argumente zur „Entnazifizierung“ der Ukraine wie ein Kartenhaus zusammen, genauso wie die Lügen vom „Schutz“ der Bevölkerung des Donbass; das Feigenblatt, mit dem das russische Großkapital seine Expansionsgelüste, seinen Appetit auf die Bodenschätze der Region – das eigentliche Motiv hinter der territorialen Aufteilung der Ukraine – zu verbergen versucht.
58. In der Rede, die Putin unmittelbar vor dem Einmarschbefehl hielt, prangerte er Lenin und die Bolschewiki wütend an. Sie hätten ein „Verbrechen“ gegen das Mutterland begangen, als sie das Selbstbestimmungsrecht in die Praxis umsetzten und die Unabhängigkeit der Ukraine unterstützten. In Putin haben wir einen großrussischen Chauvinisten, einen Imperialisten, einen fanatischen Feind des Bolschewismus und in jedem Fall eine offene Fortsetzung der repressiven, zentralisierenden und russifizierenden Politik Stalins.
59. Russland ist ein entwickeltes kapitalistisches Land, in dem die großen Monopole und das Finanzkapital die Wirtschaft beherrschen. Ein staatlicher Monopolkapitalismus, in dem die imperialistische Bourgeoisie – die „Oligarchen“, wie die westlichen Medien so schön sagen, als würde es in den USA und Europa keine Oligarchen geben – ihren Reichtum der Plünderung und Privatisierung des verstaatlichten Eigentums der Sowjetunion verdankt. Es gibt nicht einen einzigen fortschrittlichen Aspekt des Putin-Regimes.
60. Die Folgen des Krieges sind für die Ukraine absolut verheerend. Tausende Tote und mehr als 6 Millionen Flüchtlinge, mehr als 8 Millionen Binnenvertriebene, ganze Städte und unzählige Straßen wurden zerstört, das BIP wird voraussichtlich um rund 50 % sinken. Die Zerstückelung des Territoriums durch die russische Eroberung des Ostens und des Südens, die das Land der reichen Bodenschätze des Donbass, eines großen Teils seiner Schwerindustrie und des Zugangs zum Asowschen Meer beraubt hat, lässt eine komplizierte Zukunft für die Ukraine erahnen.
61. Der IWF selbst, der stets drakonische Bedingungen für die Finanzierung von Krisenländern gestellt hat, räumt ein, dass die ukrainische Wirtschaft 4,6 Milliarden Dollar pro Monat benötigt, um zu überleben, und dass diese Hilfe in Form von Zuschüssen und nicht als Darlehen gewährt werden sollte. Sowohl die ukrainische Wirtschaft als auch die Regierung hängen am seidenen Faden und sind vollständig von der massiven Unterstützung durch die USA und Europa abhängig. Aber diese Unterstützung ist nicht kostenlos und könnte es auch nie sein. Selenskyj geht mit aller Härte gegen die Arbeiterklasse und die Gewerkschaften in seinem Land vor: „Am 15. März hat die Ukraine ein Gesetz verabschiedet, das Einschränkungen der Arbeitnehmerrechte und der Gewerkschaftsarbeit vorsieht, wie es sie in der Geschichte der unabhängigen Ukraine noch nie gegeben hat. Dieses Gesetz entzog den Gewerkschaften unter anderem die Möglichkeit, Arbeitnehmer in staatlichen und privaten Unternehmen zu vertreten, führte eine gesetzliche Formel der ‚Aussetzung des Arbeitsverhältnisses‘ ein (was bedeutet, dass die Arbeitnehmer nicht formell entlassen werden, sondern ihre Arbeitsplätze und Löhne ausgesetzt werden) und gab den Kapitalisten das Recht, Tarifverträge willkürlich auszusetzen und Arbeitnehmer einseitig mit lächerlichen Abfindungen zu entlassen.“[43] Es liegt auf der Hand, dass diese Gesetzgebung in einer Zeit nach dem Krieg noch erweitert und verschärft werden würde.
62. Das russische Regime hat natürlich auch mit seinen eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die ursprüngliche Prognose eines Rückgangs des BIP von 10 % wurde auf einen Rückgang von 2,9 % reduziert, so Maxim Reschetnikow, Minister für Wirtschaft, im September.[44] Zwar konnte Putin die westlichen Sanktionen umgehen, doch die Aufrechterhaltung des Militärapparats während eines Krieges, der sich als viel länger erweist, als die russischen Behörden erwartet hatten, belastet die Wirtschaft des Landes stark. Zweifellos wird auch die Arbeiterklasse in Russland dafür mit weiteren sozialen Einschnitten und Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen bezahlen. Auch die Verluste auf dem Schlachtfeld, die sich bereits auf Tausende belaufen, und die Mobilisierung von 300.000 Reservisten für die Armee stoßen auf wachsende Kritik und haben Tausende von Männern zur Flucht veranlasst, auch wenn die patriotische Propaganda im Moment noch von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt zu werden scheint.
63. Das Hauptproblem für Putins Regime ist jedoch, dass selbst bei einem russischen Sieg die Vollendung der Annexionen ukrainischer Gebiete keine leichte Aufgabe sein wird. Durch die Brutalität des Einmarsches hat das russische Regime auf ukrainischer Seite nationalistische Ressentiments geschürt, die über Generationen andauern und nur sehr schwer aufzulösen sein werden.
64. Der Krieg ist die komplexeste aller Gleichungen. Es ist äußerst schwierig, den Konflikt in der Ukraine mit einer geschlossenen Perspektive zu betrachten. Einige Aspekte sind jedoch eindeutig. Die militärische Überlegenheit Russlands ist offensichtlich, ebenso jedoch die Tatsache, dass der russische Generalstab und die Regierung die ungeheure Bedeutung der Bewaffnung und Ausbildung der ukrainischen Armee durch den US-Imperialismus nicht richtig eingeschätzt und das ukrainische Nationalgefühl grob unterschätzt haben. Dieser Patriotismus ist eine objektive Realität, die aus der Geschichte der Unterdrückung durch das Zarenreich und das stalinistische Regime resultiert. Es liegt auf der Hand, dass die ukrainische Bevölkerung, insbesondere im Westen und im Zentrum des Landes, die russischen Soldaten nicht als Retter willkommen geheißen hat; auch nicht in Orten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung ethnisch russisch ist. Um Robespierre zu paraphrasieren: Bewaffnete Missionare sind nie willkommen.
65. Es ist jedoch keineswegs so, dass wir eine große Mobilisierung der Bevölkerung gegen die Invasion erleben. Die ukrainische Bevölkerung rettet sich, so gut sie kann: Die privilegierten Schichten der Gesellschaft waren die ersten, die geflohen sind, aber der Exodus ging in die Millionen. Auf der Idee zu beharren, dass Revolutionäre die ukrainischen Kräfte unterstützen müssen, weil sie einen Krieg für die „nationale Unabhängigkeit der Ukraine“ führen, ist eine grobe Karikatur des Internationalismus von Marx und Lenin sowie eine vollständige Kapitulation vor dem Druck der bürgerlichen öffentlichen Meinung. Andererseits ist die Position, Putin zu unterstützen, weil wir vor einer „antifaschistischen Intervention“ stehen, die die Ukraine entnazifizieren und den Militarismus und die NATO zurückschlagen wird, ein Argument ohne die geringste Grundlage.
66. Lenin ging das Problem des Krieges immer von einem internationalistischen und proletarischen Standpunkt aus an und analysierte die wirklichen Interessen, die hinter der Propaganda der kämpfenden Mächte auf dem Spiel stehen: „Die Bourgeoisie betrügt die Massen, indem sie den imperialistischen Raubzug mit der alten Ideologie des ‚nationalen Krieges‘ verbrämt ‘.“[45] Diese Worte stammen aus dem Jahr 1914, als die verschiedenen imperialistischen Fraktionen an die Unabhängigkeit und Souveränität der kleinen Nationen appellierten, um, genau wie heute, eine Intervention oder militärische Hilfe zu rechtfertigen: „Man kann nicht vom Vaterland sprechen – antworten wir den Opportunisten – und dabei den konkreten historischen Charakter des Krieges ignorieren. Dieser Krieg ist ein imperialistischer Krieg, d. h. ein Krieg in der Epoche des höchstentwickelten Kapitalismus, in der Endepoche des Kapitalismus.“
67. Angesichts des imperialistischen Krieges und dem Recht der Nationen auf Selbstbestimmung bestand Lenin darauf, dass es nur durch revolutionäre, sozialistische und internationalistische Aktionen der Arbeiterklasse möglich sei, sowohl Frieden als auch ein Ende der nationalen Unterdrückung zu erkämpfen. Eine Losung, die darin bestand, gegen den imperialistischen Krieg selbst und für den revolutionären Sturz der bürgerlichen Herrschaft zu kämpfen, die ihn anheizt. Dasselbe können wir heute über die Ukraine, über Selenskyj und Putin oder über Biden und die verschiedenen europäischen Regierungen sagen. Die Parole von Karl Liebknecht – „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ – bleibt vollkommen gültig.
68. Die reaktionären Folgen des imperialistischen Krieges auf kurze Sicht sind offensichtlich. Er wird bereits benutzt, um harte neue Kürzungen zu Lasten der Arbeiterklasse und eine seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie dagewesene Aufstockung des Militärhaushalts zu rechtfertigen.[47] Darüber hinaus führen Spekulationen und das Horten von Rohstoffen, wie in jedem Krieg, zu neuen Geschäften und Millionengewinnen für die Banken und die großen Monopole auf Kosten des Elends der Massen. Der imperialistische Krieg zielt stets darauf ab, eine sektiererische Spaltung der Arbeiterklasse herbeizuführen und chauvinistische Propaganda zu schüren, während die Bourgeoisie in jedem Land im Klassenkampf gegen die Arbeiterbewegung in die Offensive geht. Genau das ist das, was gerade geschieht, auch wenn es die Reformisten und Gewerkschaftsführer zu verbergen versuchen.
69. Jeder Vergleich mit der Spanischen Revolution von 1936-39, wie sie von den bürgerlichen Medien oder Sektoren der reformistischen und sektiererischen Linken aufgestellt wurden – wie im Falle zahlreicher so genannter „trotzkistischer“ Gruppen, die mit Blick auf die Ukraine Trotzkis Texte zur Spanischen Revolution zitieren, ohne das Geringste zu verstehen – ist nichts anderes als eine grobe historische Manipulation. Die spanische Revolution erhielt weder Waffen, noch Solidarität, noch Unterstützung von den „demokratischen“ Regierungen der USA, Großbritanniens oder Frankreichs, die stattdessen Franco mit Öl, Geld und anderen Ressourcen versorgten. Und das war kein tragischer Fehler dieser Länder, sondern eine bewusste Politik der Sabotage und der Niederschlagung eines Aufstands gegen den Faschismus, der die Kollektivierung des Bodens, die Besetzung und Kontrolle der Fabriken durch die Arbeiterklasse, die Bewaffnung des Volkes und den Aufbau der Organe der Doppelmacht zu seinem Programm machte, das so tiefgreifend war, dass es die kapitalistischen Interessen direkt herausforderte und den Triumph des Sozialismus vorbereitete.
70. Das Gleiche können wir von anderen revolutionären nationalen Befreiungskriegen sagen, wie dem in Vietnam, in dem nacheinander der französische, britische und US-amerikanische Imperialismus mit einer gewaltigen Volksmobilisierung konfrontiert war, mit revolutionären Komitees und bäuerlichen und proletarischen Milizen, und das entgegen der von Stalin nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgten Politik.[48] Welche Ähnlichkeiten gibt es zwischen diesen historischen Beispielen und dem, was wir heute in der Ukraine erleben? Keinerlei.
71. Trotzki schreibt: „Das Gebot der nationalen Verteidigung geht von dem Dogma aus, die nationale Solidarität stehe über dem Klassenkampf. In Wahrheit hat keine besitzende Klasse jemals die Verteidigung des Vaterlandes als solches, das heißt unter allen und jeden Bedingungen, anerkannt sondern hinter dieser Formel nur die Verteidigung ihrer bevorrechteten Stellung im Vaterland versteckt.“[49] Die Verpflichtung der Marxisten angesichts des Verrats durch die Sozialdemokratie besteht darin, die Grausamkeiten des Krieges und die Interessen, die hinter dem Konflikt stehen, aufzuzeigen, die Katastrophe, die er für die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse bedeutet, und das Banner des internationalistischen Sozialismus hochzuhalten, um das Bewusstsein der Unterdrückten und ihre revolutionäre Organisierung voranzutreiben. Wie Trotzki sagt: Keine herrschende Klasse jemals die Verteidigung des Vaterlandes an sich, d. h. unter allen Bedingungen, anerkannt, sondern stets nur ihre eigene Klassenposition im „Vaterland“ verschleiert. „Gestürzte herrschende Klassen wurden stets zu ‚Defätisten‘, d.h. waren stets bereit, ihre Vorrechte mit Hilfe fremder Waffen wiederaufzurichten.“
72. Die Neue Reformistische Linke (Unidas Podemos, Syriza, Die Linke, Mélenchon, Corbyn, Sanders usw.) hat bereits ihre ganze Ohnmacht und Irrelevanz gezeigt, sei es mit ihrer Kapitulation vor den NATO-Regierungen und der Rechtfertigung der Waffenlieferungen an die Ukraine oder mit den leeren Friedensappellen an die für diesen Krieg verantwortlichen Regierungen. Die Aufgabe, die Arbeiter politisch mit einem internationalistischen und klassenkämpferischen Programm gegen den Krieg zu bewaffnen, fällt allein den marxistischen Kräften zu.
Kapitalistische Krise, Verschuldung und Spekulation
73. Auch wenn der Krieg in der Ukraine die Welt an einen Abgrund gebracht hat, wie es ihn seit 1945 nicht mehr gegeben hat, und auch wenn das Szenario eines bewaffneten Konflikts, der schnell eskalieren und weitere Länder einbeziehen könnte, in der gegenwärtigen Situation nicht ausgeschlossen werden kann, ist die Ursache der organischen Krise des Kapitalismus keineswegs ein Krieg, ebenso wenig wie es vorher die Pandemie war. Der Krieg ist die Frucht der Sackgasse, in die die eigenen Widersprüche dieses System getrieben haben, und gleichzeitig ist er ein Beschleuniger all dieser Widersprüche.
74. Nach dem wirtschaftlichen Crash im Jahr 2020 haben die Bourgeoisie und ihre Regierungen mit großem Tamtam eine schnelle Erholung angekündigt. Die Sozialdemokratie und die neue reformistische Linke lobten Bidens Regierung in den USA als internationales Beispiel, das einen gerechten wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aufschwung herbeiführen werde. Heute haben sich all diese Reden und Versprechungen in Luft aufgelöst.
75. Die Kapitalisten und die in ihrem Dienst stehenden Regierungen haben versucht, die Corona-Krise zu überwinden, wie sie es 2007-2008 getan haben. Die Zentralbanken haben über 12 Billionen Dollar in Rettungsprogramme für die Banken und die großen kapitalistischen Monopole gesteckt – auf Kosten von Kürzungen für die Arbeiterklasse. Nur ein winziger Teil dieses Kapitals ist in die Realwirtschaft geflossen, der größte Teil in Finanzspekulationen auf dem Anleihemarkt und Aktienrückkäufe, die weitere Spekulationsblasen anheizen.
76. Die weltweite Verschuldung hat einen neuen Höchststand erreicht: 296 Billionen Dollar, das sind 353 % des weltweiten BIP. Allein zwischen 2020 und 2021 wird die öffentliche und private Verschuldung um 36 Billionen Dollar steigen, was dem BIP der USA und China zusammen entspricht.[51] Die Inflationsspirale und die Änderung der Leitzinsen, drastische Anhebungen der Zinssätze und Einschränkungen des Ankaufes von Schulden sind der Angstschweiß der Finanzkrise.
77. Riesige Liquiditätsspritzen haben die globalen Märkte überschwemmt und fiktives Kapital in nie gekanntem Ausmaß vermehrt, wie die Kryptowährungskrise[52] oder das Wachstum einer neuen Immobilienblase in den USA zeigen.[53] Die Inflation gesellt sich zu diesen Entwicklungen: „Ausdruck für die Störung der inneren Proportionen der Wirtschaft und ihrer internationalen Verflechtungen, verstärkt die Inflation ihrerseits diese Störung und lässt sie aus einer funktionellen zu einer organischen werden.“[54] Ein Ungleichgewicht, das auf den Schultern der Arbeiterklasse lastet und den angekündigten wirtschaftlichen Aufschwung für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in eine Fata Morgana verwandelt.
78. Diese Spekulationen haben dazu geführt, dass das Jahr 2021 ein Rekordjahr für die weltweiten Aktienmärkte war, deren Umfang sich seit Beginn der Pandemie verdoppelt haben: der S&P500 stieg um 30 %, der CAC 40 (Frankreich) um 29 %, der Euro Stoxx[55] (Eurozone) um 20 %, der DAX 40 (Deutschland) um 16 %, der PSI (Portugal) um 13,7 % und der IBEX 35 (Spanien) um 8 %. Die Unternehmensgewinne sind in den USA um 37% gewachsen, der größte Anstieg seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1948.[56] Zwischen 2019 und 2021 haben 0,001% der Bevölkerung, die Crème de la Crème der Kapitalisten, ihr Vermögen um 14 % erhöht.
79. Gleichzeitig hat die Energiekrise die Dividenden der Eigentümer allgemein in die Höhe getrieben. Im dritten Quartal des Jahres 2022 stiegen sie global auf mehr als 400 Milliarden Euro an – ein Rekordwert für ein drittes Quartal, wobei auch noch erwähnt werden muss, dass über 90 Prozent der kapitalistischen Konzerne der Welt ihre Dividenden erhöht haben.
80. Die Inflation hat die großen Monopole mit Gewinnen überhäuft. Das sehen wir bspw. an den Energiekonzernen und großen Ölgesellschaften, die allein in den ersten zwei Monaten nach dem Einmarsch in der Ukraine mehr als 3,3 Milliarden Euro verdient haben.[58] Das Gleiche gilt für die große Agrarindustrie. Die Warnungen der UNO vor der weltweiten Hungerkrise ignorieren systematisch den zentralen Punkt, nämlich dass es genug Nahrungsmittel gibt, um den Bedarf aller Bewohner des Planeten zu decken; selbst mit den Sanktionen gegen Russland und den kriegsbedingten Ernteausfällen in der Ukraine!
81. Was die Lebensmittelindustrie betrifft, wird die weltweite Getreideproduktion trotz brutaler Preiserhöhungen auf den internationalen Großhandelsmärkten von 20 % bei Weizen und bis zu 29 % bei Mais nach Angaben der FAO im Wirtschaftsjahr 2022/2023 nur um 1,7 % zurückgehen und einen Überschuss von 847,8 Mio. Tonnen aufweisen. Der Überschuss liegt unter dem des Rekordjahres 2021, aber über dem der Jahre 2018, 2019 und 2020. Bei Weizen, dessen Anstieg auf den Krieg in der Ukraine zurückgeführt wird, wird die Erzeugung voraussichtlich 787,2 Mio. Tonnen erreichen, und damit einen neuen Rekord aufstellen.[59] Das Gleiche gilt für Öl, Gas und andere Rohstoffe. Kurz gesagt: die Ursache für die Hungersnot ist nicht der Krieg in der Ukraine oder fehlende Produktionskapazitäten, sondern die Kontrolle der großen Lebensmittelmonopole über die Produktion und ihre Spekulationsspiele auf den Terminmärkten, wo u.a. mit zukünftigen Ernten gehandelt wird. Das führt dazu, dass die Lebensmittelpreise neue Rekorde brechen und sogar die Zahlen von 2011 übertreffen, die die revolutionäre Explosion des sogenannten Arabischen Frühlings ausgelöst haben.
Krieg, Rezession und Klassenkampf
82. Der Krieg in der Ukraine verschärft die Turbulenzen in der Weltwirtschaft und droht eine schwere Rezession auszulösen, die sich zu einer großen Depression ausweiten könnte. Obwohl der IWF seine Prognosen für das weltweite Wachstum immer wieder reduziert und im Juli bei 3,2 % belässt,[60] könnten auch diese Schätzungen noch weit hinter der Realität zurückbleiben. Die schwerwiegenden Widersprüche, die sich in der kapitalistischen Wirtschaft anhäufen, eine zunehmend unhaltbare Verschuldung, das unvermeidliche Platzen neuer Spekulationsblasen: All dies kann auch die schlimmsten Vorhersagen der bürgerlichen Ökonomen leicht übertreffen. Die Analysten der Deutschen Bank, die mit dieser Einschätzung nicht alleine dastehen, haben bereits im Mai vor der Gefahr einer „tiefen Rezession“[61] in den USA gewarnt. Tatsache ist, dass die US-Wirtschaft im Juni in eine technische Rezession eingetreten ist, mit zwei Quartalen, in denen das BIP rückläufig war, zunächst um 1,6 % und dann um 0,6 %.
83. In Europa wird die Situation durch den eskalierenden Krieg in der Ukraine noch verschärft, der zu weiteren wirtschaftlichen Verwerfungen führen könnte, wenn der Kontinent plötzlich von russischen Öl- und Gaslieferungen abgeschnitten wird. Eine abrupte Abschaltung würde Deutschland in eine schwere Rezession stürzen, die das Bruttoinlandsprodukt in den Jahren 2022 und 2023 um 6,5 % senken könnte – das wäre der stärkste Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg, der Hunderttausende von Arbeitsplätzen vernichten würde und Auswirkungen auf die gesamte deutsche und andere europäische Volkswirtschaften hätte. In den Worten von Alfred Kammer, Direktor der Europaabteilung des IWF: „Im schlimmsten Fall [...] könnte dies einen Rückgang des europäischen BIP um 3 % bedeuten.“ Die unmittelbaren Folgen für den europäischen Klassenkampf wären kolossal. Genau darauf müssen wir uns vorbereiten.
84. Nach zwei albtraumhaften Jahren mit einer Pandemie, die mehr als 18 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, nach einer unaufhaltsamen Zunahme der Ungleichheit und der Armut und nun unter den Auswirkungen des imperialistischen Krieges leidend, tritt der Klassenkampf in einen Zyklus von größerer Radikalisierung, Härte und Gewalt ein.
85. Der revolutionäre Aufstand in Sri Lanka, der massive Generalstreik in Indien, die Proteste in Indonesien gegen die steigenden Preise, die Generalstreiks in Griechenland... All das ist nur das Vorspiel zu viel größeren Ereignissen.[62] All diese neuen Erschütterungen des Klassenkampfes sind nur zusätzlich zu den Aufständen, die wir im letzten Jahrzehnt gesehen haben, sogar während der Pandemie! Irak, Libanon, Sudan, Algerien, Chile, Peru, Kolumbien, und sogar die Vereinigten Staaten selbst erlebten die größte soziale Revolte seit Jahrzehnten gegen Trump, gegen Rassismus und letztlich gegen den Kapitalismus.
86. Die aktuellsten Beispiele des neuen Aufschwungs im internationalen Klassenkampf bringen jeden Tag neue Schlagzeilen in die bürgerlichen Medien weltweit und eskalieren immer weiter. Im Iran hat der Tod Mahsa Aminis in eine vorrevolutionäre Situation geführt, die sich mit atemberaubender Geschwindigkeit auf alle Provinzen des Landes ausgebreitet hat und das Mullah-Regime und die Revolutionsgarde zu brutaler Repression gezwungen hat, die bereits unzählige Tote gefordert hat.[64] Die iranische Arbeiterbewegung hat zweifellos aus den Massenkämpfen und Streikbewegungen der letzten Jahre und aus der Niederlage der Revolution 1979 gelernt. Ihr beispielhafter Kampf mit den Frauen und der Jugend an der Spitze hat weltweit große Solidaritätsproteste ausgelöst und könnte in der ganzen Region Anklang finden und an die große Tradition der Arabischen Revolutionen von vor zehn Jahren anschließen.
87. Die gewaltige Streikwelle, die über Großbritannien hinwegrollt, hat das Ende von Liz Truss als Nachfolgerin Boris Johnsons nach nicht einmal zwei Monaten eingeläutet und die gesamte europäische herrschende Klasse blickt mit Furcht auf die Ereignisse.[65] Nicht einmal die massive Propagandakampagne der „Nationalen Trauer“ nach dem Tod von Elizabeth II. konnte die Bewegung nachhaltig aufhalten. Der Schulterschluss zwischen kämpferischen Gewerkschaften wie der RMT oder Unison und Bündnissen des zivilen Ungehorsams wie „Don‘t Pay“ und „Enough is Enough“– die inzwischen Millionen Unterstützer finden und in Ländern wie Deutschland die Gründung ähnlicher Bündnisse ausgelöst haben – setzt die Forderung nach einem Generalstreik auf die Tagesordnung, der nicht nur die konservative Regierung selbst hinwegfegen könnte!
88. Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich, die wir ausführlich analysiert haben,[66] waren Ausdruck der sozialen und politischen Polarisierung, die nach jahrzehntelanger Austerität, zwei Jahren Pandemie und dem Ausbruch eines neuen imperialistischen Krieges, für den uns die Bourgeoisie bezahlen lassen will, voranschreitet. Diese Wahlen haben einmal mehr die Diskreditierung der bürgerlichen Institutionen und der traditionellen Parteien sowie die wachsende Gefahr durch die extreme Rechten und bonapartistische Tendenzen im Staat gezeigt. Aber sie brachten auch, insbesondere durch die Ergebnisse von Mélenchon, das enorme Potenzial zum Ausdruck, das trotz der beschämenden Rolle der neuen reformistischen Formationen für eine revolutionäre und kämpferische, sozialistische und internationalistische Alternative besteht! Die aktuellen Entwicklungen des Klassenkampfes, insbesondere der fortgesetzte Streik der französischen Raffineriearbeiter, die als Avantgarde der ganzen Arbeiterklasse ein Beispiel sind und deren Kampf am18. Oktober zu einem landesweiten Generalstreik geführt hat, bestätigen diese Analyse eindrücklich.
89. Die Wahlen in Italien – die wir ebenfalls analysiert haben[68] – waren eine weitere Bestätigung unserer Perspektiven und zeigen ein Beispiel, wo das komplette Scheitern des Reformismus der extremen Rechten genügend Nahrung gab, um sie in die Regierung zu bringen. Die Regierung von Meloni und der Fratelli d'Italia ist die unmittelbare Folge der Regierung Draghi, einer regelrechten Volksfront, in der sich alle Strömungen des Reformismus zusammengefunden haben, um den italienischen Kapitalismus vor dem Ruin zu retten.
90. Das gleiche Elend des Reformismus hat zu dem knappsten Wahlergebnis in der Geschichte Brasiliens geführt: die anfänglichen Prognosen, die dem sozialdemokratischen Kandidaten Lula einen Vorsprung von über 20 % einräumten, sind letztlich auf unter 2 % gesunken![69] Im Bemühen, der brasilianischen Bourgeoisie als vertrauenswürdiger Staatsmann zu erscheinen, hat dieser „linke“ Kandidat den Vertrauensvorschuss der Arbeiterklasse verspielt und soziale Versprechungen über Bord geworfen – und sich sogar gegen Abtreibungen ausgesprochen, um seine „Christlichkeit“ zu beweisen! Diese Politik hat nicht nur beinahe den Wahlsieg gekostet, sie hat vor allem Bolsonaro weiteren Boden bereitet und treibt diesem Ultrarechten demoralisierte Elemente und große Teile der Mittelschichten in die Hände, die sich gegen die Arbeiterbewegung rüsten.
91. Der Bankrott der Neuen Reformistischen Linken ist vollständig. In solch einem kritischen Moment des Kapitalismus werfen sie sich vor die bürgerlichen Institutionen und übernehmen nicht nur die Argumente des Kapitalismus, sondern versuchen, dem Proletariat mit dem Versprechen eines „Kapitalismus mit menschlichem Anlitz“ Sand in die Augen zu streuen! Dieser Kräfte schaffen mit all ihrem Sein Schwierigkeiten und Hindernisse für Revolutionäre. Die Entstehung, Existenz und Entwicklung dieser Formationen zu verstehen und opportunistischen oder sektiererischen Tendenzen zu widerstehen ist entscheidend.[70] Genauso wie es jedoch eine offensichtliche Tatsache ist, dass diese Politik des sozialen Friedens, der nationalen Einheit und der Klassenzusammenarbeit der reformistischen Parteien und der Gewerkschaften dazu dient, die Machtergreifung in zahlreichen Ländern zu verzögern oder sogar unmöglich zu machen, so ist es doch auch Fakt, dass eben diese Politik den Klassenkampf voranpeitscht. Bei allen Chancen, die sich bieten werden, dürfen wir nie das Gesamtbild und die vorherrschenden, objektiven und tiefgreifenden Trends in der Entwicklung des weltweiten Kapitalismus und Klassenkampfes aus den Augen verlieren. Das ist der Rahmen, von dem wir uns leiten lassen.
92. Die Erfahrungen der letzten Jahre waren nicht umsonst. Die harten Ereignisse, die wir erlebt haben und auch diejenigen, die noch kommen werden, werden die Grundlagen dafür schaffen, dass zunächst Teile der Avantgarde des Proletariats und später breite Teile der Massen zu immer fortschrittlicheren, revolutionären Schlussfolgerungen gelangen und den Schritt zum bewussten Kampf und zur Organisierung gegen den Kapitalismus machen. Wie in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts ist es unmöglich, die unüberwindlichen Widersprüche dieser Produktionsweise im Rahmen der bürgerlichen Demokratie zu bewältigen. Die Entwicklung dieses Systems in den letzten Jahrzehnten des 20. und den ersten des 21. Jahrhunderts entsprach historisch gesehen einer Epoche des kapitalistischen Wachstums und der Reformen in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Diese Epoche ist vorbei und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie sich wiederholen könnte.
II. DEUTSCHE PERSPEKTIVEN
93. Vor etwas mehr als einem Jahr haben SPD, FDP und Grüne ihren Koalitionsvertrag für eine Koalition des „historischen Fortschritts“ geschlossen. Getrieben von Versprechen nach sozialer Sicherheit, Frieden und Ökologie – mit Wahlslogans wie „Sichere Arbeit & Klimaschutz“ (SPD) oder „Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete“ (Grüne) – haben sich diese Parteien in der Wahl gegen die Rechte durchgesetzt.
94. Auf Grundlage dieser Versprechen, aber noch mehr, weil es in der Bevölkerung keine Mehrheit für den reaktionären Wahlkampf von CDU und AfD gegeben hat, konnten die Parteien der Ampel gewählt werden, auch wenn sie keine Begeisterung ausgelöst haben.
95. Doch nur ein Jahr der Regierungszeit dieser neuen Koalition hat erneut alle Thesen, dass der Kapitalismus zu einem sozial gerechten, ökologischen und friedlichen System reformiert werden könnte, eindeutig widerlegt. Während die Regierung „historischen Fortschritt“ versprochen hat, exportiert sie Waffen nach Saudi-Arabien, das einen grausamen Krieg gegen den Jemen führt, jeder Beschluss zur Abschaltung der Atomkraftwerke wurde über Bord geworfen und die Wirtschaft steckt in der tiefsten Krise seit 1929 – mit all ihren Auswirkungen auf die arbeitende Klasse und die Industrie, die von den kapitalistischen Politikern und den Konzernchefs in die Zerstörung getrieben wird.
96. Für die Arbeiterklasse war das vergangene Jahr ein Lehrstück über Reformismus und Nationale Einheit. Während sich die Gewerkschaftsführer und die Führer der LINKEN dem Diktat sozialer Kürzungen und der Unterstützung des imperialistischen Konflikts der NATO in der Ukraine – also allen Konsequenzen der kapitalistischen Produktionsweise – unterworfen haben, zahlt die Arbeiterklasse teuer für dieses Bündnis.
Der deutsche Imperialismus und die NATO
97. Zu Anfang des Krieges hat sich die Scholz-Regierung mit größerer Zögerlichkeit positioniert, als es die US-Strategen verlangt haben. Die deutschen Kapitalisten wussten, dass der aggressive Kurs, den der US-Imperialismus in der Ukraine vorantreibt, die Interessen des deutschen Imperialismus am Zusammenhalt der europäischen Einheit und ihre bedeutenden Wirtschaftsbeziehungen zu Russland grundlegend gefährdet.
98. Doch die Dynamik der Ereignisse, die der 24. Februar ausgelöst hat, hat diese Strategie überworfen. Die extreme Polarisierung auf Weltebene führte dazu, dass die führende Fraktion der deutschen Bourgeoisie sich in einen Block mit dem US-Imperialismus begeben hat. Dieser Schritt war unvermeidlich, da der deutsche Imperialismus seine außenpolitischen Interessen nicht alleine gegen die streitenden imperialistischen Supermächte durchsetzen kann.
99. Aber die Ereignisse sind im Fluss, und das Kapitel der deutschen Rolle im neuen imperialistischen Weltkonflikt ist nicht geschlossen. Das hat zuletzt die Zustimmung von Olaf Scholz und der HHLA-Vorstandschefin zum Einstieg von Cosco, das bereits 10 Prozent der europäischen Hafenkapazitäten beeinflusst, in ein Hamburger Hafenterminal gezeigt. Auch wenn die Maßnahme umstritten ist, begrüßten einige bürgerliche Medienkommentatoren den Einstieg mit dem Argument, dass die Aufrechterhaltung des Handels mit China für die deutsche Wirtschaft eine Frage von Leben und Tod ist. Auch Olaf Scholz‘ Chinareise, auf der er von Top-Managern von BASF, BMW, der Deutschen Bank, Volkswagen und anderen Monopolkonzernen begleitet wurde, bekräftigte die Verbindungen eines einflussreichen Sektors des deutschen Kapitals zu China.
100. Ein anderes Beispiel für die ambivalente Position Deutschlands im imperialistischen Konflikt sind die Drohgebärden der Europäischen Union, die auf Bidens Inflation Reduction Act gefolgt sind, und auf Druck des deutschen Kapitals zustande kamen. Selbst Robert Habeck, der als Vertreter einer den USA sehr freundlich gesinnten Kapitalfraktion gilt, warnte in dem Zusammenhang davor, dass „Unternehmen Europa wegen der enormen Subventionen [in den USA] verlassen“.
101. Der exportabhängige deutsche Imperialismus wurde durch den interimperialistischen Konflikt und den Handelskrieg in die Zange genommen. Aber alle Ansätze, die darauf abzielen, die Realität einfach zurückzudrehen zu einer Phase von Wachstum und Stabilität sind reine Utopie. Zuletzt die Explosionen der Nord Stream-Pipelines und die Reduktion der Ölfördermenge durch die OPEC, die die Krise für die deutsche Wirtschaft weiter vertiefen wird, haben bewiesen, dass Deutschland sich nicht einfach aus dem imperialistischen Krieg „zurückziehen“ kann. Der imperialistische Krieg ist die neue internationale Realität. Vor diesem Hintergrund wird die deutsche Bourgeoisie immer weiter versuchen, ihre Position auf Weltebene zu verteidigen, und bei diesem Versuch neue innen- und außenpolitische Krisen vorantreiben.
Der deutsche Kapitalismus scheitert an allen Fronten
102. Die kapitalistische Krise und der Handelskrieg, durch den der US-Imperialismus versucht seinen Niedergang gegenüber China aufzuhalten, haben den deutschen Kapitalismus in eine kritische Situation gebracht.
103. Im zweiten Quartal dieses Jahres ist die deutsche Wirtschaft mit einem Wachstum von 0,0 Prozent völlig stagniert. Am 24. Oktober veröffentlichte Bloomberg einen Artikel, in dem es heißt: „Deutschland befindet sich wahrscheinlich bereits in einer Rezession, da der Einmarsch Russlands in der Ukraine und die darauffolgende Energiekrise das Industriezentrum belasten. [E]s wird nicht erwartet, dass das Land vor dem zweiten Quartal des nächsten Jahres wieder wächst.“[72]
104. Alle Thesen der reformistischen Führer, dass erst Putins „Angriffskrieg“ gegen die Ukraine diese Situation verursacht hätte, sind völlig falsch und müssen klar zurückgewiesen werden.
105. Schon im Jahr 2020 hat Deutschland unter Angela Merkel mit dem „Handlungskonzept Stahl“ die Weichen für Außenzölle bei Stahlimporten gestellt. Und jeder erinnert sich an den Jahresanfang, als Robert Habeck, Ursula von der Leyen und andere Vertreter des deutschen Kapitalismus immer lauter nach einem Ölembargo gegen Russland geschrien haben. Die Situation, die die deutsche Bourgeoisie jetzt mit Krokodilstränen über „Erpressung“ und „Preismanipulation“ durch Putins Regime beweint, ist in eine Situation, die sie selbst mit verursacht hat und für die Arbeiter und Arme nun zahlen.
106. Doch der Kern der derzeitigen Krise liegt tiefer. Die weltweite Überproduktion, die nichts mit dem „falschen“ oder „unmoralischen“ Handeln einzelner Kapitalisten zu tun hat, sondern in der Funktion des weltweiten Kapitalismus selbst liegt, hat sich weitreichend auf den deutschen Kapitalismus ausgewirkt. Weil die Investitionen in die Produktivwirtschaft stagniert sind, haben die Zentralbanken seit der Krise von 2008 ihre Leitzinsen immer weiter gesenkt, um produktive Investitionen anzukurbeln. Heute wird geschätzt, dass es sich bei 6 Prozent der deutschen Unternehmen um sogenannte „Zombie-Unternehmen“ – also Unternehmen, die so wenig Gewinne machen, dass sie ihre Kredite eigentlich nicht mehr bedienen können – handelt, beziehungsweise 14 Prozent, wenn man nur kleine und mittlere Unternehmen betrachtet.
107. Die Diktatur des Finanzkapitals hat den Druck, immer schneller immer höhere Profite zu erzielen, ungeachtet langfristiger strategischer Entscheidungen einzelner Industrieunternehmen, stetig erhöht. Schon 2020 kam es zur Zerschlagung von Thyssen Krupp, auf die internationale Hedgefonds seit Jahren gedrängt haben, und dem Beschluss zum Abbau tausender Stellen.
108. Diese Fakten anzuerkennen, ist von entscheidender Bedeutung für Kommunistinnen und Kommunisten in Deutschland. Denn während Stalinisten und Figuren der Friedensbewegung den Slogan „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ derzeit verwenden, um die Schuld des imperialistischen Russlands für den Krieg zu leugnen, hat er eigentlich eine ganz andere Bedeutung. Die deutsche Bourgeoisie, als herrschende Klasse im Kapitalismus, trägt die Verantwortung für die kapitalistische Krise, und ist der Gegner, gegen den wir kämpfen müssen, um den Kapitalismus zu überwinden. Keiner der Sektoren der Bourgeoisie – weder der, der den Handelskrieg befürwortet und sich den USA zuwendet, noch der, der für eine engere Kooperation mit Russland steht, kann die Widersprüche des Kapitalismus beenden. Das zu verstehen ist von größter Bedeutung, um die Perspektive des Klassenkampfes beizubehalten.
109. Die deutsche Industrie steckt in einer tiefen Krise, die unter kapitalistischen Bedingungen ganze Regionen deindustrialisieren und zerstören kann. Wie das Handelsblatt berichtete, plant ein Viertel aller Unternehmen wegen der rapide steigenden Energiepreise Stellen abzubauen.
110. In ganz Deutschland sind die Energiepreise im August um 139 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen. Erdgas war dabei um 264,9 Prozent teurer als im Vorjahr.[75] Eine eindeutige Folge des Wirtschaftskrieges und der kapitalistischen Weltkrise, wobei Deutschland – das sich besonders auf seine Industrie stützt, die zu 31 Prozent auf Gas als Energieträger basiert, und bisher mehr als die Hälfte seiner Gasimporte aus Russland bezogen hat – in diesem Fall besonders betroffen ist.
111. Gleichzeitig sind die Preise für industrielle Primärgüter im August gegenüber dem Vorjahr um 46,9 Prozent gestiegen – der größte Anstieg seit Beginn der Statistik im Jahr 1949.
112. Darüber hinaus kam es durch den Ukrainekrieg zu Stockungen wichtiger Liefer- und Produktionsketten. Ein gutes Beispiel ist die Produktion von Kabelbäumen, die in deutschen Autos verbaut werden. Da der Anteil der Handarbeit bei ihrer Fertigung relevant ist, lagern deutsche Kapitalisten ihre Produktion in Niedriglohnländer aus. Die Ukraine exportierte etwa 50 Prozent aller dort produzierten Kabelbäume nach Deutschland. 11,6 Prozent der von deutschen Autoherstellern importierten Kabelbäume stammten zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns aus der Ukraine. Deshalb kam es als Folge der Krise zu weitreichenden Produktionsstopps bei BMW, Porsche, VW oder Mercedes.
113. Der westliche Sanktionskurs und der imperialistische Krieg haben für das deutsche Kapital zu einem völligen Fiasko geführt. Jede Sanktion, die sie gegen Russland ausgesprochen haben, kam um ein tausendfaches zurück. Dahinter steckt ein einfacher Grund, auf den W. I. Lenin im Jahr 1915 hingewiesen hat: Der Kapitalismus hat sich so weit entwickelt, dass der gesamte Planet mit Handelsrouten und Produktionsketten überzogen ist. Es ist unmöglich, eine kapitalistische Nation von zentralen Rohstofflieferungen zu isolieren.[76] Der Text „Nation und Weltwirtschaft“, den wir weiter oben ausführlich zitiert haben, unterstreicht dieselbe Tatsache.
Der deutsche Imperialismus wird aggressiver
114. Das Resultat des imperialistischen Krieges, des Aufstiegs Chinas und der kapitalistischen Weltkrise für die deutsche Bourgeoisie ist eindeutig. Während der Anteil deutscher Waren auf dem Weltmarkt zwischen 1950 und 1990 – dem Zeitpunkt der Gründung der Europäischen Union – von 3,2 auf 12 Prozent gestiegen ist, lag er 2020 nur noch bei 7,2 Prozent – eine Folge der Großen Rezession von 2008 und des Aufstiegs des asiatischen Riesens.
115. Was das ganz konkret bedeutet, lässt sich beispielsweise an der Entwicklung der deutschen Autoindustrie nachvollziehen: Seit 1954 gehörte Deutschland zu den drei größten Produktionsländern für PKWs der Welt. Ab dem Jahr 2008 war der stark wachsende Absatzmarkt für PKWs in China – der seine Kapazitäten zwischen 2008 und 2021 etwa versechsfacht hat[77] – für Deutschland ein Motor aus der Wirtschaftskrise. Doch gleichzeitig hat China Deutschland im Jahr 2007 als drittgrößter Produzent abgelöst, wobei sich auch die Masse der Autos auf dem Weltmarkt vervielfacht hat – mit 87.166 chinesischen Autos im Jahr 1970, zu mehr als 17 Millionen die zwischen Januar und September 2022 produziert wurden. [78] Die Folgen der Überproduktion für die deutsche Wirtschaft sind nicht zu übersehen: Der geplante Stellenabbau bei deutschen Autoproduzenten ab dem Jahr 2020 umfasst zehntausende Stellen, mit mehr als 21.000 Stellen bei Daimler, 12.800 bei VW, 9.500 bei Audi, 7.500 bei ZF Friedrichshafen und vielen mehr.[79]
116. Das Schicksal aller kapitalistischen Mächte ist eng verwoben, doch gleichzeitig treibt der imperialistische Konflikt sie zueinander in die schärfste Konkurrenz. Zeitgleich zum Aufstieg Chinas bilden die USA mit ihrem aggressiven Vorgehen zur Verteidigung ihrer Interessensphären neue Blöcke in Europa, die die Zukunft der EU in Frage stellen und die Macht des deutschen Imperialismus bereits deutlich eingeschränkt haben.
117. Seit dem Brexit – der von den US-Strategen euphorisch begrüßt wurde – ist das Handelsvolumen Großbritanniens mit den USA auf 12,5 Prozent angestiegen, das mit China auf 10,6 Prozent und das mit Deutschland, einst der größte Handelspartner Großbritanniens, ist auf zehn Prozent gefallen.
118. Und wie schon 2008 wendet Deutschland nationalistische und protektionistische Maßnahmen an, um eine Rezession und soziale Aufstände zu verhindern. Doch das schwächt die prekäre Einheit der Europäischen Union aufs Neue. Zum 200-Milliarden-Euro-Paket der Scholz-Regierung sagte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán „in der Energiekrise [könne] Deutschland seinen eigenen Unternehmen mit Hunderten Milliarden Euro helfen“, ärmere Länder können das nicht. Und: „Das ist der Beginn des Kannibalismus in der EU.“[80]
119. Diese Ereignisse sind keine Überraschung. Die EU dient aus Sicht des deutschen Kapitals der Verwirklichung der Interessen der mächtigsten Kapitalisten und Imperialisten in diesem Bündnis. Für den deutschen Kapitalismus, dem größten Räuber in diesem Staatenbund, ist sie die Krönung seiner imperialistischen Anstrengungen.
120. Als am 9. September 1914 der Reichskanzler von Bethmann Hollweg seine Ziele im Ersten Weltkrieg in einer Denkschrift zusammenfasste schrieb er: „Es ist zu erreichen die Gründung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes durch gemeinsame Zollabmachungen, unter Einschluss von Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen und eventuell Italien, Schweden und Norwegen. Dieser Verband, wohl ohne gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äußerlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren.“[81]
121. Die globale Überproduktionskrise und die Verschiebungen im imperialistischen Machtgefüge haben den Einfluss des deutschen Imperialismus beschnitten und verdrängen Kernbereiche seiner Industrie zunehmend vom Weltmarkt. Doch wie Friedrich Engels es formulierte, muss sich „unter dem kapitalistischen System […] eine Industrie entweder ausdehnen oder zusammenschrumpfen. Sie kann nicht stationär bleiben; Hemmung der Ausdehnung ist beginnender Ruin.“[82]
122. Verschiedene historische Erfahrungen haben gezeigt, wie die Verdrängung einer kapitalistischen Macht aus den Weltmärkten und imperialistischen Einflusszonen den Autoritarismus und die außenpolitische Aggression seiner Bourgeoisie beflügeln.[83] In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Fraktionen der Bourgeoisie nicht. Die Äußerungen von Olaf Scholz auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 23. Februar, auf der er seine Expansionspläne ausgeführt hat, „alle Länder des Westbalkans“ in die Europäische Union zu integrieren, hat ihre Interessen deutlich gemacht.
123. Im Zimmerwalder Manifest, das 1915 von Leo Trotzki verfasst wurde, heißt es: „Die Kapitalisten aller Länder, die aus dem vergossenen Blut des Volkes das rote Gold der Kriegsprofite münzen, behaupten, der Krieg diene der Verteidigung des Vaterlandes, der Demokratie, der Befreiung unterdrückter Völker. Sie lügen. In Tat und Wahrheit begraben sie auf den Stätten der Verwüstung die Freiheit des eigenen Volkes mitsamt der Unabhängigkeit anderer Nationen.“[85]
124. Mit dem deutschen Imperialismus ist es nicht anders. Knapp 400 (!) deutsche Konzerne sind in der Ukraine aktiv, und zahlen dort teilweise einen Stundenlohn von wenig über einem Euro.[86] Große deutsche Monopolkonzerne haben gierige Blicke auf den ukrainischen Markt geworfen. So spekuliert die Deutsche Telekom seit der Privatisierung der Ukrtelecom im Jahr 2013 auf die Zerschlagung des Konzerns und die Erweiterung ihres Marktanteils.[87] Diese Aussicht auf ein lukratives Geschäft mit der Ausblutung der ukrainischen Wirtschaft ist der einzige Grund, weshalb Unternehmen wie die Telekom „Flüchtlingshilfe“ leisten, und in ihrem Fall Sim-Karten an ukrainische Flüchtlinge verteilt.[88]
125. Die Kapitalisten sprechen von der „Freiheit“ der Ukraine, doch in Wahrheit haben die Milliarden, die sie in den vergangenen Jahren für Kriegsgerät zur Unterdrückung fremder Nationen ausgegeben haben, alle Rekorde gebrochen. Das Sondervermögen von 100 Milliarden für die Bundeswehr, für das eine Grundgesetzänderung nötig war, wurde zusätzlich zur Erhöhung des laufenden Haushalts im Bundesetat beschlossen. Dabei wird von Maßnahmen zur „Verteidigung“ gesprochen, doch die Rüstungsmaßnahmen der deutschen Armee zeichnen ein anderes Bild: 40,9 Milliarden Euro für die Luftwaffe dienen unter anderem der Ersetzung des Tornados durch den US-Tarnkappenjet F-35, der mit Nuklearraketen bestückt werden kann, und der Entwicklung eines neuen Eurofighters.
126. Die Stimmung, die Bundeswehrgeneräle in den deutschen Medien in diesem Jahr verbreiten wollten, und die so weit ging zu behaupten, dass ein russischer Angriff auf Deutschland bevorstünde, diente einzig der Propaganda, um diese Schritte zu verteidigen. Ein relevanter Anteil der Bundeswehrausgaben wird in „Entwicklung, Forschung und Erprobung“ von Waffensystemen gesteckt, die in den nächsten Jahren noch gar nicht einsatzbereit sein werden. Ein widersinniger Schritt, wenn es um die „unmittelbare und sofortige Verteidigung Deutschlands“ geht.
Rekordprofite für die Kapitalisten, Armut und Elend für die Arbeiter
127. Wie Lenin es einst formulierte, ist der Krieg für die Kapitalisten schrecklich – schrecklich profitabel! Wie der CEO der Thyssen-Krupp Marine Systems Oliver Burkhard in einem Interview mit dem Handelsblatt feststellte, wurde zu keinem Zeitpunkt der deutschen Geschichte auf einen Schlag so viel für die Rüstung ausgegeben wie heute.[89]
128. Die Kapitalisten wollen den derzeitigen Konflikt als Konflikt zwischen den Nationen darstellen. Mit wirren Erzählungen wie der, dass Russland in Wahrheit nicht nur den Angriff der Ukraine, sondern einen Überfall auf Deutschland plane, wollen sie Angst schüren und die Vorstellung verbreiten, alle Klassen hätten ein „gemeinsames Interesse“ an Burgfrieden und Aufrüstung. In Wahrheit hat die Wirtschaftskrise einen Krieg aller Kapitalisten gegen ihre eigene Arbeiterklasse eingeleitet.
129. Die Rekordprofite, die deutsche Monopolkonzerne angesichts der Energiekrise und des drohenden Weltkriegs machen konnten, sind ins Unermessliche gestiegen. Allein RWE hat seine Profite im ersten Halbjahr auf 2,1 Milliarden Euro verdoppelt, und auch E.ON hat einen Gewinn von über 2 Milliarden Euro erzielt. Gleichzeitig hat das Wettrüsten bewirkt, dass die Aktie von Rheinmetall, deren Wert bis Ende 2018 nie die 100 Euro überschritten hat, im April auf einen Rekordwert von mehr als 214 Euro gestiegen ist.
130. Die massiv ansteigende Inflation, die für Arbeiter und Arme weit über zehn Prozent liegt – die Preise für Lebensmittel sind im September um 18,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen, die Preise für Bahntickets im kombinierten Personenverkehr um 175,3 Prozent, die Kraftstoffpreise um über 30 Prozent und die Energieprodukte um 43,9 Prozent[90] – hat zu historischen Gewinnen des Großkapitals geführt.
131. Während eine halbe Million Kinder in Deutschland regelmäßig mit Hunger in Kindergarten oder Schule gehen, [91] ist zur gleichen Zeit der Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz mit einem Vermögen von 36 Milliarden Euro zum reichsten Deutschen aufgestiegen.
132. Das gravierende Ausmaß der Inflation bei Lebensmitteln ist nicht die Folge des Krieges, sondern einzig der barbarischen Funktionsweise des kapitalistischen Profitsystems – in dem Fall von Spekulation und Hortung. Schon im Januar 2022, also vor dem Einmarsch in die Ukraine, meldete das Statistische Bundesamt einen Anstieg der Preise im Großhandel von 16,2 Prozent gegenüber Januar 2021.
133. Den überdurchschnittlichen Profiten, die die Großkonzerne aus der Krise geschöpft haben, steht der Einbruch des Lebensstandards der Arbeiter und Armen gegenüber. Betrachtet man die im 1. Halbjahr 2022 und in den Vorjahren beschlossenen Tarifverträge, werden die Tariflöhne 2022 um 2,9 Prozent steigen, während die Preissteigerung des Warenkorbs von Arbeitern und Armen die zehn Prozent weit überschritten hat. In jedem Fall erzeugt diese Situation einen wachsenden Druck auf die Gewerkschaftsspitzen, und könnte in der kommenden Zeit zu zunehmender Verbissenheit in den Kämpfen um die Verteidigung der Lebens- und Arbeitsbedingungen führen. Jeder Abschluss, der den dramatischen Einbruch des Lebensstandards bestätigt, untergräbt weiter die sowieso schon schwindende Autorität der Gewerkschaftsbürokraten. Eine Situation, die neue Perspektiven für die Arbeit von Marxisten in der Arbeiterbewegung und in den Gewerkschaften eröffnen kann.
Was steckt hinter der „Sozialpolitik“ der Ampelregierung?
134. Die Politik der Ampelregierung, die einen „bürgerfreundlichen Sozialstaat“ und die „Erneuerung“ des Arbeitslosengeldes versprochen hat, hat die Verarmung der arbeitenden und arbeitslosen Massen nicht aufgehalten, aber zu historischen Gewinnen bei den Großkapitalisten geführt. Die Maßnahmen, die angeblich zur „Entlastung“ der Arbeiter und Armen getroffen wurden, dienen der Rettung kapitalistischer Profite.
135. Im letzten Entlastungspaket, das angeblich 65 Milliarden Euro enthielt (eine Summe, die auf rechnerischen Verschleierungen und anderen Tricks basiert), waren Steuersenkungen in Höhe von 10,1 Milliarden Euro enthalten. Christian Lindner sprach dabei von einem „Inflationsausgleich“, doch was mit dem „Ausgleich der kalten Progression“, auf den er sich bezogen hat, in Wirklichkeit gemeint war, war eine Umverteilung der Steuergelder an die reichsten Prozent der Bevölkerung. Berechnungen der LINKEN haben ergeben, dass neun der zehn Milliarden, die in diesem Paket enthalten waren, an das reichste Drittel der Steuerzahler ausgezahlt werden.[92]
136. Eine weitere Maßnahme ist die „Gaspreisbremse“, die ebenfalls ein völliger Betrug ist. Sie tritt erst im März 2023 – also nach der Explosion der Heizkosten – in Kraft, und auch dann erst ab einem Gaspreis von 12 ct / Kilowattstunde, also mehr als das Doppelte des Gaspreises im September 2021. Gleichzeitig übersteigen auch hier die Finanzhilfen, die an Topverdiener ausgezahlt werden, weit die Summen für Arbeiter und Arme. Auch der neue „Doppel-Wumms“ enthält unzählige Milliarden für die Rettung der Privatkonzerne.
137. Darüber hinaus hat die deutsche Bourgeoisie den Energiemulti Uniper verstaatlicht, doch wie schon in der Krise von 2008 dient diese Maßnahme nur der Rettung der Profite der Bourgeoisie. Uniper hat noch als privater Konzern zweistellige Milliardenbeträge zu seiner „Rettung“ erhalten, und nun, da der Konzern noch gravierendere Verluste macht, springt der kapitalistische Staat als Käufer ein.
138. Was die Einführung des Bürgergelds angeht, inszeniert sich die Ampelkoalition als großer Wohltäter, indem sie das alte Hartz-IV-System „abschafft“ und durch das neue Bürgergeld ersetzt. Dabei geht es um eine Anhebung des Regelsatzes um 53 Euro im Monat, geringere Abzüge bei Zuverdiensten, eine zeitweise Schonfrist vor Sanktion und ein größeres Schonvermögen. Trotz kosmetischer Verbesserungen im Bürgergeld handelt es sich um eine Fortführung des menschenverachteten Hartz-IV-Systems, das zynischerweise von zwei der drei Parteien der Ampelkoalition vor fast 20 Jahren eingeführt wurde, einen massiven Abbau des Lebensstandards von Millionen von Arbeitern und Armen darstellte und den größten Niedriglohnsektor in Europa erschuf. Die Merz-geführte CDU hat den Vorschlag des Bürgergeldes von rechts angegriffen, und inszeniert sich gleichzeitig als Verteidiger der unteren Lohngruppen, indem sie erklärt, dass es nicht sein könne, dass Arbeitslose mehr Geld bekämen als Arbeiter. Damit verteidigt sie ein System von „Armut als Abschreckung“.
139. Die Entlastungspakete sind keine Neuauflage des historischen Keynesianismus. Tatsächlich folgen sie völlig der neoliberalen Doktrin. Es gibt keinen Zweifel, dass die Milliardensummen, die jetzt zur Rettung des deutschen Kapitalismus ausgegeben werden, durch einen grausamen Kürzungsplan an öffentlichen Sozial- und Dienstleistungen wieder eingespart werden. Ganz zu schweigen davon, dass sie die Inflationsrate weiter ankurbeln werden.
Krise des Parlamentarismus und Aufstieg der extremen Rechten
140. Ein Jahr der Ampel zeichnet ein eindeutiges Bild davon, was von der Idee des „historischen Fortschritts“ im Rahmen des modernen Kapitalismus zu halten ist. Deutschland steckt in einer historischen Wirtschaftskrise und hat eine Bundesregierung, deren Kanzler schon vor Beginn seiner Amtszeit in die zwei größten Finanzskandale der deutschen Geschichte verwickelt war – Cum-Ex und Cum-Cum, bei denen die Banken den Staat um mindestens 35,9 Milliarden Euro betrogen haben, und dem Skandal um den Gangsterkonzern Wirecard, der von führenden Stellen der deutschen Politik und Behörden gefördert wurde.
141. All das sind keine „unmoralischen Ausnahmen“, sondern gehört zu den inneren Eigenschaften der Diktatur des Finanzkapitals. Die Diskreditierung dieses Systems und der offiziellen Politik, die als verlängerter Arm der kapitalistischen Monopole ihre Profite immer weiter gesteigert hat, nimmt täglich zu.
142. Mit dem Handelskrieg hat die kapitalistische Krise ein neues Niveau erreicht. Die Ampelregierung ist mit all ihren Vorstellungen über den Wirtschaftskrieg – wie der irrsinnigen Idee, Deutschland könne innerhalb „weniger Tage“ vom russischen Öl „unabhängig“ werden, die Robert Habeck noch im April verbreitet hat – gegen die Wand gefahren. Das hat die Diskreditierung der Regierung und die Spaltung der Bourgeoisie weiter vorangetrieben.
143. Die Ampelkoalition, die als erste Koalition seit Gründung der BRD nur als Dreierkoalition gebildet werden konnte, wurde mit 24.127.592 Stimmen und einer Wahlenthaltung von fast einem Viertel der Wahlberechtigten von gerade einmal 39 Prozent der Wahlberechtigten gewählt, und hat seitdem noch an Zustimmung verloren. Laut aktuellen Umfragen kommen die Ampelparteien bundesweit auf 35 Prozent, während Union und AfD über 40 Prozent erreichen.
144. Die Wahrheit hinter der Diskreditierung der Ampel ist, dass sie für das völlige Scheitern der pro-kapitalistischen „Krisenlösungen“ verantwortlich gemacht wird, die der dominierende Sektor der deutschen Bourgeoisie durchgesetzt hat.
145. Aber auch ein anderer Kurs der deutschen Kapitalisten würde die Krise nicht beenden. Die deutschen Kapitalisten haben sich in den Block der USA eingereiht, weil sie das transatlantische imperialistische Bündnis zur Durchsetzung ihrer Profitinteressen brauchen. Gleichzeitig bedeutet eine Abwendung von China und Russland als Handelspartner für tragende Säulen der deutschen Industrie den Bankrott. Die Situation stellt sich für die deutsche Kapitalistenklasse als zunehmend ausweglos dar, und alle Wege die sie wählt enden in einer Zuspitzung der kapitalistischen Klassenwidersprüche. Der Rahmen der bürgerlichen Demokratie wird immer ungeeigneter, um eine solche Situation zu beherrschen.
146. Das sind die Ursachen für die Krise des bürgerlichen Parlamentarismus. Wir sehen, dass ein Sektor der herrschenden Klasse sich zunehmend dem Autoritarismus zuwendet. Auch wenn der Verfassungsschutz es anders suggeriert, ist der Aufstieg der Rechten keine Frage des „Extremismus“, der von den Rändern kommt. Der Faschismus war immer eine Säule der kapitalistischen Herrschaft, wie auch die jahrzehntelange Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit den Terroristen der faschistischen NSU-Zellen eindeutig bewiesen hat.
147. Ein aktuelleres Beispiel ist die Verschärfung des §130 StGB, ehemals im deutschen Kaiserreich als „Klassenkampfparagraph“ eingeführt. Ein antikommunistisches Gesetz, das von der „Fortschrittsregierung“ mit Unterstützung der CDU durchgesetzt wurde, und eine strafrechtliche Grundlage für die Verfolgung all derer schafft, die die sogenannten „Verbrechen des Kommunismus“ – womit antikommunistische Lügen über Sowjetunion und Russische Revolution gemeint sind – leugnen.[93]
148. Die kapitalistische Krise hat die materielle Grundlage der Klassenkollaboration – den sozialen Mittelbau aus Arbeiteraristokratie und Mittelschichten, auf den die Bourgeoisie ihre „demokratische“ Herrschaft stützt – unterlaufen. Dieser Faktor ist der Boden für den Aufstieg des Faschismus, der den Schichten des Kapitals, die verzweifelt sind, eine effektivere Herrschaftsform anbietet.
149. Wir haben in mehreren Artikeln analysiert, wie die Krise des Kapitalismus die Faschisten in der AfD immer weiter ermutigt hat, und ihnen die Führung der Partei vor die Füße gelegt hat. Seit dem letzten Bundesparteitag hat sich der gemäßigte Parteisprecher Jörg Meuthen aus der Partei zurückgezogen, und auf dem Parteitag in Riesa diesen Juni konnte Björn Höcke einen Antrag durchsetzen, der eine Einzelspitze der Partei und die Ablösung der Doppelspitze ermöglicht. Tino Chrupalla, der mit etwas über 53 Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, ist völlig von der Zustimmung des Flügels abhängig. Es ist bezeichnend, dass er sich sofort nach seiner Wahl dem Faschisten Höcke zuwandte, ihn umarmte und sich bei ihm für seine Wahl bedankte. Auch wurde in Riesa dem Antrag zugestimmt, die ultrarechte „Arbeitnehmervereinigung“ Zentrum Automobil von der Liste der mit der Partei unvereinbaren Organisationen zu streichen.[94]
150. Es mag manche geben, die genau in dieser Situation ihre „Widersprüche“ mit den faschistischen Charakterzügen der AfD betonen. Selbstverständlich handelt es sich bei der AfD – genauso wie bei allem in der Realität der Klassengesellschaft – nicht um ein „pures“ Phänomen. Aber als Marxisten begreifen wir die Realität nicht als abgeschlossene Tatsache, sondern in ihrer Entwicklung. Und es ist völlig falsch, genau in dieser Situation, wo die Krise des Kapitalismus den Aufstieg des Faschismus beflügelt, die faschistische Gefahr zu relativieren, statt die Arbeiterklasse auf die drohenden Ereignisse vorzubereiten.
151. In Ostdeutschland schreitet die AfD in großen Schritten voran. Laut der aktuellen Sonntagsfrage steht sie mit 27 Prozent in den östlichen Bundesländern an erster Stelle. Bundesweit liegt sie mit 15 Prozent nur noch drei Punkte hinter den Umfragewerten der SPD.
152. Die AfD führt wieder verstärkt einen Kampf um die Straße. Am 3. Oktober gelang es Björn Höcke in Gera – ausgerechnet in einem von der LINKEN regierten Bundesland – einen Marsch von 10.000 Menschen anzuführen, der stark von der Rechten beeinflusst war.
153. Für uns ist es wichtig anzumerken, dass zentrale Slogans der Gegenproteste, die die Verteidigung der „Demokratie“ der bürgerlichen Parteien – ein zunehmend leeres Wort in einer Region, deren Arbeitslosenzahlen den Bundesdurchschnitt um 50 Prozent übersteigen und in der jedes dritte Kind unter drei in Armut lebt – völlig ungeeignet sind, um den Aufstieg der AfD aufzuhalten. Weder die bürgerlich-kapitalistische „Demokratie“, die zur völligen Deindustrialisierung und Zerstörung der Region geführt hat, noch eine „linke“ Regierungsbeteiligung haben irgendetwas an den fundamentalen Problemen der kapitalistischen Gesellschaft geändert.
154. Nur eine Linke, die sich mit einem klassenkämpferischen und revolutionären Programm bewaffnet, das den Kapitalismus angreift, kann der AfD diese Position streitig machen.
DIE LINKE in der tiefsten Krise ihrer Geschichte
155. Der Aufstieg von Faschismus und Autoritarismus sind die unmittelbaren Folgen der Diktatur des Finanzkapitalismus in dieser Epoche. Wir erleben eine umfassende Systemkrise, die keinen Raum für echten Reformismus lässt.
156. Dutzende bürgerliche Parteien haben in dieser Situation Lösungen versprochen, aber keine von ihnen war von Dauer. Auch eine pro-kapitalistische Linke, die immer wieder der Logik des kleineren Übels gefolgt ist und für ein Bündnis mit den Parteien der Bourgeoisie eingetreten ist, hat viel Zerstörung hinterlassen und der extremen Rechten die Tür geöffnet.
157. Unsere jetzigen Erfahrungen unterstreichen genau diese Tatsachen. Alle Antworten der Bourgeoisie auf die kapitalistische Krise sind völlig gescheitert. Und genau in dieser Situation haben die Führer der LINKEN alles getan, um zu erklären, warum sie die Maßnahmen der Bundesregierung unterstützen!
158. Statt zu erklären, wie der Kapitalismus und imperialistische Bündnisse wie die NATO die Krise und den Krieg immer weiter vertiefen werden, hat ein breiter Block der Partei die Lügen der NATO völlig übernommen. Sie sprechen von einem russischen „Angriffskrieg“, aber erwähnen die Verantwortung der NATO, die himmelschreiend ist, in keinem Wort und erheben an der Seite des deutschen Kapitalismus Forderungen nach Sanktionen gegen Russland, während der Handelskrieg der Bourgeoisie die arbeitende Bevölkerung in die Armut stürzt! Eine völlige Unterstützung des imperialistischen Krieges und ein absoluter politischer Bankrott.
159. Mit dieser Unterwerfung unter die Logik der kapitalistischen Politik haben die Führer der LINKEN die Partei in die tiefste Krise ihrer Geschichte geführt. Bei der Wahl in Niedersachsen hat DIE LINKE ihre Zustimmung mit 2,7 Prozent fast halbiert, während die AfD ihr Ergebnis um 4,8 Prozent auf 11 Prozent verbessern konnte. In Schleswig-Holstein im Mai 2022 ist die Partei um 2,1 Prozent auf 1,7 Prozent eingebrochen, in NRW ebenfalls im Mai ist sie von 4,9 auf 2,1 Prozent gerutscht, und im Saarland ist sie im März um 10,2 Prozent eingebrochen, und mit 2,6 Prozent aus dem Landtag geflogen.
160. Trotzdem wäre es ein schwerer Fehler, die Analyse des Klassenkampfes auf Wahlergebnisse zu reduzieren. Eine solche oberflächliche Betrachtungsweise verstellt den Blick auf die tiefergreifenden Prozesse, die sich in der Wirtschaft, in den Beziehungen zwischen den Klassen und im Bewusstsein der Unterdrückten abspielen, und ist der Ausgangspunkt für die bürgerliche Propaganda. Die tiefen Niederlagen der LINKEN und ihr Zerfall sind der deutlichste Ausdruck der Krise des Reformismus.
161. Nun ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Flügel um Sahra Wagenknecht bei der Europawahl mit einer eigenen Liste antreten könnte, und damit ein deutlich größeres Potenzial ansprechen, als die Kräfte, die in der Partei verbleiben. Laut aktuellen Umfragen liegt die potenzielle Zustimmung einer „Liste Wagenknecht“ bei mindestens zehn Prozent.
162. Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch dieses Phänomen an seine Grenzen stoßen wird. Sahra Wagenknecht hat entscheidende Fehler gemacht. Auch wenn sie einen anderen Kurs verfolgt als die Mehrheit der LINKE-Führung, repräsentiert sie nur die andere Seite der Medaille des bürgerlichen Reformismus. Wagenknecht behauptet, man müsse nur die Sanktionen aufheben, um die kapitalistische Krise zu beenden.
163. Das ist völlig falsch. Die kapitalistische Krise hat den Klassenkampf der Kapitalisten gegen ihre Arbeiterklasse in allen Ländern verschärft. Gazprom hat in den letzten Monaten Milliardengewinne mit der Energiekrise gemacht, europäische Energiemultis haben nie zuvor derartige Rekordgewinne gemacht und jeder Tanker mit Flüssiggas, der die USA Richtung Europa verlässt, bringt seinen Investoren 200 Millionen Dollar ein. Die Kapitalisten saugen uns für ihre Profite aus, und nur die Öffnung von Gaspipelines wird an dieser Tatsache nichts ändern.
164. In der LINKEN stehen sich heute zwei reformistische Lager gegenüber, die nicht in der Lage sind, die kapitalistische Krise ideologisch zu beantworten. Aber diese reformistischen Bürokraten haben nicht den gleichen Einfluss wie die Sozialdemokraten der 1970er Jahre. In einer Zeit höchster Zuspitzung der Klassenwidersprüche haben sie sich in den Schoß der kapitalistischen Parteien geworfen, und sind dabei völlig gescheitert. Diese „Führer“ haben keine Autorität unter den Massen.
165. Ähnlich ist es mit den führenden Elementen in den Reihen des deutschen Stalinismus, die viel weniger als ein Zerrbild der historischen KPD sind. Sie sind völlig degeneriert, fordern offen den Sieg des russischen Imperialismus um – angeblich – einen „taktischen Vorteil“ für die Arbeiterklasse zu erwirken. Ein absoluter Bankrott.
166. Es ist nicht möglich, ohne eine revolutionäre, kommunistische Partei der Arbeiterklasse und Jugend den Kapitalismus zu überwinden. Aus unseren Erfahrungen mit den reformistischen Formationen der neuen und alten Linken ziehen wir den Schluss, dass es richtig war unbeirrt am Programm von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Luxemburg und Liebknecht festzuhalten und es ohne Zugeständnisse zu verteidigen.
Bewusstsein und Kämpfe der Arbeiterklasse
167. Die Delegitimierung der reformistischen Führer ist ein zentraler Punkt, der auch auf die Führung der Gewerkschaften zutrifft. Wie es Lenin bereits in seiner Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ erklärt hat, hat die Diktatur des Finanzkapitals zur völligen Assimilierung der Gewerkschaftsführer an den kapitalistischen Rahmen geführt.[95]
168. Das ist in der heutigen Phase absolut eindeutig. Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der IG BCE – einer Gewerkschaft, die seit 1971 nicht mehr gestreikt hat – kam zuletzt in die Medien, da er in die Expertenkommission Gas geholt wurde. Darin spielte er die Rolle des „Vermittlers“ zwischen Unternehmern und Beschäftigten, handelte aber in Wirklichkeit eine Gaspreisbremse aus, die deutlich höhere finanzielle Kompensationen an Reiche vergeben wird, die einen hohen Gasverbrauch haben, als an Arme, während eben diese Kompensationen aus den öffentlichen Steuerkassen entnommen werden.
169. Seine Lebensgefährtin, die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi, wiederum ist das Gesicht der konzertierten Aktion, zu der sie sich mit dem Präsidenten der Bundesbank, dem Arbeitgeberpräsidenten und den regierenden Politikern im Juli getroffen hat, und die das Ziel verfolgt, den Sozialraub der Bundesregierung praktisch und ideologisch zu unterstützen und den sozialen Frieden zu verteidigen.
170. Die Reformisten haben die Arbeiterklasse und Jugend verraten, doch ihr Verrat ist nicht dasselbe wie eine historische Niederlage. Die Arbeiterklasse ist zu einem politischen Waisen geworden, aber die kapitalistische Krise hat das Fundament der Klassenkollaboration zerstört und die Grundlage für neue Ausbrüche und militantere Klassenkämpfe geschaffen.
171. Die Stimmung von heute ist eine grundlegend andere als zu Zeiten des deutschen „Wirtschaftswunders“ der 1950er Jahre: Laut einer Umfrage des Instituts YouGov sorgen sich heute 47 Prozent der 18- bis 24-Jährigen um den Klimawandel, der von der kapitalistischen Produktionsweise verursacht wurde und unsere Welt an den Rand einer Katastrophe gebracht hat; 40 Prozent um bezahlbares Wohnen, was aufgrund der Privatisierungen und Profitemacherei auf dem Wohnungsmarkt kaum mehr erreichbar ist und 38 Prozent um ihre mentale Gesundheit, die von den Krisen der letzten Jahre und den Zukunftsaussichten deutlich in Mitleidenschaft gezogen wird.[96]
172. Das zeigt sehr deutlich, dass die kapitalistische Produktionsweise und die Diktatur des Finanzkapitals in absolutem Widerspruch zu unseren Interessen stehen und ihre Überwindung unsere unmittelbare Aufgabe ist.
173. Auf betrieblicher Ebene streikten in diesem Jahr das erste Mal seit 44 Jahren die Beschäftigten des Hamburger Hafens, und Tausende Kolleginnen und Kollegen aus anderen Betrieben unterstützten ihre Petition, die sich gegen die Einschränkung des Streikrechts in der Tarifrunde richtete. Ein anderes wichtiges Beispiel war die Durchsetzung der alternativen Gewerkschaftsliste „Uns reicht’s“ am Klinikum Bremen Mitte.
174. Wir beobachten ein wachsendes Potenzial, Arbeiterinnen und Arbeiter mit einem Programm zu erreichen, das darauf abzielt, die bremsende Haltung der Gewerkschaftsführer zu überwinden und den Kampf gegen die Angriffe der Bosse aufzunehmen. Die Erfahrung, die unsere Genossen von Izquierda Revolucionaria und dem Sindicato de Estudiantes (der Schülergewerkschaft im spanischen Staat) in Cadiz gemacht haben, wo sie tausende Kolleginnen und Kollegen in einem militanten Arbeitskampf anführten, während die Gewerkschaftsbürokratien nur eine verschwindende Minderheit der Beschäftigten mobilisieren konnten, war auch für uns eine wichtige Lehre in dieser Hinsicht.
175. Der Klassenkämpfe in Großbritannien, Griechenland und Belgien haben, wie wir in verschiedenen internationalen Erklärungen geschrieben haben, die Kämpfe in Westeuropa inspiriert und den Generalstreik in Europa zurück auf die Tagesordnung gesetzt. Auch in Deutschland müssen wir die Kämpfe vereinen und die Kumpanei der Gewerkschaftsbosse mit den Unternehmern genauso wie den sozialen Frieden überwinden.
176. In den kommenden Monaten werden die Tarifrunden für bis zu zehn Millionen Beschäftigte beginnen. Im öffentlichen Dienst müssen die Forderungen nach 10,5 Prozent mehr Gehalt und mindestens 500 Euro Festgeld im öffentlichen Dienst bei einer Laufzeit von 12 Monaten, über die im kommenden Frühjahr verhandelt wird, voll durchgesetzt werden. Das ist nur möglich mit einer entschlossenen, kämpferischen Streiktaktik aller Kolleginnen und Kollegen, einem hohen Grad an Organisation von unten und gelebter Streikdemokratie, mit täglichen Versammlungen und gewählten Streikleitungen. Darüber hinaus bleibt die Forderung nach einer gleitenden Lohnskala und Indexlöhnen, wie sie bereits von Teilen der Gewerkschaftsbewegung gefordert werden, von zentraler Bedeutung.
177. Wir können nicht ignorieren, dass sich die Krise der Linken, die Offensive der Bosse und die bürgerliche Propaganda über den imperialistischen Krieg und die Entlastungspakete auf das Bewusstsein und die Moral auswirken. Das haben wir in den schwachen Mobilisierungen des „Heißen Herbstes“ deutlich erkennen können.
178. Doch wir haben auch nicht vergessen, dass schon Lenin inmitten der Verheerungen des imperialistischen Krieges 1916 schrieb: „Die Revolution fällt niemals ganz fertig vom Himmel, und man weiß niemals beim Beginn der revolutionären Gärung ob und wann aus ihr die „wahre“, „echte“ Revolution entstehen wird. […] Der Opportunismus ist überreif geworden, er ging definitiv als Sozialchauvinismus in das Lager der Bourgeoisie über. Nur ein […] „Krieg dem Krieg“ ist sozialdemokratische Arbeit, keine Phrase. Und diese Arbeit wird die Menschheit, wie groß auch die Schwierigkeiten, zeitweiligen Niederlagen, Irrtümer, Abirrungen Unterbrechungen sein mögen, zur siegreichen proletarischen Revolution fuhren.“ [97]
179. Auf die Arbeiterklasse kommen schwierige Zeiten zu. Doch als revolutionäre Kommunisten blicken wir voller Entschlossenheit und Zuversicht in die Zukunft. Wir setzen alles daran, die lebendige Realität des Klassenkampfes zu verstehen und unseren Beitrag zum Aufbau einer revolutionären, kommunistischen Partei zu leisten, die fest auf dem Boden des Marxismus steht und den Sturz der Bourgeoisie, die Aufrichtung der sozialistischen Arbeitermacht und den Weg zu einer weltweiten klassenlosen Gesellschaft erkämpfen kann.
[1] https://offensiv.net/index.php/international/weltperspektivdokument-2021
[2] https://offensiv.net/index.php/international/russlands-einmarsch-in-die-ukraine-und-der-imperialistische-kampf-um-die-weltherrschaft
https://offensiv.net/index.php/international/europa/der-zweite-monat-des-krieges-in-der-ukraine-die-arbeiterklasse-wird-fuer-die-folgen-schwer-bezahlen
[3] „In den ersten beiden Jahren der Corona-Pandemie waren die meisten Regierungen unvorbereitet, reagierten zu langsam auf die Krise und kümmerten sich zu wenig um die Schwächsten – eine Vielzahl von Fehlern, die in der Summe zu einem Übermaß an Todesfällen führten, von denen viele vermeidbar waren.“ Das sind die Schlussfolgerungen des jüngsten Berichts der „Lancet-Kommission“, der von 28 Experten aus den Bereichen öffentliche Politik, Governance, Epidemiologie, Impfung, Wirtschaft, internationale Finanzen, Nachhaltigkeit und psychische Gesundheit erstellt wurde. Dieses Dokument kommt zu dem Schluss, dass all diese globalen und weit verbreiteten Fehler 17,1 Millionen Menschen das Leben gekostet haben. Siehe https://www.rtve.es/noticias/20220915/expertos-lancet-errores-gestion-covid-muertes-evitables/2402223.shtml.
[5] www.belfercenter.org/sites/default/files/files/publication/GreatEconomicRivalry_Final.pdf.
Für eine genauere Einordnung der Kaufkraftparität als Vergleichsmittel siehe zum Beispiel: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Internationaler-Preisvergleich/Methoden/erlaeuterungen-kaufkraftparitaeten.html.
[6] Um einige dieser Daten zu nennen: China hat einen Anteil von 15,2 % an den weltweiten Exporten, vor den USA (8,45 %), Deutschland (8,1 %) und Japan (3,8 %). Es ist führend in der Entwicklung Künstlicher Intelligenz, mit einem Anteil an der weltweiten Produktion von Industrierobotern, der von 3,2 % im Jahr 2010 auf 31 % im Jahr 2020 angestiegen ist, genauso wie in allen Technologien, die mit der neuen „grünen“ Industrie zusammenhängen – 80 % der Solarpaneele, 40 % der Windturbinen und 45 % der Elektroautos werden hier produziert. Es verfügt über 90 % der Kapazitäten zur Veredelung von Seltenen Erden, die für Batterien von Elektrofahrzeugen unerlässlich sind. 2020 waren in der Forbes-Liste der 500 größten Unternehmen zum ersten Mal mehr chinesische als US- amerikanische Unternehmen vertreten: 124 gegenüber 121.
[7] China Belt and Road Initiative Investment Report
[8] www.bloomberg.com/news/articles/2022-01-14/china-posts-record-trade-surplus-in-2021-on-soaring-exports.
[9] China ist derzeit Gläubiger von über fünf Billionen Dollar, was 6 % des weltweiten BIP entspricht. Der Anteil Chinas an den Gesamtschulden aller Länder der Welt ist von 45 % im Jahr 2013 auf 63 % im Jahr 2019 gestiegen.
[10] Zahlen aus einem Bericht der Crédit Suisse, http://bit.ly/3IWzl0r.
[11] https://on.china.cn/3Eh2Rj4.
[12] Eine Beteiligung des US-Imperialismus in der einen oder anderen Form an dem Putschversuch gegen Erdogan von 2016 scheint offensichtlich zu sein. So bestreitet Gülen, dessen Hizmet-Bewegung der Putsch angelastet wurde, bis heute seine Beteiligung und kritisierte den Putsch scharf. Gleichzeitig sind die USA bemüht, Gülen und Dutzende seiner Anhänger in den USA zu behalten: so wurde ihm mit Beteiligung der CIA und des FBI eine Green Card gewährt und die USA lehnten auch mehrere Auslieferungsforderungen der Türkei ab. US-Geheimdienste waren auch an der Vereitelung mehrerer Versuche beteiligt, Gülen aus den USA zu entführen.
[13] Die wiederholten Aufforderungen der USA an die OPEC, die Ölproduktion zu erhöhen, um die Preise angesichts der Inflationsspirale, von der vor allem die USA und Europa betroffen sind, zu senken, werden immer wieder ignoriert, während die Vereinbarungen zwischen der OPEC und Russland, die hohe Ölpreise garantieren, bestehen bleiben; etwas, das zweifellos zur Finanzierung der russischen Kriegsmaschinerie beiträgt.
[14] Das US-Imperium bekommt auch zuhause Risse
[15] Der Güterzug zwischen China und der EU, der Teil der Neuen Seidenstraße ist, hat bereits mehr als 40.000 Fahrten absolviert und dabei Waren im Wert von 200 Milliarden US-Dollar befördert und ist damit für die Aufrechterhaltung der Lieferketten während der Pandemie unverzichtbar geworden. Siehe: https://cincodias.elpais.com/cincodias/2021/07/26/opinion/1627295690_844975.html.
[16] http://www.descifrandolaguerra.es/china-en-bosnia-croacia-montenegro-y-serbia/.
[17] https://www.eleconomista.es/economia/noticias/11648099/03/22/La-guerra-trastoca-los-planes-de-China-la-apuesta-millonaria-de-Xi-Jinping-en-Ucrania.html.
[18] https://www.bbc.com/mundo/noticias-internacional-60481414.
[19] Die Nato-Truppen in Osteuropa wurden allein zwischen Oktober 2021 und März 2022, d.h. während nur einem einzigen Monat der tatsächlichen Invasion, von 4.000 auf 40.000 Mann aufgestockt.
[20] https://elpais.com/internacional/2022-05-12/el-ministro-de-exteriores-de-hungria-alguien-tiene-que-pagar-el-coste-de-sustituir-elpetroleo-ruso.html.
[21] Lenins Text „Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa“ vom August 1915 – über hundert Jahre später immer noch aktuell – ist sehr aufschlussreich. Siehe W. I. Lenin, Werke, Bd. 21, S. 342-346.
[22] Dabei haben sich in den vergangenen Wochen verstärkt Risse an der Führungsspitze der US-Administration aufgetan. So wurde öffentlich, dass Mark Milley, der Vorsitzende des Generalstabs der Streitkräfte der Vereinigten Staaten, sich bei den Debatten über das weitere Engagement der USA im Ukrainekrieg für eine diplomatische Lösung eingesetzt hat. https://edition.cnn.com/2022/11/11/politics/ukraine-mark-milley-negotiations-biden-administration-debate/index.html.
[23] Frei aus dem Englischen übersetzt nach https://www.nytimes.com/2022/05/19/opinion/america-ukraine-war-support.html.
[24] https://www.bolsamania.com/noticias/economia/biden-plan-combatir-inflacion-eliminar-aranceles-china--9755781.html.
[25] Power of Siberia 2 wird demnächst in Betrieb genommen und der Bau von Power of Siberia 3 wurde bereits für die nächsten zwei Jahre angekündigt. In der Zwischenzeit bauen russische und chinesische Unternehmen Gasverflüssigungsanlagen in Jamal, Nordwestsibirien, im Wert von 27 Milliarden Dollar.
[26] Diejenigen, die von einer „kalkulierten Neutralität“ Chinas sprechen, meinen damit, dass China sich zwar nicht an der westlichen Kampagne gegen Russland beteiligt, dabei aber auch nicht in einen festen imperialistischen Block mit Russland gezählt werden kann. Das ist falsch. So hat China zwar, nach Angaben der Reuters-Journalisten Chen Aizhu und Florence Tan, zu Beginn des Einmarsches in der Ukraine seine Importe von russischem Öl reduziert, dabei hat es sich aber vor allem um ein taktisches Manöver gehandelt, um nicht als Verbündeter Moskaus zu erscheinen und Sanktionen gegen die eigenen Energieriesen zu vermeiden. Schon bald begann es, verstärkt russische Energie zu kaufen: https://www.reuters.com/business/energy/china-reaps-energy-windfall-west-shuns-russian-sup- plies-2022-09-14/.
[27] https://www.ctxt.es/es/20220301/Firmas/39201/dolar-suicidio-sanciones-rusia-reservas.htm.
[28] https://www.aa.com.tr/en/energy/energy-diplomacy/us-lng-price-up-to-40-higher-than-russian-gas-novak/20225.
[29] https://www.bbc.com/news/business-61188579.
[30] https://www.aljazeera.com/economy/2022/8/17/russia-sees-38-rise-in-energy-export-earnings-this-year-reuters.
[31] Leo Trotzki: Nation und Weltwirtschaft (1933), nach: Neue Weltbühne, 2. Jahrgang Nr. 52 (28. Dezember 1933), S. 1630-1634.
[32] W.I. Lenin: Lage und Aufgaben der Sozialistischen Internationale (1914), in: Werke, Bd. 21, S. 27.
[33] W. I. Lenin: Sozialismus und Krieg (1915), In: Werke, Bd. 21, S. 304. Lenin zitiert und paraphrasiert hier den preußischen Militärtheoretiker Clausewitz, siehe Carl von Clausewitz: Vom Kriege.
[34] W. I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1917), In: Werke, Bd. 22, S. 278 ff.
[35] https://www.abc.es/internacional/abci-zelenski-aprueba-estrategia-para-adherirse-otan-y-recuperar-crimea-202103261417_noticia.html
[36] Auf den Charakter des ukrainischen Staates und der ukrainischen Rechten sind wir z.B. in Folgendem Artikel näher eingegangen: https://offensiv.net/index.php/weitere-themen/antifaschismus/die-extreme-rechte-in-der-ukraine-viel-mehr-als-die-nazis-vom-asow-bataillon.
[37] https://www.industriall-union.org/proposed-anti-union-law-threatens-ukrainian-union-movement.
[38] So wurde 2016 ein Gesetz verabschiedet, um Privatisierungen voranzutreiben, und zwar gleich zu Beginn mit der Privatisierung von mehr als 800 der damals bestehenden 3.700 staatlichen Unternehmen. Ein „Privatisierungsrat“ wurde gegründet, um diese Prozesse durchzuführen und zu begleiten. Darauf folgend wurde 2018 ein neues Gesetz „Über die Privatisierung von staatlichem und kommunalem Eigentum“ verabschiedet: https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine/306011/analyse-privatisierung-in-der-ukraine-hochsprung-nach-jahren-des-kriechens/.
[39] https://offensiv.net/index.php/international/europa/schwerer-rueckschlag-fuer-die-plaene-des-westlichen-imperialismus-revolutionaere-situation-in-der-ostukraine.
[40] Diese Tatsache haben wir schon vor dem Beginn der russischen Invasion analysiert: https://offensiv.net/index.php/international/das-grosse-spiel-des-westlichen-imperialismus-in-der-ukraine-entlarvt-seine-schwaechen.
[41] Frei übersetzt nach: https://theintercept.com/2022/09/10/ukraine-military-aid-weapons-oversight/.
[42] Der ehemalige FBI-Agent und Sicherheitsexperte Ali Soufan schätzt, dass in den letzten sechs Jahren mehr als 17.000 ausländische Kämpfer aus 50 verschiedenen Ländern in die Ukraine gereist sind. Ein wahres Paradies für die militärische Ausbildung von Faschisten aus aller Welt, die den vom US-Imperialismus im Nahen Osten geschaffenen dschihadistischen Monstern immer ähnlicher werden. Seit dem Einmarsch der Russen haben sich auch Tausende ausländische Freiwillige in ihre Reihen eingereiht. Ein ehemaliger spanischer Legionär, der in der Ukraine kämpft, erklärte: „Ich habe hier keine bewaffneten Milizen aus Zivilisten gesehen. Was es gibt, sind Militärfirmen aus vielen Ländern [...] es gibt Polen, Schweden, Dänen und vor allem Männer aus den USA.“
[43] https://www.opendemocracy.net/en/odr/ukraines-new-labour-law-wartime/.
[44] https://www.reuters.com/markets/europe/russian-economy-contract-29-2022-economy-minister-2022-09-06/.
[45] W.I. Lenin: Lage und Aufgaben der Sozialistischen Internationale (1914), In: Werke, Bd. 21, S. 26.
[46] Ebd., S. 25.
[47] Die Aufrüstungsetats wurden in erstaunlichem Maße ausgeweitet und verschlingen einen immer größeren Anteil der Gesamthaushalte aller europäischen Staaten zugunsten der Kriegsindustrie, die Rekordgewinne erzielt.
[48] Im Jahr 1945 kam es in Vietnam zu einer tiefgreifenden Rätebewegung, an der zehntausende Arbeiter beteiligt waren. Der vietnamesische Trotzkismus, der seine Wurzeln vor allem im städtischen Proletariat hatte, konnte unter diesen Bedingungen zehntausende Kämpfer unter seinem Banner versammeln. Doch die stalinistische Konterrevolution setzte diesen Entwicklungen ein Ende. Im selben Jahr wurden alle führenden trotzkistischen Kämpfer in einem Blutbad vernichtet, und der vietnamesische Trotzkismus ausradiert. Mit Zustimmung von Ho Chi Minh konnte die koloniale Ordnung Frankreichs in Südvietnam wieder aufgebaut werden, und die Rechtswende des Stalinismus, die 1934 begonnen hatte, setzte sich fort.
[49] Leo Trotzki: Krieg und die Vierte Internationale (1934), nach der Broschüre, Genf, 1. Mai 1934, Verantw. Herausgeber: G. Vereecken, Molenbeek Bruxelles.
[50] Ebd.
[51] https://www.eldiario.es/economia/deuda-global-desboca-roza-300-billones-dolares-3-5-veces-pib-mundial_1_8618246.
[52] https://elpais.com/economia/2022-05-12/la-caida-repentina-de-una-criptomoneda-evapora-los-ahorros-de-miles-de-inversores-y-extiende-el-miedo-al-contagio.html.
[53] https://www.eleconomista.es/vivienda/noticias/11695600/03/22/La-burbuja-inmobiliaria-de-EEUU-no-para-de-crecer-pero-hay-riesgo-de-que-explote.html.
[54] Leo Trotzki: Nation und Weltwirtschaft (1933), nach: Neue Weltbühne, 2. Jahrgang Nr. 52 (28. Dezember 1933), S. 1630-1634.
[55] https://elpais.com/economia/2021-12-31/las-bolsas-mundiales-doblan-su-valor-desde-el-inicio-de-la-pandemia.html.
[56] https://fortune.com/2022/03/31/us-companies-record-profits-2021-price-hikes-inflation/.
[57] https://cincodias.elpais.com/cincodias/2022/11/16/mercados/1668593240_238234.html.
[58] https://www.publico.es/sociedad/petroleras-han-ingresado-3300-millones-euros-extra-invasion-ucrania.html#md=modu-lo-portada-bloque:2col-t4;mm=mobile-medium.
[59] https://www.fao.org/worldfoodsituation/csdb/es/.
[60] https://www.imf.org/en/Publications/WEO/Issues/2022/07/26/world-economic-outlook-update-july-2022.
[61] https://www.eleconomista.es/economia/noticias/11737834/04/22/Deutsche-Bank-cree-que-la-Fed-se-pasara-de-frenada-y-llevara-los-tipos-entre-el-5-y-6.html.
[62] Wir verlinken unsere Erklärung zu den Ereignissen in Sri Lanka vom Juli: https://offensiv.net/index.php/international/asien/revolution-in-sri-lanka-die-arbeiterklasse-muss-die-macht-ergreifen-und-die-barbarei-beenden.
[63] Weitere Informationen zu all diesen Aspekten sind in den zahlreichen Artikeln zu finden, die auf unserer Website unter den internationalen Rubriken zu den einzelnen Kontinenten veröffentlicht wurden: https://offensiv.net/index.php/international.
[64] https://offensiv.net/index.php/international/naher-osten/iran-arbeiter-und-jugendliche-reagieren-auf-die-unterdrueckung-mit-einer-ausweitung-des-volksaufstandes.
[65] Wir verlinken hier einen Artikel, der knapp zwei Wochen vor dem Rücktritt von Liz Truss geschrieben wurde: https://offensiv.net/index.php/international/europa/grossbritannien-liz-truss-konservative-regierung-haengt-in-den-seilen.
[66] https://offensiv.net/index.php/international/europa/frankreich-macron-mit-rekordenthaltung-und-nach-einem-grossartigen-ergebnis-von-melenchon-im-ersten-wahlgang-wiedergewaehlt.
[67] https://offensiv.net/index.php/international/europa/frankreich-die-arbeiterklasse-kaempft-mit-entschlossenheit.
[68] https://offensiv.net/index.php/international/europa/italien-melonis-sieg-der-zusammenbruch-der-pd-und-rekordenthaltungen-lektionen-aus-den-wahlen.
[69] https://offensiv.net/index.php/international/lateinamerika/brasilien-lula-gewinnt-die-praesidentschaftswahl-aber-bolsonaros-faschistische-bedrohung-wird-staerker.
[70] Wir weisen auf einen längeren Theorieartikel hin, der aus den oben genannten Gründen eine große Wichtigkeit für uns hat und aufmerksam gelesen werden sollte: https://offensiv.net/index.php/international/europa/die-neue-reformistische-linke-im-angesicht-des-krieges
[71] https://elpais.com/economia/2022-10-19/alemania-y-francia-alertan-del-impacto-de-la-ley-antiinflacion-de-biden-en-europa-no-podemos-meternos-en-una-guerra-comercial.html.
[72] „German Contraction Intensifies as French Private Sector Stalls”
[73] Anian Quirin Köhler: The share of zombie firms in Germany: An empirical analysis. Diplomarbeit Universität Innsbruck.
[74] Ifo-Umfrage: Energiepreise treiben ein Viertel aller Unternehmen zum Jobabbau
[75] Industriepreise steigen um 458 Prozent. Das dicke Ende kommt noch
[76] W. I. Lenin: Sozialismus und Krieg, in: Lenin-Werke, Bd. 21, S. 301.
[77] CEIC China Number of Registered Vehicles
[78] Produktion von Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen in China von 2005 bis 2022
[79] Geplanter Stellenabbau in der Automobilindustrie in Deutschland nach Unternehmen ab 2020
[80] 200-Milliarden-Paket: Scholz wehrt sich gegen EU-Kritik
[81] Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern: Das September-Memorandum vom 9. September 1914
[82] F. Engels: Schutzzoll und Freihandel, in: MEW, Bd. 21 S. 368.
[83] So schreibt Pierre Broué über den Aufstieg des spanischen Faschismus zu Anfang des 20. Jahrhunderts: „Der erste Weltkrieg hatte Spanien neue Absatzmöglichkeiten eröffnet und einen fühlbaren wirtschaftlichen Aufschwung beschert. Mit einem Schlag war Spanien zum Lebensmittellieferanten, ja sogar zum Exporteur industrieller Fertigfabrikate geworden. Als der Krieg zu Ende ging, war es damit vorbei: mit den großen Industriemächten konnte Spanien nicht konkurrieren. Infolgedessen wurde es von der Weltwirtschaftskrise 1929 besonders hart getroffen: die von den Großmächten errichteten Zollschranken legten den spanischen Agrarexport lahm; der Inlandsmarkt, der die Erzeugnisse der einheimischen Industrie ohnehin kaum aufnehmen konnte, brach zusammen.“ (Pierre Broué, Émile Témie: Revolution und Krieg in Spanien, Frankfurt a. M. 1975, S. 36)
[84] Münchner Sicherheitskonferenz: Rede von Olaf Scholz https://www.youtube.com/watch?v=rE1fvRYGVOU&ab_channel=phoenix
[85] Leo Trotzki: Das Zimmerwalder Manifest (15. September 1915). Deutscher Text nach: Angelica Balabanoff, Die Zimmerwalder Bewegung 1914-1919, Leipzig (Hirschfeld) 1928, S.17-20.
[86] Leoni hadert mit der Ukraine
[87] Ukraine: Telekom-Privatisierung gerichtlich untersagt
[88] https://www.telekom.com/de/medien/medieninformationen/detail/kostenlose-sim-karten-fuer-gefluechtete-aus-der-ukraine-650244
[89] „Das Sondervermögen der Bundeswehr hat die Verteidigungsbranche verändert“
[90] Wo die Preise besonders stark gestiegen sind
[91] Die Ernährungssituation von Kindern in Deutschland
[92] DIE LINKE: Die Entlastung von „kalter Progression“ ist ein Steuergeschenk für Reiche.
[93] Das von französischen Autoren 1997 veröffentlichte „Schwarzbuch des Kommunismus“ beispielsweise zählt um die 100 Millionen Tote auf, die im Rahmen „kommunistischer Herrschaft“ auf dem ein oder anderen Weg zu Tode gekommen seien – darunter auch Kriegstote oder Opfer von durch natürliche Bedingungen ausgelösten Hungersnöten.
[94] AfD ermöglicht Einzelspitze für Parteivorsitz: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-06/bundesparteitag-afd-einzelspitze-vorsitz.
[95] Lenin schreibt:
„Hier sind Ursachen und Wirkungen deutlich aufgezeigt. Ursachen:
1. Ausbeutung der ganzen Welt durch das betreffende Land; 2. seine Monopolstellung auf dem Weltmarkt; 3. sein Kolonialmonopol. Wirkungen: 1. Verbürgerung eines Teils des englischen Proletariats; 2. ein Teil des Proletariats läßt sich von Leuten führen, die von der Bourgeoisie gekauft sind oder zumindest von ihr bezahlt werden [...]
Das Merkmal der heutigen Lage besteht in ökonomischen und politischen Bedingungen, die zwangsläufig die Unversöhnlichkeit des Opportunismus mit den allgemeinen und grundlegenden Interessen der Arbeiterbewegung verstärken mußten [...] Der Opportunismus kann jetzt nicht mehr in der Arbeiterbewegung irgendeines Landes auf eine lange Reihe von Jahrzehnten hinaus völlig Sieger bleiben, so wie er in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England gesiegt hatte; in einer Reihe von Ländern ist der Opportunismus vielmehr reif, überreif geworden und in Fäulnis übergegangen, da er sich als Sozialchauvinismus mit der bürgerlichen Politik restlos verschmolzen hat“
In: W. I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, in: Lenin-Werke, Bd. 22, S. 289f.
[96] Klima, Wohnen und Absicherung im Alter sind größte zukünftige Herausforderungen für heutige Jugend
[97] W. I. Lenin: Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II. Internationale, in: Lenin-Werke, Bd. 22, S. 117.